Klabund
Spuk
Klabund

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Morphium

Der Inhalator zischte. Weißer Mentholdampf floß singend aus gläserner Trompete. In Tropfen hing er sich an die Decke des Zimmers, die sich feucht mit ihm besternte. Auf verstellbarem Bettisch schob die Schwester den Apparat an mich heran, dem sie ein Kissen in den zerfallenen Rücken stülpte. Unregelmäßig, von Hustenanfällen unterbrochen, sog ich die heiße Wolke in die Mundhöhle und stieß sie wieder aus. Meine Brille beschlug sich. Das Zimmer löst sich lächelnd. Wie ein weicher Watteballon wirbelte die Schwester im Reigen entrahmter Bilder, torkelnder Thermometer, entstielter Rosen, inhaltsloser Bücher, aus denen die Druckerschwärze fortgewischt war. Leere Seiten schlugen sich selbsttätig um.

»Zehn Minuten«, sagte die Schwester, »es ist genug«.

Ich sank aufatmend zurück.

Die Tür öffnete sich geheimnisvoll und unhörbar, wie eine Rosenblüte, und der Albino wurde sichtbar. Er wölbte sich bis ans Bett. Sein brauner Anzug schepperte, als wäre er von Blech. Der weiße Bart hing ihm wie eine spitze Zuckertüte am Kinn. Seine roten Augen fielen wie Franzosenkäfer auf die Bettdecke.

Mit sicherer Faust packte er den Puls.

»Wie gehts?«

Vor meiner Brille verdampfte die Feuchtigkeit: verklärter zeigte sich die Welt. Die Bilder einiger schöner Frauen, die ich geliebt, staken wieder im Rahmen. Eine hielt den Kopf in die Hand gestützt, als wäre ihr die Erde zu schwer, sie ohne Stütze auf dem Haupt zu tragen. Eine andere blinzelte heiter mit den Olivenaugen. Eine aber hielt zwei Kinder auf dem Arm: ein hell gekleidetes, zartes Mädchen und einen blonden Buben im Matrosenkleide. Sie aber, die Mutter, sah selber noch wie ein Kind aus und schien das dritte der Geschwister.

Mein Blick fiel auf die gelben Rosen. Sie wiegten sich lebendig auf ihren Stielen. Das Thermometer, das der Arzt mir aus der Achselhöhle zog, zeigte eine klare Zahl.

Das Leben war zuweilen so qualvoll bündig und bestimmt. »39,1«, sagte der Albino zur Schwester, die sich entschuldigend in den Hüften drehte.

Ich blickte auf den Arzt. Ein guter Mann! Wie er rundlich gleich einem Ballon im Raume schwebte! Er war gewiß gewillt, den Brand zu löschen, die Mauern zu stemmen, daß das Haus nicht bröckle. Nunmehr krempelte er die Ärmel auf. Rötliche Haare sprossen, heidekrautartig, am Unterarm hervor.

Er trat zum Tisch, entfaltete ein Etui. Wusch die Spitze des Injekektionsapparates mit Eau de Cologne.

Die Schwester schlug die Bettdecke zurück, und der Albino sagte: »Na also, strecken Sie mal das rechte Bein aus.«

Schmerzlos fuhr mir die Spitze ins gelbliche Fleisch, das sich über der injizierten Flüssigkeit winzig bauchte. Der Albino wusch sich und entschwebte. Die Schwester bedeckte mich mit dem Plumeau. Dann hörte man sie auf dem Gange mit dem Assistenten zwitschern.

Im Zimmer unter mir gelegen begann ein Grammophon zu rasseln. Ein Onestep, den Gelächter begleitete.

Ich richtete mich auf, ich rutschte aus dem Bett und stand mit schwankenden Knien im Zimmer. Ich war aus mir herausgetreten, und willig reihte ich mich in den Reigen der Dinge und ihnen gleichberechtigt ein. Ich trat neben die langgestielten Rosen auf dem Waschtisch, gleichen Wesens bedacht. Die Zentralheizung wärmte nicht mich, nur sich. Ich heizte mich selber. Die Bilder an den Wänden gaben sich schwesterlich zu erkennen: nicht als leibliche Frauen, als Bilder im Rahmen, gleichwie ich ein Bild in hölzern vergoldetem Rahmen war, oben und unten gehalten und gestützt und schächerhaft an die Wand genagelt. Immer kamen auf einen Christus Millionen Schächer.

Das Grammophon klingelte lustig wie eine Straßenbahn. Den Wagen dieser Töne betrat ich träumerisch zu ferner Fahrt. Ich hob die Füße, mit den Händen mußte ich die Hose meines violetten Pyjama halten, daß sie nicht falle und mich am Schreiten hindere. Immer höher stieg ich und bestieg die Wendeltreppe, die mich auf das Verdeck des Wagens führte. Dort ließ ich mich nieder und sah die Stadt steil unter mir. Rauch lag moosig über den Fabriken. Benzingeruch erfüllte die sonnige Luft. Der Fluß glänzte im beglückenden Bewußtsein des Ziels, nach dem es ihn strömend trieb. Kräne bewegten sich wie eiserne Arme auf und nieder. Bald zeigte ein Arm zum Himmel, bald zur Erde. Bald zum Fluß. Glocken klangen von allen Kirchen. Im Chor ihrer Gesänge erhob ich mich vom oberen Verdeck, grad als der Autobusschaffner mir das Billet hinreichte, und schritt, den Kopf zurückgeworfen, strahlend quer durch die Luft.


 << zurück weiter >>