Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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VII.

Der in einem nahen schwäbischen Reichsstädtgen wegen einer Haarverhexung auf den Scheiterhaufen gesezte Friseur

Ich wollte, eh' ichs erzälte, etwas Brauchbares und Durchgedachtes voranlaufen lassen: allein, zu meiner Schande entfiel mir unter den Händen fast alles und ich brauche mich gar nicht darüber zu wundern. Denn ich muß es durch allerlei ansehnliche Sünden, es mögen nun vergangene oder gegenwärtige oder zukünftige sein, mir zugezogen haben, daß ich Tag und Nacht von einer solchen Rotte von Arbeiten umlagert und umsponnen werde, daß ich mich oft gar nicht kenne und häufig ganze Bögen an meinem Buche fertig mache, eh' ich mich wieder besinne. Ich kann eben mich nicht rühmen, daß ich iene wolthätige Trägheitskraft oder vis inertiae, womit die schlechtesten Wesen und was nur ein Stückgen Existenz hat ausgepolstert sind, die aber bei den wenigsten Wesen, etwan bei Rentirern und Großen, zu ihrer bestimmten Entfaltung gelangt, in einem gemeinen Sonneniahre von 365 Jahren über neunmal anwenden könnte, und diese ganze Anlage bleibt völlig unangegriffen in mir sitzen. Ich halte mich nämlich in einem Kopfe auf, den niemand etwas bessers nennen sollte, als ein holes Arbeitshaus oder eine Antichambre, worein die ganze Welt in Strömen zieht, um sich mir zu präsentiren – ich soll sie ansehen und fixiren, und kennen lernen. Kaum hab' ich die Augen aufgemacht (ich liege noch im Bette): so muß ich mich gefaßt machen, daß tausend typische und abgebildete Wesen – Nachdrücke und Naturspiele und redende Wappen der wirklichen Dinge – munter auf dem Nervensaft heraufsegeln werden und ich kanns keinem wehren. Es ist mein Nutzen nicht, daß iedes solches Wesen seine Spil- und Schwerdtmagen, seinen weitläuftigen Anverwandten, seinen Namensvetter und seine blossen Wand- und Thürnachbarn hat – denn diese hält das Wesen alle an der Hand und bringt sie gleichgültig auch mit in den Kopf herein, so daß in wenigen Minuten der Kopf mit Wesen, die alle einander verwandt sind, dermaßen vollgepflanzt und geladen wird, daß ich nicht froh genug sein kann, keinen Raum einnehmen zu können. Die stärksten Philosophen können mir dabei nichts helfen als daß sie diesen Ideen- Nepotismus eine Ideenassoziazion benennen, und ohne Noth meine Arbeiten nur noch mehr verdoppeln aber nicht meine vielen Kenntnisse. Wenn inzwischen der Leser mit der Kälte, womit er diesen Aufsatz zu lesen angefangen, zu lesen fortfährt: so bring' ich ihms gar nicht bei, was das heiße, das ganze Universum besucht eine arme Seele und der Makrokosmus will sich durchaus auf den Mikrokosmus hinaufsetzen; der Leser sollte vielmehr in den seltensten Enthusiasmus von der Welt gerathen und sichs ein wenig vorzustellen wissen, wie viel abstrakte und fleischfarbene Wesen täglich in meinem Kopf einfliegen – als da sind nur z. B. Titel aus den Pandekten und Addreskalendern – dicta probantia und Epiphanius mit einer Kuppel von 80 bellenden Ketzern – alle Zäsarianer und Kurfürstenerianer und Fürstenerianer – große Lexika mit Billionen Wörtern aus eben sovielen Sprachen – Visittenblätter die die Kardinaltugenden abgeben – Kardinallaster in Person – Nuntiia und de latere – ia Päbste selbst – Spitzbuben z. B. Nickellist – Scholasticker bei denen der Verstand und die Narrheit noch viel größer ist, als bei mir – Einfälle über die man lachen sollte – der Leser selbst und mein eigen Ich – mein zweites Ich, meine Frau, die noch dazu auch ausser meinem Kopfe neben mir existirt – einige Rechtswolthaten – Hintere, die nicht einmal an einer medizäischen Venus sitzen – ganze lange Kollegien in corpore – ia sogar puncta salientia die noch nicht einmal das liebe Leben recht haben, und Tode die es schon wieder verloren – – Wahrhaftig der Henker oder sein Knecht möchte da Seele sein und ein ausserordentlicher Gelehrter sollte weiter laufen, als ihn seine kalten Beine tragen.

