Hermann Kurz
Der Sonnenwirt
Hermann Kurz

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»Willkommen!« rief er und streckte ihm die Hand entgegen. »Hab ich's nicht gesagt, wir sehen uns wieder?«

»Grüß dich Gott, Christianus!« erwiderte Friedrich und schüttelte ihm die Hand. »Hab da auf einen Hirsch anstehen wollen, und jetzt treff ich noch ein ganz anderes Stück Hochwild. Du wärst aber schwer zu finden gewesen, wenn ich dich hätte suchen wollen, denn deinen Zinken hab ich nirgends gesehen.«

Der Zigeuner lächelte verschmitzt. »Ich bin nicht allein mit den Meinigen«, sagte er, »es haben sich Freunde zu uns gesellt, die auch wieder Nachzügler erwarten, und da hätten wir ja eine ganze Wappensammlung in die Bäume schneiden müssen.«

»Was ist denn mit deinem Aug passiert?« fragte Friedrich weiter.

»Ich hab eine kleine Ungelegenheit gehabt«, antwortete der Zigeuner ausweichend, »und da hab ich den queren Scheinling eingebüßt. Aber komm«, unterbrach er sich, »ich muß dich der Gesellschaft vorstellen.«

Er nahm ihn bei der Hand und führte ihn zum Feuer, an welchem ein ganzes Schwein briet und einen Duft ausströmte, der einen Hungrigen wohl in Versuchung führen konnte. »Merkt auf, ihr Männer, und spitzt die Ohren, ihr Weiber!« rief er, »hier bring ich euch einen Freund, nach dessen Bekanntschaft ihr euch schon lang gesehnt habt. Das ist«, fuhr er mit erhobener, beinahe feierlicher Stimme fort, »das ist der Mann, dessen Name in jedem Walde zwischen Rhein und Donau mit Hutabziehen genannt wird, obgleich er seinen eigenen Wert nicht kennt, der Mann, vor dem ein ganzes Amt zittert, der Mann, dessen Genie die Festungswerke von Hohentwiel zu einem Kinderkartenhäuschen gemacht hat –«

»Ah!« riefen die drei weiblichen Mitglieder der Gesellschaft, die im Begreifen den Männern vorauseilten.

»Mit einem Wort«, vollendete der Zigeuner, indem er seinem Tone noch stärkeren Nachdruck gab, »es ist der berühmte Sonnenwirt

Mit einem Schrei der freudigsten Überraschung sprangen alle auf und umringten den Ankömmling, der kaum wußte, wie ihm geschah. Er glaubte zu träumen. Ausgestoßen, gehaßt und verachtet, wie er war, hatte er bis jetzt höchstens die traurige Befriedigung genossen, sich gefürchtet zu sehen, und durch seine Geschicklichkeit im Wildern hatte er sich bei den Hofbesitzern und Bauern eine gewisse eigennützige Teilnahme erworben; aber die Freundschaft, Achtung, Bewunderung, ja Ehrerbietung, die ihm hier als einem jungen Manne, der schon so Großes geleistet, erwiesen wurden, und zwar von Leuten, durch deren, wie es ihm schien, ungewöhnliche Bildung und Redeweise er sich zugleich gehoben und gedemütigt fühlte, diese Erzeigungen waren ihm unbekannt, und während seine Bescheidenheit sich gegen das Übermaß des Lobes und Preisens sträubte, tat doch die ungeheuchelte Anerkennung, die sich darin äußerte, nicht bloß seiner Eitelkeit, sondern auch seinem Herzen wohl.

»Nun will ich dir die Gesellschaft vorstellen«, fuhr der Zigeuner fort. Er deutete auf einen großen Mann, dessen freundliches Gesicht, unterstützt durch einen feinen, weißblauen Rock, einen günstigen Eindruck machte, nur daß um den lächelnden Mund ein spöttischer Zug lauerte und die etwas gemeine Barchentweste weder zu den silbernen Knöpfen, mit welchen sie besetzt war, noch zu dem feinen Rock recht passen wollte. »Das ist mein Freund Bettelmelcher«, sagte er, »ein sehr versierter Kopf, dessen glattem Gesicht man es nicht ansehen würde, wieviel Raffinement dahintersteckt.«

Der Mann mit dem abstoßenden Namen reichte dem Gaste die Hand und bewillkommte ihn mit so zierlich gesetzten Worten, daß der widersprechende Eindruck, den sowohl sein Gesicht als seine Kleidung hervorbrachten, bei einem Neuling schnell ausgeglichen wurde.

