Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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Es ist mir nicht zu verdenken, daß ichs iezt ganz mit dem alten Skotus halte, wiewol der heilige Athanasius und Basilius selbst nichts anders verfechten. Diese drei schreibens an irgend einem Tage in die Welt hinaus, sie könne glauben, iede Frau – außer der Maria – käme als ein hübscher wolgewachsener Mann aus dem Grabe hervor und im Himmel liefen lauter Chapeaux herum. Es that anfangs wenige Wirkung auf beide Kirchen, die sichtbare und unsichtbare: man glaubte ihnen blos, ohne sein Leben im geringsten darnach zu ändern; und selbst in den neuern Zeiten ist es mehr Zufall als Verdienst, daß die Weiber besser wissen, was sie auf der Erde sollen, und daß sie, da das Grab der Strekteich ihres Körpers ist, und ihn in einen Mann umgiest, die eben so nöthige Umschmelzung der andern Hälfte, der Seele, schon bei Lebzeiten zu betreiben anfangen, weil sonst ihre weibliche Seele gar nicht in den männlichen Körper hineinpassen würde. Seit 30 Jahren aber muß sie hineinpassen, wenn anders ihre bisherige Losreissung von weiblicher Kleidung, Schamhaftigkeit, Zärtlichkeit, Bescheidenheit, Einsamkeit so groß und ernstlich gewesen, als ich mich bereden möchte, um sie den Männern ähnlich zu finden. Schamhaftigkeit besonders scheinet, die Wahrheit zu sagen, einer Frau und einem Kranken gleich übel zu stehen, und man prüfet ia Damen und Röthel daran, daß sie beide einem an den Lippen hängen bleiben. Ich war nicht immer so unglücklich, aus Gesellschaften verwiesen zu leben, wo die Damen, deren Geschlecht ich doch aus ihrem Kopfputz merkte, so gut über Physik und Chemie sprachen, und im Ganzen genommen, so gut fluchten und schworen, daß dieser und jener aus Einfalt annahm, sie wären rasirt. Daher lassen gute Anatomiker beide Geschlechter elend in Kupfer stechen, damits die Welt selber sieht, daß sogar ein weiblicher Embryon bis auf ein Haar (wenn er eines hätte) einen männlichen gleich sei, und man würde ewig beide vermengen, wenn sie niemals geboren und erzogen würden: denn dann, nach der Geburt weis man wahrhaftig kaum mehr, ob das Weib nur iemals ein Mann war. Ich glaub' auch nicht, daß die etwas anders als mein besagtes System im Kopfe gehabt, die es für etwas gewisses ausgaben, daß, wenn irgendwo Frauenschneider und Sättel nicht zu haben wären, so wärs im Himmel. Deswegen kan freilich dort ein ganzer Eimer von Jungferschaftsessig (vinaigre de virginité) wenig zu gebrauchen sein: denn blos auf der Erde nüzt er ein wenig und ist das wahre Bad der Wiedergeburt von tausend verlorenen Tugenden.

