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Die Chinesin

Eines Abends, als ich nicht wußte, was ich mit mir und der Welt anfangen sollte, fand ich in der Nähe des Krögels vor einer Schenke sonderbare farbige Papierstreifen und Laternen hängen. Ich trat näher, sah ein blasses Mädchen (auf einem dieser Papierstreifen), das zu einem furchterregenden Krieger zärtlich aufblickte. Und zwischen beiden lief einen mir unverständliche Schrift. Es handelte sich um das Aushängeschild einer chinesischen Gaukler- oder Schauspielertruppe. Ich trat durch einen schmalen feuchten Gang. Es öffnete sich ein Saal: und auf der primitiven, kulissenlosen Bühne sah ich dasselbe Schauspiel, das ich schon auf dem Plakat gesehen: ein blasses Mädchen kniete vor einem furchterregenden Krieger, der ein Schwert schwang, zärtlich nieder. Sie erhob sich in diesem Moment, trippelte an die Rampe, und fast schien es, als sage sie es mir, was sie dann in einem unverständlichen Idiom in das Publikum seufzte und zwitscherte und lächelte. Und obgleich ich ihre Sprache nicht kannte, verstand ich alles; sie versuchte mir klarzumachen, daß sie jenen furchterregenden Mann mit dem Schwerte liebe, daß er der Henker sei, der sie auf Befehl des Mandarinen töten müsse, daß sie aber gern von seiner Hand sterbe und daß sie ewig als Vogel am Morgen, als Schmetterling am Mittag, als Fledermaus nachts um seine Stirn schwirren werde. Dann trippelte sie zurück, kniete nieder, der Henker schlug wortlos zu – – ein Schrei des Entsetzens im Publikum, ich fiel kalkweiß an eine Säule; der Kopf rollte über die Bretter, Blut spritzte über sie, der Vorhang fiel. Natürlich war es irgendein Gauklerstück. Aber ich war so benommen, daß ich auf den Hof trat. Ich dachte daran, wie ich einst das Kaninchen, wie ich Maria getötet hatte. War ich nicht der Henker gewesen, der auf der Bühne sein Krummschwert schwang – nicht auf Befehl des Mandarinen: auf Befehl des eigenen Herzens?

Da stand die kleine Chinesin am Bühnenausgang und sah in den Mond, der hoch im Raume hing. Sie sah so bezaubernd, so unirdisch aus, als sie den Kopf zu mir wandte und mich wortlos wie ein Tier, gefühl- und gedankenlos betrachtete. Ich trat näher und richtete ein paar englische Worte an sie. Sie schüttelte den Kopf. Ich wußte nicht, was ich tun sollte, das Herz schlug mir bis in den Hals. Ich ergriff ihre Hand, und wie sie eben vor dem Henker, kniete ich vor ihr nieder. Und ich küßte diese zarte, gebrechliche Hand: leise.

Drinnen klang ein Gong. Sie entschlüpfte. Ich war allein. Ich ging nach Hause.

Schlaflos lag ich in meinem nach Teer riechenden Zimmer neben dem Mädchen und im Dunkel sah ich die kleine Chinesin, wie sie vor dem Henker, der ihr Geliebter war, kniete. Damals erdachte ich mein erstes chinesisches Gedicht. Es war ganz kurz, das, was die Japaner Hokku nennen:

Du liebst den Henker.
Täglich mordet er dich.
Ewig fließt dein Blut.
Du aber lächelst.

Am nächsten Abend war ich wieder zur Stelle. Als ich eintrat, spielten sie eine kleine Komödie: ein Student liebt die Verkäuferin einer Parfümeriehandlung. Er kann ihr seine Liebe nicht gestehen, da immer eine abschreckend häßliche alte Frau, die Inhaberin des Ladens, dabei ist. Endlich gelingt es ihm, dem Fräulein – es wurde von meiner kleinen Chinesin dargestellt – einen Zettel zuzustecken: heut Abend im Tempel da und da! Sie lächelt Gewährung. Zweites Bild: soll den Tempel darstellen. Der Student beim Zechen mit einem alten Bonzen. Er erwartet sein Fräulein. Sie kommt nicht. Die beiden Zecher werden müde. Sie schlafen Arm in Arm ein. Da erscheint, mit einer kleinen Papierlaterne, das Fräulein. Sie beugt sich über die Schläfer. Ihr Gesicht verzieht keine Miene. Sie streift einen ihrer Pantoffel vom Fuß und legt ihn dem Studenten in den Schoß. Entschwindet mit ihrer Laterne wie ein Glühwurm. Der Student erwacht, reibt sich die Augen, findet den Pantoffel und ist untröstlich. Vorhang. Ich trat auf den Hof. Da stand die kleine Chinesin wieder. Ich überreichte ihr einen Busch Mimosen, den ich in einer Blumenhandlung für sie entwendet hatte. Sie schien zu lächeln. Dann ergriff sie meine Hand für eine Sekunde. Als ich am nächsten Abend wieder kam, sah ich die bunten Papierstreifen und Lampions nicht mehr. In dem Saal, wo gestern noch das hübsche Märchen von dem Pantoffel sich abgespielt hatte, schwoften Kommis, Arbeiter, Soldaten und wilde Weiber.

Ich ging zum Wirt, der dick hinter seiner Theke thronte. »Wo sind die Chinesen?«

»Abgereist heute früh. Übrigens sind Sie der, der gestern dem Star des Ensembles den Mimosenstrauß brachte?«

Ich bejahte herzklopfend.

»Ich habe etwas für Sie.«

Er gab mir ein kleines Paket.

In einer Ecke bei einem Glas Hellen öffnete ich. Zwei winzige Pantoffeln lagen darin und ein Zettel, auf dem geschrieben stand: Mai Lung Fang grüßt Sie. Mai Lung Fang diktierte diese Worte einem Freund für Sie. Mai Lung Fang liebt Sie, wie Sie Mai Lung Fang. Mai Lung Fang liebt die Kunst und die, welche die Kunst lieben. Friede und Glück sei mit Ihnen!«

Ich stürzte zur Theke.

»Wissen Sie nicht die nächste Adresse von Mai Lung Fang? Wohin ist sie?«

Der Wirt krauste die Stirn:

»Mai Lung Fang? Mai Lung Fang? Das war doch der junge Chinese, der die reizenden Mädchenrollen spielte? Und täuschend ähnlich. Ein entzückender Bursche! Wer's nicht wußte, konnte ihn nicht von einem Mädchen unterscheiden. Denken Sie, hier war ein junger Matrose, der sich sterblich in Mai Lung Fang verliebte, weil er sie für ein Mädchen hielt ...«

Er prustete wie ein Seehund.

Ich spürte im Herzen einen leisen Stich.

Es war scheußliches Wetter geworden. Der Regen klatschte an die Scheiben. Und im Rhythmus der rollenden Tropfen formte sich mir ein anderes Hokku:

Der Regen rinnt.
Ich liebte ein Phantom.
Die Wolken wehen –
Wohin weht mich mein Schicksal?


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