Hermann Kurz
Der Sonnenwirt
Hermann Kurz

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»Herr Sonnenwirt!« begann ein alter Fuhrmann, der beinahe unbeachtet in der Ecke am anderen Fenster saß und dem Gespräche sehr aufmerksam zugehört hatte: »Lasset ein Wort mit Euch reden und gebet Eurem Sohn das Mädle, daß das Geschrei unter den Leuten einmal aufhört. Bei Kannstatt drunten hab ich einen ähnlichen Fall erlebt. Da hat auch ein Wirtssohn eine arme Taglöhnerstochter geheiratet, und die ganz Verwandtschaft ist dagegen gewesen, aber er hat's durchgesetzt, warum? Weil er Herr im Haus gewesen ist nach seines Vaters Tod. Es ist aber ganz gut geraten. Anfangs, freilich, hat man auch dem Teufel ein Bein brechen müssen, denn die jung Frau hat ein wenig hochmütig sein wollen auf ihr fein's Gesicht und ihren neuen Stand und hat dabei natürlich von der Wirtschaft nichts verstanden und der Schwieger nicht folgen wollen; aber der Mann ist gescheit gewesen und hat zu seiner Mutter gehalten und sein Weib links und rechts hinter die Ohren geschlagen, bis sie pariert hat. Jetzt geht's, und die Einkehr bei der schönen Wirtin ist groß, und die Mutter, die früher am ärgsten gegen die Heirat gewesen ist, ja, die trägt jetzt ihre Tochter schier auf den Händen.«

»Das paßt wie eine Faust auf ein Aug«, lachte die Sonnenwirtin. »Freilich, wenn ein Vater tot ist, da kann ihm sein Sohn sein Sach und seinen Namen verschimpfieren, und niemand fragt danach. Aber solang der Vater am Leben ist, wird er doch auch noch dreinreden dürfen, wenn ihm der Sohn Schimpf und Schand ins Haus bringen will.«

»Herr Sonnenwirt!« sagte der hartnäckige Fuhrmann, ohne die Einrede der Frau zu beachten, »Ihr müsset ja doch einmal abfahren, und dann kutschiert Euer Sohn. Wollet Ihr ihm auf dem Bock sitzen bleiben und ihn sein Leben lang spazieren führen? Das geht ja doch nicht an, drum gebet nach, solang's noch Zeit ist und eh's zum Äußersten kommt. Denn ich kenn euch beide: 's hat jeder von euch ein Sperrholz im G'nick.«

»Recht so!« sagte die Sonnenwirtin, »also soll der Sohn dem Vater das G'nick brechen!«

Der Sonnenwirt, der eine Weile etwas unschlüssig dreingeschaut hatte, fuhr auf. Vom Sterben hörte er gar nicht gern reden, eine Rüge war auch nicht nach seinem Geschmack, und der etwas herbe Ton des alten Mannes, den er zwar seit vielen Jahren kannte, reizte ihn so, daß es nur einer kleinen Nachhilfe von seiner Frau bedurfte, um ihn in Harnisch zu jagen. »Ich brauch das Geschwätz nicht«, sagte er kurz angebunden, »brauch mir in meinem Haus nichts befehlen zu lassen. Hier bin ich Herr.«

»Adje, Herr Sonnenwirt«, antwortete der Alte, indem er sich mit gemessener Eile erhob und der Türe zuging, »'s gibt noch mehr Wirtshäuser in Ebersbach.«

»Mein'twegen!« rief der Sonnenwirt.

Der Alte ging hinaus, nachdem er der Gesellschaft »Adje beisammen!« zugerufen hatte. Draußen traf er auf Friedrich, der die Treppe langsam und nachdenklich heraufkam. »Frieder«, sagte er zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter, »wir kennen einander schon lang, ich hab dich oft rumtragen, wie du noch klein gewesen bist, und hab dich auf meine Gäul sitzen lassen.«

»Ha freilich, Bot!« erwiderte Friedrich aufgeheitert. »Wir sind immer gut Freund gewesen. Wißt Ihr's nimmer? Ich hab Euch ja einmal den Wagen ausplündert, dem langen Mathes, dem Knecht, zum Torten.«