»Und dieser«, sagte der Zigeuner, indem er den andern am Arme nahm, »ist mein Freund Schwamenjackel, ein sehr ernsthafter Kerl, wenn er anfängt, denn da heißt's bei ihm: ›Nix Pardon!‹, aber seinen Freunden treu und anhänglich; wenn er einen einmal zum Freunde angenommen hat, so geht er durchs Feuer für ihn – ein grundehrlicher Kerl!«

Der also Geschilderte zerdrückte dem Ankömmling die breite, starke Hand, daß dieser das Blut in den Fingerspitzen fühlte, und sagte mit heiserer Stimme. »Wollen gut Freund sein.« Dann räusperte er sich, als ob die paar Worte ihm die Kehle angegriffen hätten, und nickte stumm dazu.

Es war eine kurze Gestalt, noch etwas unter Friedrichs Größe, aber dicker. Sein Gesicht war leserlicher als das seines Gefährten, aber es bedurfte einiger Überwindung, um darin zu lesen. Ein starker schwarzer Bart, an den unteren Haaren ins Gräuliche streifend, gab den groben Zügen den Ausdruck einer ungeschlachten Verwegenheit; hinter den buschigen Augenbrauen lagen ein paar bösblickende Augen wie in tiefen Höhlen. Das ins Graue spielende schwarze Haar verriet, mit dem noch nicht alten Gesichte verglichen, ein Leben voll Mühsal und wilder Leidenschaft. Trotz dieser Härte der Erscheinung hatte der Mann nichts Bäurisches in seinem Auftreten; seine Bewegungen waren kurz und sicher, und sein Anstand blieb wenig hinter dem seiner gewandteren Genossen zurück. Seine Tracht aber war noch ungleichartiger als die des Bettelmelchers. Er trug ein graues Kamisol und gelbe hirschlederne Beinkleider, die vollkommen zu seinem Gesicht, desto weniger aber zu einer höchst stattlichen braunseidenen Kamelotweste paßten. Eine bessere Übereinstimmung zeigte der Anzug des Zigeuners: sein grüner, geschlossener Jagdrock schickte sich trefflich zu den weißen Beinkleidern und zu einem Hirschfänger, den er an der Seite trug; aber ein schärferes Auge konnte auch an ihm eine Unvollkommenheit entdecken, denn der Schnitt der Kleider wollte nicht ganz genau zu seinem Leibe passen. Der Gast aber nahm es mit seiner Musterung nicht so streng, er dachte vielmehr nur an den Gegensatz, den er selbst unter diesen wohlgekleideten Leuten bildete, und verglich beschämt seinen abgeschabten Rock, der keine bestimmte Farbe mehr hatte, seine nußfarbigen, einst gelbledernen Beinkleider, seine schwarzen Strümpfe, die noch die gute Eigenschaft hatten, daß sie nicht oft der Wäsche bedurften, und seine zerrissenen, schmutzigen Schuhe mit den wohlhäbigen Kleidern, den frischen weißen Strümpfen und den blankgewichsten Schnallenschuhen der andern.

Hierauf stellte ihm der Zigeuner den weiblichen Teil der Gesellschaft mit den Worten vor: »Das ist meine Mutter Anna Maria, eine betagte Witwe, die viel erlebt und erlitten hat, und das sind meine Schwestern Margarete und Katharina, die sich dir schon selbst zu empfehlen wissen werden.«

