Hermann Kurz
Der Sonnenwirt
Hermann Kurz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Es ist just, wie man's ansieht. Übers Geld zu kommen und die Schlösser aufzumachen war dem Studierten, wie ihn der da heißt, eine Kleinigkeit; er hatte ja dem Alten schon mehrmals den Spaß gemacht. Kurz und gut, er nahm ihm vierhundert Gulden, brachte sie ihm aber nicht übers Bett.«

»Vierhundertunddreißig!« fiel der Fischer ein.

»Mein'twegen vierhundertunddreißig, wenn das Sündenregister voll sein muß. Du mußt's ja wissen, denn du bist der erste gewesen, Fischerhanne, der ihn des Einbruchs zieh.«

»Hab ich gelogen?« fragte der Fischer.

»Ja, die Wahrheit hast du gelogen.«

»Dann ist er durchgegangen?« fragte der Knecht.

»Ja, aber er kam nicht nach Amerika, sondern bloß bis Heilbronn. Dort ließ er sich bei den kaiserlichen Husaren anwerben als Freiwilliger. Pferd und Montur bezahlte er flott von seinem eigenen Geld. Wenn er nur bei ihnen geblieben wär!«

»Ist erst noch wahr!« rief der ältere Müller. »Der Kerl hätt's zu was bringen können. Der? Der hätte General werden können.«

»Ist er denn desertiert?« fragte der Knecht.

»Nein, aber nach zehn Wochen stach ihn der Fürwitz, ob man ihn zu Ebersbach vergessen habe, und da kam er mit einem Urlaubspaß als Husar angeritten. Das war ein Aufsehen! Dem Amtmann trotzte er ein Attestat ab, daß er von ehrlichen Leuten geboren sei. Beweisen konnte man ihm nichts, wiewohl das Geschrei und der Verdacht wegen der vierhundert Gulden allgemein war, und niemand wagte ihn zu greifen, den kaiserlichen Husaren, bis er im ›Hecht‹ bei der Zeche schwedische Dukaten, auch halbe Gulden blicken ließ. Diese verrieten ihn, denn sie waren von seines Vaters Geld. Nun gab's Lärm im Ort. Der Frieder aber sprang in den Sattel, jagte den Flecken auf und ab mit gezogenem Degen – den Fischerhanne hätt er schier gar erritten; er hieb nur einen Zoll zu kurz, so hätt man sehen können, ob du weißes Blut hast oder rotes – und drohte mit sechzehn andern Husaren, mit denen er den Flecken besetzen wolle. Die kamen aber nicht. Dem Amtmann ritt er vors Haus, klopfte auf den Schenkel, höhnte und drohte. Von da ging's vor die ›Sonne‹, wo er's ebenso machte. Kurz, er trieb allen erdenklichen Übermut, wie ein losgelassener Eber; denn natürlich: er war betrunken. Wie er nun vollends seine Pistolen losschoß und niemand seines Lebens mehr sicher war, da mußte die Bürgerschaft ein Einsehen haben. Ich gesteh's, und es reut mich jetzt noch nicht: ich lud meine Flinte mit Schrot, der Zeiger Frank und der Spanner Eberhard, des Chirurgen Bruder, taten desgleichen – wer ihn eigentlich getroffen hat, weiß ich nicht. Aber er stürzte vom Gaul, wie ein Mehlsack. Das Pferd war hin, er selbst hatte den linken Fuß voll Schrot, und also war's leicht mit ihm fertig werden.«

»Das ist ja ein Mordskerl!« rief der Knecht. »Aber hat es Euch und den andern Schützen keine Ungelegenheit gemacht«, fragte er weiter, »daß Ihr der Obrigkeit so mir nichts, dir nichts ins Handwerk gegriffen habt?«

»Bewahr!« lachte der Müller. »Obrigkeit und Bürgerschaft waren froh, daß sie die Belagerung überstanden hatten, und der Amtmann hat, glaub' ich, dem Vogt nichts davon berichtet, auf was Art der Sturm abgeschlagen worden sei.«

»Und seitdem«, fragte der Knecht, »sitzt er im Zuchthaus?«

»Ich hab dir's ja gesagt«, erwiderte sein Herr, »daß er jetzt zum zweitenmal drin ist.«

»Was? Ist er seinem Vater abermals über den Geldkasten gegangen?«

»Nein, in dem Fach hat er ein Haar gefunden und hat ihm abgesagt.«

»Man kann ihm nichts Böses nachsagen«, versetzte der Fischer, »bis auf das, was man nicht weiß. In einem Wirtshaus läßt sich manches verschleppen, man kann da nicht so nachrechnen, wo die Sachen hinkommen. Ich möcht doch auch wissen, aus welchem Beutel er auf dem Tanzboden immer so dick getan hat.«

»Ich glaub, er hat dem Herzog hier und da einen Hirsch weggebüchst«, sagte der jüngere Müller.

