Hermann Kurz
Der Sonnenwirt
Hermann Kurz

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Achtzehntes Kapitel

Morgens in aller Frühe war Friedrich schon wieder bei Christinen, um ihr die Stunden der Angst bis zu dem Gange, den sie diesen Vormittag anzutreten hatte, zu vertreiben, noch mehr aber, um vor der öffentlichen Erklärung, welche er zu geben beabsichtigte, jeder Unterredung mit seinem Vater auszuweichen, der wirklich zu glauben schien, er werde, in den Lauf der Welt sich fügend und von der Unmöglichkeit einer anderen Handlungsweise übermannt, sein Mädchen die ganze Verantwortlichkeit für das Geschehene allein tragen lassen.

Die gefürchtete Stunde war endlich angebrochen. Er nahm Christinen an der Hand und führte sie mit tröstlichen Worten von ihren Eltern fort. Arm in Arm ging er mit ihr durch den Flecken, und die lachende Frühlingssonne, die zu dem Gange schien, bestärkte ihn in dem Glauben, daß die himmlischen Mächte ob dieser Liebe nicht zürnten. Er trat aufrecht wie ein Sieger neben Christinen einher, die mit niedergeschlagenen Augen an seiner Seite ging, und die Leute, die ihnen begegneten, machten zwar verwunderte Gesichter, wagten aber doch erst, nachdem das Paar vorüber war, die Köpfe zusammenzustecken und einander ihre spöttischen Bemerkungen mitzuteilen. Am Rathause ließ er ihren Arm los: »So, jetzt mußt dein Strauß allein ausfechten«, sagte er, »aber wenn ich gleich nicht dabeisein darf, so hab nur guten Mut, du weißt ja, daß ich nicht weit bin und dir nachher im Protokoll beispringen werd; hier unten will ich deiner warten.« – »O Frieder, wie ist mir das Herz so schwer, und ich schäm mich so vor den Herren«, erwiderte sie. – »Hätt fast was gesagt!« rief er und trieb sie die Treppen hinauf, »schämt sich eine Braut auch, zur Hochzeit zu gehen? Sei du froh, daß wir endlich einmal wenigstens im Kirchenkonventsprotokoll miteinander kopuliert werden!«

Er wartete lange vor dem Rathause. Da er sich den neugierigen Blicken der Pfarrerin ausgesetzt sah, die von ihrem Fenster auf ihn herabschaute, wechselte er seinen Standort, doch so, daß er immer die Türe des Rathauses im Auge behielt. Allein, er mußte von manchem Vorübergehenden neugierige Fragen aushalten, denn auf dem Lande steht man nicht ungestraft an einer Ecke ruhig still, und beinahe hatte er die Geduld verloren, als nach einer vollen Stunde Christine auf der Rathausstaffel erschien und sich nach ihm umsah. Er winkte ihr. »Du hast aber lang gemacht«, sagte er verdrießlich, »ich glaub, du hast alles, was sich seit deiner eigenen Geburt zugetragen hat, gebeichtet.« – »Was kann ich denn dafür?« erwiderte sie. »Halt dich nur parat, der Büttel folgt mir auf'm Fuß, ich hab's noch gehört, wie er Befehl erhalten hat, dich vorzuladen.« – »Wart am Bach drüben auf mich«, sagte er, »da gehen nicht so viel Leut.« Sie eilte von ihm weg, froh, aus der Nähe des Rathauses zu entkommen. Kaum war sie verschwunden, so kam der Schütz heraus und winkte ihm. »Er erspart mir einen Gang«, sagte er. – »Und einen Schoppen?« lachte Friedrich. – »In der ›Sonne‹«, erwiderte der Schütz grinsend, »hätt ich wohl heut keinen bekommen, das Geschäft trägt's nicht aus. Übrigens ist hier keine Zeit zu verlieren. Er ist vor löbliches Kirchenkonvent zitiert und hat ohne Aufenthalt zu erscheinen.« – »Das kann geschehen«, erwiderte Friedrich und ging die Treppe hinauf.

