Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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Ueber das vierte Ungeheuer hab' ich einen Schriftkasten aus der Buchdruckerei gedeckt. Es ist sicher einer unserer grösten Autoren. Zwar scheint er den Fehler zu haben, daß er fast aussieht wie wir alle: allein, ich habe das Zutrauen zu ihm, es werde doch irgendwo auf seinem Körper etwas von einer Misgeburt verborgen sitzen, was eben alle Reisende zu seiner Beschauung so anriß. Ich wurde seiner unvermuthet mit Gewalt habhaft, als er dem neugierigen Ungestüm der Reisenden, die aus allen Löchern Deutschlands auf ihn losruderten und um seinen Anblick kämpften, durch einen Sprung in meine öde Nachbarschaft entkommen wollte und mir zum Glück begegnete. Um die Langeweile seiner Gefangenschaft ihm zu versüßen, gab ich ihm eine musterhafte Einladungsrede, worin ich iedes Wesen zur Besichtigung grosser Männer ansporne, zu lernen auf: hab' ich denn manchmal einen guten Freund bei mir, so muß sie das Ungeheuer langsam hersagen. »Georg, sag' doch deine nicht unangenehme Rede her, der Herr Leser sind da und die übrigen, und mach' es hübsch genung.« Ich wünschte, Georg würde durch keinen von uns unterbrochen. – »Glücklich ist der Autor, den ieder sehen will, und noch glüklicher der, der ihn besieht. Man kann einen Autor vielleicht gut in zwei Theile eintheilen, in den Leib und die Seele. Blos die leztere lebt durch seine Bücher an iedem Orte und besonders unter den Nachkommen, bei der Nachwelt liegt sie den ganzen langen Tag: sein Körper aber nicht; der gehöret lediglich der Mitwelt zu; die muß ihn so gut sie weis nützen und handhaben: denn durch nichts machte man sie vernünftigen Feudalisten lächerlicher, als wenn man erweisen wollte, dieser männliche Körper wäre blos ein Kunkel- oder Weiberlehn. Daher ist es schlimm, wenn nicht alle Fremde Karavanenweise zu einem berühmten Autor walfahrten und sehen, wie er im Grunde aussieht; besonders sollen wenigstens die Einfältigen bedenken, daß man ihnen zumuthen kann, ihn zu umschiffen und seinen ganzen Körper fest als hielten sie ihn mit einem Stekbriefe zusammen, in die Augen zu fassen. Denn es kann doch niemals genug sein, das eine Bein auf den Arm des Kanapees zu streken und so das Buch des Autors von der Titelvignette bis zu den Drukfehlern durchzuflattern, ohne vom langen Autor selbst vielleicht nur einen halben Zoll erblickt zu haben, so wie die, welche am Sonntage blos zu Hause die Predigt lesen, ohne in die Kirche zu fahren und da den Prediger selber anzusehen und anzuhören, nur schlechte Christen heissen, gesezt auch der Pfarrer äße abends bei ihnen und sie sehen ihn an. Ueberhaupt versteht man selten einen Autor, den man niemals gesehen und kenntnißbegierige Leser wünschen ihn immer einige Tage oder Wochen früher zu besuchen, als zu lesen: denn unsere Kenntnisse fangen ia durchaus von den 5 Sinnen an – (ia oft muß zu dieser Observazionsarmee noch als ein Hintertreffen der sechste stossen, von dem die größten Weltweisen und Edelleute allenthalben gern lernten und der die Wahrheit zu sagen und offenbar nichts anders ist als unser Fakelträger und unsere Epiktetslampe und unsere mit Queksilber gefüllte Nachtschlange und unsere dritte Form der Anschauung und unser Taschenperspektiv für viele Kenntnisse, wiewol er täglich mehr zu einer bloßen auf der Morgenseite angebrachten Sonnenuhr zu werden droht, die nicht länger als vom Morgen (des Lebens) bis gegen 11. Uhr Mittags zu gebrauchen ist, und es ist ein wahrer und lateinischer Satz: non est in intellectu quod non fuerat in sensu d. i. unmöglich kann man mehr von einem Autor wissen, als was man durch seine fünf Sinne von ihm erfahren. Es kann daher niemand im Ernste läugnen, daß ein guter Schriftsteller viel in seinen so äusserst dunkeln Werken fäßlich machen würde, wenn er oder sein Buchhändler seinen Körper statt eines