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Die Mondnacht

Ich erwachte unter Beklemmungen.

Der Mond schien fahl in das Zimmer und bestrahlte den weißen Götzen auf schwarzem Grund, daß er wie Radium leuchtete. Seine aus zwei Streichholzkuppen bestehenden Augen glotzten, und er stemmte seine Arme, als wolle er das Bild verlassen und zu mir herniedersteigen.

Da begann ich mich vor meiner eigenen Schöpfung zu fürchten. Yenkadi war schon immer in meiner Seele gewesen. Yenkadi war nur jetzt ans Licht getreten – weil er es wollte. Yenkadi hatte meine Taten und Untaten mitangesehen. Yenkadi kam, um Rechenschaft von mir zu fordern. Yenkadi sprach:

Ich war schon, ehe du warst, und ich werde sein, wenn du nicht mehr bist. Erinnerst du dich, als du geboren warst und zum erstenmal die Augen aufschlugst: stand ich, Yenkadi, nicht da und beugte ich mich nicht über dich? Was ist aus dir geworden, daß du mich Jahre und Jahrzehnte vergissest – bis du mich eines Tages aus weißem Glanzpapier schneidest – und siehe, ich bin wieder offenbar! Aber ich war immer in dir und war allgegenwärtig. Ich ging durch den Wald, als du Maria zum erstenmal im Farnkraut umarmtest. Warum riefest du nicht meinen Namen, den Namen deines Gottes: Yenkadi: es wäre dir vieles erspart geblieben.

Ich schlug dir die Vorhänge zum Brautbett zurück. Du aber achtetest meiner wiederum nicht. Und in jener Nacht der Nächte, da das Blut zu fließen begann: du schwiegst und riefest nicht: Yenkadi! Yenkadi! –

Ich fühlte kalten Schweiß auf meiner Stirn.

Ich wollte schreien, aber ich vermochte nur zu röcheln: Schwester! Schwester!

Im Mondlicht stand Schwester Hyacinthe vor mir und neigte sich über mich, wie einst Yenkadi über meine Wiege. Sie hatte die blonden Haare gelöst und stand im weißen Hemd da.

Und als ich sie stehen sah:

Da sah ich, daß nicht sie es war.

Es war Maria.

Im Totenhemd stand sie da, so silbern bleich. Die Binde hatte sie vom Kinn gelöst und trocknete mir den Schweiß von der Stirn.

»Warum fürchtest du mich? Und dich? Ich bin bei dir alle Tage und Nächte.«

Ich hob die Arme in den Mond. Der Mond und sie: das war all eines. »Bin ich nicht wahnsinnig geworden vor Sehnsucht nach dir, du Glänzende, du milder Strahl, du kühles Kind? Bist du wieder da, mich zu erlösen und meiner Liebe eine Sinn und meinem Leben einen Zweck zu geben?

Komm! Komm in meine Arme! Komm zu mir ins Bett! Kühle mit deinen kühlen Brüsten mein brennendes Herz, mit deinen Schneelippen meine brennenden Augen! Halte die Fackel meines Schicksals stets fest in deiner guten Hand! Liebe mich! Geliebte Schwester!«

Sie saß an meinem Bett und strich mir über die Stirn.

»Ich darf nicht, mein heißer Junge: du hast Fieber! Und wenn ich dich lieben würde und du bekämst in meinen Armen einen neuen Blutsturz – was würde der Arzt sagen? Und wie würde ich diesen verbrecherischen Leichtsinn verantworten vor mir?«

»Engel!« schrie ich. »Ich habe dich gemartert – und du, du liebst mich dennoch und liebst mich über alle Begriffe und Maßen.«

Sie drückte einen sanften Kuß auf meine Lippen:

»Schlaf, Liebling, du mußt schlafen. Du darfst auch nicht mehr sprechen. Du sollst doch gesund werden.« Und sie begann leise zu singen:

»Schlaf in süßer Ruh,
Schließ die Augen zu.
Höre, wie der Regen fällt,
Wie des Nachbars Hündlein bellt.
Hündlein hat den Mann gebissen,
Hat des Räubers Kleid zerrissen.
Räuber eilt der Pforte zu.
Schlaf in süßer Ruh.«

In der Nachbarschaft bellte ein Hund.

Die kühle Hand auf meiner Stirn tat so gut.

Ganz leise schlug irgendwo eine Nachtigall.

Sie schlug noch wie streifendes Weidengebüsch in meinen strömenden Traum.


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