Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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V.

Physiognomisches Postskript über die Nasen der Menschen

N. S.

Wenn ein Mann einen Fehler einmal abgedanket hat: so kann er nachher ganz frei ihn gestehen und verschreien: Eben so kann einer, der sich seiner Nase entledigt hat, ohne Schande sie heruntersetzen und ihre Mißgestalt bekennen; ia nur desto mehr Ehre bringt ihm ihre Vertreibung, bei Gutdenkenden. Ich bin wol unter allen Menschen vielleicht am wenigsten ruhmredig und es wäre oft zu wünschen, ich wäre minder bescheiden: aber ich könnte die Wahrheit nicht auf meiner Seite haben, wenn ich es unterdrücken wollte, wie wenig meine damalige Nase meinen Fähigkeiten angemessen war: wahrhaftig sie blieb ganz unter meinem Gehirn und man konnte wol nicht von ihr sagen, sie wäre ein dünner Sekundenzeiger meiner Ideen und eine lange Sitzstange meiner Gaben; weit getriebene Ausdrücke, deren ich mich doch von tausend andern Nasen ohne Gefahr bedienen wollte. Indessen bestanden meine Freunde ganz steif auf dem Gegentheile und wünschten, man bedächte, daß einer nicht buchstabiren müste können, der auf meiner Nase nicht auffallenden Verstand und Tiefsin läse. Ich bestand zulezt selber darauf.

Denn ich konnte gar nicht anders. Mein Grundsatz ist: da der pfiffigste Mann unmöglich alle die Vozüge selber inne werden kann, die ihm wirklich beiwohnen – weil er entweder, wie z. B. Fürsten, Poeten und Weiber, nicht immer auf sich merkt, oder weil überhaupt die Vollkommenheiten gleich den Unvollkommenheiten durch ihre stete Gegenwart dem Auge des Besitzers unsichtbar werden: – so sollt' er es mit Danke annehmen und es glauben, wenn ein guter Freund, der sie leichter sieht, sie ihm offenbaret. Denn dadurch lernt er sie zulezt auch selber erblicken. Wenn ich daher einige schwache Selbstkenntniß besitze, so ist sie sicher weniger die Frucht eigner Beobachtung oder eignen Lobes als des fremden, das ich bekam, und der Gewohnheit, mich selber allzeit so anzureden: »wie der Mann im Monde wenns droben Nacht ist, der Erde leicht den Glanz ansieht, den wir hier, da wir ihr so nahe auf dem Halse sitzen, an ihr völlig übersehen: so wundere dich nicht, daß der arme lebende Teufel da an dir eine und die andere leuchtende Seite auskundschaftet, die dir wegen deiner eignen Nähe völlig entwischen müssen, sondern vergleiche dich mit den grösten Potentaten, die oft hinter ihre schönsten Vorzüge nicht anders kommen können als durch das Geständniß eines aufrichtigen Hofmans.«

Ueberhaupt trau' ich iedem, wenn man ihn auf dem Todenbette fragte, wem man seines Bedünkens unter allen seinen Bekannten am aller wenigsten etwas vorgeschmeichelt habe, das Zeugnis zu: ihm selbst. Dieses gälte auf einem solchen Bette einem Schwure gleich.

Wenn meine Freunde getäuschter Weise besondere Geistesgaben auf meiner obigen Nase walten und leuchten sahen: so war mein Umgang Schuld; dieser stieß sie in den Fehler aller Physiognomisten, die Schlüsse aus dem Umgange ganz mit den Schlüssen aus dem Gesichte zu vermengen und das mir anzusehen, was sie vorher auf eine viel gewissere Weise schon wusten. Eben so wenig hätt' ich selbst dem oft angeregten Gliede besondere Talente angemerket, wäre nicht der Mensch mit dem innern Gefühle seines Gehaltes bewafnet und hätt' ich mich selbst minder gekannt.

