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Der Boxkampf

Als ich allein durch die Straßen trieb wie ein Blatt im Herbstwind, wehte es mich in eine Ecke vor eine Plakatwand. Da las ich in schreienden Farben, schwarz und weiß auf rot:

Sensationell!

Heute Boxmatch, Großkampftag, im Großen Schauspielhaus an der Weidendammer Brücke!

Der Entscheidungskampf um die Weltmeisterschaft

um die Weltherrschaft, zwischen Munk dem Europameister, genannt Dictator mundi, und dem asiatischen Meister Mai Lung Fang, genannt die chinesische Wildkatze.

Versäume niemand, der weltgeschichtlichen Entscheidung beizuwohnen.

Das wollte auch ich nicht versäumen und begab mich durch eine Nebentür des Großen Schauspielhauses in das Artistenzimmer, wo ich Munk, der seine Muskeln spielen ließ, in einem großen Monolog antraf, der recht gut auch für die Arena selbst sich zum Vortrag geeignet hätte:

»Ich steige persönlich in die Schranken. Niemand soll sagen, daß ich feige bin. In mir verkörpert und vergeistigt sich der Kontinent. Die große Stunde schlägt. Die Frage ist: Europa oder Asien? Die weiße oder die gelbe Rasse? Schinderhannes und Schopenhauer, um zwei Polaritäten zu benennen – oder Laotse und Lihungtschang? Schnaps oder Opium? Wem gehört die Zukunft, die Ewigkeit heißen wird? Meine Muskeln sind gestählt. Ich bin trainiert. Ich habe Laotse gelesen. Mit seinen eigenen Waffen will ich ihn schlagen, den Gelben. Mir kann keiner. Zwei Monate berührte ich kein Weib. Ich berste vor Zeugungskraft. Verantwortung strafft mich. Schon hör ich sie singen, die Champions von Gleiwitz, Nancy, Warschau, Czernowitz, Malmö und Napoli: ave Caesar, morituri te salutant ...«

Ich stand neben dem Toilettenspiegel und schwieg.

Munk nahm keine Notiz von mir.

Der Manager stürzte aufgeregt herein.

Munk fragte gönnerhaft: »Wie steht's?«

Der Manager: »Ausgezeichnet. Ich komme die Binden und Handschuhe zu prüfen.«

Munk steckte seine lederumkleideten Fäuste:

»Faust und Blut und Herz sind eins.«

Der Manager strahlte: »Der Sieg scheint gewiß.«

»Scheint?«

»Wie die Sonne scheint.«

»Man wettet?«

»5:4.«

»Zu wenig. Liebt mich das Volk nicht mehr?«

Munk stampfte mit den Füßen.

Der Manager begütigte:

»Es liebt Sie unaussprechlich. Aber es schätzt beim Boxkampf die Qualitäten als Boxer.«

»Ich trainierte zwei Monate.«

»Der Chinese hat den Weltmeister Carpentier knock-out geschlagen – in sieben Minuten.«

»Die Schande der weißen Rasse zu rächen, trat ich auf.« »Europa vernahm es schaudernd und – bewundernd.

Niemand wurde so häufig wie Sie in den illustrierten Blättern abgebildet. Nun gilt es, alle Kräfte zu sammeln. Keine Abschweifung. Boxen ist einen Angelegenheit der egozentralen Weltanschauung. Ich oder du, heißt's hier. Nicht: ich und du.

Sie müssen ihn knock-out schlagen.«

Christian, Munks Sohn, stürzte in die Garderobe.

»Vater – ich beschwöre dich – was tust du – er wird dich zerschmettern.«

Munk sah in den Spiegel:

»Wer ist das Jüngelchen? Ach, mein Sohn –«

Der Manager wurde nervös.

»Ich bitte, sich nicht zu derangieren. Ich habe hunderttausend Mark auf Sie gesetzt.«

Munk:

»Keine Furcht, mein Lieber. Ich habe Nerven wie Schiffstaue. Was willst du, Sohn? Monatelang kümmerst du dich nicht um mich –«

Christian schüttelte die blonden Locken:

»Ich habe immer an dich gedacht –«

»Sentmetalitäten. Wer wirklich denkt, handelt.«

»Dein Bild hängt über meinem Bett. Gottvater weiß es.«

»Lachhaft. Ein nacktes Hürchen wäre passabler und passender.«

»Ich liebe dich.«

»Pfui Teufel. Ich dich nicht.«

Christian hob fromm die Hände:

»Laß mich für dich in die Arena steigen. Der Chinese wird dich töten.«

Munk brauste auf wie Selterswasser:

»Unsinn – hier: probier mal meinen Bizeps.«

Christian sprach leiser:

»Du bist stark. Aber ich bin schwach.«

»Ein blutarmes Bürschelchen. Ich bin die Kraft, die Wildheit und die Würde. Ich trotze. Mein Saft schwillt. Wie ich dich gezeugt habe, bleibt mir ein Rätsel. Ich hatte schon zwölf Kulmbacher hinter mir. Und ich wollte dich nicht: du Nichts, du Kaum, du Ach ...«

Der Jüngling lächelte traurig:

»Ich bin die Schwäche. Die Schwäche siegt. Rohr biegt sich. Die Eichen – fallen. Die Wolken wehen im Sturm – die Türme bersten.«

Munk zog die Stirn kraus:

»Symbole tangieren mich nicht.«

Der Jüngling wurde eindringlicher:

»Du hast nur dein Leben, deine Position. Unterliegst du, so ist deine Macht zu Ende, dein Leben zu Ende. Das Gelächter des Volkes wird dich bis Teheran scheuchen. Du willst herrschen. So bleibe. Herrschen ist dein Glück. Ich opfere mich gern für dich. Aber es wäre wohl kein Opfer: denn ich kann nicht unterliegen.«

Munk probierte einen Stoß am Ball, der von der Decke hing.

»Geh in den Zoologischen Garten. Lerne bei den Känguruhs boxen. Dann komm wieder.«

Der Manager unterbrach ihn mit heiserer, aufgeregter Stimme: »Das Klingelzeichen. Sind Sie bereit?«

Munk straffte sich:

»Ich bin's.«

Er ging mit großen Schritten an Christian und mir vorbei, ohne uns beide eines Blickes zu würdigen.

Aus der Arena klang ohrenbetäubendes Beifallsklatschen.

Christian und ich blieben wie Karyatiden links und rechts an der Tür stehen.

Wir sprachen kein Wort.

Wir wußten den Ausgang des Kampfes zu gut.

Mai Lung Fang hatte auch mich besiegt. Er hatte die Fähigkeit, jede Gestalt anzunehmen.

Nach kaum fünf Minuten wurde Munk auf einer Bahre blutüberströmt hereingetragen.

Der Chinese hatte ihm beide Augen aus dem Kopf geschlagen.

Es gab keine europäische Welt-anschauung mehr.

Ich hörte noch den Manager kreischen:

»Gott sei Dank haben wir in Berlin ein Institut für künstliche Menschenaugen. Berlin in Deutschland, Deutschland in Europa, Europa in der Welt voran.«

Ich trat an die Bahre:

»Erkennst du mich, Munk?«

Christian streichelte ihn mit wirren Händen.

Ich bekam keine Antwort.

Ich schlich heimlich und unauffällig, wie ich gekommen war, aus dem Haus.


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