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Die Gerichtssitzung

Nur ich wußte, daß Hyacinthe sich selbst gerichtet hatte. Aber meine Schuld wurde durch ihre Sühne nicht aus der Welt geschafft, wenngleich sie zu glauben schien, sie habe durch ihren Opfertod wie einst Christus auch die meine auf sich genommen.

Man hielt mich für ihren Mörder.

Das Motiv, das mich geleitet hatte, war ja durchsichtig genug: ich hatte entdeckt, wer Hyacinthe eigentlich war; eine Spionin, ein Spitzel, wie eine Zecke mir auf den Nacken gesetzt.

Und ich hatte die Zecke aus meinem Fleisch gerissen, zu Boden geworfen und sie zertreten.

Kurz bevor ich das Zimmer Nr. 13 betreten hatte, war der Wärter noch darin gewesen, hatte ihr einen Wärmflasche gebracht und sie wohlauf gefunden.

Der Albino war vor Schmerz halb wahnsinnig.

Er hatte Hyacinthe geliebt.

»Mörder!« schrie er und ballte die Faust gegen mich.

Dann rollte er die roten Augen wie Murmeln, schlug einen Purzelbaum wie ein fünfjähriges Kind und begann auf den Händen zu gehen.

Als er wieder auf seinen Füßen stand, lachte er albern:

»Warum soll ein Irrenarzt nicht einmal irrsinnig werden? Man muß sich nur dessen bewußt bleiben, daß man temporär irrsinnig ist. Ein Spezialist für Lungenleiden kann doch auch lungenleidend werden und ein Geschlechtsdoktor einer Urethritis gonorrhoica anheimfallen. Lachhaft. Alter schützt vor Torheit nicht und das Leben nicht vorm Tode. Kleiner Schäker«, er kitzelte mich unter dem Kinn.

»Kieks – – – kleiner Mörder ...«

Ich war bereit, mich dem Spruch jedes Gerichtshofes zu unterwerfen.

Der Gerichtshof trat alsbald zusammen.

Die Verhandlung fand in der Anstaltskirche statt.

Den Vorsitz führte Gottvater.

Es saß vor dem Altar, eine spitze mit Sternen beklebte Zuckertüte auf dem Kopf, und hatte sich, um sich ein gewichtiges Ansehen zu geben, ein Hornbrille aufgesetzt. Über ihm schwebte, im Käfig, der durch ein Gestänge mit einer Säule verbunden war, der Heilige Geist: die Lachtaube, die die heilige Handlung zuweilen durch ein unziemliches Gelächter unterbrach.

Im Halbkreis um Gottvater die Beisitzer: Gottsohn, Munks Sohn, der schöne Jüngling; der Teufelsbeschwörer, der Theosoph, der Tänzer, der General, der Herr von Adel, der Wunderrabbi, das alte Brautpaar.

»Liebling«, flüsterten die zahnlosen Lippen.

»Mein Süßes«, echote der Greis.

Die Verteidigung wollte erst der Teufelsbeschwörer übernehmen. Aber ich war mir selbst zu meiner Verteidigung genug. Es konnte sich nicht um eine Freisprechung, es konnte sich nur um eine Rechtsprechung handeln.

Die Anklage vertrat, von der Kanzel herab, der Albino. Er konnte kein heftiges Wort finden, das ich nicht selbst noch aggressiver formuliert hätte, kein Argument gegen mich, das ich nicht selbst noch logischer und schärfer gefaßt hätte. Der Fluß seiner Rede plätscherte monoton.

Manchmal nur schwoll er zu Kaskaden und Wasserstürzen, dann hörte ich interessiert zu.

Ich saß auf einer Betbank vor dem Altar.

Durch die bunten Glasfenster, durch die gläsernen Leiber der Heiligen spielte die Sonne. Der erste schöne Tag seit vielen Wochen.

Und der Albino erhob wieder seine Stimme:

»Und so beantrage ich gegen den Angeklagten wegen Simulierung eines nicht vorhandenen Geistes- und Leibeszustandes – ich halte auch seinen sogenannten Blutsturz für ein abgeschmacktes Mittel, eine Versuch, seinen irdischen Richtern zu entgehen, um hier in unserem Bezirk Zuflucht und Schutz zu suchen – wegen Führung eines falschen Namens, Gotteslästerung, begangen durch Anbetung des heidnischen Gottes Yenkadi, Verführung einer Minderjährigen (der Fall Marianne) sowie des zwiefachen Mordes: an seiner Ehefrau Maria und an der Detektivin Eva Zumbusch, genannt Hyacinthe: auf zwiefachen Tod durch des Henkers Richtbeil, die ewige Verdammnis, Zahlung von Alimenten (Fall Marianne) und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte zu erkennen.«

Gottvater nickte beifällig mit dem Kopf.

Die Taube lachte.

Die Sonne strahlte.

Der Wunderrabbi dawwinte.

Der Teufelsbeschwörer blickte bekümmert drein – auch der schöne Jüngling hatte eine Träne im Auge.

Ich erhob mich von der Bank.


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