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Der Tänzer, der General, der Herr von Adel wohnten in einem kleinen Saal neben meinem Zimmer. Der Albino gestattete mir eines Tages einen Besuch bei ihnen. Ich ließ mich vom Wärter in einem Sessel hinübertragen. Der Tänzer marschierte wie ein preußischer Grenadier durch den kleinen Saal. Eins, zwei. Eins, zwei. Der Herr von Adel spielte auf dem Waldhorn den Hohenfriedberger Marsch. In einer Ecke stand der alte weißhaarige General Exzellenz und nahm die Parade ab. Er hatte eine blaue Friedenslitewka an und rote Biesen an den grünen Zivilhosen. Er hatte sich die roten Biesen aus abgelegtem Fahnentuch verfertigt und selbst angenäht. Der Tänzer hielt plötzlich inne und nur sein Schatten marschierte noch weiter. Der Herr von Adel setzte das Horn ab. Der General hüpfte, als galoppiere er mit einem Pferde unter sich die Schlachtfront einer Division ab. Dazu wieherte er, um die Illusion eines feurigen Araberhengstes hervorzurufen, den er zwischen seinen Schenkeln wähnte. Plötzlich zügelte er sich und hielt Kritik ab. »Meine Herren«, schrie er, und sein Gesicht glänzte krebsrot wie seine Biesen, »meine Herren, der Parademarsch heute war eine Schweinerei ...« Der Tänzer war mit sich beschäftigt. Er tat, als ob er einen Telephonhörer von der Wand nahm und sprach in die Wand hinein: »Fräulein ... Fräulein ... bitte verbinden Sie mich mit dem nördlichen Friedhof ... Ist dort nördlicher Friedhof? Ach, wollen Sie nicht so gut sein und die verstorbene Frau Gela Krestinski an den Apparat rufen? Bitte ja? Süße, bist du da? Ich liebe dich, liebe dich mehr denn je ... Du frierst? Es war so kaltes scheußliches Wetter, gell? Soll ich dir eine Decke schicken ... die bunte Seidendecke aus Italien?« Er schluchzte unhörbar. Der Herr von Adel, der nur das Wort Italien gehört hatte, spielte auf seinem Waldhorn »Du mein Sorrent!« Dem General tropften dicke Tränen aus den Wimpern. Die Türe, die innen keine Klinke aufwies, sprang leise auf, und ein Mann in blauweißgestreiftem Kittel erschien mit einem Tablett. »Meine Herren, das Essen!« Der Herr von Adel, verfressen wie immer, stürzte sich auf die dampfenden Schüsseln. Der General, noch gieriger wie er, aber disziplinierter, folgte gemessen. Nur der Tänzer blieb am Fenster stehen. Er schrieb mit spitzem Finger »Gela« auf das Fensterglas. Draußen, im Schnee, tanzte ein Rabe. Der Tänzer versuchte, das stelzende und hüpfende Tier zu imitieren. Er schritt die ersten Figuren seines Rabentanzes, der später, nach langen Jahren, zu seinen berühmtesten Tänzen zählen sollte. »Herr Krestinski«, sagte der Mann im blauweißgestreiften Kittel, »das Essen wird kalt!« Dann zuckte er die Achseln und ging. Der Herr von Adel kaute mit dicken Backen. Der General zermalmte mit knirschenden Kiefern ein gebratenes Huhn samt Knochen und Knöchelchen. Der Tänzer tanzte noch immer am Fenster mit seinem Partner, dem Raben.


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