»Ja, ja«, rief der Fischer, »die Flinte, die er als Bub von seinem Vater kriegte, hat ihre Früchte getragen. Das ist die zweite gefährliche Kunst, die er schon gelernt hat, eh er hinter den Ohren trocken war.«

»Nu, wenn's weiter nichts ist«, sagte der ältere Müller, »so wollt ich nur, er tät alles wegbüchsen, was mit Geweih und Hauer in Wald und Feld spaziert. Das wär ein Verdienst, für das man ihm, weiß Gott, bei allen Gemeinden im Ländle das Bürgerrecht geben dürfte.«

»Freilich«, stimmte der Knecht ein, »Wildern ist keine Sünd, nur darf s nicht herauskommen.«

»Was hat ihn denn zum zweitenmal in das Ding da, das man nicht gern beim Namen nennt, gebracht?« fragte der Knecht weiter.

»Seine Gewalttätigkeit«, antwortete der Fischer.

»Eine Prügelei«, erwiderte der jüngere Müller gelassen.

»Was die Prügelei betrifft, da kann ich nicht wider ihn sein«, sagte der ältere. »Gib acht, Peter, das mußt dir erzählen lassen, das ist ein Staatsstückle. Der Kreuzwirt – den kennst du ja, er hat seinen Namen nicht umsonst, denn er ist gar ein frommer Kreuzträger und eine wahre Kreuzspinne dabei – der hatte von jeher ein scheeles Aug auf den Frieder gehabt.«

»Auf den Alten auch. Der verzeiht's ihm heut noch nicht, daß er ihn beim Kirchenkonvent angebracht, weil er einen Ochsen geschlachtet hatte am Sonntag. Der Sonnenwirt wurde damals um ein Pfund Heller bestraft.«

»Auch den Frieder«, fuhr der ältere Müller fort, »hat er einmal bei seinem Vater verschwätzt, so daß er Hiebe von ihm kriegte. Der Alte hat nachher selber eingestanden, er habe damals seinem Sohn Unrecht getan.«

»Ja«, fiel der jüngere ein, »ich hab's mit meinen eigenen Ohren gehört, und ich war dabei, wie er zum Frieder sagte, er solle es nur dem Kreuzwirt bei Gelegenheit wieder eintränken.«

»Und dies ist auch gekommen«, fuhr der ältere fort. »Denn so eine Teufelsgelegenheit bleibt niemals aus. Nun, was geschieht? Auf dem Heimweg vom Kirchheimer Markt trifft der Frieder mit dem Kreuzwirt zusammen, und der fängt an, ihn zu hänseln und zu rätzen, denn so gottselig er sich stellt, das Necken und das Kratzen kann er nicht lassen. Zuletzt, wie er noch nicht genug hatte, kommt er auch auf die Zuchthausstrafe, die der Frieder durchgemacht hatte, und sagt zu ihm: ›Du bist ein ganz geschickter Kerl, dir kann's nicht fehlen, du verstehst ja zwei Handwerk, das Metzgen und das Wollkardätschen; wenn dir's in einem fehlschlägt, so kannst du dich auf das andere werfen.‹ – Er das sagen, und der Frieder ihn am Kragen nehmen und zu Boden werfen, das war eins. Der hat Prügel gekriegt! Nun, der Fischer weiß ja, was der Bub für eine Tatze hat.«

»Es ist ihm recht geschehen«, sagte der ältere Müller. »Einen Gefallenen muß man aufheben und nicht noch tiefer niederdrücken.«

»Paß nur auf, Peter, jetzt kommt erst der Hauptspaß«, fuhr der ältere fort. »Wie er ihn genug geprügelt hatte und ausschnaufen mußte, so sagt er zu ihm, er solle ihm jetzt versprechen, daß er dessentwegen nicht klagbar werden wolle. Der Kreuzwirt, am Boden, verspricht's mit Ach und Krach und schwört's ihm hoch und teuer. Der Frieder aber, wie er den Schwur hört, fällt er abermals mit neuer Kraft über ihn her. ›Sieh, meineidige Kanaille‹, sagte er, ›ich weiß, daß du doch nicht Wort hältst, und dafür will ich dich gleich im voraus prügeln.‹«

»Das ist ja ein Fetzenkerl!« rief der Knecht mit ungeheuchelter Bewunderung aus.

»Der Kreuzwirt klagte auch richtig beim Amt, und da kam eben mein Frieder noch einmal auf ein halbes Jahr nach Ludwigsburg.«

Ein rascher Hufschlag unterbrach das Gespräch. Der jüngere Müller trat ans Fenster. »Was der Sonnenwirt noch stet auf dem Gaul sitzt«, bemerkte er. »Er muß einen guten Handel gemacht haben; er sitzt so aufrecht und trägt die Nase so hoch."