Als er an der Türe des Rathauszimmers auf sein Klopfen keine Antwort erhielt, trat er mutig ein und wünschte einen guten Morgen, blieb jedoch an der Türe stehen. An dem Tische mit geschweiften Füßen, über welchem ein neugemaltes Bild der Justitia hing, saß der Pfarrer obenan, neben ihm der Amtmann, dann der Anwalt, der als Untergeordneter des Amtmannes die Schulzenstelle versah, nach diesem ein Mitglied des Gemeindegerichts und zuletzt der Heiligenpfleger. Diese zusammen bildeten das gemischte Kollegium der Kirchenzensur, dessen vorherrschend geistlicher Charakter, ungeachtet der weltlichen Beimischung, in seinem Namen und im Vorsitze des Pfarrers zu erkennen ist. Das Magistratsmitglied, das über dem Heiligenpfleger saß, blickte den Eintretenden besonders finster an: es war sein Vormund, der sich nicht wenig schämte, seinen Pflegesohn unter solchen Umständen im Verhör zu erblicken. Der Pfarrer räusperte sich: »Tret er näher daher«, sagte er. Friedrich trat einige Schritte vor. »Es ist mir«, begann der Pfarrer, »von christlich denkenden Leuten, welchen Ärgernis in der Gemeinde leid ist, fürgebracht worden, wie daß die Christina, des Hans Jerg Müllers, Bauren, Tochter, im Geschrei sei, daß sie mit einem Kinde gehe. Als sie daher vor dieses löbliche Zensurgericht fürgeladen worden, hat sie ihre Schwangerschaft nicht leugnen können, und auf Befragen, mit wem sie sich göttlichen und menschlichen Gesetzen zum Trotz vergangen, hat sie Ihn als Vater zu ihrem Kind angegeben. Ist das wahr?«

»Ja, Herr Pfarrer und ihr Herren Richter!« sagte Friedrich mit fester Stimme, so daß alle einander betroffen ansahen und dann mit Abscheu auf den jungen Menschen blickten, der mit einem so unerhörten Tone seine Schuld bekannte. Die Freudigkeit, die aus seiner Stimme klang, wurde von diesen Männern, die in den herkömmlichen Bräuchen und Sitten aufgewachsen waren, als eine schamlose Frechheit empfunden.

»Hat Er keinen Verdacht«, fuhr der Pfarrer fort, »daß sie vielleicht noch mit anderen Burschen zugehalten hat?«

»Nein, Herr Pfarrer, das hat meine Christine nicht getan.«

»Seine Christine!« sagte Friedrichs Vormund unwillig und höhnisch zum Heiligenpfleger.

»Sie gibt an«, fuhr der Pfarrer fort, »Er habe ihr die Ehe versprochen. Ist das wahr?«

»Ja, Herr Pfarrer, und mit heiligen Eiden.«

»Wie kannst du, Lump«, fuhr jetzt sein Vormund gegen ihn auf, »wie kannst du ein Versprechen geben und ein Eh'verlöbnis eingehen ohne Einwilligung deines Vaters, da du doch minderjährig bist?«

»Das wird sich auch bei der Strafe finden, Herr Senator«, bemerkte der Amtmann. »Wenn sponsalia clandestina gewesen sind oder ein minderjähriger Bursche sich vor erlangter Dispensation verlobt, so ist laut Resolution vom« er blätterte eine Weile in den umherliegenden Gesetzen, Reskripten und Normalien und fuhr dann ärgerlich, die Stelle nicht gleich zu finden, fort: »so ist laut hochfürstlicher Resolution, die vor kaum vier Jahren emanieret, das Vergehen nicht als ein zwischen Verlobten vorgefallenes, sondern als ein gemeines delictum carnis anzusehen und demgemäß mit höherer Strafe zu belegen, und zwar selbst dann, wenn nachträgliche legitime Verlobung und Heirat erfolgt, was hier alles noch in weitem Felde stehen dürfte.«

