Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eh' ichs aber thue, muß ich nicht so wol eine Ausschweifung vorausschiken als eine Ausholung.

Wenn ich denn werde aufgedecket haben, was für Jammer die Rezensenten auf dem Parnasse angestiftet: so werde ich und der Leser darüber weinen und gestehen, daß die Selbstrezensenten nöthig sind, ihn wieder zu tilgen. Nämlich niemand, als iene, sezten das neuliche goldne Zeitalter unserer Litteratur (die sogenannte Genieepoche) in das iezige Queksilberne um, und diesen Vorwurf wälzet vielleicht in Ewigkeit niemand von ihnen ab. Ich wünschte, meine meisten Leser sympathisirten mit mir und mit dem traurigen Tone, in dem ich den Augenblick von dieser Epoche reden werde. So große Köpfe und dazu eine so große Anzahl derselben, weißet ausser Utopien gar kein Land auf als wir Deutsche im vorigen Jahrzehend wirklich aufzeigten; so wahr ist die Bemerkung des Velleius Paterkulus, daß große Männer gern miteinander – wie ich denn damals in einem Abende deren 29 im Kuchengarten zu Leipzig zusammenzählte, – und auf einmal erscheinen; daher auch einer den andern ganz verdunkelte und verschattete und man, da Größe nur relativ ist, viele dieser großen Männer nicht mit essen lies. Wenn nun aber ein ganzes Volk von Riesen die Vergrösserung eines Parnasses im Ernste vorhat, und ieder seinen Berg mit zu den Bergen der andern hinaufwirft: so wird ein solcher Parnas ia wol am Ende selbst ein Riese unter den Parnassen werden müssen. Der Deutsche wurd' es wirklich; und zwar in dem Grade, daß einem Manne, der oben auf ihm stand und sich umsah, der französische vielleicht nicht viel grösser, als dessen Staffel vorkam. Wir Deutsche machten damals fast in ganz Europa, sogar in Nordamerika – weil unsere Truppen die besten Produkte des Genies in der Tasche mit hinbrachten – wahre Epoche und nicht nur in England, sondern auch in Deutschland verschlang man unsere Meslieferung mit dauerhaftem Vergnügen und ohne Geräusch. Daher nahm die Verfeinerung des Publikums ohne dessen eignes Zuthun dermassen zu, daß kein Mensch mehr sagen konnte, es genösse den Schnepfendreck und der schönen Geister ihren mit ungleicher Lust: ganz schlechte Personen verachteten beiden. Wir übersezten nicht mehr ins Deutsche, sondern ins Französische und niemand als uns selber. Jeder Autor war originell und ich am meisten: denn wir ahmten nicht mehr fremden Nazionen sondern uns unter einander selber nach. Eben die Folge, daß wir die Franzosen zu kopiren nachliessen, brachte ganz natürlich die bessere mit, daß uns die Britten mit Glück zu kopiren anfiengen; welches meines wenigen Erachtens der gröste Heiligenschein ist, der seit langen Jahren um unsern Kopf geführet worden und ich hatte, wie man sich schmeichelt, daran meinen reichlichen Antheil mit. Großer Himmel! es wuste richtigen historischen Zeugnissen zufolge damals gar kein Mensch, woran er war; des Genies hatten wir insgesamt mehr als genug, und mein iunger Vetter von Gaben, wollte mit einem falschen spanischen Rohre einen alten vernünftigen Sylbenstecher maustod machen; die Poeten zogen röthlichte Stiefel an und liefen in die schöne Natur hinaus, und brachten die besten Zeichnungen derselben nach Hause; ich vergas im Tumulte und in der Geschwindigkeit alles und sogar die toden Sprachen und darauf die lebendigen, und hatte die erhabensten Ideen, und doch keine wahren Hosen und prügelte viele Protestanten aus; Weygand in Leipzig wollte die herrlichsten Werke des Genies wegen ihrer Menge fast umsonst haben und lies sich nichts ablocken als Komplimente; das Ende der Welt suchte zu kommen... Leider! das Ende der gelehrten Welt! denn iezt, was ist iezt wol iener Parnas anders, als ein ausgebranter Vulkan? wo haben die Männer, die Göthe's Flamme von sich sprühte, ihren Glanz und ihre Wärme gelassen? und muß ich etwan gar behaupten, sie glichen iezt den Planeten, die (nach Büffons System) als sie von der Sonne wie abgeschlagene Funken eben kaum losgesprungen waren, noch gleich ihrer Mutter glänzten und branten und deren Bild vervielfachten, allein bald darauf almälig zu erbleichen anfiengen und zu erkalten noch nicht aufhören? Leider! muß ich das behaupten und unsern Himmel verschönert blos noch Eine Sonne.

Allerdings könnte man ein paar Bogen schreiben und darin darthun, ich wäre ein Narr, und nicht die Rezensenten, sondern offenbar das Publikum hätte unsern Parnas so unterhölet, daß er nun so tief eingesunken wäre: allein dieses will ich mit Anmuth voraus widerlegen. Ich fange meine Anklage der Rezensenten blos mit der Rechtfertigung des Publikums an.