Nun kam die Hausfrau herein mit einem weißen Tuch auf dem Arm. Ihr folgte Magdalene mit dampfenden Schüsseln. Ein Tisch in der andern Ecke des Zimmers wurde gedeckt und das Essen aufgetragen. Das Gesinde erschien, Knechte und Mägde. Draußen hörte man die befehlende Stimme des Hausherrn. Endlich trat er selber ein, untersetzt und etwas beleibt, in Gestalt und Angesicht seinem Sohne ähnlich. Aus seinen Gesichtszügen sprach derselbe Trotz, derselbe Eigensinn, nur daß dieser Ausdruck bei ihm, dem gebietenden Herrn des Hauses, mehr das Bewußtsein der anerkannten Rechtmäßigkeit und eben darum auch mehr herrische Strenge hatte. Wenn man jedoch sein Gesicht näher prüfte, so fand man, daß die innere Naturkraft nicht so groß war als das Ansehen, das er sich geben zu müssen glaubte. Er grüßte die Gäste kurz und setzte sich ohne Umstände mit seinen Hausgenossen zu Tische. Für ihn wurde besonders aufgetragen, und ein Teller mit Besteck lag vor ihm, während die andern alle, die Hausfrau nicht ausgenommen, gemeinsam aus der Schüssel speisten.

Unter dem Geklirr der Löffel flüsterten die Gäste zusammen, und manche bittere Bemerkung, manche boshafte Spottrede wurde den Essenden, ohne daß sie es hörten, als Tischsegen zugeworfen.

»Der Sonnenwirt meint, man müsse es für eine Gnad halten, wenn man nur in seinem Haus noch trinken dürfe«, sagte der ältere Müller.

»Wenigstens ein anderer Wirt«, erwiderte der jüngere, »wenn er auch noch so hungrig und durstig ist, setzt er sich ein Vaterunser lang zu den Leuten hin, und wenn er auch weiter nichts sagt als: ›Auch hiesig?‹ und ›Tut's so beieinander?‹ und ›Wohl bekomm's!‹, so sieht man doch, daß er Lebensart hat, und dann kann er ja wieder aufstehn und seinem Geschäft nachgehen. Aber der! Ja, wenn wir Pfarrer wären oder Schreiber, so würd er sich eine Ehr draus machen. Aber wir sind eben nicht weit her, wir sind ja bloß seine Mitbürger.«

»Seht nur die Alte, Vetter!« sagte der ältere und stieß ihn an. »Seht, wie sie ihren Leuten auf die Mäuler guckt, wie sie ihnen die Bissen zählt, wie sie dem Löffel, der aus der Schüssel kommt, mit den Augen nachfolgt. Was sie für ein Gesicht macht, wenn sie meint, es hab eins zu voll geladen oder komm zu oft angefahren.«

»Halt, jetzt ist die Sippschaft erst vollständig, jetzt kommt der Freier!« unterbrach ihn der jüngere, verstohlen mit dem Finger auf einen Mann mit spitzem, knochigem Gesichte deutend, der, mit einem hellgrünen Leibrock angetan, ins Zimmer trat und sich nach einer stattlichen Begrüßung an einen Tisch zunächst dem Speisetisch setzte.

»Schau, schau! Der grüne Chirurg!« erwiderte der andere. »Der macht Kratzfüß! Was die Alte ihr Spinnengesicht umwandelt, als ob sie Honig und Marzipan gefressen hätt. Sogar der Sonnenwirt nickt ihm freundlich zu, die Sache muß richtig sein. Aufgepaßt, Vetter! Seht Ihr, wie ihm die Alte ein Tellerlein füllt, und zwar von des Sonnenwirts eigenem Essen. Ja, ja, mit Speck fängt man Mäuse. Was er Komplimente macht! Er will's nicht annehmen, aber die Essensstunde hat er sich wohl gemerkt, der Schmarotzer.«

»Er will eben von der Gelegenheit profitieren, solang sie da ist. Er weiß wohl, daß nicht alle Tag Kirchweih ist. Wenn er einmal ernstlich angebissen hat, so wird man ihm das Gasthütlein schon herunterziehen, und dann kann er die Finger danach lecken.«

»Ihr könnt die Leute recht heruntermachen«, sagte der Fischer. »B'hüt Gott beieinander, ich will nur heimgehen, sonst werd ich noch angesteckt.«

»Gut Nacht, Fischerhanne, und halt reinen Mund.«

»Wes Brot ich eß, des Lied ich sing!« versetzte der Fischer etwas zweideutig und wandte sich mit einem »G'segn' Gott«, das er dem Speisetische zurief, dem Ausgange zu.


 << zurück weiter >>