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Dictator mundi

Munk besuchte mich eines Tages zu meiner nicht geringen Verwunderung. Er schien einen langen Weg von der Gänselache über die Krausnickstraße bis in mein Krankenzimmer zurückgelegt zu haben, denn er kleidete sich mit einer aufdringlichen widerlichen Eleganz, die zu seiner bisherigen proletarischen Existenz in striktem Gegensatz stand.

Er duzte mich sofort.

»Ich habe in der Zeitung von deiner Erkrankung gelesen. Unsere gemeinsamen Schulerinnerungen ließen es mir als meine Pflicht erscheinen, mich nach dir umzusehen.«

Ich dachte an einen Pfingstausflug in den Birkenwald. Wir schüttelten Maikäfer: wie fielen sie klamm von den Bäumen: die Bäcker und Schuster und Fürsten und Kaiser: wenn wir die Bäume schüttelten – vor Sonnenaufgang.

Munk entledigte sich seiner zitronengelben Handschuhe. »Ich habe die Welteiche und die Wodaneiche geschüttelt: vor Sonnenuntergang. Da sind sie vom Stengel gefallen: die Kornfürsten, die Kohlenbarone, die Eisengrafen, die Kaiser. Ich war erster Vorsitzender eines revolutionären Klubs. Wenn ich mit der Faust auf den Tisch schlug, wackelten die Gläser und die Paläste der Großen begannen zu wackeln. Wir rebellierten. Wir sangen die Marseillaise. Ich beschloß, daß die Sonne sich künftig wieder um die Erde zu drehen habe. Man beschloß dem gemäß.

Ich inaugurierte die freie Liebe, indem ich in vorgerückter Stunde auf dem Sofa bei Vater Grumbkow am Grünen Weg am lebenden Objekt der Kellnerin Maria den Coitus interruptus exemplizierte. Dennoch schwängerte ich sie. Unbefleckt also empfing sie und gebar Christian, meinen Sohn und Widerpart. Er ist jetzt siebzehn Jahre alt und in dieser Anstalt untergebracht, wo er zu einem gewissen Gottvater in einem merkwürdigen Verhältnis zu stehen scheint. Er hat sich den Titel Gottsohn beigelegt.«

»Ich habe ihn vor ein paar Tagen kennengelernt. Er hat einen sehr sympathischen Eindruck auf mich gemacht.«

Munk wieherte.

»Sieh einer an!«

Er zündete sich eine Zigarre »Marke Nirwana« an, ohne mir eine anzubieten:

»Er ist ein gefährlicher Bursche. Suspekt und antirevolutionär. Er sitzt hier in Schutzhaft.«

Ich hüstelte in dem Zigarrenrauch:

»Aber was hat er denn getan?«

»Das ist es eben: er hat nichts getan. Das ist sein Verbrechen in dieser aktivsten aller Zeiten. Sie will vorwärts rollen: und er fällt ihr in die Räder.«

»Du sprichst so große Worte. Was ist denn aus dir, was bist denn du geworden?«

Munk schlug die Zigarrenasche auf den Bettvorleger:

»Dictator mundi. Wo lebst du? Hast du nie etwas von mir gehört?«

»Nie, seitdem wir uns damals aus den Augen verloren – obgleich ich von dir geträumt habe, du mein alter ego. Du bist also Dictator mundi – ich bin nur ein cursor mundi geworden ...«

Munk öffnete den Mund wie ein Rochen:

»Ich bin erstaunt und in meiner angeborenen Eitelkeit gekränkt. Es gibt jemanden, noch dazu mein alter ego, der mich nicht kennt, zu dem das Echo meiner Wirksamkeit nicht gedrungen.«

»Verzeih: ich lese keine Zeitungen – wie du.«

»Sondern?«

Ich schwieg einen Augenblick:

»In den Sternen und aus der Hand.«

Munk streckte mir seine Metzgerpranke hin:

»Willst du mein Schicksal mir aus der Hand lesen?«

»Zeig deine Hand – nein, nicht die rechte, die linke: sie ist unbeherrschbar ...«

»Ich beherrsche die Welt – und mich. Ich bin der erste Diener meiner Utopie.«

»Zum Merkur – das ist der Gott der Kaufleute – laufen starke Linien. Du bist reich.«

Munks Metzgerantlitz glänzte ölig.