Es war meinen Freunden und Feinden nicht lieb, daß ich zu Yf – denn mein Weg trug gerade durch die Residenz – den Thron bestieg. Allein, wie wenig war diese ganze Handlung metaphorisch und allegorisch! Sondern sie war blos wirklich und körperlich. Da der Thron gerade ledig stand, weil der Fürst, für den er und die Ehrenpforte gebauet war, iede Stunde eintreffen wollte: so nahm ich mir die Freiheit und stieg hinan und sazte mich darauf. Ich schaute mich darauf um: gütiger Himmel! wie hoch ist ein Thron! Ich konnte von da herunter die Unterthanen für nichts als aufgerichtete und tanzende Mäuse nehmen, so abgekürzt kamen sie mir vor. »Ich besorge, fragt' ich zu einem daneben stehenden Hofmann, ich halt es auf diesem Throne nicht lange vor Schwindel aus, sondern rolle in kurzem zu iedes Schrecken hinunter.« Der Hofmann lächelte, aber unter dem Lächeln nahm er eine große am Throne hängende BrilleH. Pingeron dachte zuerst an eine Brille, die die entfernten Gegenstände unsichtbar macht und nur die nächsten zeigt. Wer sie nun um hat, sagt er, kann ohne Schwindel auf dem höchsten Seile tanzen, weil sie die Höhe und Tiefe entzieht und dadurch die Furcht wegnimmt. Sammlung von Kunststücken für Künstler etc. von Wiegleb übersezt 2ter Th. S. 188. und schnallte sie um mein Haupt, das ich nicht sowol zu den gekrönten rechne als zu den übrigen. »Ich merke alles, sagt' ich, als ich die Brille fest um den Kopf hatte und durchsah; freilich hinter einer solchen Brille ist der Mensch vor dem Schwindel so sicher als säß' er auf einem glatgebohnten Fußboden, und iede Klaue von einem Unterthan und kurz, der ganze untere Schifsraum des Staats ist durch diese Brille wie weggeblasen.« – »Ohne eine solche Brille, sagte der Hofmann, als ich sie ihm wieder hinlangte, genösse auch kein Regent, dessen Augen weit sehen, eine fröhliche Minute, und honette Gesellschafter des Fürsten können, denk ich, nicht zu sehr ihm eine umzulegen eilen, damit er von seinem Mastkorb mit seinem Blick nicht tiefer herunter reiche, als blos bis zu uns Hofleuten: mit kurzsichtigen Fürsten brauchts freilich das nicht; ihre Augen sind selbst eine solche Brille.« Man nehme mir es nicht übel, daß ich dem Himmel Dank sagte, daß mir der Hofmann so fein geschmeichelt hatte.

In HardenburgDie Schöppen von Hardenburg (in Westphalen) setzen, wenn sie einen neuen Bürgermeister brauchen, eine Laus auf eine runde Tafel und sich an dieselbe. Der Bart eines ieden langt auf den Tisch herab. In wessen seinen nun die Laus kriecht: der ist nach der Wahlfolge der neue Bürgermeister und ieder ist zufrieden genug. Hommel Obs. DXLVI. hätt' ich – denn nimmermehr hätte das Insekt sich mit Fleis von mir abgekehret, da ich ia so lebendig war als irgend etwas, – Bürgermeister werden können, wenn ich an meinem Kopfe einen Bart gehabt hätte, der völlig auf den Elekzionstisch heruntergegangen wäre. Seine Kürze aber ist zu bekannt. Ueberhaupt sind meine Absichten nicht unredlich, wenn ich iezt mit einem unvermischten Bedauern diesem Insekte zu Last lege, daß es gar nicht wissen muß, daß tausend eben so gute Insekten im deutschen Reiche die besten Bürgermeister, Pfarrer, Schullehrer etc. wählen, ohne nur an einen Bart zu denken, nicht einmal an einen metaphorischen. Und zergliedert man den Begrif, den man sich von einem unverfälschten Bürgermeister bildet, mit gutem Erfolge: so müst' es der Henker sein, wenn man nicht fassen wollte, warum. An einem gut eingerichteten Staatskörper müssen durchaus Glieder sitzen, die fett sind. Der Staat thut dabei so viel er kann und noch viel weniger. Er glaubt, daß er, wenn er an gewissen von seinen Dienern durch Erziehung oder sonst den Kopf wegschaft, (daß der sichtbare noch dableibt, schadet wenig; er ist blos das Futteral oder das Schaalengehäuße