Der Gast machte einen verlegenen Kratzfuß; es war ihm in seinem Leben noch nicht begegnet, daß er so förmlich einer weiblichen Gesellschaft vorgestellt wurde. Aber die Anwesenheit der beiden bildhübschen Mädchen, die er vom ersten Augenblick an unwillkürlich immer wieder hatte ansehen müssen, erhöhte den anziehenden Eindruck des Empfanges nicht wenig für ihn. Sie waren, wie ihre Mutter, von Kopf bis zu Fuß schwarz gekleidet und trugen, während jene ein buntes Tuch um den Kopf geschlungen hatte, breitrandige Strohhüte von geschmackvoller Form, die ihnen ein freies, kühnes Aussehen gaben. Die ältere sah gar nicht wie eine Zigeunerin aus, sie hatte hellbraune Haare und ein Gesicht wie Milch und Blut, aus welchem ein Paar hellgraue Augen keck und lustig hervorblitzten; über ihrer vollen Brust wogte eine silberne Kette auf und ab, und ihre Finger strotzten von Ringen. Die jüngere, die ihr Bruder Katharina geheißen, war ohne allen Schmuck, bis auf ein brennend rotes Halstuch, das der Farbe ihres Gesichts und Halses verführerisch zu Hilfe kam; denn wenn sie auch so wenig wie ihre Schwester einer Zigeunerin gleichsah, so ließ doch ihre Färbung den zigeunerischen Ursprung verraten; sie hatte dunkelbraune Haare, und ihre Haut stach von dem hellen Aussehen ihrer Schwester mächtig ab, war aber ebensoweit entfernt von jener schmutzigen Hautfarbe, die ihre Mutter und ihren Bruder unverkennbar zu Zigeunern stempelte, sondern näherte sich dem reinen Braun des Erzes, so daß das Blut lebenswarm, gleichsam von der Farbe des Halstuches angelockt, durch die Haut hindurchschimmerte. Beide Schwestern waren von Gestalt untadelhaft. Auf den ersten Anblick schien die ältere, so lange sie durch ihr entgegenkommendes Lächeln bezaubern konnte, die schönere zu sein; bald aber mußten einem unverdorbenen Blicke ihre Augen, die sie unnötig zu erweitern suchte, zu grell erscheinen, und das ewige Lächeln, das ihren Mund ins Breite zog, fand ebenfalls bald seine Erklärung: er war von Natur etwas zu groß, und um dies zu verbergen, liebte sie, die Zähne zu zeigen, die freilich so blendend weiß waren, daß man ihr das Auskunftsmittel nicht verargen konnte. Die Mutter war eine alte Zigeunerin mit unheimlich blitzenden Augen, einer vorspringenden Nase, die das ganze Gesicht aufwog, und einem zahnlosen, von tiefen Furchen umgebenen Munde darunter. Die drei ungleichen Kinder, die sie ihre Mutter nannten, ein echter Zigeuner, eine völlige deutsche und eine Halbzigeunerin, konnten unmöglich von einem und demselben Vater stammen.

»Es ist uns eine große Ehre, den Herrn Sonnenwirt bei uns zu sehen«, sagte die Alte, indem sie die Vorstellungsfeierlichkeit erwiderte. »Wir haben so mächtige Dinge von Ihnen gehört, daß wir uns über Ihren Besuch sehr glücklich schätzen müssen; und ich wünsche nur, daß es dem Herrn Sonnenwirt bei uns recht lang gefallen möchte.«

»Bitt Ihnen!« stammelte der Gast verlegen und bescheidentlich. »Ich bin nicht Sonnenwirt. Mein Vater ist immer noch auf der Wirtschaft. Man hat mich in meinem Ort eben den Sonnenwirtle geheißen, wie man des Anwalts Sohn den Anwältle heißt und wie man des Amtmanns seinen, wenn der nämlich einen hätt, den Amtmändle heißen würde. Weiter ist's nichts.«

Alle lächelten, und selbst der rauhe Schwamenjackel verzog den Mund ein wenig.

»Nun setz dich endlich, Bruder Sonnenwirt!« sagte der Zigeuner lachend. »Wir sind freie Leute; was kümmern uns Rang und Titel dieser einfältigen Welt! Wenn's dir aber nicht genehm ist, deines Vaters Titel zu führen, nach dem du freilich kein großes Verlangen verspüren wirst, so wollen wir dir seinen Namen geben. Reicht dem Friedrich Schwan die Hände, Mädels, und das mit Respekt, und nun wieder zu unserm Geschäft!«

Die beiden Mädchen nebst der Mutter gaben dem Gast die Hände, wobei die ältere Schwester ein warmes Fingerspiel mit unterlaufen ließ, die jüngere aber sich auf einen kurzen Handschlag ohne irgendeinen Druck beschränkte. Er wurde zwischen die beiden Schönen gesetzt, und die Mahlzeit nahm ihren Fortgang, wobei ein köstlicher Wein aus einem Fäßchen, dessen Handhabung Bettelmelcher übernommen hatte, fleißig die Runde machte. Friedrich konnte dem Reiz der Speise und des Getränkes nicht widerstehen und entschuldigte seine durch lange Entbehrung gesteigerte Begierde mit einer auf dem Anstande durchwachten Nacht. Man sprach ihm eifrig zu, und die beiden Mädchen wetteiferten, ihn zu bedienen, wobei die ältere ihn durch Schnelligkeit zu gewinnen suchte, die jüngere aber ihm seltener, jedoch ausgewähltere Bissen vorlegte. Mit Wein versah ihn die ältere aufs reichlichste, und bald kreiste das Blut rascher durch seine Adern; die jüngere reichte ihm nur dann das Glas, wenn es längere Zeit nicht an ihn gekommen war und die ältere ihren Dienst im Schwatzen vergessen hatte. Die Mahlzeit ging in munteren Gesprächen hin, die sich großenteils auf ihn selbst bezogen und in welchen er bald mit gröberen, bald mit feineren Schmeicheleien überhäuft wurde. Selbst seine Büchse wurde gelobt, und er glaubte zum erstenmal in einer Welt zu sein, die alles an ihm vortrefflich fand. In diesem behaglichen Zustande störte ihn nichts als das Benehmen der älteren Schwester Margarete, das er auf die Länge auffallend zudringlich fand: Sie setzte ihm mit mehr als herausfordernden Blicken und Reden zu und wußte sich dabei auf eine Weise an ihn anzuschmiegen, die ihn zugleich abstieß und doch entzündete. Dies hatte zur Folge, daß er das Feuer, das sie in ihm anfachte, mehr und mehr ihrer jüngeren Schwester zuwendete, die nicht bloß durch ihre Zurückhaltung gewann, sondern bei längerem Anschauen nach und nach eine Schönheit entfaltete, welche das Auge zu immer häufiger wiederholten Besuchen einlud. Diese Schönheit bot mehr ein Ganzes dar als die zusammengesetzten Reize ihrer buhlerischen Schwester. Auch konnte der strenge Ernst, der in dem dunkeln Gesichte mit der geraden, wohlgebauten Nase vorzuherrschen schien, einem warmen Lächeln weichen, die festgeschlossenen Lippen konnten zu einem Scherzwort auftauen, das den freien Ton der Unterhaltung überbot, und wenn ihr schwarzbraunes Auge einmal flüchtig über den Gast hinstreifte, so war es ihm, als ob sie hinter diesem stillen Blick eine Glut verberge, die sie plötzlich verzehrend auflodern lassen könnte. Er sagte sich vor, er wolle sie nur ein wenig auf die Probe stellen, indem er, durch Margaretens freches Strohfeuer erhitzt, sein Knie an das ihrige drückte; sie rückte leise weg, und er beschloß, den Versuch nicht so bald zu wiederholen.

