Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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»Ueberhaupt sind im Ganzen genommen (began ich leiser und suchte meine Lanzette mit beiden Händen in der Tasche und mit den Augen auf dem Tische) gefährliche Krankheiten die besten Heidenbekehrer, die man der menschlichen Seele schicken kann, oder auch einem Heidenbekehrer selbst. Einige Millionen Blattern thun mehr zum Seelenheil einer Dame, als der häßlichste Gewissensrath; sie könnten vielleicht den Irrthum von der Zusammenschmelzung der beiden Geschlechter, der sich sogar in die Höfe immer tiefer einfrisset, da noch einhalten. Freilich red' ich von keiner leichten Krankheit, von keinen Kopfschmerzen, von keiner Migräne; denn wie nach Bako ein wenig Philosophie nur irrgläubig und erst viel Philosophie wieder rechtgläubig macht, so kann eine kleine Krankheit, sie sei wirklich oder verstellt, die Dame und den Mann, dem sie ihr Gesicht (wo nicht mehr) zum Beweise vorhält, gerade recht weit in den Unionsirrthum versenken und erst eine grössere und gefährlichere nöthig machen, die beide aus ihm zieht. Ich betheuere es, daß ich hier mit dem grösten Tiefsinn rede.«

Melak kam mit zehn Blattern und der Lanzette an, die sie ausgehoben. »Dabei (fuhr ich im alten Tone fort, mit allmäliger Annäherung ans Gesicht der Dame) kann ich noch obendrein, indem ich Ihre Seele durch meine Blattern bessere und widerlege, sie da durch auch so gut züchtigen als es von meinem schlechten Autodafee zu erwarten ist. Die Sache ist offenbar so: das Gesicht ist das Bild der Seele – erst beifügen, daß es daher oft ein Thierstück, selten ein Altarblatt, noch seltner ein Sternbild sei, hiesse weiter nichts als die Sache recht geschickt bestimmen: – nun bau' ich halb darauf, daß schon die Hexen einen Menschen selbst zu verwunden glauben, wenn sie blos sein Bild zerfetzen und daß das wahr ist; daher müste der Teufel sein Spiel haben, wenn nicht auch Ihre Seele oder Sie selbst ieden Einschnitt, den ich in das bloße Bild der erstern, in Ihr Gesicht mit der Lanzette höle, wirklich fühlen wollten. Das ist aber eben die von mir diktirte Strafe haereticae pravitatis.« Warum nahm ich die Inokulazion nicht auf den Händen vor? weil sie die zeitigen Sitzstangen der männlichen Lippen sind.

Seit dem Autodafee und der Inokulazion wird die Dame bewacht und nur von einem alten Stadt- und Landphisikus besucht, der es blos durch seine Unbekanntschaft mit den neuern Heilmethoden soweit zu bringen sich verpflichtet, daß iede inokulirte Blatter sich in ein Saatkorn tausend künstlicher verwandeln soll; er hoffe, sagt er, im Ganzen iede malerische Täuschung aus dem Gesichte der Dame so gut auszuscheuern, daß es hernach nicht zum elendesten Beweise der elendesten Ketzerei mehr zu gebrauchen sei. Ich weiß wol, H. Thümel erzält singend eine Inokulazion der Liebe: aber ich für meine Person erzähle hier mit Vortheil prosaisch blos eine Inokulazion des sechsten Gebots... Ueberhaupt kam es mir oft in Kopf, ob man nicht viele Damen keusch machen könnte (so daß eine Keuschheitskommission oder ein Fordyce mit seinen Predigten selbst nicht soviel bewirkte), wenn man selbige (fals es ohne Schmerzen abliefe) etwan schünde.

