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Der Albino

Es klingelte.

Ich schreckte empor.

Die Polizei?

Ich hörte das Dienstmädchen im Korridor verhandeln: »Aber der Herr liegt noch im Bett –«

Eine Stimme, deren Wohllaut mich bezauberte, erwiderte: »0, das macht nichts – lassen Sie uns nur bitte herein.«

Es klopfte und herein traten

die Dame und der Herr von gestern Abend.

Die Dame trug einen Sealpelz und einen kleinen schwarzen Hut. Sie konnte, nach den Gesichtszügen zu urteilen, die sie hinter einem feinmaschigen Schleier verdeckte, in dem auf der linken Wange eine Libelle eingestickt war – kaum zwanzig Jahre zählen. Sie hatte einen Fliederstrauß in der Hand, den sie mir lächelnd auf die Kissen legte.

Der Herr hinter ihr war korrekt im Zylinder erschienen, den er jetzt ablegte. Er tat auch seinen Nerzpelz ab, und ein etwas altmodischer Gehrock kam zum Vorschein.

Jetzt trat er auf mich zu. Ich sah zum erstenmal sein Gesicht, seine Augen.

Es war ein Albino.

Seine Augen waren rot wie die gewisser Kaninchensorten. Er trug einen Fransenbart wie Schuster Leidl.

Sein Haupt- und Barthaar war schneeweiß, obgleich ich sein Alter auf höchstens vierzig Jahre schätzte.

»Wir haben in der Charité angeklingelt. Sie waren nicht mehr da. Nun, wie geht es? Sprechen Sie nicht laut – Sie dürfen nur leise sprechen – die Lunge muß geschont und möglichst stillgelegt werden – bleiben sie auf dem Rükken liegen – so – ich werde einmal ein wenig perkutieren und auskultieren – so gut es geht, ohne Sie anzustrengen.«

Er schlug die Bettdecke zurück.

Der Flieder fiel zu Boden.

Die Dame hob ihn gleichgültig auf und steckte ihn in die Wasserkaraffe auf dem Waschtisch.

Der Albino klopfte meinen Brustkasten ab und ich weiß nicht, warum ich mir seine Manipulationen gefallen ließ. Wer hat denn den Doktor bestellt?

»Rechts starke Dämpfung – das scheint eine alte Stelle zu sein – haben Sie eine Kaverne gehabt? Von dort aus muß der Bluterguß stattgefunden haben.«

Er griff in die Brusttasche und zog ein zusammenlegbares Stethoskop hervor. Er schraubte es zusammen und setzte es mir auf die Brust:

»Wie gewöhnlich atmen – nicht anstrengen – flüstern Sie mal: neunundneunzig – nochmal – neunundneunzig – neunundneunzig –«

Er erhob sich.

»Sie können in diesem engen und finsteren Raum, der weder genug Licht noch Luft hat, nicht länger bleiben. Sie müssen in ein Sanatorium oder Krankenhaus – unterbrechen Sie mich nicht – Sie brauchen Ruhe, Pflege, und eine Schwester« – damit streifte sein Blick die blonde Dame – »muß immer um Sie sein. Ich habe das Sanitätsauto gleich mitgebracht. Es wartet unten vor der Tür.«

Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.

Das Rotauge sah mich durchdringend an.

Die Dame trat ans Bett und nahm meine Hand.

»Sie müssen etwas für sich tun. Ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, Sie so hilflos und verlassen hier liegen zu lassen.«

Aber, als ich ihre Hand fühlte, die eiskalt in meiner heißen Fieberhand lag wie eine Totenhand, da kam es wieder über mich: »Lassen Sie mich – lassen Sie mich allein – Sie wissen nicht, wem Sie Ihre Hilfe angedeihen lassen – wem Sie Ihre schöne und gute Hand geben. Beugen Sie sich nicht zu nahe über mich, daß der Pesthauch meines Atems Sie nicht trifft. Blicken Sie mir nicht ins Auge. Sehen Sie nicht in mein linkes Auge, das Auge über dem Herzen. In meinen Augen wohnt das Grauen. Ein Händedruck von mir ist giftig wie ein Stich eines Skorpions.«

Der Rotäugige stand da, die Hände auf dem Rücken gekreuzt.

»T. B. C. mit psychogener Ursache. Eine Analyse nicht nur des Sputums, sondern vor allem der Seele täte not.«

Die Dame neigte sich über mich, daß ich ihren Atem spürte, und der duftete süß wie Oleander oder Mandel oder Hyazinthe. »Mein lieber Mensch, seien Sie unbesorgt, fürchten Sie nichts. Und wenn Sie ein Verbrecher, und wenn Sie ein Mörder wären: ich würde Sie dennoch pflegen. Ich würde Sie nicht weniger lieb haben und nicht weniger gut zu Ihnen sein. Was geht das mich an, wer und was Sie sind? Ich habe kein Recht, danach zu fragen, sondern nur die Pflicht, Ihnen zu helfen.«

Ich hatte mich halb in den Kissen emporgerichtet.

Mein Herz schlug rasend: vor Seligkeit.

Wenn Erlösung möglich war, so war sie nur möglich, weil diese Frau lebte.

Der Albino griff noch einmal in seinen Gehrock.

»Hier ist übrigens Ihre Brieftasche. Sie haben sie gestern Abend im Auto verloren.«

Die Tür sprang auf.

Zwei Sanitäter traten mit einer Tragbahre herein. Hinter ihnen das Dienstmädchen Elise, Tränen im Auge, die Hände ringend und wringend.

Ich wurde auf die Tragbahre gelegt.

Das rote Auge faszinierte mich. Ich wagte nicht aufzubegehren und fühlte mich auch plötzlich sterbensschwach.

Ich wurde durch den Hausflur getragen.

Neugierige Hausbewohner, alte Frauen, ein junges Mädchen in einer schottischen Bluse, ein lahmer Zollinspektor, einige Kinder warteten schon.

Der Zollinspektor hob seinen Krückstock, wobei er sich wie Friedrich der Große vorkam, und krähte:

»Das hat er von seinem Lebenswandel. Nun hat er die Auszehrung.«

Schaudernd hüllten die Frauen sich in ihre Kopftücher und Schals. Das junge Mädchen lächelte hilflos und verlegen. Die Kinder sahen mit offenen Mündern auf mich, und eines sagte:

»Kuck mal, der ist tot. Komm wir wollen sterben spielen.«


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