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Der entlarvte Gott

In derselben Nacht war, wie ich später erfuhr, Marianne mit ihrem Kind aus dem Haus entflohen.

Der Wärter hatte leichtfertigerweise das Fenster ihres Parterrezimmers mit seinem Patentschlüssel zu schließen vergessen.

War sie die Nachtigall gewesen, die im Parke sang, als die Totenglocke läutete?

Als ich verzweifelt in mein Zimmer zurückkehrte, hatte das Bild ohne Augen wieder seine Augen bekommen.

Es waren die Augen von Maria und Hyacinthe: ich wußte sie nicht mehr zu unterscheiden, da sie beide nicht mehr im Leben glänzten.

Der Mondstein, der die letzten Tage trübe geschienen hatte, strahlte wieder rein und klar.

Auch der Riß aus der kleinen indischen Marmorkatze war verschwunden.

Mein Blick fiel auf Yenkadi.

Und ich höhnte ihn:

Yenkadi! Yenkadi! Wir haben das Paradies auf Erden! Wie glücklich leben wir Menschen – ohne Schmerz – ohne Herz – ohne Not – ohne Tod – so selig leben wir dahin. Tag und Nacht ist eines, und Sonne und Mond sind die Fackeln unserer Feste. Wir lieben einander in Unschuld. Unsere Lippen reden kristallene Wahrheit. Unsere Hände verschlingen sich ineinander zum losen Reigen und unser Gesang lobpreist die Brüder und Schwestern: die heilige Hyacinthe und das fromme Kaninchen mit seinen sanften roten Augen, die süß singende Nachtigall und Maria: den Kranz der Sterne.

Yenkadi, schrie ich, ich habe dich geschaffen, Gott, und du hast mich verraten am ersten Tag, da du dich bewähren solltest. Wo ist denn deine Allmacht, he, du großmäuliger Götze? Wo deine Allgegenwart? Deine Allwissenheit?

Hyacinthe ist gestorben.

Du hast ihren holden Lebensodem verfliegen lassen, als wäre es dünner Opferrauch, wie er auf Deinen Altären zum Himmel steigt: aus dürrem Reisig, von kindischen Zauberern und unwissenden Medizinmännern, deinen fatalen Priestern, entzündet. Hyacinthe lächelt noch im Tode.

Du aber grinsest wie Prinz Karneval am Ascherdienstag. Marianne ist entflohen mit ihrem Kinde – meinem Kinde – Du hast es zugelassen.

Nun muß ich sie suchen in der Welt.

Du bist entlarvt, du leere Fratze, papierener Prahler.

Die indische Katze ist mächtiger als du.

Ich will an deine Stelle Marias Bild hängen mit den Augen Hyacinthens und zu ihr beten: der zwiefachen Göttin. Du aber: sei verflucht und verstoßen, verlacht und gänzlich vernichtet.

Ich riß Yenkadi von der Wand, entzündete ein Streichholz – in einer Sekunde ging er in Flammen auf.


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