Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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XI.

Epilog oder was ich auf dem Stuhle des SantoriusAuf diesem Mittelding zwischen Stuhl und Wage hielt sich bekanntlich Sanktorius lebenslang auf, um alles was in oder aus seinem Körper gieng sogleich abzuwägen und einzuregistriren: ich besitze aber selber diesen Stuhl noch nicht über ein Vierteliahr. etwann sagte

Die Griechen glaubten, der Genuß des Wildes errege Gähnen: allein Schriftsteller werden ein für allemal zu den zahmen Thieren geschlagen; und könen es daher allezeit probiren und einen geschickten Epilog machen.

Bei der Rollenaustheilung schnapt der Körper – auch auf dem Wiener Nazionaltheater – der Seele oft die wichtigsten Rollen weg und sie muß sich dann aus einem Loche, das wir den Kopf nennen, als bloßen Soufleur des gepuzten Leibes hören lassen. Man betrachte z. B. nur mich und den Teufel. Mich könnte der Leser zu den einfältigsten Wendungen in diesem Epiloge zwingen, ia er könnte mich, statt desselben ein unglaublich dummes Ding, das in Klöstern bei Tische vorgelesen zu werden verdiente, zu schreiben nöthigen, wenn er blos meinen Körper und meinen Magen nähme und ihn mit der elenden festen Kost seines Knechts oder auch des Rezensenten oder mit den Magenpleonasmen eines Prälaten vollschlichtete: Denn das würde meinen Nervengeist (zumal wenn es einen gäbe) so verkörpern und verknöchern, daß er ganz steif würde. Denn geistigen Einflus des Körpers beweiset ausser der ganzen Welt auch der Teufel. Denn es wäre nichts schweres, den Katheder zu besteigen und da gegen die ältesten Opponenten die Thesis durchzusetzen, daß der Teufel zu dem meisten Bösen blos durch den menschlichen Körper, den er bei seinen so unentbehrlichen Erscheinungen statt einer Karaktermaske um sich schlagen muß und den er besonders wilden Jägern abborgt, zu seinem grösten Schaden angehetzet werde.

Besonders ist das durch die Aerzte und unsere Körper erwiesen, daß beide desto weniger ausdünsten ie grösser die geistige Anstrengung ihrer Seelen ist und Kant muß sich durch seine Kritik der reinen Vernunft entsetzliche Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen zugezogen haben: was Systematiker anlangt, so husteten sich in meiner Gegenwart verschiedene an dieser Kritik zu Tode. Und so dünstet man umgekehrt desto besser aus, ie weniger man denkt.

Ich muste dieses vorausstellen um den Satz völlig einzuleiten, daß ich den mathematischen Stuhl des Sanktorius besitze und auf ihm meine Evakuazionen und Replezionen so vernünftig abwarte und wäge daß es mir und meiner Familie Ehre macht. Ich rühre daher nie eine Feder für die Presse und für die ganze Welt (welches wol nicht zweierlei ist) an, ohn vorher auf dem angeregten Stuhle seshaft zu sein, weil ich damit auf der Stelle es vorgewogen sehe, ob meine unmerkliche Absonderung stark ist oder ob mein Ausdruck, ob ich viel ausdünste oder viel nachdenke, ob meine Seele oder ob blos meine Haut schlaf ist. Dieser Stuhl ist meine Allgemeine deutsche Bibliothek und er rezensirt iede Seite meines Buchs eben so unpartheiisch als iene, aber viel schneller und nicht erst 4 Jahre nach der Verfertigung sondern 4 Minuten. Ich weis, daß ich erhebliche Satiren für dieses Buch hekte und laichte und warf, wo mir der Stuhl für gewis ansagte, daß ich bei ihrer Abfassung um kein halbes Loth Ausdünstung leichter wurde; es blieb alle Feuchtigkeit als Residuum (bloss, der Nervengeist zog sich ins Buch) in mir und in meinen erschlaften Gefäßen sitzen, und ich wurde in einem oder in doppelten Sinne ein Autor von Gewicht und schrieb freilich darnach, nämlich recht gut. Die Satire auf die Selbstrezensenten hieng mir einen Katarrh auf, den ich herumtrage und inokulire; und viele messens völlig ohne Grund dem grimmigen Winter bei. Und wer die Geburten der Verläumdung (nämlich meiner satirischen Anmahnung dazu) kennen lernen will: komme nur morgends zu mir und besehe die Geburten meiner verläumderischen Lunge. Freilich macht sich im Gegentheil der Mensch oft über satirische und iuristische Arbeiten in Stunden her, wo die unmerkliche Absonderung pfundweise von ihm geht, desgleichen die ausgearbeiteten Bögen; wässerige Meteoren rinnen aus allen Poren und Federn, wie mein Stuhl allemal genau anzeigte: dann schreibt man entsetzlich schlecht.

