Hermann Kurz
Der Sonnenwirt
Hermann Kurz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel

Zu dem Gantverfahren, das der alte Sonnenwirt seinem Sohne angeraten hatte, schien er ihm volle Zeit und Muße verstauen zu wollen; denn er ließ ihn seine Tage und Nächte ungestört nach seinem Gutdünken hinbringen. Friedrich befolgte das Gebot seines Vaters, ihm nicht vors Angesicht zu kommen, buchstäblich, und obgleich seine Stiefmutter täglich über die gestörte Hausordnung seufzte, wenn er sich das Essen durch die Dienstboten auf seine Kammer bringen ließ, so wußte sie doch nichts dagegen einzuwenden, weil er sich auf den unmittelbaren Anspruch des Familienoberhauptes berufen konnte. Dabei ließ er sich's jedoch angelegen sein, mit seinen Dienstverrichtungen immer da einzugreifen, wo er den Vater nicht gegenwärtig wußte. Die Nächte widmete er den Zusammenkünften mit seiner Geliebten, und da er mit allen Gängen und Schlichen vertraut war, so machte es ihm keine Schwierigkeit, beim Heimgehen wieder in das verschlossene Haus zu kommen. Es schien ihm beinahe, als ob sein Vater, nachdem er einmal seine Willensmeinung ausgesprochen, den Dingen ohne weiteres Einschreiten den Lauf lassen wollte.

Hierin täuschte er sich aber sehr. Der Sonnenwirt hatte, nach reiflicher Beratung mit dem Chirurgen, seinen Plan und Entschluß gefaßt, und wenn die Ausführung desselben sich gerade so lange verzögerte, um einen bereits gesponnenen Schicksalsfaden vollends unabänderlich zu befestigen, so war ja dies einer von den Fehlschlägen, welche die kurzsichtigen Ratschläge der Menschen so häufig treffen. Der Sonnenwirt wollte sichergehen und seinen Plan gründlich durchsetzen. Er schickte seine Frau, mit einem Brätchen aus der Metzig, ins Amtshaus, um durch sie der Amtmännin zunächst mitteilen zu lassen, was er mit seinem Sohne vorhabe. Hierzu hatte er einen doppelten Grund. Einmal beanspruchte die Obrigkeit dieselbe unbedingte Gewalt über den Bürger, welche dieser über das Tun und Lassen seiner Kinder, selbst in ihren eigensten Angelegenheiten und noch im erwachsenen Alter, auszuüben sich berechtigt glaubte, und es wäre sehr übel vermerkt worden, wenn man in einem Hause auch nur eine Familiensache ins Werk zu setzen gewagt hätte, ohne sich vorher den Rat des gestrengen Herrn unter der Leitung seiner noch gestrengeren Frau zu erbitten oder ihnen wenigstens der äußeren Form nach die Ehre der Gutheißung zu lassen. Außerdem aber wollte der Sonnenwirt durch diese Unterwürfigkeit für den Fall, daß sein Sohn den Widerspenstigen machen würde, sich des amtlichen Beistandes versichern.

Die Amtmännin nahm das Geschenk und die Mitteilung der Sonnenwirtin mit Wohlgefallen auf. Sie gestand ihr offen, daß es ihr jedesmal übel werde, wenn sie den ungeschliffenen Flegel nur von weitem sehen müsse. Auch war sie der Ansicht, daß für die Ruhe des Fleckens nicht besser gesorgt werden könne als durch seine gänzliche Entfernung auf immer oder doch auf möglichst lange Zeit; denn, meinte sie, ein so gewalttätiger Mensch, der kein Gesetz achte, könnte am Ende, wenn nicht alles nach seinem Kopfe gehe, wohl noch imstande sein, Mord und Totschlag zu verüben oder gar den Leuten die Häuser über dem Kopfe anzuzünden. Sie verhehlte der Sonnenwirtin nicht, daß gar mancherlei über ihn gemurmelt werde. Man sage, er habe am Silvester nicht nur beinahe die ganze Nacht auf höchst gefährliche Weise im Flecken geschossen, sondern auch seinen Feinden einen Mordschlag gelegt, der so Menschen als Gebäuden einen erheblichen Schaden hätte bringen können; anderer Greueltaten zu geschweigen. Alles dieses werde mit leichten Stücken zu beweisen sein, sowie man ihm nur ernstlich zu Leibe gehen wolle, und das Amt halt also bereits wieder neue Blitze gegen ihn in der Hand. Es sei sonach eine wahre Wohltat für den ungeratenen Jungen, wenn man ihn diesen Blitzen noch zu rechter Zeit entziehe, und möge er dann fortbleiben, oder, was sie zwar nicht hoffe, später geschult und gebessert zurückkehren, so sei jedenfalls die »Sonne« vor dem Unglück behütet, durch eine so unanständige Heirat zu einem Pöbelwirtshause zu werden, aus welchem ehrbare Leute wegbleiben müßten. Die Sonnenwirtin stimmte allen ihren Reden aus mütterlichem Herzen bei und brachte dieselben, nachdem sie mit der Amtmännin viel darüber gespottet, welch eine Wirtin das Bauernmensch geben würde, freigebig mit Zusätzen vermehrt, ihrem Manne heim.