Glossators und Schlüssels dem denkenden Leser zuschickte; mit einer Schriftstellerin ists eben so. Wenn es nicht bekannt ist, wie sehr Aristides Kenntnisse durch die Stubenkammeradschaft und noch mehr durch die Berührung des Sokrates gewonnen: der kann den Theages des Plato unmöglich gelesen haben. Wahrhaftig, eine nicht kleinere Rechnung finden noch täglich die Einsichten des iüngsten Reisenden, bei dem Anblicke grosser Männer und sein eignes Bewustsein und sein grösserer Stolz, der meistens mit den Kenntnissen schwillt, und seine größere Redseligkeit können und dafür wohl nicht die unsichersten Bürgen sein.... Nach guten Philosophen oder gar nach Stahl, zimmert sich die Seele ihren Körper im Mutterleibe selbst: das weiß nun ieder; deswegen wollen eben Personen, die die Seele eines großen Mannes noch nach ganz andern und zuverlässigern Probstücken als seine Schriften sind, welche sie erst in ihrem spätern und kraftlosern Alter, oft 20 Jahre nach der Geburt verfertigte, zu schätzen und zu richten begehren, daher wollen solche gern zum Meisterstücke der Seele selber reisen und blos ihren Körper betrachten, der immer die Hauptrücksicht bei der Entscheidung bleibt, wie viel an der Seele ist. Liesse man das seltener aus der Acht: so könnten Genie, Anstand und Schönheit nicht so oft Autoren (besonders denen aus der großen Welt!) lächerlicher Weise abgesprochen werden, die zu ieder Stunde des Tages einen Körper vorführen können, der Genie und Anstand und Schönheit leicht aufweiset und über dessen Ausfeilung man die größern Unvollkommenheiten ihrer Schriften eben so gerne übersehen sollte, als man der Iliade die Odyssee verzeiht – eben so würden Hofleute nicht mehr so willig ihr feines Lob an so manche schlechte Autoren verschwenden, wenn sie die Leiber derselben einmal gesehen hätten, an denen offenbar kein Schimmer von der Schönheit, dem Anstand und dem Genie ihrer Schriften ist. – Das wichtigste ist endlich, daß Zudringlichkeit aller Art dem großen Manne fast nie lästig fällt: denn eine sonderbare stoische Unempfindlichkeit hebt ihn über alle Foltern von aussen hinweg, und es ist ihm im Ganzen einerlei, ob man ihn besucht oder in einem glühenden Ofen zu Pulver brät. Stände er indessen noch nicht unter dem Sturmdache des Stoizismus: so müßten ihn eben mehrere Neugierige dadurch darunter treiben, daß sie sich zusammen thäten und ihn durch unermüdetes Besuchen zu einer männlichen Standhaftigkeit in der Langweile und Verlegenheit abrichten, durch die er Ch. ähnlich würde, der sich in der Hölle ohne alle Schmerzen befand.« Ich habe während der ganzen Einladungsrede des Georgs an nichts gedacht, als an einen eben so guten Vorschlag. Wenn unsere sämtlichen guten Autoren den Millionen Menschen, die nach ihrer Beschauung schreien, das sauere Reisen erließen und vielmehr selbst in einen kleinen Phalanx sich zusammenzögen, um gemeinschaftlich und nicht einzeln sich dem heiligen römischen deutschen Reiche darzustellen: so wär' es der Welt angenehm und alles gieng aufs Beste von statten; und ich meines Ortes mache mich anheischig, sogleich von der Zahl zu sein. Wenn freilich das Pagenkorps der schlechten Autoren durchaus das gehende Heer der guten, die ihnen oft geschadet, vor sich her durch Städte und Marktflecke treiben wollte, um nur das Schaugeld zu erwischen: so müßt alles mögliche vorgesucht werden, um nur ein erbärmliches Spektackel abzuwenden, das uns Autoren alle um Brod und Ehre brächte.

Im Bärenkasten dort springt noch mein fünftes und leztes Ungeheuer munter auf und nieder: ich mag es aber gar nicht herausiagen. Denn ich habe Ursache, mich seiner vor iedem zu schämen, weil man mich mit ihm schändlich betrog. Mir wurde es unter christlichen Schwüren für ein wahres menschliches Ungeheuer verhandelt: es ist aber, wie gestern ein aufrichtiger Professor mit Recht behauptete, augenscheinlich weiter nichts als ein Affe.