Der »Balo« war unter Scherzen und Erzählungen verspeist, wobei die Geschichte des Ausbruchs von Hohentwiel, der einem der drei Kühnen das Leben gekostet hatte, den Hauptgegenstand bildete, und das auf einem Baumstumpf aufgelegte Fäßchen war schon geneigt, als der Zigeuner zum Beweise für die Schlechtigkeit der Welt die Lebensgeschichte des neuen Freundes zu erzählen begann und ihn dadurch zu Berichtigungen und Ergänzungen nötigte. Die Mitteilung wurde mit der lebhaftesten Teilnahme aufgenommen, und selbst Schwamenjackel bemerkte, es sei scheußlich, so mit einem Menschen umzugehen. »Wie könnte es mir einfallen«, sagte die alte Anna Maria, »meine Kinder im Heiraten beschränken zu wollen! Ich hab ihnen stets ihren Willen darin gelassen, es ist ja ganz ihre eigene Sache.« Am stärksten aber verurteilte die Gesellschaft das Benehmen der Obrigkeit, die sich in Dinge gemischt habe, welche sie gar nichts angehe. Dabei wurde Friedrichs Standhaftigkeit mit Bewunderung hervorgehoben, und das Gefühl des erlittenen Unrechts, das schon zuvor an ihm zehrte, immer heftiger in ihm angefacht, bis es zuletzt ihm wie den andern feststand, daß die Welt aus lauter Spitzbuben bestehe, die man mit allen Mitteln zu bekämpfen berechtigt sei.

Die Zigeuner hatten in der Tat unverkennbaren Wohlgefallen an dem Sonnenwirtssohn gefunden. »Wir müßten«, so meinte die alte Zigeunerin, »unsern Reisen zugleich einen wandernden Kramhandel für gemeinschaftliche Rechnung verbinden, der sich ganz offen in die Karten sehen lassen und viel ehrlicher betrieben werden müßte, als es bei den honettesten Krämern der Fall ist, überall Patente gelöst, jedes Stückchen Ware aufs pünktlichste verzollt, gegen das Gesetz und das kaufende Publikum durch und durch reelle und dabei Preise, die jede Konkurrenz schlagen müssen! Das können wir. Es fehlt gar nichts, als daß wir in der Gesellschaft ein Mitglied haben –«

»Und dazu ist unser Freund Schwan wie gemacht!« platzte ihr Sohn dazwischen.

»Das wollte ich ja gerade sagen!« rief die Alte eifrig. »Man darf unsern Freund nur ansehen. Wenn er Sonnenwirt wäre an seines Vaters Statt oder sonst ein offenes Geschäft hätte oder mit einer Kramkiste herumreiste, wie ja fürnehme Krämer mit den kostbaren Waren hausieren – wer würde einem Mann von solch aufrichtiger Physiognomie, von solch leutseligem und bescheidenem Betragen nicht sein Vertrauen schenken?«

»Schönes Kompliment!« rief Bettelmelcher lachend. »Das heißt mit andern Worten: wir sehen aus wie Spitzbuben und er wie ein Biedermann.«


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