Hermann Kurz
Der Sonnenwirt
Hermann Kurz

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»Der Herr Vater ist also der Meinung, ihn wieder aufzunehmen?« fragte der Chirurg.

»Was bleibt sonst übrig?« antwortete der Sonnenwirt. »Ich wüßt nicht, wo ich ihn in der Geschwindigkeit hinschicken sollt.«

»Dann kann er gleich den alten Tanz wieder anfangen«, sagte die Sonnenwirtin.

»Dafür kann man ihm tun«, entgegnete er. »Eh er nicht ausdrücklich versprochen hat, daß er sich mit der Person weder mündlich noch schriftlich mehr einlassen will, kommt er mir nicht ins Haus.«

»Ich will ihm das nach Plochingen schreiben«, erbot sich der Chirurg.

»Braucht nichts zu schreiben«, versetzte der Sonnenwirt. »Zuerst muß man ja doch mit dem Amtmann reden, daß der seiner Heimkunft keine Schwierigkeit in den Weg legt, nachdem er nun einmal die Hand in der Sach hat. Dann ist's überhaupt besser, man gibt dem Buben gar keine Antwort und läßt ihn zappeln, er wird dadurch nur um so mürber.«

»Wart, du wirst eine schöne Rechnung vom Plochinger Bärenwirt kriegen«, lachte die Sonnenwirtin.

»Ich hab ihn nicht heißen in den Plochinger ›Bären‹ hinliegen.«

»Irgendwo muß er aber doch sein«, bemerkte die Frau des Chirurgen schüchtern.

»Warum ist er nicht gleich hierhergekommen?« entgegnete der Sonnenwirt. »Wenn ich ihn auch nicht ohne weiteres angenommen hätt, so hätt man doch dafür sorgen können, daß er eine Weile wo unterkommen wär.«

»Mir scheint's auch das nötigste, daß man sich zuerst mit dem Amt verständigt«, sagte der Chirurg. »Das übrige wird sich finden. Er hat Verwandte hier und in der Gegend und wird nicht im ›Bären‹ bleiben, denn er weiß, daß das den Herrn Vater verdrießen muß.«

»Wenn nur auch der Herr Amtmann seinen Konsens gibt«, bemerkte der Krämer, der die Notwendigkeit fühlte, im Familienrat endlich etwas, das einer eigenen Meinung glich, zu äußern.

»Es liegt ja nichts Sonderliches wider ihn vor«, versetzte der Sonnenwirt.

»Wenn's dem Herrn Vater geliebt«, sagte der Chirurg, »so bin ich erbötig, ins Amthaus mitzugehen. Ich muß nur erst einen andern Kittel anziehen, damit ich ein wenig amtsmäßiger aussehe.«

»Ja, wir wollen die Sach lieber gleich abmachen«, erwiderte der Sonnenwirt.

Als der Chirurg mit seiner Frau nach Hause ging, um sich »amtsmäßig« anzuziehen, sagte diese zu ihm: »Wenn du nichts dagegen hast, so will ich meinem Bruder nach Plochingen schreiben, will ihm auch etwas Geld schicken, daß er seine Rechnung dort zahlen kann, und will ihn nach Hattenhofen hinüber zum Vetter gehen heißen; der behält ihn schon etliche Zeit, und dort ist er auch mehr abseits, daß ihn nicht so viele Menschen sehen.«

»Tu das meinetwegen«, sagte ihr Mann.

Die beiden Männer gingen ins Amthaus und trugen dem Amtmann ihr Anliegen vor. Derselbe machte ein bedenkliches Gesicht und sagte: »Ich hätte rebus sic stantibus nichts Erhebliches dagegen einzuwenden, daß der halb und halb exilierte junge Mensch, selbstverständlich unter der Bedingung künftigen Wohlverhaltens und radikal gebesserter Aufführung, wie auch völliger Vermeidung aller Turbulenzen und Extravaganzen, aus dem Quasiexil in sein elterliches Haus zurückkehre; allein, da ich nun einmal über seine Entlassung an das Oberamt berichtet habe, so habe ich auch über seine Wiederannahme die amtliche Entscheidung nicht mehr in der Hand. Ich will jedoch an den Herrn Vogt in Göppingen schreiben und wohldemselben vorstellen, daß der junge Mensch gleichsam als verlorner Sohn und reuiger Sünder unter die ihm von Gott verordnete Autorität sich wieder zurückfügen wolle. Vielleicht dürfen wir uns eines günstigen Bescheids versehen. Sobald solcher an mich herabgelangt, werde ich nicht ermangeln, davon Meldung zu erlassen.«