Friedrich, der den Sinn dieser Rede ungeachtet der eingestreuten lateinischen Brocken gar wohl verstanden hatte, nahm das Wort und sprach: »Ihr Herren, man kann mich strafen, so viel und hoch man will, darum laß ich doch nicht von meinem Schatz, und wenn man uns auch ansieht, als ob wir wie unehrbare und verrufene Personen wider das sechste Gebot gesündigt hätten, so weiß ich doch, daß nichtsdestoweniger mein Schatz ein ehrlich's Mädle ist und so sittsam wie nur einem von den Herren seine Frau sein kann.«

Die Konventsrichter hatten eine Weile ihren Ohren nicht getraut und ihn deshalb ruhig sprechen lassen, dann aber entstand ein Aufruhr am Ratstische. »Will Er schweigen?« rief der Pfarrer. »Man hat Ihn vorgeladen, damit Er sich verantworte«, herrschte ihm der Amtmann zu, »und nicht, damit Er sein böses Maul brauche.« – »Ich möcht dich zerbrechen«, schrie sein Vormund, »bist noch nicht hinter den Ohren trocken und schwätzst so frech's und ungesalzen's Zeug.« – »So einer ist mir noch gar nie vorkommen, so lang ich im Kirchenkonvent sitz«, sagte der Heiligenpfleger, »die andern wagen die Augen kaum aufzuschlagen und schämen sich der Sünd, der aber pocht und will noch gut haben.« – »Und lästert göttliche Gebote«, hob der Pfarrer wieder an. »Und fürstliche Verordnungen«, fügte der Amtmann hinzu. Der Anwalt sagte gar nichts, der unerhörte Auftritt hatte lähmend auf seinen Geist gewirkt.

Friedrich wollte abermals sprechen. »Still!« riefen der Pfarrer und der Amtmann. »Still!« schrien die andern Mitglieder hintendrein.

Friedrich biß die Zähne aufeinander und schwieg.

»Wie kannst du's vor deinem rechtschaffenen Vater verantworten«, fuhr ihn sein Vormund an, »daß du dich hinter seinem Rücken in eine solche Lumpenliebschaft eingelassen hast, und was glaubst du, daß er dazu sagen wird, daß du ohne sein Wissen dich mit einem Eh'versprechen gebunden hast, und willst jetzt behaupten, du lassest nicht davon? Das will ich von dir hören.«

»Es ist mir ja verboten, zu reden«, erwiderte Friedrich störrisch.

»Nein, nein!« befahl der Pfarrer, »darüber darf und soll Er sich verantworten, daß Er den kindlichen Gehorsam so gänzlich hintangesetzt und sich eigenmächtig in eine Verbündnis eingelassen hat, die ein junger Mensch, wenn der Segen Gottes dabeisein soll, nur unter ausdrücklichem Konsens seiner Eltern nach deren reiflicher Erwägung und in der Zucht Gottes schließen soll.«

»Herr Pfarrer«, antwortete Friedrich, »meine Meinung ist, wenn ein Mensch heiraten soll, so kann's sein Vater nicht für ihn versehen, sondern jeder muß selber wissen, was sich für ihn schickt. Wenn ich meinen Vater für mich wählen ließ und es tät nachher übel ausfallen, so kann ich ihm doch die War nicht heimschlagen, sondern muß sie behalten. Darum, weil ich die Verantwortlichkeit dafür mein ganzes Leben lang, oder bis Gott es anders verhängt, tragen muß, so halt ich's auch für recht und billig, daß es dabei nach meinem Kopf geht und nicht nach einem fremden. Hab ich mich dann vergriffen in meiner Wahl, so muß ich's haben und geschieht mir recht, wenn ich's mein ganzes Leben durch büßen muß, darf mich auch über keinen andern beklagen; muß ich aber einen fremden Fehler büßen, so widerfährt mir groß Unrecht und hilft mich all mein Klagen und Schelten doch nichts mehr.«

»Das sind sündliche, eigenwillige, aufrührerische Reden!« rief der Pfarrer, »Er wird's noch an Galgen bringen, wenn Er so fortfährt, nach Seinem Kopf zu leben und elterliche, obrigkeitliche und göttliche Autorität zu verachten.«