Herr Wekherlin verachtete meinen wägenden Stuhl niemals, sondern sazte sich oft darauf, und zeugte durch die Korpuskularphilosophie an seiner Drillingsgeburt der 3 Weisen aus – FrankreichNämlich die Chronologen, das Ungeheuer und die Hyperb. Briefe. eines und das andere Glied: aber er wollte nicht schwerer werden, sondern so leicht wie eine oder seine Feder. »Es ist ein Jammer, sagt' er, daß ich nicht scharfsinnig bin: aber meine unmerkliche Sekrezion geht hübsch von statten.« Auch die merkliche, sagt' ich und sprach in einer Metapher. »Und noch darzu, fuhr ich fort, wenn ein Autor so schreiben kann, daß seine Ausdünstung dabey wächst und ordentlich aus ihm regnet – wenn ferner diese eine Art verdünter Urin ist, wie die Chemie durchaus behauptet – wenn Kunkel aus dem Urin einen glänzenden Phosphor (in dem nun sein Name wie in einem Feuerwerk brennt) auszog – wenn das natürlicherweise auch mit der Ansdünstung angehen muß, aber freilich in geringeren Maße, wenn nun aber offenbar der Körper die Seele, wie das Französische das Teutsche und also die Ausdünstung die Dinte tingirt: so müste warlich der Teufel sein Spiel dabei haben, wenn nicht Ihre schriftstellerische Produkte phosphoreszirend leuchten wollten und stinken.« Er räumte es auch ein und sagte mir überhaupt, daß die große Welt ihn hauptsächlich schätze und er könne nicht genug für sie schreiben oder denken oder dünsten.

Beiläufig! Halley berechnete, daß die tausend Millionen Menschen, mit denen die Erdkugel bestekt ist, jährlich 7393 Millionen Kubikschuh Wasser aus ihren Poren dampften. Allein da er mich unmöglich kennen konnte; so wurd' ich ohne Bedenken mit meiner iährlichen Ausdampfung gar nicht in Rechnung gebracht; diesen kleinen Rechnungsverstos machen aber geschikte Naturforscher völlig wieder gut, wenn sie iezt meine Ausdünsdung mit zur gesammten addiren.

Lautes Reden macht die unmerkliche Absonderung fast zur merklichen und verdoppelt sie so sehr, daß Haller in seiner Physiologie von einem Advokaten erzält, von dessen Pfeil- und Kranznaht während seines rechtlichen Vortrags eine Rauchsäule von Ausdünstung sich aufwärts drehte: ich würde, wär' ich sein gegnerischer Anwald gewesen, zwar eben so viel Rauch gemacht haben; aber blos figürlichen. Da ich gern die Dünste, die lautes Reden aus dem Menschen iagt, mit meinem mathematischen Stuhle messen und überhaupt den meinigen, die bisher der Winter und mein Buch in mich eingesperrt, freien Ausschuß eröfnen will: so will ich iezt am Ende des Winters und des Buchs – es wird alles gut von einem geschikten iungen Menschen nachgeschrieben – auf meiner Wage sehr reden (und allerhand), um auffallend wegzudünsten. Der ganze Epilog soll nichts als dieses Geredte enthalten. Ich sehe mich glücklicherweise dabei fast an gar keine Ordnung und an keinen Sinn meiner Reden gebunden, weil blos die unmerkliche Transpirazion iezt mein und des guten Lesers Endzweck sein soll.