Nach dieser vorläufigen Verlässigung begab sich der Sonnenwirt mit dem Chirurgus zum Amtmann, dem er mit Hilfe des letzteren vortrug, er habe, wie dem Herrn Amtmann wohl bewußt sein werde, einen Sohn, der unerachtet aller väterlichen Bemühungen und trotzdem, daß er viel Geld auf seine rechtliche und christliche Erziehung verwendet, bis jetzt nicht habe einschlagen wollen und ihm nun gar noch das Kreuz mache, in seiner Minderjährigkeit an eine ganz ungleiche Heirat mit einer Bauerntochter, die nichts sei und nichts habe, zu denken. Da nun das Sprichwort mit Recht sage: »Wohl aus den Augen, wohl aus dem Sinn«, so habe er sich resolviert, ihn in die Fremde zu schicken. Er habe in Frankfurt oder vielmehr in Sachsenhausen, welches gleich daneben überm Mainstrom liege, einen leiblichen Bruder, der daselbst gleichfalls Wirt zur »Sonne« und in jungen Jahren durch eine Glücksheirat mit einer Witwe in den Besitz derselben gekommen sei. Dem wollte er seinen Sohn zuschicken, in der Hoffnung, daß derselbe unter einem fremden Himmel und bei andern Leuten seine Torheit vergessen und sich vielleicht den Kopf auf eine zuträgliche Art verstoßen und die Hörner ablaufen werde. Er habe sich nun die Freiheit nehmen wollen, zu fragen, was der Herr Amtmann von der Sache denke. Der Amtmann erwiderte, der Gedanke habe seinen ganzen Beifall, denn fremde Städte und fremde Menschen sehen, das putze den Kopf aus. »In dem Frankfort«, sagte er, »bin ich auch schon gewesen«, worauf der Sonnenwirt und der Chirurgus ihre untertänige Verwunderung ausdrückten, daß der Herr Amtmann schon so weit gereist sei. Die Amtmännin, welche sich ungesäumt im Rate eingefunden hatte, sprach davon, wie wohltätig es überhaupt wäre, wenn man alle ungeschlachten jungen Leute ein wenig in die weite Welt schicken könnte, um dort gehobelt zu werden. Als sodann der Sonnenwirt die Möglichkeit zur Sprache brachte, daß sein Sohn es etwa an der gewünschten Reiselust fehlen lassen könnte, hieß ihn der Amtmann ganz außer Sorgen sein, denn er werde jedenfalls mit seiner vollen Autorität dazwischenfahren und gedenke, mit einem jungen Trotz- und Querkopf schon noch fertig zu werden; er schreibe ohnehin heute noch einen Bericht über mehreres nach Göppingen und wolle in denselben einfließen lassen, daß der junge Mensch, der dem löblichen Oberamt auch schon mehr als billig zu schaffen gemacht, mit seiner Erlaubnis in die Fremde gehe.