»Herr Pfarrer, was werden wir uns lange mit dem rechthaberischen Tunichtgut herumstreiten?« sagte der Amtmann. »Die Obrigkeit gibt sich viel zu sehr herunter und büßt an ihrem Ansehen ein, wenn sie sich mit den Untertanen in Disputationen einläßt, absonderlich mit einem Buben, der der Rute noch nicht entwachsen ist. Hier liegen die Gesetze und Verordnungen. Unsere Sache ist es, sie auszuüben, seine, sich in das Gesetz und in die Welt zu fügen. Wenn er das nicht in den Kopf bringt, so mag er dahinfahren.«

»Ich glaube auch, daß es verlorene Worte sind, die man an ihn verschwendet«, versetzte der Pfarrer.

»Fort mit ihm! Fort!« schrien der Richter und der Heiligenpfleger.

»Einen Augenblick Geduld noch!« rief der Pfarrer. »Seine Aussage ist also, daß Er der Christina Müllerin die Ehe versprochen habe und sie heiraten wolle, wenn Sein Vater das Jawort dazu gibt?«

»Ja«, antwortete Friedrich, »mit der Einwilligung gleich jetzt und ohne die Einwilligung später, wenn ich mein eigener Herr bin.«

Der Pfarrer wiederholte die vorigen Worte murmelnd, während er sie ins Protokoll schrieb. »Er kann gehen«, herrschte er dann und klingelte. »Den Sonnenwirt!« rief er dem eintretenden Schützen zu.

Christine stand am Bach und weinte, aber ihr Gesicht klärte sich alsbald auf, als sie ihren Freund kommen sah. »Es hat den Kopf nicht gekostet«, sagte er lachend. »Sie haben mir zwar schändlich getan, und zuletzt haben sie mich gar fortgejagt, weil sie nicht Meister über mich worden sind, aber sie haben mir's eben doch schwarz auf weiß zu Protokoll nehmen müssen, daß es zwischen uns beiden richtig ist, und das ist die Hauptsach.«

Als er ihr dann erzählte, daß er wegen seines Schwures noch extra gestraft worden, war sie sehr betreten und sagte: »Ach Gott, wenn ich das gewußt hätt, so hätt ich dich nicht verraten.«

»Sei nur zufrieden«, entgegnete er, »sie wissen jetzt um so gewisser, daß ich dir Wort halt.«

»Hast du auch Abbitt tun müssen?« fragte Christine.

»Ich, abbitten? Ich will nicht hoffen, daß du so schmählich gewesen bist.«

»Was hab ich denn machen können? Der Pfarrer hat immer auf mich hineingefragt, ob mir die böse Tat nicht leid sei. Anfangs hab ich darauf geschwiegen, dann hat er geschimpft und gepredigt, und zuletzt hab ich eben zu allem ja gesagt. Dann hat er unterm Protokollschreiben vor sich hin gebrummelt: ›Sie sagt, sie trage Reue und Leid vor Gott und den Menschen, und solle ihr gewiß nicht wieder fürkommen, und bitte Gott und die liebe Obrigkeit um Verzeihung und um eine gnädige Straf!‹ Du weißt ja, er sagt das, was er schreibt, immer vor sich hin, es ist dann so gut wie vorgelesen. Aber meine eigene Wort sind's nicht, sondern er hat sich's eben aus meinem Ja herausgenommen, und ja hab ich gesagt, nur daß es einmal ein End nimmt, denn sonst wär ich gar nicht fortkommen, und dir selber hat's ja so schon zu lang gedauert, ich hab gemeint, du wollest mich fressen, wie ich kommen bin.«

»Geh«, sagte er, »das gefällt mir nicht, daß du dich hast so runtertun lassen. Hättest besser hinstehen sollen.«

»Du darfst mich auch noch schlecht machen«, maulte sie. »Wie du bist aus der Fremde kommen und deines Vaters Haus ist dir verschlossen gewesen, gelt, da hast dich auch runtertun lassen und hast brav versprochen, du wollest nichts mehr von mir?«

»Das hab ich nicht versprochen«, entgegnete er, »und der heutig Tag kann's dir am besten beweisen, daß ich's weder versprochen noch gehalten hab.«


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