Vor allen Dingen sind eine oder ein paar Zeilen blos darauf zu verwenden, daß ich dem Leser (in der Vorrede vergas ichs gänzlich) auf mein Wort versichere, daß an dem hiesigen im Grunde mir nachtheiligen Gerüchte, ich sei gar närrisch d. i. nicht bei mir und meinen Sinnen, eigentlich wenig oder nichts sei, und es in der That nur so scheine: ich war vielmehr gerade von ieher vernünftig genug und ich häufe nur die Bogenzahl dieses Werkes zu sehr an, wenn ichs ordentlich erweise. Bin ich nicht z. B., da ich mich von Tag zu Tag immer magrer ausfallen sehe, schon auf die Gedanken gerathen, nach einem Amtsposten zu trachten und daselbst zur Wolfahrt des ganzen Staatskörpers und meines eignen so viel beizutragen als in der That recht ist? Und sagt' ich nicht, da sonst Leute in Aemtern und Leute ausser denselben einander wechselseitig verachten, an wichtigen Orten gerade heraus, ich dächte nicht so, sondern ich wollte ausserordentlich gern als Regierungsassessor mit meinen ein und vierzig Jahren unten an der scharfen Fuszähe solcher Regierungsräthe sitzen, die viele Ahnen hätten aber wenig Barthaare und Jahre? Wenn dies nicht Reden und Gedanken sind, welche erweislich machen, daß ich (ob wol ohne Amt) vernünftig bin: so könnens die folgenden noch viel weniger: Wenn nemlich ein Autor und ein Amtswerber seinen Magen mit seinem Kopfe, seine körperlichen Evakuazionen mit seinen geistigen Replezionen bei müssigen Stunden zusammenhält: so lernt er den alten und den neuen Bund schon genugsam unterscheiden und sieht schon so viel ein, daß im alten Testament die Raben den Propheten das Brod zutrugen, im neuen aber weg.

Das betrübt mich wochenlang: aber ich überlege auf der andern Seite daß mittelmäsige Menschen doch am Ende besser als die schlechtesten oder als die besten fortkommen und an ihren Maschinen die meisten Zähne einkerben, in die Fortunens Rad eingreifen kann damit es die Maschine und den Meister bewege – und daß überhaupt Verstand nicht halb so viel schade als Tugend und keines allein so viel als beide zusammen, und daß der Weise zwar nicht dem Dummen (dieser müste denn zu keiner einzigen Niederträchtigkeit zu brauchen sein) aber doch dem Narren (er müste denn zu ieder Niederträchtigkeit zu brauchen sein) den Rang gewiß abiage und daß endlich das Laster wie alles Gutes, nur mäsig gebraucht zuträglich sei, und für uns am heilsamsten als helfender Alliirter unsers Nächsten wirke. Ueberhaupt giebt es doch noch glückliche Menschen: wie ausserordentlich glücklich sind nicht die, die keine Kriegssteuern zahlen, ich meine nicht 50 Prozent dem Landesherrn, sondern 100 dem Feinde – wie glücklich sind nicht die magnetischen Schläferinnen, die durch 2 Daumen und einige Finger wie durch Poussirgriffel zu solchen Lizenziaten und Doktoren in der Arzneikunst und zu solchen Urinpropheten modellirt werden, daß der Teufel selbst nicht aus ihnen klug werden könnte, wenn sie nicht aufwachten und wieder einfältig würden wie die Kinder – wie glücklich ist nicht der geheime Rath und Privilegien- und Polizeikommissair Fontanesi in Frankenthal, der iezt alle Abend mit dem Bewustsein zu Bette gehen kann, daß er dem räuberischen Nachdruck der Werke Friedrichs II. kräftiger als der Reichsfiskal dadurch wehret, daß er selber einen hübschen besorgt – wie glücklich ist nicht der halbe hiesige Bürgermeister und Rath, eben weil er halb und defeckt ist und weil also die Sporteln, die den noch ungewählten Gliedern gehören, die gewählten wässern und düngen – wie glücklich ist nicht der Teufel, der bei allem diesen hinten und vorn ist und sich nicht mehr geläugnet, sondern vervielfacht sieht – wie glücklich sind nicht die, die gesund sind, blos weil sie ihre Transpirazion dadurch ungemein beflügeln, daß sie aus diesem allen mit dem ungesunden Leser verständig sprechen.

