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Der Brief

Es klopfte.

Ich fuhr zusammen, verbarg das Bild im Bett.

»Wer ist da?«

Es war das Dienstmädchen Elise.

Ich ging zur Tür und öffnete.

Sie brachte das Frühstück und die Post.

Ich kroch sofort wieder in die Kissen.

Mir war unsagbar elend zumute.

Ich fühlte meinen Puls. Zweifellos hatte ich Fieber. Es war das vernünftigste, im Bett zu bleiben. Dieser verdammte Blutsturz gestern abend. Man hält auch gar nichts mehr aus.

Unter den Briefen waren Geschäftsbriefe, darunter einer, ob ich für 8000 Mark im Monat am Kabarett »Fledermaus« in Königsberg gastieren wolle. Das Engagement ging nun auch zum Teufel, und ich hätte die 8000 Mark so gut brauchen können, Herrgott, nicht mal einen anständigen Anzug hat man mehr.

Ein anderer Brief: ein Lehrer aus Schmachtenhagen, Kreis Krossen, bat mich um ein Autogramm. Der Lessingbund in Braunschweig, die Sternwarte in Mannheim, die Literarische Gesellschaft in Nürnberg und die Bücherstube Esplanade in Hamburg fragten an, ob ich bei ihnen lesen wolle »aus meinen Werken«. Aus meinen Werken. Diese Couplets, die ich da verfertige, nennt man also Werke. Mir wird übel. Wenn diese Gesellschaft und diese Gesellschaften wüßten, was alles mein Werk ist, aus dem ich nicht lesen werde, weil ich es selbst nicht zu entziffern vermag.

Ich schreibe Hieroglyphen.

Schließlich fand ich noch einen Privatbrief:

»Herrn ......t«

Wahrscheinlich von einem Mädchen, der Orthographie zufolge. Und ich öffnete:

Berlin,........Krankenhaus Station 2, Zimmer 20.

Teile Ihnen hierdurch mit, daß Fräulein Marianne hier im Krankenhaus liegt. Fräulein Marianne hätte selbst geschrieben, hat aber hohes Fieber. Besuchszeit: Mittwoch, Sonnabend und Sonntag 2–3.

Mit bestem Gruß

für Fräulein Marianne

Die Unterschrift war unleserlich.

Meine Augen begannen wieder, sich rosa zu verschleiern. Ich besann mich vergebens, wie ich zu diesem Brief käme und wer dieses Fräulein Marianne sein solle. Ich hatte viele Frauen lieb gehabt, vielleicht war Fräulein Marianne unter ihnen. Vielleicht erinnerte sie sich meiner, da es ihr schlecht ging. Ich würde ihr 50 Mark schicken, natürlich. Gott, von 50 Mark kann man selbstverständlich keine Sprünge machen heutzutage, aber sie soll wenigstens meinen guten Willen sehen.

Da durchfuhr es mich, wie eine Ahnung, blitzschnell: Station 2, das ist die Station, wo die Wöchnerinnen liegen. Diese Ahnung trog mich nicht, gewiß nicht.

Ich, selber eine Ausgeburt der Hölle, von Pluto, dem Höllenfürsten in eigener Person teuflisch gesegnet und geweiht, hatte wieder einmal ein Kind in die Welt gesetzt, ein elendes Kind in diese gottverfluchte Welt, in diesen eitrigen Abszeß einer (vielleicht vorhandenen) wahren Welt.

Aber wer war die Mutter?

Marianne ... Marianne ... ich wiederholte völlig sinnlos dreißigmal den Namen, ohne daß er mir bekannter oder vertrauter geworden wäre. Ich hatte das letzte halbe Jahr geliebt wie nur je in meinem Leben.

Weil ich mich von ihr befreien wollte.

Und sicher war auch der gestrige Blutsturz eine Folge dieser wahnwitzigen Ausschweifungen: denn, nicht genug gesättigt von einer Frau, hatte ich an manchen Tagen zwei, drei Frauen umarmt. Im Auto. Im Hausflur. Im Tiergarten. Ich hatte mir selten die Mühe gemacht, sie mit nach Hause zu nehmen. Es war unmöglich, ihre Namen, ja auch nur ihre Gesichtszüge zu behalten. Vor einigen Wochen lernte ich auf einer Abendgesellschaft eine Dame kennen, die nach dem Essen, als wir uns in eine Ecke des Wintergartens zurückgezogen, eine Vertraulichkeit mir gegenüber an den Tag legte, die mich entzückte, aber befremdete. Erst nach einer Weile begriff ich, d. h. ich erinnerte mich: ich hatte mit der Dame einmal eine Nacht geschlafen, es aber völlig vergessen.

Wer war die junge Mutter im Krankenhaus?

Kontoristinnen, Schauspielerinnen, junge Damen der sogenannten Gesellschaft, Dienstmädchen, Plätterinnen, Chansonetten, fünfzehnjährige Mädchen, verheiratete Frauen und Mütter zogen in langer Reihe an mir vorüber: Wer war es?

Ihre Gestalten waren schattenhaft, undeutlich ihre Gesichter, ihre Namen hatte ich vergessen, nur manchmal blitzte ein Name auf wie: Lotte, Lilly, Anny, Grete – nur eines wußte ich:

Daß ich sie alle geliebt hatte, nicht wie man Puppen oder Glasperlen, sondern wie man Sterne und Tiere und Blumen liebt.


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