Nach einigen Tagen kam der Amtsknecht, um den Sonnenwirt zum Amtmann zu berufen. Der Sonnenwirt schickte nach seinem Beistand. »Der Schwager hat schon wieder geschrieben«, sagte dieser, als sie miteinander nach dem Amthause gingen. »Diesmal schreibt er aus Hattenhofen, wohin er von Plochingen gegangen ist.«

»Ich hab mir's wohl gedacht, daß er sich's nicht getrauen wird, zu Plochingen im Wirtshaus liegenzubleiben«, versetzte der Sonnenwirt lächelnd. »Was schreibt er denn?«

»Er schreibt beinahe noch lamentabler als das letztemal. Übrigens scheinen ihm unterm Warten kuriose Gedanken aufgestiegen zu sein, und er traut dem Landfrieden nicht recht; denn er schreibt im Verlauf des Briefes: ›Ich glaube, der Herr Schwager wird mich nicht nur herlocken, damit ich möchte in Arrest gesetzt werden, sondern der Herr Schwager hat's noch jederzeit redlich und getreu mit mir gemeint.‹«

Der Sonnenwirt lachte äußerst behaglich. »Er hat Angst«, sagte er, »und da wird, hoff ich, auch die Zucht Eingang bei ihm finden.«

»Gott geb's«, erwiderte der Chirurg. »Diesmal hat er auch das Datum richtig geschrieben; vielleicht ist das ein Omen, daß er auch sonst wieder in die Ordnung kommen wird.«

»Gott geb's«, sagte der Sonnenwirt.

»Nun, Sein Gutedel ist ja wieder da, Herr Sonnenwirt«, begann die Amtmännin, welche diesmal zugegen war, mit saurem Gesicht. »Der hat nicht lang gut getan.«

»Es ist bei meinem Bruder kein Platz für ihn gewesen, mit Ihrem Wohlnehmen, Frau Amtmännin. Der hat einen halbstudierten Hausknecht angenommen. Will auch sehen, was da noch draus wird. Aber was will ich jetzt machen? Es ist doch mein eigen Fleisch und Blut, das ich nicht in der Irre laufen lassen kann. Ich nehm ihn aber nicht eher an, als bis er versprochen hat, daß er die unverständige Liebschaft aufgeben will.«

»Meinetwegen«, sagte die Amtmännin. »Aber mir soll der Grobian nicht wieder ins Haus kommen, ich will mir keine Unverschämtheiten mehr von ihm machen lassen, und wenn ich nicht eine Wäsche gehabt hätte an dem Tag, wo mein Mann nach Göppingen schrieb, so wäre die Sache vielleicht nicht so schnell gegangen.«

Der Sonnenwirt verlor einen guten Teil seiner Behaglichkeit beim Anblick dieser fortdauernden Ungnade der Amtmännin gegen seinen Sohn, obgleich er die Ursache dieses Grolls in seinem Herzen gebilligt hatte.

»Die Antwort vom Herrn Vogt ist angekommen«, sagte der Amtmann, der dieselbe als eine Art Schutzwaffe gegen seine Frau betrachten mochte. Er nahm den Brief zur Hand, entfaltete ihn langsam, räusperte sich mit Wichtigkeit und las, während der Sonnenwirt und sein Schwiegersohn eine ehrerbietige Haltung annahmen, mit nachdrücklicher Betonung, wie folgt: »Wohledler, insonders vielgeehrter Herr Amtmann! Weilen mit einem jungen Menschen ich jedesmal viel lieber überflüssige Geduld haben als mit der äußersten Strenge fürgehen will, solang noch Hoffnung vorhanden sein kann, es werde einer in sich gehen, mithin in bessere Wege und so obrigkeitlichen als väterlichen Gehorsam zurücktreten: so will ich nicht darwider sein, daß den jungen Schwahnen sein Vater wieder auf- und annehme. Es ist aber jenem mit allem Ernst zu bedeuten, daß, so der geringste neue Fehltritt wider ihn werde herauskommen, man solchenfalls Altes und Neues zusammennehmen und wider ihn mit aller Schärfe verfahren werde. Ich verharre damit unter göttlichen Schutzes Erlassung des Herrn Amtmanns dienstwilligster« et cetera. »Also wonach sich zu achten!« fügte der Amtmann der Vorlesung bei. »Da nun meine Frau Seinen Sohn nicht gerne im Hause sieht, so will ich's unterlassen, solchen zu zitieren, muß aber dem Herrn Sonnenwirt die Verpflichtung aufgeben, selbigem aufs Ernstlichste einzuschärfen, unter welcher Bedingung einzig und allein ihn wieder zu admittieren beschlossen worden ist und daß ich bei dem geringfügigsten neuen Vorfall unverweilt gegen ihn einzuschreiten mich bemüßigt sehen würde.«