Um dieselbe Zeit fiengen die Bardendichter an, einen guten gesunden Vers zu setzen. Ich hub das nämliche an. Nicht daß ich Unkundigen weismachen wollte, ich hätte vorher keinen vernünftigen Vers gemacht und nachher herausgegeben; ich gestehe vielmehr von freien Stücken, daß viele meiner vorherigen Verse, das ist mein Musenpferd, wie ein wahres nürnbergisches Pferdgen aussah, ich meine, es war überal am Leibe mit poetischen geruchlosen Blumen übermalt und streckte im Hintern ein kurzes Pfeifgen aus, das ist den klingenden Reim: allein, soviel sollte sich doch auch der unüberlegteste Liebhaber meiner gereimten Verse bescheiden, daß meine Bardenverse nirgends gereimt waren, sondern mit iedem Gedichte um die Wette streiten konnten, das durch unbeschreiblichen poetischen Putz und durch gesunden männlichen Flug sich gewißen Seevögeln (den Penguins) gleichsezt, die mit gestiktem Gefieder des Leibes kurze nakte Flügel verknüpfen. Bei solchen Umständen wundere ich meines Ortes mich wenig, daß sich alle meine Seelenkräfte zusehends hoben – o! grosse Kritiker! ein Kopf, den Braga und Apollo nebst so vielen Musen und ihren Instrumenten und tausend anderen Sachen auf eine Viertelstunde besetzen wollen, um da etwas poetisches und melodisches aufzuspielen, ein solcher Kopf, glaub' ich, muß groß werden oder es schon sein, und es thut zum Raum für so viele Gäste wenig, daß vorher alles Gehirn sauber hinausgekehret worden. Eben so muste der Kopf des modischen Kolossus, in welchem oft ein ganzes Orchester Musikanten musizirte, groß nicht minder sein als hohl. Der Mensch hat darum eine Nase und ernähret sie darum mit theuerem Spaniol, damit der Physiognomist aus ihr ersehe, was er von den Seelenfähigkeiten, die wenige Zolle höher wohnen, zu ieder Stunde zu halten habe; sie ist ein aussen an der Schenke herausgestektes Birkengipfelgen, das das Bier darin richtig verkündigt; sie ist ein Assekuranzbrief auf das verborgene Gehirn und im Falle der Noth könnte man sich an niemand halten als an sie; sie ist der Erker des menschlichen Hauptes, das seines Orts der Schuldthurm der herabgebanten menschlichen Seele ist; endlich ist sie, glaub' ich noch immer, etwas ganz anders... Bei dem obigen Wachsthum meiner sämtlichen Seelenkräfte hätte sich nun meine Nase zuerst ändern sollen: aber sie blieb noch wie sie war.

Da ich indessen freilich mit der Vermehrung meiner Seelenkräfte durchaus nicht aufhörte, sondern sogar zu einer Wiener Sängerin (sie ist längst tod) gieng, und durch sie und meinen Wein allen meinen Witz und alle meine Phantasie in ein ausserordentliches Feuer versezte, und zum grösten Schaden meiner Gesundheit, meine untern Seelenkräfte zu wiederholtenmalen iede Woche überschraubte: so hielt es natürlich meine so prosaische Nase nicht länger aus, sondern beurlaubte sich und machte sich bei Nacht und Nebel aus einem Gesichte davon, hinter dem ein Geist stand, der sich so anstrengte und verbesserte. An der Stelle der alten hob sich ungesäumt eine neue in die Höhe, wie sie sich allenfalls für meine entfalteten Gaben schicken mochte. Und diese soll so lange an meinem Kopfe wohnen, als ich selbst darinne haushalte: was den Tod anlangt, so kann der uns am wenigstens auseinander werfen. Denn am bonnetischen Körpergen, in und mit welchem meine arme Seele sich aus ihrem grossen Körper und aus der Welt, worauf er steht, davon macht, muß auf alle Fälle eine zweite Auflage dieser äussern Nase sitzen. Ich habe diese Nase iezt ausser Haus statt meiner Silhouette an H. Geißler den iüngern verschickt. Da er – wie sonst Zwerge durch ein schlechtes Blasen dem Ritterschlosse die Ankunft von Prinzessinnen und Riesen sagten, – alle edle Deutsche ohne Rücksicht auf Geschlecht in der Stille lobt; so wird ers vielleicht in Kurzem die Kreise Deutschlands und das Königreich Böhmen und Mähren und Lausiz und einen Theil von Schlesien, desgleichen die reichsritterschaftlichen Orte und verschiedene gauerbschaftliche Oerter gedruckt lesen lassen, daß die Senkung, die Wurzel, die Spitze, der Herunterschwung meiner neuen Nase seines Bedünkens nicht gemein wären, sondern Dinge prophezeieten, über die er seines Orts zu Zeiten staune, wie ein Narr. Ich danke dem H. Geißler mit Vergnügen für dieses künftige Lob, bei dem er selbst (wie bei allen seinen Lobreden) keines gewinnen kann, sondern nur das gewöhnliche Honorarium: allein er sollte wissen, daß ich das noch gar nicht bin, was sie verheisset; hingegen was seinen eignen Verstand anlangt: so sollte H. Geißler (und auch andere Feinde von ihm) es einräumen, daß er seinen besagten Verstand, der nun erst seit den wenigen Jahren seiner Autorschaft abwesend ist, nach den mir bekannten Rechten in Deutschland nur erst, wenn er wenigstens 70 Jahre weg ist, und schlechterdings nicht eher für tod und verloren schätzen kann: und das blosse Gericht, schreibt Leyser, beweiset den Tod eines Abwesenden weiter gar nicht. Allerdings in Frankreich könt er iezt um seinen Verstand schon trauern, und da reicht blos zehniährige Abwesenheit völlig zu: allein weis es denn nicht die halbe Welt und er selbst dazu, daß er in Sachsen, dem blossen Gipsabgus von Frankreich sizt?