Eben so wenig wird es mich oder meine Ausdampfung unterbrechen, wenn ich hier ein paar Tropfen Dinte zum Lobe meines Rechtskonsulenten Sessessar verschreibe, weil ich es gern sähe und in Wahrheit gern dahin brächte, daß ihm einer und der andere meiner Leser seine Prozesse anvertrauete. Denn ich muß ihm nicht blos unter 4 Augen, sondern unter vielen Millionen, die alle auf mein Buch geheftet sind, nachsagen, daß er allein (hier schaue sich aber Mensch und Vieh nach Vermögen vor einem Perioden vor, der gar nicht länger sein kann) durch drei Appellazionen und Eine Läuterazion und 60 Fristgesuche (weil er oder doch seine Deszendenten oder Aszendenten und vollbürtige Geschwister und Halbgeschwister während des Prozesses 60 mal erkrankten, so daß er bald für physischen bald für moralischen Schmerzen nichts konzipiren konnte als höchstens das Fristgesuch) – durch philosophische Hinwegsetzung und Apathie über viele Fatalien – durch angenehme Variazionen mit den Akzionen – durch wahre Versöhnlichkeit mit meinem Gegenpart, dem er gern in der Rechts-Noth aushalf, – durch eingesäete lachende Satiren auf den Großvater des gegnerischen AnwaldsHommel und andere (den Richter nicht zu erwähnen) lassen das Schimpfen der Advokaten auf Advokaten in Akten zu. Gerade so ist iedem Christen den Teufel ehrenrührig anzufallen unverwehrt und große Gelehrte schreiben ordentlich die Schimpfworte dazu vor; der H. Assisi mahnet z. B. einen Mönch zu dieser Schmähung gegen den Teufel an: mach' dein Maul auf, so will ich gewissermassen »hinein...« Aber der Teufel, der uns zum Sündenfall und mithin zum Zorn verrenkte, verdient gar wol, dessen Ausbrüche selber zu erfahren. die unschuldig und doch beissend waren und die mich keinen Heller mehr als der gewöhnliche Inhalt seiner Schriften kosteten – durch hinlängliche Beweise, womit mein Unrechtskonsulent sonnenklare Sätze nur noch mehr befestigte (denn wenn die grösten Philosophen die augenscheinlichsten Dinge z. B. Bewegung, Materie etc. sogar läugnen dürfen: so steht es eben so großen Advokaten zu, sie wenigstens zu beweisen, wo nicht gar sie gänzlich zu bezweifeln) – durch noch bessere Haupt- und Staatsakzionen, die in diesen Perioden gar nicht zu bringen sind, alles so weit führte und durchtrieb, daß mein Prozeß wirklich recht bald entschieden und ich sowol in die halben Kosten als zum Verluste des ganzen Prozesses verfället wurde – worüber ich freilich so gut als einer ausserordentlich froh sein konnte, weil ich eben aus dem Verlust ersah, daß ich in einen ungerechten Prozeß geflochten gewesen, dessen ich nun ohne Schaden des Gegners losgeworden: daher empfehle ich eben meinen Rechtsfreund Sessessar iedem Leser, der aus Gewissenhaftigkeit seinen ungerechten Prozeß nicht gewinnen will, so sehr und so oft. Als ich übrigens abgeschoren und ohne einen platten Groschen zur Regreßklage vor dem Rechtsfreund stand und einen französischen Eid that, ich wäre so weit herunter, daß ich das Publikum in Kurzem mit verschiedenen vortreflichen Schriften beschenken müste: so dankte er freilich auf der Stelle Gott und sagte zu mir: »leider oft die schönsten Seelen fässet das blinde Glück in lauter Gold und Reichthum ein, wie der eben so geschmacklose Nero eine herrliche kupferne Statue des Lysippus übergolden hies und an ihr durch eine angebliche Verschönerung alles wahre verhüllte; inzwischen lies am Ende Nero doch der Statue die goldne Entstellung ausziehen – freilich liefs ohne Ritzen nicht ab: – was soll nun ieder an seinem Nebenchristen, wenigstens an seinem Nebenmenschen lieber thun als etwas ähnliches? Ich für meine Person, getrau' ich mir zu sagen, legte mit einigem Fleiß meine rechte Hand an Ihr wahres und schönes Ich, und fegte und bürstete von solchem (denn ich kam nicht zu spät) völlig iene goldne Umkleisterung herab, die für Ihr Wesen sich vielleicht gar zu wenig schickte. Daher dienen gewissenhafte Advokaten solchen Klienten nicht gern, von denen keine Vergoldung oder Versilberung abzukratzen ist und die schon von Natur nichts haben: denn was weis in solchen Fällen alle Kunst des Advokaten zur Natur noch anzufügen?«


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