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Das Wunder

Ich sah den Potsdamer Platz und eine bunte Menge sich auf ihm bewegen. Es war der Potsdamer Platz des Jahres 1921, aber die Menschen, die ihn bevölkerten, die aus Auto, Straßen- und Untergrundbahn stiegen, trugen griechische Trachten und Togen.

Ein Dominikanermönch brach sich durch die Menge Bahn, erhob laut seine Stimme und rief:

»Gott grüße Euch!«

Da blieben viele Menschen in ihren alexandrinischen Gewändern wie vor einem Straßenhändler mit Zigaretten oder Orangen stehen, und einer, es war ein Jüngling, sprach:

»Er grüße dich, ehrwürdiger Greis – falls es derselbe Gott ist, den du und wir meinen.«

Der Mönch erwiderte:

»Welches ist denn Euer Gott?«

Der Jüngling sprach:

»Es ist der Gott, dessen Tempel du dort stolz und steinern ragen siehst.«

Und er zeigte auf das Kaufhaus Wertheim und das Café Vaterland.

Der Mönch sprach:

»Es gibt nur einen einigen Gott: den Allmächtigen, Allgütigen, Allweisen – und ist kein anderer Gott neben ihm.«

Der Jüngling lächelte:

»Dein Alter verbietet mir, dich zu belehren, wie ich es täte, wenn du jünger wärst. Laß dir aber sagen, daß ich viele Götter kenne: den von Berlin, den von Yokohama, den von Moskau. Der von Moskau oder Yokahama hat keine Macht über uns; so wird also auch dein Gott, Fremdling – denn als ein solcher gibst du dich durch deinen Tracht zu erkennen – nichts für oder gegen uns vermögen.«

Der Mönch sprach:

»Es ist nur ein Gott, geoffenbart durch seinen Sohn, der vom Himmel zur Erde herniederstieg.«

Da drängte ich, der ich das Gespräch bis hier verfolgt hatte, mich durch den Kreis und schrie zum Mönch herüber:

»He, du schmutziger Affensohn, sieh zu, daß ich dich nicht an deinem unreinlichen Bart packe und scher dich weiter mit deinen kindischen Lügen.

Die magst du den hirnverlassenen Söhnen deines verkommenen Volkes vorreden, aber nicht den Jünglingen von Berlin, die durch die Schule der Weisheit gegangen. Hier ist die Erde – da ist der Himmel: ei, so laß doch deinen Gottessohn vom Himmel herniedersteigen. Ich sehe keine Leiter und keine Treppe, auf der ein solches möglich wäre.«

Da lachte die Menge.

Der Mönch aber kniete nieder, gerade unter der Normaluhr.

»Herr, Herr, sieh mich im inbrünstigen Gebet vor dir knien. Laß mich nicht zum Gespött deiner Feinde werden. Erleuchte sie mit der Fackel deiner Weisheit und tu ein Zeichen und Wunder, daß deine Kraft und Stärke und die Wahrheit meines Glaubens und meiner Rede geoffenbart sei. Herr, Herr, steig vom Himmel nieder und kehre ein in unsere Herzen ...«

– Da öffnete sich der Himmel.

Eine Treppe schien von ihm zur Erde herniederzuführen, auf der ein schöner Jüngling, die Arme segnend gebreitet, langsam herniederstieg. Es stieg die Treppe bis zur Erde, wo er plötzlich unter den Menschen verschwand und nicht mehr gesehen ward. Und eine Stimme schlug wie Donner aus den Wolken:

»Satanas – fahre von hinnen.«

Und ich floh, die Hände vor das Gesicht gepreßt, seitwärts.

Ich hörte noch die Schreie und Rufe der Menge:

»Wo ist der Gott, daß wir ihm huldigen? Er stieg vom Himmel zur Erde – und verschwand.«

Da tönte die Stimme des Mönches wie ein Klöppel, der gegen eine Glocke schlägt:

»Er ist mitten unter Euch ...«


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