Zum wenigsten sollte man bei solchen Umständen viel lieber P. Provinzial werden oder auch ein Prälat, damit in den beschornen Kopf nur solche Bilder (und keines mehr) einzögen, deren Originale nachher zugleich nachkämen und sich im Magen festsezten.

Von dem Friseur, dem ich, wie gesagt, nichts Brauchbares vorausschicken konnte, hab' ich aus dem Schreiben meines Korrespondenten dieses ohne falschen Zusatz zu berichten.

Dieser gegenwärtig gepülverte Friseur betrug sich von aussen so, daß es der Teufel selbst nicht errathen hätte, daß er einen Pakt mit ihm gemacht. Er suchte blos, den für den Staat nicht unwichtigen Posten eines Friseurs vormittags sich so zinsbar zu machen, daß ers nachmittags verbergen konnte, daß er einer wäre. Sogar das längere Bleiben in der Kirche, das Zanger und Heil nicht unter die schlechtesten Anzeichen der Hexerei stellen, konnte man nicht auf ihn bringen, denn er kam, da er unter der Vormittagspredigt über das Evangelium andere zu kräuseln hatte und unter der Nachmittagspredigt über die Epistel sich selbst, gar niemals hinein. Krusius und Bodinus suchen es glücklicher als andere festzusetzen, daß Gestank leider des Dasein einer Magie nur allzuwol bescheinige: allein mein Korrespondent schreibt, der gebratene Friseur habe überal (ausser auf dem Scheiterhaufen) ganz anmuthig gerochen und nicht schlechter als jeder fromme und denkende Christ. Es ist wahr, aus den Kriminalakten des ganzen Prozesses (das gesteht auch sein Defensor frei und oft) scheint zu erhellen, daß der Haarkräußler viel zu mager und hager und leicht für ein gesundes Glied der Kirche gewesen, und mehr Pomade und Fett aussen als innen an seinem Leibe besessen; daraus scheint freilich (da die menschlichen Wesen insgesammt mit dem Vermögen zum Schließen bewafnet worden) für jedes dieser sinnenden Wesen der leichte Schluß zu fließen, daß der Friseur auf der Stadtwage zu Oudewater (in Holland), worauf man (nach Becker) sonst einen zweideutigen Christen sezte und dessen Frömmigkeit abwog, alle Leichtigkeit eines wahren Hexenmeisters, wider seinen Willen würde geäussert haben: allein, dann blieb doch der große Punkt noch immer unentschieden, ob ihm diese Magerheit als Hexenmeister oder als Friseur beiwohne; denn nicht blos der Satan mergelt einen menschlichen Körper erschrecklich aus, sondern auch verschlukter Puder.

Hätte man daher auf keine festern Gründe fussen können: so glaub' ich in Ewigkeit nicht, daß blos aus diesen Gründen das schwäbische Reichsstädtgen den besagten Kräußler, ob er gleich noch dünner war wie eine Schindel, hätte nehmen und zu seinem grösten Schaden in das Feuer setzen können, das man noch immer mehr um ihn anschürte; daher er darinn auch Todes verfuhr. Allein in der That diese stärkern Gründe fehlten gar nicht. Das ganze menschliche Geschlecht bescheidete sich schon längst soviel, daß fatale Hexen in den Kopf eines sonst guten Menschen oder vielmehr unter dessen Haut soviel und mehr Haare hineinzaubern könnten, als aussen natürliche auf ihr stehen; und man ließ auch die Fabrikantinnen solcher höllischen Haare niemals ungestraft. Die Aerzte wollten die Welt zwar atheistisch machen und sezten ihr in den Kopf, die Sache wäre natürlich, denn unter eines ieden Menschen seiner Haut wüchsen die Haare weit und breit herum, so bald sie sich nicht durch die Fett-Zellen über die Haut hinausdrücken könnten und dieß machte Beulen. Allein ich wünschte, ein gesezter und erbaulicher Mann versezte ihnen zur Antwort hierauf, daß solche verdächtige Reden niemals mehr erwiesen als höchstens den natürlichen Saz, daß die inwendigen Haarsammlungen auch durch Fett-Zellen könnten gebildet werden. Denn das ist wahr, schliesset aber den Teufel von der ganzen Sache nicht aus, sondern beweiset vielmehr, daß die nämliche Wirkung zuweilen von einer übernatürlichen, zuweilen von einer ganz natürlichen Ursache abstamme. Daher kann man den Fall des natürlichen und den Fall des übernatürlichen Haares so wenig mit zu vieler Vorsicht unterscheiden, daß die ältern Zeiten das größte Lob verdienen, welche den Fall des übernatürlichen Haares höchst ungern und in der That nur darin annahmen, wenn ihnen das eigene Geständnis der Inkulpaten, das Urtheil aller Fakultisten und ihres eignen Verstandes keinen andern zu denken übrig lies: ohne das alles brachte man kein Loth Menschenfleisch ans Feuer.

