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Amor und Psyche

»Die psychoanalytische Heilmethode,« sagte der Albino, »ist der reine Humbug. Heckmeck. Weil sie den biologischen Unterbau völlig außer acht läßt. Meinen Sie, daß ein Mann mit homosexueller Veranlagung, wenn man ihm seine verdrängten Komplexe nachweist und wenn man das unterste Bewußtsein wirklich zu oberst gekehrt hat: dann wirklich geheilt ist? Er wird Ihnen was husten. Er bleibt genau so homosexuell, wie er war. Man muß ihn operieren. Drüsenoperation. Darauf kommt es an. Acht Tage später zeugt er schon mit einer wahren Begeisterung das erste Kind. Betrachten Sie die Versuche von Professor Steinach an Ratten. Er hat männlichen Ratten weibliche Geschlechtsdrüsen eingesetzt und umgekehrt. Und automatisch stellte sich das »Seelenleben« um. Eine männliche Ratte nahm weibische, eine weibliche nahm männliche Manieren und Neigungen an. Ich bin Marxist. Die Psyche entspricht hier der Kultur im allgemeinen. Die Psyche ist nur der Oberbau auf der physischen, die Kultur der Oberbau auf der wirtschaftlichen Grundlage.«

Ich wagte einzuwerfen:

»Die Psychoanalyse scheint mir zur Erkenntnis künstlerischer Vorgänge immerhin nicht mehr entbehrlich.«

Der Albino runzelte die Stirn. Seine roten Augen wurden noch röter. »Gehen Sie mir mit der Kunst. Sowie Sie aufstehen können – zeigen Sie mal Ihren Puls: ausgezeichnet; und die Temperatur? Famos – wie gesagt, ich gestatte Ihnen dann Besuche in der Abteilung römisch drei. Da finden Sie auf ein paar Quadratmeter Raum Goethes, Schillers, Böcklins, Manets und Monets, Pindars und Hölderlins, Kokoschkas und Picassos soviel Sie wollen. Und der gesamte übrige kulturelle Oberbau ist reich vertreten: Loyolas, Hexen, Mönche, Sphinxe, Teufelsbeschwörer, Samurais, Wallensteiner, Höllenfürsten – was Sie wollen. Sogar der liebe Gott ist persönlich anwesend und erteilt Audienz von 2-4. Leider ist die medizinische Wissenschaft noch nicht so weit: aber eines Tages wird sie so weit sein: alle diese Burschen und Frauenzimmer brauchten nur irgendwo operiert zu werden, dann würden sie die brauchbarsten Menschen. Ich bin für Operieren und Einspritzen. Das ist die ganze ärztliche Weisheit. Chirurgie! Chemismus! Wenn Sie so weit sind, spritze ich Ihnen Tuberkulin ein, daß Ihnen Hören und Sehen vergeht.«

Schwester Hyacinthe lachte über sein grimmiges Gesicht. Sie wußte, man durfte dem Albino nicht mit Psychoanalyse kommen: dann wurde er wild. Das war sein Komplex. Als er aus dem Zimmer war, lachte auch ich.

»Siehst du« – Hyacinthe duzte mich und ich sie nur, wenn wir allein waren –, »heut ist ein wunderschöner Tag. Heut hast du zum ersten Male gelacht! Und aufstehen darfst du auch! Du bekommst einen Stock mit Gummispitze, einen Drücker, um die Tür zu öffnen und dann kannst du im Hause Besuche machen.«

»Ich höre immer noch die Nachtigall singen. Ich muß zuerst zu ihr gehen – ob es mir gelingt, sie aus dem Käfig zu befreien –«

»Vorläufig sitzt du selbst noch im Käfig«, neckte Hyacinthe.

Die Ader auf meiner Stirn schwoll an.

»Nun, nun«, sie küßte die Ader, die unter ihren Lippen dahinschwand.

»So schlimm war's nicht gemeint ...«


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