»Weißt wohl, Friederle, dir ist aber auch mancher Tort gespielt worden, und mein kleiner Finger sagt mir, es stehen dir noch ärgere bevor. Komm, Frieder, komm du mit mir. Alt bin ich, kein Kind hab ich nicht, mein Handwerk kennst du – ich will dich annehmen. Ich spür's, deines Bleibens ist nicht mehr in dem Haus da, es tut nicht lang mehr gut. Komm mit mir, sag ich. Du kennst mich: ich halt dich rauh, wie ich selber bin und wie's bei meinem Wesen hergeht, aber ich halt dich wie ein Vater.«

»Botenjakob!« stammelte Friedrich betreten und zögernd, »das ist ein Wort, das alles Dankes wert ist – aber Ihr werdet mir's gewiß nicht verargen, wenn ich sag: es will überlegt sein. Was sollt denn aus meiner Christine werden?«

»Mein Fuhrwesen«, sagte der Alte, »trägt dich und mich, aber ein Haus voll Kinder trägt's nicht mehr, seit die Straß durchs Remstal verbessert ist, und du kannst mir nicht zumuten, daß ich in meinem Alter noch Hunger leiden soll.«

»Wie könnt Ihr mein Fragen so auslegen?« unterbrach ihn Friedrich tief verletzt. »Haltet Ihr mich im Ernst für so undankbar und unverschämt?«

»Nein, nein!« versetzte der Alte mit sanfterer Stimme. »Mußt nicht gleich so auffahren wie dein Vater. Man red't ja nur. Deine Christine wirst freilich nicht mitnehmen können, aber wenn ich einmal sterb, so sitz'st in meinem ganzen Brot und kannst sie holen. Sag dir's selber, ob du hier auch nur so viel voraussehen kannst.«

Friedrich hielt seine Flaschen krampfhaft fest. Es arbeitete mächtig in ihm. Der Vorschlag, das erkannte er wohl, war ein rettender Ausweg, aber er wurde so plötzlich und unvorbereitet damit überrascht, daß sein sonst schneller Geist wie gelähmt war. Wohl hatte er mit leichter Zunge von Verzicht auf seines Vaters Haus und Erbe gesprochen, aber jetzt, wo die Wirklichkeit ihn auf die Probe stellte, schien ihm der Schritt doch ziemlich schwer.

Der Alte, der seinen Kampf beobachtet hatte, fuhr fort: »Komm mit mir, und komm gleich. Nicht daß mich's nachher reuen könnt, aber ich spür, 's ist ein Unglück im Anzug. Du weißt, in mir ist ein Geist, der mir schon manchmal etwas vorausgesagt hat. Es kann auch nicht anders sein: wenn's der ein hebt und der ander nicht fahrenläßt, so muß es zuletzt ein Unglück geben. Schmeiß deine Butellen hin«, setzte er hastig drängend hinzu, »und geh mit, wie du gehst und stehst. Komm, nimm die Hand, die ich dir biet, so eine Gelegenheit kommt nicht zum zweitenmal.«

Friedrich lächelte ein wenig, denn er glaubte sich zu erinnern, daß nicht alle Unglücksprophezeiungen des Alten eingetroffen seien. Auch glaubte er kaum zweifeln zu können, daß zu der guten Gesinnung, die derselbe gegen ihn selbst hegte, sich einige Rachelust gegen seinen Vater gesellt habe. – »Jakob«, sagte er, »in den ›Stern‹ mit Euch zu gehen, daraus würd ich mir unter anderen Umständen gar nichts machen, denn der ›Stern‹ ist mir ein ganz honett's Haus. Aber bedenket: wenn ich Euch nach dem, was zwischen Euch und meinem Vater vorgefallen sein muß, gleichsam aus der ›Sonne‹ in den ›Stern‹ ausziehen hilf und vom ›Stern‹ aus mit Euch fortzög, um meinem Vater und Vaterhaus gleichfalls Valet zu sagen – wie arg tät man mir das rumdrehen. Euer Anerbieten, ich sag's noch einmal, ist tausend Danks wert und verdient alle Überlegung, und daß ich gern bei Euch bin, das wisset Ihr ja schon lang. Aber so im Hui kann ich nicht mit. Ich kann den Wein nicht auf den Boden schütten, wie ich heut schon einmal getan hab, denn ich hätt jetzt nicht so viel Geld, um ihn zu zahlen, und möcht Euch doch auch nicht gleich zum Anfang für mich in unnötige Kosten bringen. Und dann, wenn ich jetzt fortlief, während noch der Georg mit seiner Braut da ist, so täten die Leut natürlich sagen, ich hab mich dran gespiegelt und geschämt und hab's nicht ausgehalten neben so einem vernünftigen, braven, rechtschaffenen, reichen Paar, und was dergleichen Zeugs ist. Ich seh Euch ja fortfahren, denn wenn Ihr auch aus'm ›Stern‹ abfahret, so müsset Ihr doch da vorbei, und dann geb ich Euch auf alle Fäll das Geleit, wie einem Vater, und wir reden weiter miteinander. Darum sag ich Euch jetzt auch nicht adje.«

