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Der Saal der Mütter

Von Hyacinthe gestützt, machte ich mich auf, den Saal der Mütter zu besuchen.

Wir schritten durch ein Gewirr von Gängen, als wären wir in eine jener Jahrmarktsbuden geraten, die den Namen Labyrinth führen.

Schreie wiesen den Weg.

Sie nahmen an und zu wie Ebbe und Flut.

Endlich waren wir angelangt.

Saal 28.

Über dem Saaleingang zwei Sprüche:

Was Gott tut, das ist wohlgetan,

und

Lasset die Kindlein zu mir kommen!

Hyacinthe öffnete die Tür.

Da lagen in langen Reihen die unehelichen Mütter, immer acht in einer Reihe; an den Fußenden der Betten standen kleine Kisten, da lagen, quietschend und kreischend, ihre Kinder: rot wie Krebse oder blaß wie weiße Mäuse. Zuweilen wergelten zwei in einer Kiste. Auf der einen Seite des Saales schloß sich ein Operationssaal, auf der andern grenzten die einige einbettige Zimmer an. In einem von diesen sang die Nachtigall.

Ich klinkte leise auf.

In dem Zimmer lag, selber noch ein halbes Kind, ein kaum sechzehnjähriges Mädchen.

Es war Marianne.

Die Augen hatte sie geschlossen.

Zwei dicke lange blonde Zöpfe hingen aus dem Bett heraus bis fast auf den Fußboden.

Das Kind in der kleinen Kiste schlief.

Man hörte seine regelmäßigen Atemzüge.

An ihrem Bett saß der Teufelsbeschwörer.

Er hielt einen Moment in seinem lateinischen Phrasenschwall, der ihm von den Lippen floß, inne und wandte sich mir zu:

»Sie ist vom Teufel besessen! Die Nachtigall, die aus ihr singt, das ist der Teufel!«

Dann begann er wieder, den Teufel zu beschwören:

»Propter quam causam ingressus es in corpus huius virginis?«

Und eine dumpfe Stimme, die aus dem Mädchen zu sprechen schien, antwortete:

»Amoris causa.«

»Per quod pactum?«

Die Stimme im Mädchen zögerte:

»Per animal.«

Der Teufelsbeschwörer drang in sie:

»Qualis?«

»Luscinia.«

»Quis misit?«

Die Stimme im Mädchen zögerte wiederum.

»Markus.«

Ich hielt den Atem an.

Markus ist mein Vorname.

Der Teufelsbeschwörer frug weiter:

»Dic cognomen!«

Die Stimme schwieg. Sie schien den Namen nicht verraten zu wollen.

Er wiederholte die Frage:

»Die cognomen!«

Da sprach sie leise meinen Namen ...

Der Teufelsbeschwörer sprang vom Bett auf.

Er reckte das Kreuz gegen mich:

»Ach! daß es doch endlich an den Tag kommt! Entsetzlicher! Du bist der Teufel in eigener Person! Satanas! Dich hat Pluto, der Höllenfürst, ausgesandt, dies Mädchen zu verlocken und zu verderben. Erinnerst du dich, wie du vor seinen Thron tratest, das Knie beugtest, über das der rote Mantel sich bauschte und Pluto sprach: Mir ist berichtet von einem Mädchen, Marianne geheißen. Sie ist über alle Begriffe schön und sanft. Ihr Wille will das Gute, aber ihre Jugend ist beschwert mit Ahnungen, Wünschen und Gedanken. Sie ist Wachs in der Hand eines entschlossenen Formers. Mich wandelt ein heftiges Verlangen an, diese Seele zu besitzen und ganz mein eigen zu nennen. Da neigtest du das Knie, und der rote Mantel rauschte: Ich werde es an keiner Verführung mangeln lassen. Pluto wird seinen untertänigsten Diener loben. – Von dir, von dir ist die Unselige besessen. Du sandest ihr die Nachtigall. Unbewußt hat sie deinen Namen genannt, den aus Scham allzulange ihre Lippen verschwiegen, gezwungen von der feierlichen Beschwörung. Und dieses Kind, das hier in der Wiege liegt, im tiefsten Schlafe ahnungslos, unwissend des Schicksals das ihm bevorsteht: es ist ein Teufelskind, es ist dein Kind ...«

Hyacinthe war erbleicht von dem Fanatismus seiner Rede. Er schwang das Kreuz gegen mich.

Ich brach am Bett, vor der Wiege, zusammen:

»Ja, ich gestehe es, ich schreie mein Geständnis heraus: ich bin der Teufel. Ich habe die Schönheit und Güte gemordet, die Keuschheit und Sanftmut geschändet. Ich bin nicht wert, daß dieses Wesen mich geliebt, nicht wert, daß mich Maria in ihren Händen hielt, daß Hyacinthe um meinetwillen erbleicht und errötet ...«

Der Teufelsbeschwörer schwang das Kreuz von neuem:

»Adora Deum tuum, creatorem tuum!«

Und ich sang inbrünstig:

»Adoro, adoro ...«


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