Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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I.

Ueber den Witz der Wiener Autoren, aus Lamberts Organon

Aus der Aukzion der Lambert'schen Bibliothek erstand ich unter andern das Organon von Lambert, worein er mit eigner Hand unschätzbare Anmerkungen nachgetragen; denn er lies es deßwegen mit leerem Papier durchschiessen. Seiner Semiotik giebt er durch einen Zusatz neues Gewicht, den man immer gern hier in einem Buche lesen wird, das ohnehin zu nichts als zur Verbreitung der tiefsinnigsten abstraktesten Kenntnisse bestimmt ist.

»Ehe man (schreibt er, aber sehr klein zur Ersparung des Raums,) besonders den Wiener Schriften Mangel des Geistes schuld gäbe: sollte man doch, scheint es, wenigstens so weit sein, daß man von den Chiffern und Zeichen, in die sie ihren Witz verhüllen, etwas weniges verstände. Würden wir den Schriften der Griechen und Engländer den Witz, der in ihnen lebet, ausfündig machen, wenn uns die Zeichen, die sie zu den Vehikeln ihres Witzes auslasen, völlig fremde wären, nämlich ihre 24 verschiedene Buchstaben oder Figuren nebst den Spiritussen? Längst sind bekanntlich aber die Wiener Autoren (nebst verschiedenen auswärtigen Schweizern etc.) einsgeworden, ihren Witz nicht mehr durch einen lästigen Aufwand von 24 Zeichen, sondern blos durch ein einziges und einfacheres auszudrücken: wer also ihren Witz zu geniessen wünschet, muß dieses Zeichen im Kopfe haben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie sehr Unrecht hatten, zu vermuthen, sie würden am faslichsten bleiben, wenn sie – da iezt die Chymie freiern Zutritt zu gewinnen scheint – dieser das Zeichen abborgten, und – da der Spiritus des Chymisten und der Witz und Geist des Autors die gröste, eigentliche und uneigentliche Verwandschaft mit einander haben – gerade mit dem horizontalen Striche, womit der Chymist oft den Spiritus und alles feine flüchtige Wesen bezeichnet, allen Witz und Geist auszudrücken und zu geben versuchten: dieser Strich ist unter dem Namen Gedankenstrich ganz bekannt und ich habe oben deren viere hingezogen. Wie wenig es den Wienerischen Produkten an wahrem Witz und Geist gebreche, das weis ieder; der nur ein Zehnkreuzerwerk von ihnen in der Tasche hatte, und die Fülle von Gedankenstrichen darin wahrzunehmen, den Verstand besas: in der That sie haben vielleicht der Gedankenstriche (wie die Engländer des mit 24 Zeichen dargestellten Witzes) eher zu viel als zu wenig. Von der Dumheit der Hottentotten nur einigen Begrif zu geben, bring' ich hier für Denker bei, daß ich authentische Beweise in Händen habe, daß sie der Welt noch keinen einzigen Gedankenstrich geschenkt.

Man überseh' aber bei dieser Gelegenheit am allerwenigsten, wie weit der menschliche Geist die Erweiterung seiner geistigen Vehikel unaufhörlich treibe (und wie er schlechte Kanoes in prächtige Fregatten und Kauffartheischiffe verwandele.) Anfangs deutete er iedes Ding durch ein Gemälde desselben, darauf durch seinen ungefähren Umriß an, hernach durch ein besonderes wilkürliches Zeichen (wie noch die Sineser) endlich nur durch 24 Zeichen, die die Schulmeister gemeinhin das A. B. C. nennen. Jezt lässet ers nicht einmal dabei beruhen: sondern er sinnt nach, ob er nicht statt dieser 24 Zeichen eine noch allgemeinere Formel zu ergründen und vielleicht durch ein oder zwei Zeichen alle Abänderungen des Witzes, Scharfsinnes etc. auszudrücken vermöge. Das ähnliche Glück der Rechenkunst schreckte ihn am wenigsten davon ab: denn auch sie lernte von den Arabern alle mögliche Summen mit 10 Zeichen, von Weigeln schon mit vieren und endlich von Leibnizens Dyadik blos mit zwei Ziffern schreiben und ausdrücken. Von diesem Grade der Vollkommenheit (denn es giebt nur noch zwei höhere, den, alles durch Ein Zeichen, und den Lezten alles durch gar nichts hinzusetzen und anschaulich zu machen) steht vielleicht die Gedankensymbolik weniger ab, als meine Rezensenten denken. Man drükt iezt aus durch

  1. einen horizontalen Strich (-) alle mögliche scharfsinnige, witzige und erhabene Ideen, sowie auch die entgegengesezten
  2. durch mehrere vertikale gerade oder geschweifte Striche (!!!!, ????) alle mögliche satirische, rührende und wahrhaft tragische Empfindungen, so wie wiederum das Gegentheil.

Es wird aber wenig mehr noch auszudrücken da sein. Wenn nun die gedruckte mir iezt gerade linker Hand liegende Seite des Organons hinlänglich erweiset, daß die bloße Erfindung der 24 Buchstabenzeichen dem menschlichen Geiste das Geschäft des Denkens unendlich kürzer und bequemer gemacht: so muß die Einschmelzung derselben in zwei Zeichen ia wol von den ausserordentlichsten Folgen sein, so daß man das gar wol glauben kann, was in den Zeitungen steht, es gäbe hie und da Knaben von mitlerem Alter, die Witz und tragisches Genie bekanntlich in den Druck schickten; denn der vorher so schwere Ausdruck von beiden läuft ihnen iezt dadurch von selbst in die Hand, daß sie nichts als zwei Striche, einen wag- und einen lothrechten ziehen zu können, vonnöthen haben; welches sonst vielleicht ieder Edelmann konnte, der statt seines schweren Namen drei Kreuze ( +++) unterschrieb. (Daher wär' es gut, wenn der Knabenschulmeister den Kindern bei dem Buchstabenschreiben auch das Bücherschreiben spielend nebenher beibrächte). Freilich untermengen einige den Gedankenstrichen (wie die Gesandten ihren Chiffern) noch besondere Wörter; allein diese dürfen doch niemals mehr sein als das schlechte Gestein, durch das sich die dicken Silberadern der Gedankenstriche vielfältig hinstrecken.« – –!?


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