»Er tut's nicht«, brummte der alte Mann, während er die Treppe hinunterstieg. »Der Stolz läßt's ihm nicht zu. Es ist einer wie der ander.«

Es war hohe Zeit, als Friedrich mit den Flaschen in die Stube geeilt kam; denn der Vorrat von vorhin war bereits ausgetrunken. Doch fand er die Gesellschaft in munterer Unterhaltung begriffen. Sein Vater hatte den Familienpokal geholt, aus welchem der Herzog heute getrunken; derselbe ging von Hand zu Hand und mußte dann noch einmal gefüllt die Runde machen, da jedes einen gewissen Reiz dabei empfand, das Gefäß, das die landesherrlichen Lippen berührt hatten, an den Mund zu setzen. Von dem Herrn selbst sprach man in verdeckten Wendungen und halben Andeutungen, wie jung er noch sei und wie lebenslustig und wieviel man noch von ihm hoffen könne, wenn er einmal älter sein werde; denn die Menschen bauen ja stets auf die Zukunft: bei der Jugend bauen sie auf das Alter und beim Alter auf die Jugend derer, die dem folgenden Geschlecht angehören werden. Aber auch von der Gegenwart wurde gesprochen, von den Frucht- und Brotpreisen und ähnlichen Gegenständen, die keinem gering scheinen dürfen, weil bei der allgemeinen Ernährung alle beteiligt sind. Gleichwohl zeigte der Sonnenwirt, der sich um diese Dinge sonst oft mehr bekümmerte als um manche andere, noch wichtigere, heute auffallend wenig Sinn dafür. Die Brautschaft des jungen Müllers und die Vergleichung derselben mit der Liebschaft seines Sohnes war es, was ihm beständig im Kopfe herumging. Die Braut gefiel ihm über die Maßen wohl. Der herrschenden Sitte gemäß sprach sie äußerst selten, beinahe nur, wenn sie gefragt wurde; und es deuchte dem Sonnenwirt früh genug, wenn eine erst als verheiratete Frau »das Maul brauchen lerne«. Was sie sprach, das schien ihm »eine Heimat zu haben«; und es klang auch mitunter so rund wie ein harter Taler. Bei lustigen Anlässen brach sie in ein schallendes Gelächter aus, das ihm zu ihren weißen Zähnen und derbroten Wangen ganz prächtig zu stehen schien. Von der Braut mußte er wieder auf den Bräutigam blicken, der in der Fülle seines Glückes neben ihr saß und das eine Mal leise Liebesworte mit ihr wechselte, das andre Mal wieder lebhaft zu der Unterhaltung der Gesellschaft beitrug, deren Bewirtung er übernommen hatte. Der Sonnenwirt erinnerte sich, daß er diesem jungen Manne einst seine Tochter vorenthalten, und konnte gar wohl ermessen, daß in der Ehre, die er ihm mit seinem Besuch antat, auch eine kleine Bosheit verborgen sein mochte, daß er da, wo man ihn einst, wenn auch in noch so leiser und unbestimmter Weise, verschmäht hatte, sich jetzt als »gemachter Mann« zeigen wollte; ja, die Zärtlichkeiten, die er seiner Braut erwies, gaben manchmal dem Sonnenwirt einen Stich durchs Herz, als ob sie wie ein Spott auf ihn gemünzt wären. Er dachte aber nicht daran, um wieviel besser er seine Tochter versorgt haben würde, wenn er ihr diesen nach seinem eigenen Geständnis so wackern, fleißigen und angenehmen jungen Mann hätte zuteil werden lassen und welch ein gutes Beispiel für seinen Sohn ein Schwager gewesen wäre, der, gleichfalls jung und der Lebensfreude nicht abhold, doch das Erfreuliche im Nützlichen zu suchen und bei seiner Wahl, wie es wenigstens schien, Liebreiz mit Verstand und Reichtum vereinigt zu finden wußte. Er dachte nur daran, daß sein Sohn in allen Stücken das Gegenteil von diesem jungen Mann, daß dessen Braut, so sehr sie ihm und eben weil sie ihm gefiel, ein wahres Spottbild auf die Wahl seines Sohnes vorstelle. Friedrich indessen dachte an gar nichts, als an seine und Christinens verzweifelte Lage, an den niederschlagenden Brief des Advokaten, von dem er kaum hoffen konnte, daß er reinen Mund halten werde.