oder der Geschäftsträger des weggeschaften) seinen Zweck nicht gänzlich verfehle, diese Diener dadurch zu mästen, wie man auch die Bäume durch Wegnehmung ihres Gipfels dicker macht. Zweitens erschwert die Bewegung das Fettwerden, wunderbar. Wenn mithin das gemeine Wesen nicht darunter einbüssen sollte: so musten durchaus gewisse große Häuser (man nennt sie ia bekanntlich Rathshäuser, Kollegien etc.) blos darzu aufgebauet werden, damit man die Mastsubiekte (so wie man Kapaunen und Gänse in enge Behältnisse zum Fettwerden einklammert) von Zeit zu Zeit darein thäte und da zu dem Stillesitzen nöthigte, ohne welches nicht einmal ein Schwein fett wird; man nennt diese bestimten Enthaltungen von der Bewegung Sessionen oder Sitzungen. Freilich blendet man noch den gedachten Kapaunen die Augen: aber ich denke, bey vernünftigen Rathsgliedern, die wissen, daß sie zum Fettwerden die Augen, wenn die Session was helfen soll, nothwendig zuschliessen müssen, wird mans nicht nöthig haben. Staaten, die dieses nicht hintansetzen, kommen, wenn ein Fremder wie ich durchfährt, diesem wie geschonte Wälder vor, wo alles von dicken Bäumen starret. – Die Gelehrten gehen zwar auch darauf los, ihren matten Unterleib zu paraphrasiren, sie studiren und sitzen daher über den besten Werken die sie lesen und den schlechtesten die sie schreiben, unablässig: allein es gab zu allen Zeiten einen oder den andern der den Kampf von den Vizeralklystiren in der Stube oder im Kopfe hatte und vor dem mans nicht verhehlen konnte, daß das Fett, womit Gelehrte sich gürten, wirklich nichts sei, als elend' pituöse, hypochondrische Materie oder Infarktus, die gegen den Fettpolster eines gesunden und weisen Rathes in die allerschlechteste Betrachtung kommen. – Was die Geistlichen aufm Lande anlangt, so kenn' ich viele Leute, die aus Furcht, der Satire auf einen ganzen Stand beschuldigt zu werden, es nicht zu gestehen wagen, wenn einer oder der andere von ienen hager und mager ist und schlecht trinkt: allein was kann der Stand für ein oder zwei Glieder, die schlechte Fässer der Erwählung sind und haben, wenn er auf der andern Seite sich wieder mit zehn andern rechtfertigt, die es mit Nutzen wissen, wozu sie die historische Wahrheit verbünde, daß Bachus der Erfinder des Gottesdienstes und des wahren Trinkens gewesen? Gleichwol besorgte die Kirche, es würden die wenigsten von ihnen wachsen und trinken, und wikkelte sie daher in die hängenden aufgedunsenen Priesterkleider ein, damit sie wenigstens bei Amtsverrichtungen den Schein der Dickleibigkeit umhätten, wie ein eingedorrter Akteur, der den Falstaff nicht gemacht hat sondern noch macht. Die Staaten sind niemals unglücklich, sagen Leute von Einsicht, die vom Kanditaten eines Amtes nichts fodern als unglaubliche Konvexität des Rückens und Bauches, und ich logirte selbst zu Nachts in solchen Staaten: Das ist aber gar kein Wunder, denn die Kammer muß glücklich sein, weil sie dem Kandidaten das Besoldungsbrennholz unter der naturhistorischen Entschuldigung einziehen kann, es gebe keinen wärmeren Pelz als Fett, und der Kandidat muß noch glücklicher sein, da er wie das Mikroskop im Verhältnis seiner Konvexität iedes goldne Insekt, und sich vergrössert. –

