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Yenkadi

Jeden Morgen punkt elf Uhr erschien der Albino.

Er ließ sich meine Temperaturtabelle geben und runzelte die Stirn oder rülpste bedächtig.

»Gestern Abend 38,9, heute morgen 38. Das ist viel zu viel. Verdauung gehabt?« Die Schwester antwortete statt meiner:

»Jawohl.«

»Pyramidon?«

»0,6.«

»Dionin?«

»Dreimal 0,02.«

»Nachtschweiß?«

»Zweimal das Hemd gewechselt.«

»Der Patient erhält hauptsächlich flüssige und geléeartige Speisen in möglichst kaltem Zustand: eisgekühlte Milch, Mondamin, Hühnergelée.«

»Jawohl.«

»Blut?«

»Noch im Auswurf vorhanden.«

»Falls sich der Anfall erneuert: Eisblase auflegen und dreimal 25 Tropfen Liquidsaft.«

»Jawohl.«

»Das Sputum ist untersucht?«

»Gaffky 5.«

»Schön. – Auf Wiedersehen.«

Der Albino gab mir die Hand und tätschelte mir täppisch die Stirn. –

Da ich nicht lesen durfte, besorgte die Schwester mir Klebstoff, Glanzpapier in allen Regenbogenfarben und eine Schere.

Und ich begann auszuschneiden:

Zuerst Ornamente der verschiedensten Art, die klebte ich weiß auf schwarz, oder grau auf rosa, oder blau auf gold.

Dann entstand ein Negergötze, den hing ich an die Wand über meinem Bett und betete ihn an und nannte ihn:

Yenkadi.

Es war ein weißer Götze: weiß auf schwarz.

Denn die schwarzen Menschen haben weiße und die weißen Menschen haben schwarze Götzen.

Yenkadi aber ist ein Wort vom Senegal, das besagt:

Hier ist es gut! Hier laßt uns Hütten bauen!

Hier ist das Paradies!

Der Albino lachte über Yenkadi, als er ihn neben der Klingel überm Bett hängen sah.

»Drücken Sie nur nicht einmal aus Versehen auf Yenkadi anstatt auf den Klingelknopf. Sonst stürzt vielleicht der Himmel ein ...«

Schwester Hyacinthe aber sah zuweilen mit fragenden Augen auf den Götzen, als wisse sie mehr von ihm oder als erbitte sie eine Antwort.

Und ich ging zur freieren Gestaltung meiner Papierbilder über. Gold, Blau, Silber, Schwarz, Rot, Grün, Gelb schlang und verschlang sich in chaotischen Flecken, Dreiecken, Prismen, Kreisen, Arabesken, und die Gebilde, die sich bildeten erinnerten an phantastische Insekten, Libellen und Tiefseefische oder an Urtiere, wie ich ihnen bei meinem Gang durch den wunderlichen Wald begegnet war. Ein Elefant war darunter, der trug an Stelle der Stoßzähne zwei Sägefische, an Stelle der Ohren zwei riesige Quallen, an Stelle des Schwanzes einen Aal. Und seine Augen waren zwei Seesterne.

Ich schnitt aber auch ein Gemälde, das bestand aus lauter Zeitungsausschnitten wie: »Die Schiebertante aus Amerika! Damen sparen Geld! Gelber Hund entlaufen! Maul- und Klauenseuche! Wir retten Ihre Haare! Inventurausverkauf: Universum 1921.«

Solche Bilder waren sehr merkwürdig anzusehen. Auch schnitt ich Köpfe von Männern ab und setzte sie auf Frauenleiber und umgekehrt. Ein Staatsmann bekam die schönen Beine einer Tänzerin. Deren Kopf wurde einer Hyäne angesetzt. Der Hyänenkopf aber einem General.

So spielte ich Schöpfer.

So spielte der Teufel lieber Gott.


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