Das sind die fünf menschlichen Ungeheuer, die ich allen Menschen vorführen wollte und für fünf Treffer aus dem Zahlenlotto des Glückes halten konnte. Allein, ein gesunder Mann kann sich von so wenigen unmöglich beköstigen, sondern muß nach mehrerern iagen. Und meines Erachtens giebt es auch, es mögen Leute, die es verstehen oder nicht verstehen, dagegen sagen was sie können, noch viel mehrere einzufangen. Freilich ist in London ieder, der betteln will, in mehr als einer Rücksicht, glücklich. Bei einer Amme in der Vorstadt klaubt er sich unter vielen blinden, lahmen, krüpelhaften Kindern das nach Gefallen aus, mit dem er das meiste Mitleiden der Christen zu erwecken verhoffet: ich weiß aus Büchern, er zahlt dafür, für diesen lebendigen Bettelbrief des Tages nicht mehr als 18 Pence. Allein, man muß uns doch nicht für so gleichgültig gegen den Ruhm Deutschlands oder unbekannt damit ansehen, daß man uns zutrauet, wir wüsten von seinem Vorrath an guten Ungeheuern das Wenigste. Nur das ist schlimm und bekannt, daß wenige Ungeheuer darin – gesezt auch, man wollte ihnen monatlich etwas Weniges dafür geben – sich in der halben Welt wollen zur Schau herumfahren lassen, und ich weiß das Leztere aus sichern Proben. Ich hab' es, aber ohne den geringsten Erfolg (gleichwol verdriesset es mich nicht, es eben iezt wieder zu thun) probieret und iedem, der es gewiß weiß, daß er ein Ungeheuer ist, zugemuthet, sich auf der Post einschreiben zu lassen und zu meiner Truppe und Horde zu stoßen: ich versprach es allen theuer, ich wollte, um mir und meinen Ungeheuern größeres Mitleiden zuzuwenden, in den meisten Städten und Dörfern sagen, ich wäre leider ihr leiblicher Vater: sogar den hiesigen alten Acciseinnehmer und einen Advokaten wollt' ich, wenn sie mit zögen, beide adoptiren. Ueberhaupt hält Deutschland noch Ungeheuer in seinem Beschlusse, die ungemein sind, die aber von den wenigsten großen Städten benüzt und beschauet werden. So stand z. B. noch schwerlich auf einem hölzernen Theater, der Kronprinz für Geld zur Schau aus, auf dessen Halse bei seiner Geburt (ich sahe selbst ihn durch das Vorzimmer tragen) statt des gewöhnlichen Kopfes eine hohe Krone saß, und vielleicht ist er gar nicht mehr am Leben. In meiner Gegend ist es etwas Bekanntes, daß ich vor wenigen Jahren im Schlambade zu St. Amand einen gewissen nakten Kammerpräsidenten überfiel, an dessen Körper die Wahrheit zu sagen mehr als hundert Hände herunter hiengen, mit deren ieder er den Unterthanen etwas weniges nahm, um den Fürsten mit seinen zwei natürlichen etwas Geringes davon abzugeben, sie waren ihm alle wie dem Tausendfusse seine zahlreichen Füsse erst lange nach der Geburt hervorgewachsen. Vom Minister weiß es der ganze Hof und der entlegendste Landpfarrer, daß er eine Zunge in seinem Munde und zwischen seinen Zähnen führt, die (was doch auch vielen nachdenklich ist) so gut als ein langer Geldbeutel belohnen, bereichern und Bedienungen hergeben kann, wie gewisse andere Ungeheuer mit ihrer Zunge nähen, schreiben u. s. w. konnten. Gleichwol besorg' ich, daß noch fast gar an keine Anstalt gedacht worden, diese beiden Ungeheuer in einem weiten Gitterkasten vor die Augen der Welt hinzufahren, und sie werden noch lange ihres Amtes mit einer Treue warten, die um kein Haar von der historischen und ehelichen absteht.