Man gebe Acht, daß iezt ein Kerl vorgeschleift wurde, der sich verlauten lassen: »in den Gedichten im Geschmacke Grecourts könne ein rechtschaffener Mann mit wahrem Vergnügen blättern und der Verfasser selber sei einer.« – Alle iunge Leute (zumal die alten) wissen, daß dieses Buch abscheulicher caca du Dauphin und eckelhafte boue d'Allemagne ist; ich hätte es längst auf dem geheimen Gemach verbraucht, wenn ich nicht besorgte, ich würd' es auf demselben vorher ein wenig lesen, wie D. Semler leider thut. Ich wuste daher kaum, wie ich den Ketzer heftig genug anfahren sollte: ich spannte den Flintenhahn meiner Nase auf und drückte mich folgendergestalt – los: »Verflucht und verdammt! Er ist beides nicht wenig; sein Irrthum ist in gewissem Betrachte satanisch und Er kann es allenthalben für eine besondere Ehre preisen, die ich ihm anthat, daß ich ihn vom Wirbel bis zur Ferse mit Willen geprügelt. Es wird freilich Leute geben, die auf die Gedanken verfallen, ich werde iezt mit der Peitsche über sein eigentliches Ich herfahren; allein kann es für Menschen, die meinem ganzen Verfahren in diesem Autodafee einige Aufmerksamkeit geliehen und mein ganzes allegorisches, figürliches und anspielendes Betragen darinn gewissenhaft bemerkst haben, kann es denen etwas unerwartet sein, daß ich iezt dem Artaxerxes nachfolge, der nach dem Plutarch, den ich vorher gelesen, nicht den Hofmann selbst, der sich vergangen, sondern das bloße Kleid desselben schlagen lies? Und bin ich daher ohne alle Autorität, wenn ich von seiner ganzen gegenwärtigen Seele – ich mein' ihn – iezt nichts als das elende Kleid derselben, nämlich seinen sogenannten Körper mit einer dürren Ochsensehne tapfer durchgeisele und ausklopfe?« Aus seiner Durchstäupung schöpfte ich soviel erlaubtes Vergnügen, daß ich fast gar nicht damit aufhören wollte. »Ich möchte doch, brach er aus, einen Irrthum nicht so scharf heimsuchen, den er sicher nie behauptet hätte, wenn er nicht der Verfasser der Gedichte im Geschmacke Grecourts selber wäre.« Diese Neuigkeit erboste mich unsäglich. »Gleich da nehm' er'n, Melak, und entmann' er ihn gar drunten, wenn er ihn nicht infibuliren kann.« Der Büttel sah mich an; ich fuhr deswegen in meinem gelassenem Tone fort: »unverschämte Leute entmannen, kann nichts anders heissen, mein Lieber Melak, als ihnen – die Zunge auskneipen: denn bei vielen ist die Keuschheit nichts anders als Stummheit; und infibuliren heißet einem Autor durch Daumenschrauben unvermögend machen zum – Schreiben.«

Melak kam nach der Abführung des Autors zurück und berichtete, dieser gäbe vor, es hätte ihm weh gethan und er könnte schwören, er hätte offenbare Striemen. »Das wäre, sagt' ich, wieder ein neues hübsches Beispiel, was die Einbildungskraft zu allen Zeiten und an allen Menschen vermag. Die Sache ist gar wol möglich. Man glaube mir, ich nebst vielen tausend andern Menschen wir haben im Malebranche oder sonst wo längst gelesen, daß einmal die Macht der Einbildungskraft einen Zuschauer, der iemand rädern sah, von iedem Stos ein Merkmal einstach; wär er daran gestorben, so hätte man behaupten können, er wäre wirklich mit gerädert worden. Den ähnlichen Fall können wir vor wenigen Augenblicken gehabt haben. Ich schien es beinahe ordentlich darauf angelegt zu haben, in der Phantasie des Autors den Gedanken der Schläge ganz zu beleben und zu stärken. Wie sehr must' ich nicht in ihm die Idee von Schmerz und Striemen anregen, da ich die Ochsensehne auffliegen lies und sie auf ihn herunterführte! Den höchsten Grad der Lebhaftigkeit muste aber die Vorstellung des Geprügeltwerdens erringen, als ich gar seinen Leib mit der Peitsche recht heftig umgürtete: wahrhaftig bei solchen günstigen Umständen würde man sich eher haben wundern müssen, wenn seine Phantasie nicht vermögend gewesen wäre, ihn von innen heraus – indem sie meine Peitsche zum Rostral gebrauchte – mit Striemen zu liniren. Inzwischen gehören diese Striemen in die Physiologie.«

Ein gutes philosophisches Lehrgebäude ist nichts als eine Bilderblinde, in die ein Mensch sich selbst als eine Statue hineinstellet, um von unzähligen angebetet und angeschauet zu werden. Ich hölte mir vor fünf Jahren auch meine Bilderblinde aus. Das Hasische System ist ia wegen seiner unglaublich vielen Kunstwörter und wegen seiner Vortreflichkeit bekannt und beliebt; wenigstens solt' es im vollen Maße oder könnt' es: denn ich für meine Person habe überhaupt Ruhm genug; allein die Bevölkerung ist zu übermäßig und gäb' es nur weniger Menschen auf dieser ganzen Erde – etwann so viel wie in meinem Wohnort, so müste mich und mein System fast ieder Hund kennen. Dieses nehm' ich nur daraus ab, weil in der That an dem Platze, wo ich hause, mein Lehrgebäude weiter nicht unbekannt ist und ich bin ganz und gar nicht der einzige Hasianer daselbst. Daher hatt' ich auch einen Antihasianer, den Melak zur weitern Bestrafung der ganz verschiednen Meinung der er mit mir war, gerichtlich aufgehoben hatte. Ich must' es iezt gänzlich vergessen, daß ich Hasus hiesse, und mich blos erinnern, daß ich die Wahrheit war: freilich ist, wenn man seine fünf Sinne mäßig anstrengt, der Unterschied zwischen dem Philosophen Hasus und der Göttin Wahrheit am Ende nicht beträchtlich und betrift vielleicht blos die Kleidung.