»Ich wohne im ehemaligen kaiserlichen Prunkschloß Sanssouci. Ich bin an sämtlichen Staatsbetrieben, ob sie nun florieren oder nicht, mit 15 Prozent vom Umsatz beteiligt.« »Der Venusberg zeigt vorwiegend männliche Tendenzen in starker Betonung.«

Munk verneigte sich geschmeichelt:

»Im Seitenflügel des Schlosses sind fünfzig Zimmer für die fünfzig schönsten Mädchen aus den Völkern Europas reserviert, aus jeder Nation eine. Keine ist über achtzehn Jahre alt und alle waren Jungfrauen, ehe ich sie berührte. So ehren die Völker den Wohltäter der Menschheit. Ich habe den wahren Völkerbund effektuiert. Ich befruchte die Jungfrauen, jede ein Symbol ihrer Nation. Italien geht schwanger. Rußland hat Zwillinge geworfen. Mutter und Kind befinden sich wohl. Deutschland ist bereits im zehnten Monat, und noch keine Anzeichen einer baldigen Geburt zu diagnostizieren.«

»Die Lebenslinie verläuft im Zickzack ... verflicht sich mit hundert anderen Linien, bricht ab, setzt wieder ein. Gewalt und Greuel und Mord beflecken sie – wie die meine ...«

Munk ließ die Hand sinken. Dann breitete er beide Hände aus: »Ich liebe die Menschheit!«

Ich wagte die Frage:

»Und wie äußert sich das?«

»Ich habe die Menschheit zu ihrem Glück – gezwungen.«

»Womit?«

»Mit Bürgerkrieg, Hungersnot, Seuchen, Grippe, Maschinengewehr, Standgericht, Schutzhaft und Galgen.«

»Du erwartest einen Aufschrei? Entsetzen oder Hymnus? Auch du bist nur ein ... Mensch.«

»Zwanzig Millionen sind in Krieg und Revolution draufgegangen. Was tuts? Es gilt das Glück der Menschheit.« »Wer ist das? Die Menschheit? Ich kenne sie nicht. Ich kenne dich. Ich kenne mich. Du sprichst von der Menschheit, daß du sie liebst.

Aber liebst du auch nur einen Menschen?«

»Der einzelne braucht meine Liebe nicht. Sie gilt der Gesamtheit, die ich organisiere, paragraphiere, dekretiere, sozialisiere, kommunisiere. Ich dekretiere: Glück. Und hundert Millionen sind glücklich. Ich nehme die Feder zur Hand: Paragraph 7314 der intermundanen Gesetzgebung: die Armut und das Verbrechen existieren nicht mehr. – Der Paragraph wird vom allgemeinen obersten zentralen Legislativ- und Exekutivkomitee bestätigt.«

»Du spielst Gott, armer Teufel.«

Munk knöpfte sich wieder seine zitronengelben Handschuhe zu: »Wenn ich dir einmal aus alter Freundschaft behilflich sein kann: bitte. Eine Stelle als Assistent im Ministerium der schönen Künste: wie wärs? Wie? Sechsstündige Arbeitszeit. Teilnahme an den großen künstlerischen Meetings und Diskussionen. Besuche bei unseren großen politischen Dichtern. Aufstellung von Themen. Bruder Mensch, der Bruderbund der Menschheit, das ewige Glück, der ewige Friede, der Mensch ist gut – das sind so die beliebtesten, die sich noch ad libitum variieren lassen. Wenn man es nur den Menschen gehörig in die Ohren brüllt, so glauben sie's schon. Der Mensch ist glücklich, wenn er – glaubt.«

Ich widersprach:

»Es gibt nur eine chemische Lösung der sozialen Frage. Sie ist die einzig mögliche, weil einzig natürliche. Beim Fressen, Saufen, Huren kann man dem Menschen, so wenig wie einem anderen Lebewesen, mit Ethik oder Pseudoethik kommen. Schon produzieren wir auf elektrischem Wege Stickstoff aus der Luft. Sobald es uns einmal wie der Pflanze gelungen ist, aus anorganischen Stoffen organische zu schaffen, ist die soziale Frage gelöst...«

Hyacinthe betrat mit dem Abendessen das Zimmer.

»Gestatte, Hyacinthe, daß ich dir vorstelle:

Munk, Diktator der Welt, ein Schulfreund von mir.«

Munk glotzte:

»Sehr erfreut!«

Hyacinthe lächelte:

»Du mußt jetzt Abendbrot essen. Es gibt Eier, Milch und Schinken.«

Munk erhob sich und klappte mit den Hacken.

»Der Appetit regt sich – und vielleicht auch der Sexus. Da bin ich überflüssig. Ich gehe. Mein Staatsauto wartet an der Straßenbiegung. Vergiß nicht, mir über meinen Sohn Christian gelegentlich zu berichten, der die Welt von innen heraus bessern und erlösen will und darüber ein wenig irrsinnig geworden ist. Man kann ihr nur von außen beikommen. Die Seelen müssen organisiert werden. Ich halte den »Kommenden Tag« für eine recht gescheite Gründung, die ich prinzipiell unterstützte. Der Herzschlag muß rationiert werden. Ich bin für ein Taylorsystem des Gefühls.«

Er schwenkte seinen steifen schwarzen Hut:

»Mein Fräulein!«

Und zu mir:

»Gute Besserung!«


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