Oft ist der Körper eine lange und breite Allongeperücke, die die innerlichen Höcker der Seele verdeckt. Daher erstreckt sich leider oft die Misgestalt der besten und schönsten Ungeheuer nicht über das Herz und das Gehirn hinaus und geht für die Welt so gut als verloren: aussen um den Körper herum ist alles glatt und recht. Hätte das Fortunatus Lycetus in seinem Traktate de monstris besser als ein andererer ausgeführt: so könnt' er noch im Sarge einen Lorbeerkranz haben. In einem solchen Falle kann nun wol der Direktor oder Ordensgeneral oder Thierkönig der Ungeheuer das Beste bei der Sache thun und seinen Bekannten zeigen, daß er kein Tropf ist. Denn es ist dann seine Pflicht, an solche Ungeheuer die letzte Hand zu legen, und den Körper vollends gar nach der Seele umzugiessen. So gut nun der Teufel Misgeburten zusammensetzen kannDenn die alten Theologen schreiben dem Teufel aus Gründen die Schöpfung der Misgeburten zu. Gedachter Lyzetus giebt im 3. Kapitel des zweiten Buches vielleicht die meisten Handgriffe an, mittelst deren der Satan einen Fötus zur Misgeburt umarbeitet; und ein Ungeheuerndirektor hat nöthig, sich den einen und andern guten davon zu merken, z. B. Lyzetus berichtet, der Teufel stecke den Fötus mit Krankheiten an die dem Gesichte thierische Verzerrung eindrücken. Was hätte denn zufolge ein geschickter Ungeheuernordensgeneral zu thun, um der misgestalten Seele eines wolgebildeten Wollüstlings einen eben so misgestalten Körper umzuthun? Was der Teufel thut: er muß ihn durch eine Schöne (wie denn schon nach Tazitus unsere Vorfahren keine andern Aerzte hatten als Weiber) kränklich machen lassen. ; so gut bloße Menschen sich auf der Maskerade die Gestalt eines ieden Thieres umzugeben wissen: so gut hoff' ich als zeitiger Ungeheuerndirektor nicht ganz und gar ungeschickt zu sein, durch langes Unterbinden, Ausdehnen, Amputiren, In- und Transfusion und durch tausend bessere chirurgische Operazionen einen alten guten Staatsminister in eine Hyäne zu verwandeln, oder einen Hofmann in eine kouleurte stille Schlange, oder einen Konsistorialsekretair in einen jüdischen Juwelenhändler, oder einen Wiener Autor in einen spassenden Hasen. Wilde Moralisten werden mirs deswegen doch nicht verdenken, wenn ich iedem Zuschauer weis mache, diese Personen, die ich selbst erst zu Ungeheuern gemacht, seien vielmehr schon so geboren worden. – Will sich übrigens eines dieser Ungeheuer nicht lebendig in meine thätigen Hände wagen: so bin ich auch gar der Mann nicht, ders ihm übelnähme, wenn solches vorher seine Seele in den Himmel oder in die Hölle triebe und mir blos den Körper einhändigte.

»Das nämliche soll die Gerechtigkeit gethan haben, sagte Haberman; allein, der Schuster in Wezlar, von dem ichs leider habe, belog mich öfters und aus Spas. Es ist ihm gewis so wenig als den Juristen zu glauben, welche den Menschen, ihren Mitbrüdern, glaublich machen wollen, sie klemten die ausgewurzelte Gerechtigkeit in den Gesetzbüchern wie Kräuter in lebendigen Herbarien mit einigem Nutzen ein und, konservirten sie da ausgetrocknet und aufgepapt nicht schlecht. Sondern ich denke, mit der Gerechtigkeit steht es eben nicht schlimmer als mit andern Tugenden, besonders der Keuschheit und Redlichkeit, ia vielleicht eben so gut: denn als diese Tugenden boshafter Weise aus unserm Herzen sich heraus schleichen wollten: so schnapten wir insgesamt unversehends und gleichgültig mit dem Maule zu und hielten sie alle in Haft: nun müssen diese Tugenden fast auf eine lächerliche Art seit langer Zeit auf unseren Zungen, wie auf schmutzigen Sitzstangen sitzen.«

Man hat sich gar nicht zu wundern, daß die Aussagen des Schusters, der Juristen und des Bratschisten von ordentlichen und ausserordentlichen Professoren untersiegelt werden: Denn diesen allen hab' ich noch kein Jota von folgender Geschichte erzählen können:


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