Der Friseur wuste nun so gut als ein Gelehrter, wie kenntlich diese alte Hexerei sei: er sann folglich eine neue Wendung derselben aus, zum Unglück war ihm der Teufel nicht dabei zuwider. Beide zauberten also die Haare nicht unter die Haut hinein wie sonst, sondern aussen unter die natürlichen, damit ganze Visittenzimmer beide mit einander verwirten. Die abscheulichsten Haare, von Leuten am Galgen von Toden, von Satan selbst – einige sagen zwar, es wären nur Roßhaare: allein es ist wol nichts leichter als oft die Haare des Teufels, der selber einen Pferdefuß und Schwanz hat, mit wirklichen Pferdehaaren zu verwechseln – wuste dieser verdammte Haarkräußler durch teuflische Künste, die man bekannt machen sollte, auf die schönsten und kahlsten Damenköpfe unter der Hand zu spielen. Wöchentlich kämmten zwar bekehrte Damen diese gefährlichen Einschaldungen, auf deren Druck sich Kopfschmerzen und rothe Augen einfanden, völlig heraus: es half aber nichts; gegen Morgen um 10 Uhr machte der magische Friseur die Thüre (indem er gleich drauf anklopfte) wieder auf, schmiß seinen weissen Hut hin, bemächtigte sich der Einschaldungen ohne Ansehen der Person und lud sie alle wieder auf den entzauberten Kopf, daß hernach die Haare grösser wurden als der gemarterte Kopf: er bekümmerte sich nachher gar nichts darum, wenn schlechte Menschen diese Hargeschwülste den Damen selbst aufbürdeten und sicher aus Satire fragten, ob ihr Kopf etwas schlimmers wäre als ein schöner Nebenplanet des runden Haargebäudes oder als eine leserliche Randglosse der Frisur oder als deren Vorgrund und Ueberfracht und als eine schön gewundene Titelvignette der ganzen liebenswürdigen Edizion in langfolio. Seit diesem Vorfall werf' ich häufigere Blicke auf die weiblichen Köpfe: aber ich finde wahrhaftig diesen teuflischen Haarüberschuß fast allgemein und es ist ein auffallender und trauriger Beweis, wie gern die Stadtvögte falsche Mäusse machen, daß noch keiner auf den Damenköpfen Haussuchung that und ernstlich nachsah, ob die Haare ordentlich darauf gewachsen oder ob sie durch recht teuflische Künste dahin verpflanzet worden. Aber leider lassen sich die Stadtvögte von solchen Leuten selbst frisiren und machen sich nichts daraus, wenn ihrem eignen Kopfe ein langer Pseudo-Zopf sichtbar angezaubert wird.

Auf dem ganzen Gerichtswege zum Scheiterhaufen that der Friseur nichts als sich (da er Zeit zur Buße hatte und noch ganz roh und ungebraten war) immer mehr bekehren und es recht aufrichtig (hoff ich) bereuen, daß er, da er nun doch einmal zusammengebrennt würde, bei seiner weitläuftigen Kundschaft unglüklicherweise nicht öfter die Ehe gebrochen: »'s war wahrhaftig blos meine eigene Schuld und keine andere«, murmelte er noch zu sich, als man ihn an den Pfahl gürtete und schnürte. In dieser Rücksicht wär' er noch mehr zu bejammern, wenn er gar in dem Himmel mit seiner Reue iezt wäre: es ist aber zu hoffen, daß er anders wohin flog.


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