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Das Haus mit den Eselsköpfen

Geboren bin ich in dem Haus mit den beiden Eselsköpfen. Es steht in einer windschiefen Seitengasse der Stadt, mit dem Giebel nach vorn.

Wenn ich den Kopf zur Dachluke herausstreckte und mein Vater hantierte zufällig auf der Straße, schrie er:

Da stecken ja drei Esel die Köpfe heraus!

Ich zuckte die Schultern und lachte unhörbar.

Ich war weder beleidigt noch gekränkt. Ich hatte von früh eine zarte Zuneigung zu den grauen, gutmütigen aber auch boshaften Einhufern.

Als einst der Esel der Molkerei geschlagen wurde, warf ich mich zwischen ihn und seinen Peiniger und fühlte die Peitsche um meine Ohren sausen.

»Verrecken sollt Ihr Menschen«, schrie ich, »insgesamt verrecken.«

Ob meine Eltern mich liebten, weiß ich nicht. Vielleicht mein Vater. Meine Mutter haßte mich, denn sie hatte keine Kinder gewollt, und ich kam ihr sehr unerwünscht. Wenn ich bei Tisch saß und sie sprach mit mir, sprach und sah sie immer an mir vorbei.

Ich kann mich nicht entsinnen, je einen Blick von meiner Mutter empfangen zu haben, und noch heute weiß ich nicht, ob sie blaue oder braune oder schwarze Augen hatte.

Ich hatte einen Hang ins Weite, in die Ferne, in die Unendlichkeit – und einen Hang zum Nächsten, zur Enge, zur Geborgenheit.

Krieger war ich und Friedlicher zugleich.

Als ich fünf Jahre alt war, ging ich vor ein Spielwarengeschäft. Dort stand ein kleiner Esel auf Rädern. Ich zog ihn an seiner Schnur hinter mir her, marschierte durch die Stadt, über die Brücke, dann die Chaussee entlang.

Die Chausseearbeiter riefen mir Worte zu und nach, die ich nicht verstand.

Die Sonne brannte.

Ich marschierte, die Räder an den Eselsbeinen klirrten.

Ich wurde von einem Bauern aufgelesen, der zur Stadt fuhr und mich von des Vaters Geschäft her kannte.

Er hob mich samt meinem hölzernen Esel auf den Wagen und brachte mich heim.

Da ließ ich den Esel vor der Haustür stehen, ging auf den Boden und legte mich auf den Torf, der in einer Ecke aufgeschüttet lag. Es war dunkel wie in der Nacht. Ich schloß die Augen. Nun war ich nur noch durch Geräusche mit der Welt verbunden. Ein Hund bellte. Ein Kater fauchte. Der Flügel einer Fledermaus rauschte. Auf dem Hof klang der Mörser, den mein Vater stampfte. Wagen rollten. Erwachsene riefen sich allerlei sinnlose Laute zu. Kinder, nicht älter als ich, lachten und weinten.

Ich lag außerhalb dieser Welt, ganz für mich allein.

Nur die beiden Eselsköpfe und der verlassene hölzerne Esel auf der Straße, mein Statthalter draußen in der Welt, waren die Mitwisser meiner stummen Geheimnisse.

Sie aber verstanden zu schweigen – wie ich.


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