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Das Haus der Schmerzen

Ich war vor meiner Wohnung angelangt.

Ich stieg vom Karren und drückte dem andern die Hand, daß er mich so weit mitgenommen.

»Ich kann Ihnen leider nichts geben. Meine Brieftasche ist mir abhanden gekommen.«

»0«, er bedauerte mit einer lebhaften Geste, »wir schwarzen Brüder sollten uns untereinander doch wenigstens nichts zuleide tun. Es ist unfair, einen Dieb zu bestehlen und einen Mörder zu ermorden ... Solches muß der verrotteten bürgerlichen Gesellschaft vorbehalten bleiben, die ja sowieso in allen Fugen kracht. – Übrigens bin ich mit allem Nötigen wohlversehen ...«

Und er zog eine Brieftasche.

»Mit wieviel darf ich Ihnen aushelfen, Kamerad?«

Er zückte einen Hundertmarkschein, drückte ihn mir in die Hand, die sich in der Verblüffung schloß, und war mit seinem Karren um die Ecke verschwunden.

Ich hörte seine Stimme noch wie ein Echo mehrmals in mir nachklingen. Beim letzten Male erkannte ich diese Stimme. Ich hatte sie lange Jahre nicht mehr gehört.

Kein Zweifel, der Mann mit dem Karren war Munk gewesen. Ich ging oder ich schwankte bis an meine Haustüre und zog den Hausschlüssel.

Ich steckte ihn ins Schloß.

Er paßte nicht.

Ich probierte wiederum.

Zum Teufel, man wird doch nicht in der Nacht plötzlich das Schloß abgeändert haben?

Ich betrachtete mir den Schlüssel. Kein Zweifel: es war mein Hausschlüssel.

Da vernahm ich aus dem Haus eine Stimme:

»Her-rein. Na Puppe. Na komme doch. Na komm Köpfchen kraulen.«

Es war die Stimme, die ich geschworen hatte, nie wieder anzuhören. Die Stimme, die die fürchterlichen Ereignisse meines Lebens mit ihrem hohlen und albernen Geplapper begleitet hatte.

Ich taumelte ein paar Schritte zurück und sah nach der Hausnummer. Ich hatte unbewußt dem Mann mit dem Karren die Adresse meiner früheren Wohnung angegeben. Es war das Haus der Schmerzen, das Haus, in dem ich mit ihr gewohnt hatte.

»Köpfchen kraulen ... Maria« ... kreischte der Papagei. Mit übermenschlichen Kräften machte ich kehrt und rannte, stolperte, schlich die halbe Stunde bis zu meiner jetzigen Wohnung. Immer fürchtete ich, es wäre jemand hinter mir her: die Polizei, der Papagei, der Mann mit dem Karren, der Herr aus dem Auto, der Wärter mit der blutbespritzten Schürze aus der Charité, der Komiker Kontack, Pluto mit seinem Schlangenhaupt und seinem Otterszepter. Ich warf mich in meinem kleinen engen Zimmer, das nach hinten auf den Hof geht und in dem es nie Tag wird, in meinen Kleidern auf das Schlafsofa, nachdem ich hastig abgeriegelt und abgeschlossen hatte.

Und verfiel in einen tiefen, schweren Schlaf.


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