Darauf empfahl sich der Sonnenwirt nebst seinem Schwiegersohne unter vielen Danksagungen und berief zu Hause sogleich seinen Sohn zu einer Unterredung in Ernst und Güte, nach welcher Friedrich mit väterlicher Einwilligung in das Haus des Hirschbauern ging, um von Christinen Abschied zu nehmen. Nur unter dieser Bedingung hatte er sich dem Willen seines Vaters gefügt. Bei dieser Fügsamkeit waren allerdings die Drohungen des Amtmanns, von welchen ihn sein Vater in Kenntnis zu setzen für geeignet befunden hatte, der natürlichen Gutmütigkeit seiner vom Glück der Liebe befriedigten und deshalb auch für die Mahnungen der Kindespflicht zugänglichen Seele zu Hilfe gekommen; aber keine Rücksicht hatte ihn zur Nachgiebigkeit gegen den Wunsch seines Vaters bewegen können, sogleich und ohne Abschied von Christinen abzureisen, und der Sonnenwirt war genötigt gewesen, von diesem Begehren abzustehen, wenn nicht sein ganzes Vorhaben daran scheitern sollte. Friedrich erklärte seinem Vater, daß er morgen früh vor Tag den Stab ergreifen wolle, und sagte ihm deshalb auf der Stelle Lebewohl. Von der Stiefmutter nahm er keinen Abschied. Dagegen verabschiedete er sich freundlich vom Chirurgen, welchem er bei seiner Bewerbung und nachher seine Abneigung mehr als einmal in nicht gar feiner Weise gezeigt hatte und in welchem er nun einen gutgesinnten Schwager gefunden zu haben glaubte. Derselbe gestand ihm zwar nicht, daß er der Urheber dieser Trennung sei, in welcher er das auflösende Mittel erblickte, das er dem Sonnenwirt empfohlen hatte; doch sagte er ihm offen, er sei mit dem Entschlusse seines Vaters einverstanden und halte diese Reise für die beste Art, von einer Sache loszukommen, die nun eben einmal nicht sein könne, worauf Friedrich erwiderte, es sei ihm zwar leid, daß seine Standhaftigkeit auf diese Probe gesetzt werde, aber es freue ihn auch wieder, weil er hoffe, daß er die Probe bestehen werde. Der Chirurgus und seine Frau schüttelten über diese Erklärung den Kopf, ließen es aber hierbei bewenden, weil sie der jugendlichen Festigkeit in Durchführung gefaßter Vorsätze, vielleicht eigener Erfahrung zufolge, kein großes Vertrauen schenkten. »Wirst du auch den weiten Weg finden?« fragte Magdalene mit Tränen in den Augen. »Bis nach Heilbronn«, antwortete er düster lachend, »kenn ich ihn schon, und das wird ungefähr halbwegs sein.« Der Chirurgus holte mit Wichtigkeit eine Karte des deutschen Reiches, die er besaß, und demonstrierte ihm mit dem Zirkel, daß das noch nicht ganz den dritten Teil der Reise betrage. »Dann muß ich eben noch ein wenig weiter gehen«, sagte Friedrich, »das Frankfort wird ja nicht aus der Welt liegen; ich geh eben der Nas nach; und die Leut an dem Main da drungen werden die Nas auch grad überm Maul tragen, justament wie wir hie.« Dann schüttelte er seinen Verwandten die Hände und ging. Bei dem Schwager Krämer klopfte er nur im Vorübergehen ans Fenster und rief seiner Schwester einen kurzen Abschiedsgruß zu, lockte aber ihre Kinder eine Strecke weit mit sich und entließ sie geküßt und beschenkt.

Nachdem er diese gleichgültigeren Angelegenheiten abgetan hatte, trat er den schweren Gang zu Christinen an. Diesmal suchte er keine Nebengäßchen, sondern ging den geraden Weg bis ans Ende des Fleckens und sah dabei allen Begegnenden herzhaft und freundlich ins Gesicht. Als er aber die Treppe so weit unter sich hatte, um im Hinaufsteigen einen Blick durch das Fenster werfen zu können, stieß er einen Fluch aus, sprang den Rest der Stufen mit zwei Sätzen hinauf und stürzte wütend in die Stube, wo der alte Hirschbauer seine Tochter soeben an den Zöpfen ergriffen hatte und die Hand aufhob, sie zu schlagen. »Halt!« rief Friedrich, warf sich zwischen beide und riß die Tochter von dem Vater weg. »Wenn Euch Euer Leben lieb ist«, rief er, »so untersteht Euch nicht, ihr ein Haar zu krümmen! Mir allein kommt das Recht zu, sie zu schlagen, wenn sie etwa gefehlt hat.«

»Das könnt ich brauchen«, polterte der Hirschbauer, »daß mir einer meine Tochter verführt und noch dazu in meinem Haus den Meister spielen will. Weiß wohl, wo die Häglein niedrig sind, da drüber steigt man gern; aber mich sollen Armut und Niedrigkeit nicht so weit bringen, daß ich Mutwillen mit mir und den Meinigen treiben laß.«

»Es ist von keinem Mutwillen die Red«, sagte Friedrich, »und ich bin kein Verführer. Ich will Eurer Tochter alle Ehr und alle Treu erweisen, und meine Absicht ist auf nichts anderes gerichtet, denn daß wir als Ehleut zusammenkommen.«

»Und dazu geht man in die Fremde?« rief die Bäuerin mit zornigem Lachen. »Ja, ja, weit davon ist gut für'n Schuß!«

»So, das ist auch schon ausgeschwätzt?« fragte Friedrich. »Wer hat Euch denn das hinterbracht?«

»Seine Mutter ist dagewesen«, erwiderte die Bäuerin. »Er braucht nichts zu leugnen.«

»Ich will auch nichts leugnen, begreifs aber wohl, daß Unsamen hier ausgestreut worden ist. Wahr ist's, daß ich gehen muß, weil mein Vater für jetzt nicht gut zu dieser Heirat sieht und weil er vielleicht meint, in einer andern Luft wachse mir auch gleich wieder ein anderer Kopf. Wenn er mir jetzt in die Fremde zu gehen befiehlt, so gehorch ich ihm und glaub ihn auch damit besser herumzubringen als mit Ungehorsam und Trotz. Er wird dann schon sehen, daß ich in dem, was meine eigene Sach ist, mein Herz nicht ändere, und zuletzt wird er mit seinem einzigen Sohn ein Einsehen haben und wird uns zusammenlassen. Damit jedoch mein Schatz und die Ihrigen nicht an mir zweifeln, deswegen bin ich hergekommen, um den Verspruch vor meinem Fortgehen richtig zu machen und mit Euch darüber zu reden.«


 << zurück weiter >>