»Herr Hasus, redete ich meinen Widersacher an, ist wie es scheint einer unserer größten Philosophen; diesem Urtheile fället er selbst und Deutschland mit Vergnügen bei. Das sollten Sie vorher recht überleget haben: noch mehr – in der That unbeschreiblich – hätte ieden andern als Sie das gerühret, daß das Hasische System vor allen möglichen und wirklichen den Vorzug besitzet, daß es bis auf das kleinste Scholion ganz von der Wahrheit unterschrieben wird, wie mich die Menschen nennen: alle andere Systeme hingegen entbehren diesen meinen Beitritt in iedem Betracht. Wahrhaftig wenn ich den Zizero anschaue, der gestand, er wollte lieber mit dem Plato irren, als mit iedem andern Recht behalten: so seh' ich, daß Sie nicht einmal etwas ausserordentliches thäten, wenn Sie sich erklärten, Sie wollten viel lieber mit der Wahrheit irren, als mit der Unwahrheit Recht haben und lieber meinem Systeme beitreten, als einem wahren andern: denn Plato wiegt, so bald man ihn in die linke, und die Wahrheit in die rechte Wagschaale sezt, gegen Sie so viel als seine Asche gegen meinen Körper. Wider meine ganze Neigung thu' ichs: aber ich muß Sie recht hart stäupen.«

Er sagte, es wäre kaum drei Minuten, daß er vom Hasischen System ganz gut überzeuget worden: »denn was ist (nach Platner) die wahre Ueberzeugung anders als die lebhafte Vorstellung eines Satzes?Wenn bloße lebhafte Vorstellung eines Satzes Ueberzeugung von ihm ist: was ist denn lebhafte Ueberzeugung? Nicht im bloßen Grade der Lebhaftigkeit, der an der Ueberzeugung selbst abwechselt, kann Ueberzeugung und ihr Gegentheil verschieden sein. Und diese leztere fehlet mir iezt von ihrem Systeme nicht.« – »Wahrhaftig, sagt' ich, ich freue mich darüber, wie ein Kind. Daher hab ich einen schlechten Stecken mitgebracht, der in Kriegs- und Friedenszeiten einige gute Dienste thut und zu ieder Stunde zu gebrauchen sein wird, man mag nun seinem Nebenchristen und Leuten von anderer Religion damit etwas versetzen oder nur verzeihen wollen. Da gewisse Mönche in Italien (nach Moore) durch die Berührung mit einem Stecken absolviren: so kostet es mich iezt gar keine Mühe, Sie in allen Stücken – vielleicht könt' ich Sie damit zu einem Ritter des Hasianismus schlagen – von Ihrem Irrthum loszusprechen, indem ich gegenwärtigen, schweren Stecken mit ziemlicher Schnelle auf Ihren verbesserten und aufgehellten Kopf aufsinken lasse.«

Und ihr großen Philosophen vieler Zeiten, deren Schriften wir nicht einmal alle haben, gebt selber die nöthigen Winke, ob die Hand eines ordentlichen und vernünftigen Wesens wie ich das gute System, das sein Kopf entwarf, mit andern bessern Hülfsmitteln verbreiten könne, und ob ich es nicht allen lebendigen Philosophen mit Maßen empfehlen soll? Denn hab' ich Unrecht, wenn ich es ganz frei heraus gestehe, daß die wenigsten von ihnen den Muth und Willen haben, Personen, die ihr Lehrgebäude beschmutzen und einstoßen, so fort zu prügeln und dem Zäsar, der gleich gut focht und schrieb, nachzustreben indem sie die Unterthanen ihres Systems iede Woche vermehren, es sei mit der schwachen Feder, es sei mit dem stärkern Stocke?

Nachdem ich endlich noch 50 Exiesuiten aus dem Herzogthume Jülich, die sich daselbst durch eine Bittschrift die Erlaubniß sich zu geiseln, glücklich erschlichen hatten, so lange in geometrischer Progression geiseln lassen als unumgänglich nöthig war, um aus ihnen den Wahn von der Vorzüglichkeit des Geiselns zu veriagen: so konnt' ich mit gutem Gewissen mein Autodafee zu meiner grösten Zufriedenheit feierlich und rührend beschliessen, und gieng mit eben dem Ernst, womit ich gekommen war, mit der Spiesgerte und in der Begleitung der sämtlichen Inquisiten und des voraus springenden Hundes (der sich einbildete, er hätte der Religion soviel als die spanischen Hunde in Peru genüzt) hochmüthig nach Hause, und sann nach, aus was für Absichten ich der Wohlthäter von tausenden und der Hebebaum der ganzen Erde geworden? Ich meine, ob aus ganz reinen.


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