Es ist ein Jammer, daß ich die vielen Hypothesen schwerlich erleben und durchsehen kann, welche der bessere Theil der Gelehrten über meinen Erfahrungssatz ersinnen wird, daß sich auch die festen Theile des Gesichts – denn bisher bemerkte mans nur an den weichen – nach den Verwandlungen der Seele modeln, und daß die Seele das phisiognomische Gebäude abbricht, um sich geräumiger anzubauen: denn so wird iezt bei tausend Leuten vom guten Tone das Genie, die Wahrheit zu sagen, für ihre Nase zu groß und ab sprengt es sie daher auf einen oder zwei Schritte, wie etwann der Soldatenkrebs seinen Schaalenlosen Schwanz aus der fremden Schneckenschaale, worein er ihn eingemiethet, ohne Anstand zieht, wenn er sie ausgewachsen, und ihn in eine weitere thut.

Allein hart fället es mir, daß eine solche phosthumische Nase nicht dauerhaft sein kann und soll: denn ich glaube nicht, daß sie von etwas anders ist als von Wachs. Zum wenigsten scheints beim Feuer so; denn ich will wol nicht befürchten, daß mich mein wirklich zu fleissiges Dichten so weit heruntergebracht, daß ich nicht mehr recht wüste, woraus ich bestände, sondern mir blos einbildete meine erworbene zweite Nase wäre wächsern. Das las ich leider allerdings vor wenig Wochen auf der Rathsbibliothek, daß einer der sonst ein so vernünftiger Mensch war, als noch einer auf einem anatomischen Theater lag, sich wirklich überreden können, er bestände aus bloßer Butter und würde daher sicher an der Sonne zerlaufen: und wahrhaftig ie tiefer ich durchsinne, desto mehr will es mir vorkommen, daß ich nicht viel Grund habe, bei meinem Gedanken einer wächsernen Nase gleichgültig zu bleiben. Denn was ist zulezt für ein Unterschied zwischen Butter und Wachs? Ich will mir solche gefährliche und thörichte Grübeleien aus dem Sinne schlagen, die meinem Verstande drohen.

»Lassen Sie diesen Brief immer mit drucken etc.«

Ich hab es gethan, weil der arme Poet sich darauf spizte: aber seine einfältige Grille, als ob er sich die wächserne Nase nur einbildete und als ob es mit seinem Verstande nimmer richtig stände, hätte ihn bei einem Haare wirklich darum gebracht, wenn ich ihn nicht von diesen Irrthum durch einen zweiten losgeholfen hätte. Ich lies ihn nämlich mit verbundnen Augen auf eine Redoute (denn er war in seinem Leben auf keiner) führen und die Nasen der meisten Masken befühlen, die er für das natürliche Gesicht ansah. Darauf fragt' ich ihn ein wenig ernsthaft, ob er nicht ein Narr wäre, daß er dächte, nur er wäre so sehr von Stande und hätte eine solche genialische Nase, aber kein Mensch weiter. »Au contraire, sagt' ich, auf der Redoute tanzten Leute herum, denen unter den befühlten wächsernen Nase gar noch eine zweite wächserne saß: aber das Genie ist auch darnach, und fast ausserordentlich.«


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