Der Sonnenwirt versprach, seinem Sohn das Nötige zu sagen sowie auch dafür zu sorgen, daß er das Amthaus meide, es wäre denn, daß er besonders vom Herrn Amtmann vorgeladen würde. Der Amtmann pries die Milde und Menschenfreundlichkeit des Vogts, wobei die Amtmännin einfließen ließ, die gutmütigsten Menschen seien gemeiniglich diejenigen, die sich nicht gern viel zu schaffen machen. Hierauf hielt der Chirurg in rednerischer Unterstützung des Sonnenwirts eine lange und wohlgesetzte Danksagung für die große Mühewaltung, welche der Herr Amtmann auf sich zu nehmen die Güte gehabt. Die Amtmännin ermahnte den Sonnenwirt, künftig den Stab Wehe zu gebrauchen, damit man von seinem Früchtlein nicht noch mehr Mühe habe. Der Sonnenwirt versprach das beste, und die beiden Männer empfahlen sich in Unterwürfigkeit.

»So, schon alles im reinen?« sagte die Sonnenwirtin, als sie Bericht über ihren Gang erstatteten. »Nun ja, da kann man jetzt gleich den Verspruch mit der Jungfer Hirschbäuerin folgen lassen.«

»Das hat gute Weg«, entgegnete der Sonnenwirt. »Wie ich gesagt hab, dabei bleibt's. Wenn der Bub wieder mein Haus betreten will, so muß er zuerst heilig versprechen, daß er weder mündlich noch schriftlich mehr etwas mit ihr zu schaffen haben will.«

»Soll ich nach Hattenhofen schreiben?« fragte der Chirurg.

»Wie wär's denn?« sagte die Sonnenwirtin, die ihm zum Schabernack wenigstens eine kleine Ungemächlichkeit aufladen wollte. »Der Herr Sohn hat ja heut seinen Schabes nicht. Wie wär's, wenn Er des Schuhmachers Rappen vorspannen tät und tät sich selber nach Hattenhofen auf den Weg machen? Er kann's ja doch nicht erwarten, bis Er Sein räudig's Schaf wieder in der Kur hat. Übrigens denket an mich, ihr beide: solang man singt, ist die Kirch nicht aus. Ihr werdet's noch erleben, daß ich recht behalten

»Ich hab ohnehin ein Geschäft draußen«, erwiderte der Chirurg, der ihr die Befriedigung nicht gönnte, daß er bloß auf ihre Veranlassung einen Weg von ein paar Stunden machen sollte.

»Du bist doch recht brav«, sagte seine Frau zu ihm, als er sich zu Hause anschickte, über Feld zu gehen. »Sieh, es freut mich von ganzem Herzen, wie gut du gegen meinen Bruder bist.«

»Quod medicamenta non sanant –«, murmelte der Chirurg vor sich hin und hielt wieder inne. Dann wandte er sich zu seiner Frau: »'Solang man singt, ist die Kirche nicht aus', hat deine Mutter gesagt, und mir hat ein Vögelein gepfiffen, sie werde wohl recht haben. Zwar, wenn dein Bruder jetzt Vernunft annimmt, so will ich ihm alles Gute gönnen und will gerne dazu geholfen haben. Aber die Kugel, die bergab geht, rollt gemeiniglich so fort ohne Aufenthalt. Ohnehin, wenn dein Vater heut stirbt, so nimmt er morgen sein Bauernmensch. Meinst du, du würdest nicht besser zu einer Sonnenwirtin taugen? Und sollt ich zum Wirtschaften nicht so gut Geschick haben als zum Rasieren? Deine Mutter ist so giftig und höhnisch, daß sie meinen Rasiertag meinen Schabes heißt. Ei, mir stände es gar wohl an, einen Ruhetag aus ihm zu machen, wenigstens was das Bartschaben betrifft.«

Er ging, und Magdalene sah ihm seufzend nach.


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