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Die Blutsbrüderschaft

Wer war mein Freund?

Der Esel von der Molkerei oder der verstaubte Kastanienbaum im Hof, der aussah, als hätte er lange auf dem Speicher gestanden, weil ihn ein Kunde bestellt und nicht abgeholt.

Wer war meine Freundin?

Irgendeine Wolke oder glitzernde Mücke oder eine weiße Welle im bewegten Strom.

Meine erste Begegnung mit einem Menschen meines Alters verlief so. Ich hatte zum Geburtstag einen Matrosenanzug und eine Matrosenmütze geschenkt bekommen. In dieser Tracht ging ich, einen kleinen aus Borke geschnitzten Kahn auf den Armen, über die Aue zur sogenannten Gänselache. Dort setzte ich mich ins Gras und ließ den Kahn schwimmen. Es dauerte nicht lange, so stand neben mir ein Junge meines Alters, aber völlig verwildert und verlaust, mit einem bösen Blick in den Kateraugen. Er plantschte mit seinen nackten Füßen im Wasser. Seine Augen streiften meine Uniform.

»Schenk mir die Mütze«, sagte er plötzlich unvermittelt.

Ich wußte nichts darauf zu erwidern und schwieg.

Da zog der Junge aus der hinteren Hosentasche, ganz wie ein Großer, ein Messer und ging auf mich los.

Ich erschrak derart, daß ich den Bindfaden fahren ließ und der Borkenkahn, den ich mit vieler Mühe geschnitzt, in einem Strudel verschwand.

Schon glaubte ich das Messer im Hals zu spüren, als ich die Stimme eines Erwachsenen hörte. Ich muß gestehen, daß ich sie, trotzdem ich gleichsam in Todesgefahr schwebte, höchst ärgerlich aufnahm. Erwachsene haben eine unleidliche Art, sich mit hochfahrender Geste in die Geschäfte und Beschäftigungen der Kinder zu mischen, die sie erstens nichts angehen und von denen sie zweitens nichts verstehen.

Ich blickte auf und sah den Schuster Leidl, einen übelbeleumdeten Menschen, wie er dem zerlumpten Jungen das Messer entriß und es in den Fluß warf. Der Junge biß ihm die Hand blutig. Aber der Schuster lächelte nur und sprach die Worte, die er immer zu sprechen pflegte und die ihm die Straßenbengels nachriefen: »Nicht böse sein ...!«

Dann lächelte er, das erste Lächeln, das ich auf einem Menschenanlitz erscheinen sah und sprach:

»Was kann der Junge dafür, daß sein Vater Geld hat und der deine keins?«

Und zu mir sprach er:

»Du hast dem Jungen Unrecht getan, ohne daß du es weißt.

Gib ihm die Hand.«

Ich machte erstaunt den Mund auf und begriff ganz und gar nicht, was der Schuster meine. Der Junge war mit dem Messer auf mich losgegangen, und ich hätte ihm Unrecht getan?

Aber ich gab dem Jungen, von Zweifeln zernagt, die Hand, in die jener widerstrebend einschlug.

»Spielt nun zusammen!« sagte der Schuster und ging von dannen.

Da saßen wir nebeneinander am Ufersand.

Ich sah ihn an, da senkte er den Kopf.

Er sah mich an, da senkte ich den Kopf.

Schließlich kam ein Gedanke über mich. Ich nahm die Mütze vom Kopf und sagte:

»Da hast du die Mütze. Ich schenke sie dir.«

Er schien in meine Aufrichtigkeit Zweifel zu setzen.

»Wenn du aber lügst? – Die Menschen lügen alle.«

»Du kannst meine Matrosenmütze haben. Ich mag sie gar nicht.«

Ein bitterer Geschmack im Munde verzog sein Gesicht.

»Also, weil du sie nicht magst, darum ist sie gut für mich.«

»Nein, nein«, ich schämte mich, »ich mag sie sehr gern, denn ich habe sie heute zum Geburtstag bekommen.«

Da nahm sie der Junge, setzte sie auf, sprach:

»Ich heiße Munk und bin der Sohn des Metzgers Munk.«

Ich nannte ihm meinen Namen, verschwieg aber den Beruf meines Vaters, der an Wucht und Wichtigkeit es mit dem eines Metzgers und Schlächters nicht aufnehmen konnte, wenn er auch mehr Geld verdiente.

»Wir wollen Blutsbrüderschaft schließen«, sprach Munk. »Verdammt«, er runzelte die Stirn wie ein Erwachsener, »da hat dieses Schwein, welches man schlachten müßte, da hat dieser Schuster Leidl mein Messer in den Fluß geworfen. Nicht böse sein, nicht böse sein«, äffte er den Schuster nach. »Nur böse sein! nur böse sein!« brach er aus. »Das, was mein Vater den Tieren antut, den Menschen antun. Jawohl. Da kommt dieser Schuster, der sein Geschäft versoffen und seine Frau zu Tode geprügelt hat, und will unsereines Mores lehren.«

Er sagte: Mores lehren. Weiß Gott, wo er das aufgeschnappt hatte. Er ging suchend am Ufer hin.

Aus dem seichten Strandgewässer ragte Schilf. Er bog ein Rohr zu sich heran und brach es so geschickt, daß eine Spitze erschien. Mit dieser bohrte er sich ein kleines Loch in den Oberarm, bis das Blut kam.

»Da trink!« sagte er.

Und ich trank sein Blut.

Es hatte einen faden, süßlichen Geschmack.

Hätte ich es nie getrunken!

Danach brachte er mir eine kleine Wunde bei und trank das meine. »Jetzt sind wir auf ewig verbunden, wir sind Blutsbrüder«, sagte Munk und sah mich sonderbar von der Seite an. »Besuch mich doch mal, wenn wir Schlachttag haben.«


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