Es war ganz meine Absicht, eine Reise zu machen, deren Erzälung einen Tag bedürfte, der so lang wäre wie der Reichstag, nämlich 125 Jahr oder so; ich hätte sie französisch beschrieben und dann für deutschen Druck und Pränumerazion übersezt: aber in Marseille lies mich der dasige Bürgermeister unchristlich auf lange blessiren, weil ich im Parterre mit stand und entsetzlich trommelte und pfif (wie die andern alle), um durch diesen Lärmen zu hindern, daß er nicht die so oft wiederkäuete Oper »Zemire und Azor« zu Gefallen einer Dame noch einmal wiederkäuen liesse. Allein, der Bürgermeister machte einen noch grössern Lärm und lies unter uns sämtliche trommelnde Zuschauer schiessen, wie unter wilde Gänse; indessen wäre das noch passabel gewesen, wenn nicht gerade diesen Abend der Teufel einen besondern Groll gegen mich gehabt, und meinen linken Arm, und das Schienbein so geschickt zwei Kugeln gegenüber gestellet hätte, daß sie besagte Glieder nothwendig lädiren musten. Es wurde mir dadurch mit dem Arm zugleich mein kleiner Nahrungszweig zerschossen und ich konnte vor keinem gescheuten Ohre eine Note mehr greiffen, ob ich gleich, die Wahrheit zu sagen, auf meinem ganzen Hausiren durch Europa, von keinem Hofe für mein starkes Bratschespielen so bezahlt und beschenkt geworden, daß ich wäre zufrieden gewesen, – es war auch kein Hof mit meiner Bratsche, allein man hatte sichs einfältigerweise in den Kopf und ins Ohr gesezt, ich handhabte mein Instrument so schlecht wie der Heuschreckenzug der gewöhnlichen Virtuosen. Ich kam in meiner Erzählung davon ab, daß ich nichts hatte; und obgleich in Marseille ein Münzhof und in diesem ausserordentlich viel Geld war, so war ich doch nicht im Stande, es zu einer Koniunkzion mit den Gold- und Silberscheiben oder nur zum Gesechsterschein zu bringen, (welches beides gut ist) sondern ich blieb, ich mochte segeln wie ich wollte, beständig in der Opposizion stehend, die recht schlimm ist, wenn nicht der Kalendermacher mich wie ein Zeitungsmacher belügt. Ich wäre länger ohne Geld und Gut geblieben, wenn nicht meine Reise durch diese Welt, sich in eine Reise in die andere hätte zu verwandeln geschienen, d. i. wenn nicht ein schneller Blutverlust mich in eine solche glückliche Ohnmacht begraben hätte, daß redliche Christen mit so gutem Gewissen mich beerdigen konnten als ob ich schon gestunken, welches sie auch thaten, – allein, ich würde dennoch diese Beerdigung für kein Glück gepriesen haben, wenn ich blos in das Franziskanerkloster, (ich begreiffe aber nicht, wie man mich mit einem vornehmen Katholiken verwechseln können) wäre beigesetzet worden; – denn der gröste Vortheil dieser heiligen Begräbnisstätte, lief darauf hinaus, daß mir ein Drittel meiner Sünden verziehen wurde: ich brauchte aber eben das gar nicht, da ich erst in Madrid für die Beschauung von 8 Stiergefechten, deren Entreegelder zu einem Kirchenbau kamen, von den Franziskanern auf 2 ganze Jahre ächten Ablas erhandelt hatte, und mithin ohne allen Stof zum Vergeben da lag – ich meinte, ich hätte es kein Glück genannt, wenn ich blos wäre begraben und nicht wieder (ich glaube, eine Ratze thats oder ein Heiliger) auferweckt worden; das erste was meine auferstandene Augen in der Klosterkirche sahen, war ein langer breiter silberner Fuß und ein Marienbild, an dem er herunterhieng, und dem ein Podagrist für die Belebung des seinigen und dadurch gedankt hatte, daß er die Maria in einen Dreifuß verkehrte. Da ich mir bewust war, daß ich zufälligerweise mehr Ablas als Sünden besässe und lange sündigen müste eh' ich nur einem Heiligen ohne Sünde gliche: so konnte ich mit Lust zu Einer greifen d. i. zum silbernen Fusse – ich rede deutlicher wenn ich berichte, daß ich besagten Fuß mit meinen Händen säkularisirte und dieses Klostergut einzog, um es nicht so wol zu einem Religions- als Lebensfond zu machen. Als ich mich und den Fuß aus der Kirche gestohlen hatte: merkt ich erst, daß ich lebendig war; und da mir der metallene Fuß weit mehr zum Fortkommen diente als die 2 fleischernen, wovon einer durch den schiessenden Bürgermeister lädirt war, so war ich ohne einen Geigenstrich in 2 Monaten, und ohne den silbernen Kothurn wieder am gegenwärtigen – Schreibtisch, auf dem ich iezt mit Lust dieses an H. Blanchard hinschreibe:


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