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Das Armband

Nach acht Tagen verließ ich das Mädchen.

Sie gab mir die Hand, sah mir noch einmal in die Augen und küßte mich sanft auf den Mund.

Ich ging durch die Straßen und wiederum wußte ich nicht, wohin mein Weg mich führen würde. Ich war von oben bis unten verlaust. Aber ich hatte zu den Läusen schon jenes kameradschaftliche Verhältnis der Armen und Elenden gewonnen, denen Wanze, Laus und Ratte bessere Geschwister sind als die Menschen.

Ich irrte durch die Straßen. Ein Junge flüsterte mir ins Ohr: »Wollen Sie Ihr Glück machen?« Ich nickte. Er zog schmutzige Zettel aus der Tasche, auf denen mit Bleistift Nummern gekritzelt waren. Er sprach: »Das Los kostet fünf Mark. Vater hat die Lotterie. Da im Haustor. Hauptgewinn fünfzig Mark. Nehmen Sie ein Los.« Ich hatte kein Geld, mein Glück zu machen.

Ich strandete vor der Auslage einer Buchhandlung und sah, ob Bücher von mir ausgestellt seien. Ich las: »Richtig Deutsch für Militäranwärter«, »Das deutsche Gaunertum in seiner sozialpolitischen, literarischen, linguistischen Ausbildung«, »Rotwelsch für Anfänger«. »Der neue Pitaval« war aufgeschlagen. Ich las die Kapitelüberschrift: »Das Geständnis.« Es war mein Geständnis. Es war schon gedruckt.

An hellerleuchteten Schaufenstern blieb ich stehen und betrachtete interessiert die Auslagen der Ledergeschäfte und Juweliere.

Ich bewunderte einen Koffer. Echt Vulkanfibre.

Wenn ich verreiste? Ein Knotenstock in einer Stock- und Schirmauslage brachte mich auf den Gedanken der Wanderschaft.

Wenn ich auf die Wanderschaft ginge?

Ich war zum Tippeln noch nicht zu alt.

Hunde bellten.

Ein Polizist blökte mich an:

»Bleiben Sie doch hier gefälligst nicht mitten auf dem Fahrdamm stehen.«

Im Schaufenster eines Juweliergeschäfts lenkte ein sonderbarer Schmuck meinen Blick auf sich.

»Achtung! Sensation! Gelegenheitskauf!

Armband aus echten Menschenaugen!«

Es peinigte mich die Zwangsvorstellung, den Preis dieses Armbandes zu erfahren.

Also war der Mann mit dem Karren es doch seinerzeit losgeworden. Verlumpt und verkommen wie ich war, betrat ich das elegante Geschäft.

Der Geschäftsführer machte Stielaugen.

Ich stotterte:

»Ich wüßte gern den Preis des Armbandes aus Menschenaugen in der Auslage.«

Der Geschäftsführer musterte mich von oben bis unten:

»Verlassen Sie gefälligst das Lokal.«

Im Hinausgehen hörte ich:

»Der Strolch baldowert eine Gelegenheit zum Einbruch aus.«

Ich blieb wieder vor dem Schaufenster stehen.

»Diese Augen da«, sann ich, »sind Marias, die dort Hyacinthes Augen.«

Andern Augen gab ich die Namen anderer Frauen, die ich geliebt hatte. Auch Munks Augen sah ich darunter. Nur ein paar Augen fehlten: Mariannens Augen.

Ich wußte, daß sie jetzt irgendwo durch Straßenstaub und Sternennebel nach mir Ausschau hielten, daß sie mich erwarteten in dumpfer seliger Ruhe und daß zwei Kinderaugen ihrem Blick ins Dunkel folgten.

Ich hörte eine Stimme neben mir:

»Das ist Unfug! Betrug! Die Augen im Armband sind keine echten, sondern künstliche Menschenaugen. Ich sehe das sofort. Ich bin Inhaber eines Instituts für künstliche Menschenaugen.«

Ich drehte mich um und bemerkte einen kleinen, dicken, behäbigen Herrn, der einen Nerzpelz trug.

»Entschuldigen Sie –«

Der Herr musterte mich streng und kritisch.

»Entschuldigen Sie«, fuhr ich fort, »ich habe so viel Elend und Not, Verbrechen und Wahnsinn auf dieser Erde mit angesehen, daß mich meine Augen schmerzen und ich sie mir oft aus dem Kopfe reißen möchte. Vielleicht sieht man durch Ihre künstlichen Augen dieses Leben rot und blau und gold und silbern wie auf den Ansichtskarten. Wollen Sie mir nicht ein paar künstliche Augen anfertigen, nach Maß?«

Der dicke Herr sah mich überrascht an.

»Lassen Sie sich erst mal desinfizieren, ehe Sie mit mir sprechen.«

Dieses Scherzwort hatte Heiterkeit und unterdrücktes Gelächter einiger Passanten, die stehengeblieben waren, zur Folge.

»Und dann zur Aufklärung: ein paar künstliche Menschenaugen nach Maß kosten fünftausend Mark. Die Hälfte der Summe ist bei Bestellung a conto zu zahlen. Es gibt allerlei unsichere Kantonisten ...«

Er zwinkerte mit den Augen, was das umstehende Publikum wieder zu Kichern und Schmunzeln ermutigte.

Ich sah durch den dicken Mann hindurch, als wäre er Glas. Wie sonderbar, ich hatte völlig vergessen, daß man zum Leben ja Geld brauche. Der Begriff »Geld« – ich hatte ihn vergessen.


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