Während Friedrich diese Gedanken unaufhörlich beschäftigten, mußte er dazwischen, von Georg aufgerufen, der ihn durchaus heiter sehen wollte, mit der Gesellschaft schwatzen, einmal über das andere Bescheid tun, auf das Geheiß des splendiden Bräutigams Wein aus dem Keller holen, wieder schwatzen und lachen und immer wieder trinken, so daß er zuletzt kaum mehr wußte, ob er seinen Kopf oder das Mühlrad seines Freundes auf den Schultern habe.

Wie es gerade in lebhafteren Gesellschaften nicht selten vorkommt, war nach einer Reihe ernsthafter Gespräche und lustiger Späße auf einmal die Unterhaltungsspule abgelaufen, und es entstand jene Stille, während welcher jedes Mitglied sich den Kopf zu zerbrechen pflegt, um womöglich einen neuen Stoff zur Verarbeitung aufzutischen. Der Sonnenwirt, der den Wein gleichfalls spürte, hielt sich vor allem als Wirt und Hausherr verpflichtet, in die Lücke zu treten, und der Anlaß zu einer Äußerung lag ihm nur allzu nahe. Hatte ihm der Bräutigam vorhin, wohl mehr aus Höflichkeit als Überzeugung, wie ihn deuchte, seinen Sohn gelobt, so glaubte er diese schmeichelhaften Reden jetzt im entgegengesetzten Sinne erwidern zu müssen. »Das muß ich sagen«, begann er, »so ein fein's Brautpaar hab ich lang nicht an meinem Tisch gehabt; da muß einem ja das Herz im Leib drob lachen!« Dann sprach er die vorteilhafte Meinung aus, die er von den beiden jungen Leuten hegte, und spendete besonders der Braut ein derbes Lob, das sie mit Erröten, jedoch keineswegs unwillig hinnahm. Nun aber wendete er sich gegen seinen Sohn. »Du kannst jetzt sehen«, sagte er zu ihm, »wieviel Freud, anstatt soviel Verdruß, du mir hätt'st machen können, wenn du mir so ein brav's Weibsbild ins Haus bracht hätt'st, statt dem Mensch, mit dem du dich vergangen hast.«

»Jetzt kommt's!« dachte Friedrich, aber er hielt an sich und sah finster schweigend vor sich hin.

»Es muß eben auch Schatten in den Welt geben«, bemerkte die Sonnenwirtin spöttisch, »sonst tät man ja« – bei diesen Worten deutete sie auf die Braut – »das Licht nicht sehen.«

»Lasset's gut sein, Herr Sonnenwirt und Frau Sonnenwirtin!« sagte der Bräutigam begütigend. »Wir sind ja so vergnügt beieinander. Komm, Frieder, stoß an mit mir: dein Wohl und unser Leben lang lauter gut Ding!«

»G'segn' dir's Gott, Georg!« erwiderte Friedrich. »Obwohl du ein Kind des Lichts bist«, setzte er bitter lächelnd hinzu, »so will ich doch in meiner Finsternis auf dein und deiner Braut Wohl trinken und will dir wünschen, daß sie dir immer so lieb bleiben mög wie meine Christine mir.«

Die Braut machte ein saures Gesicht. Die Sonnenwirtin stieß ein grelles Gelächter aus, in das der weibliche Teil der Gesellschaft halblaut einstimmte, indem sie einander unwillig ansahen.

»Ich laß meine Gäst nicht beleidigen!« fuhr der Sonnenwirt zornig auf.

»Ich hab niemand beleidigt«, erwiderte sein Sohn mit kalter Stimme, während seine blauen Augen immer wilder blitzten.

»So eine Vergleichung«, rief die Sonnenwirtin mit aufreizendem Tone, »die soll keine Beleidigung sein!« Die Weiber nickten ihr lebhaft zu. Der Bräutigam schwieg verlegen; er sah ein, daß er den Freund, mit dem er soeben noch angestoßen, nur auf Kosten seiner Braut verteidigen könnte.

»Was!« schrie der Sonnenwirt, »so eine rechtschaffene Person vergleichst du in meinem Haus mit einer –«


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