Wäre das ganze Publikum nicht selbst mein Leser: so könnt' ich es hier mit mehr Freiheit und weniger Verdachte loben; iezt muß ich mich blos auf das Geständnis einschränken, daß es nur zu wünschen wäre, andere (z. B. die Franzosen, Italiäner, Spanier, Neuseeländer und Obersachsen hätten mit so vielen Aufmunterungen als unser Publikum die sogenanten Genies unserem Parnasse zu erhalten getrachtet: wir hätten sie dann vielleicht nicht einbüssen müssen; denn dieses sparte weder Gold noch Weihrauch noch Myrrhen: und das gefället iedem Gelehrten ungemein: virtus amat praemia, das ist, ein verdienstvoller Gelehrter hält gern die ofne Hand hin, ausser wenn er blos ein Bär ist, der als einen Lohn seines Tanzes einige Groschen in den Hut des Verlegers zusammenträgt. Auch konnte wol ein Publikum gegen iene Belletristen schwerlich kalt und undankbar sein, für deren Schriften sein Gaumen durch Natur und Uebung nichts weniger als unempfindlich geblieben war: und in der That wenn blos der ungekünstelte, einfältige und natürlich rohe Geschmack nicht nur der richtigste sondern auch der ist, der aus ienen Meisterstücken des Bombasts oder (unzweideutiger) des Erhabenen das meiste Vergnügen ziehen kann: so muß er wahrhaftig bei einem Lesepublikum – oder sonst nirgends – anzutreffen sein, dessen gröster Theil glücklicher Weise ganz aus Damen, Studenten, Kaufmansdienern und Bedienten besteht. Das deutsche Publikum ist das amüsabelste Wesen und ein Buch müste schon ausserordentlich gut sein, dem es ganz und gar kein Vergnügen abgewänne: gefiel ihm nicht sogar Wieland an verschiedenen Stellen? Haman auch. Dieses Publikum schränket ohne lange Zeremonien seinen Verstand ein, so bald er die Magie eines schöngeisterischen Produkts zu zerstören droht, es sei nun die weisse oder die schwarze. Und man antworte mir bündig und ernsthaft, hat es wol das Kolophonium, womit einige Autoren das Blitzen des Wizes ersezten und nachmachten, für nichts anders als Kolophonium, oder die harten Erbsen, mit deren trocknem Geräusche die Empfindsamen einen Thränenregen nicht untheatralisch vorstellten, für nichts anders als Erbsen gehalten? Ich will wenigstens hoffen, daß der Fälle nicht viele sind, worin es sich so sehr vergessen hätte: allein eine nähere Untersuchung bringt sie gewis auf den einzigen zurück, wenn der Schauspieler selbst das Publikum bei der Hand nahm und es hinter den Maschinen des Theaters herumführte, desgleichen in die Anziehstube: ich will damit sagen, wenn einige Genies sich zulezt in Spötter derer verkehrten, deren Ebenbild sie sonst gewesen. Und bei solchen Umständen gesteh' ich, würde ich selbst nicht besser wie das Publikum meine Unwissenheit zu behaupten gewust haben, sondern ich hätte sie auch verloren. Denn ein Billiger der den Shakespear gelesen, sage selbst, kann man – gesezt auch man wollte sehr – den Klaus Zettel, den Weber – wenn ich ihn anders nicht mit Schnock dem Schreiner verwechsele – wol mit dem kurzörichten Thiere (dem Löwen) verwirren, unter dessen Haut er steckt, wenn der Weber (oder der Schreiner) in der Löwenmaske mit der Warnung an das Orchester kriecht, ihn doch für keinen Löwen, sondern blos für den Weber zu halten?

Sogar noch iezt würde das Publikum iene Produckte des Bombasts schätzen können, wenn man veranstalten könnte, daß sie erst in der nächsten Messe herauskämen. Denn sein ganzer scheinbarer Abfall von seinen Göttern ist ein blosser Tausch der Bildsäulen, in denen es sie angebetet, und es will durch seine Vergessenheit an ienen Schriften nichts bestrafen, als den Fehler, daß sie nicht in diesem Jahre gedrukt sind; einen Fehler, den doch die Titelblätter der elendesten Schriften vermeiden. Natürlich vergisset es, wenn so gar Adolphs Briefe ihr Leben in seinem Gedächtnisse verwirkten, die schlechtern Litteraturbriefe noch leichter.

Ich sehe, daß ich nicht anders verfahren kann als geradezu gestehen, daß es meines geringen Bedünkens das allerschlechteste Herz verräth, den Tadel, den das Publikum über die Genieepoche nachspricht, ihm selber anzuschreiben: denn die Zunge desselben drükt doch offenbar nicht sowol seine eigne Empfindungen als der Rezensenten ihre aus, die die besagte Zunge leicht bewegen können, weil sie seine Zungenbänder ganz in Händen halten. Es kann nichts anders nachsprechen als was ihm von diesen vorgesprochen wird. Auch ist diese gelenke Biegsamkeit, womit es seine Kehle zu einem Sprachrohre der Rezensenten erweitert, gewis nicht sein geringster Vorzug: aber ein Unglück ists, daß die Rezensenten solche so häufig zum Nachtheil der Autoren misbrauchen. Ein Mißbrauch dieser Art hätte schon längst uns Autoren zum Selbstrezensiren rufen sollen, damit ein grosser Mund, den wir zu unsern Lobeserhebungen vibriren lassen könnten, nicht ewig zur Verbreitung unserer Schande im Gang erhalten würde. Wahrhaftig man stösset auf Schriftsteller, die bei aller Habsucht nach Lorbeern dennoch vom besten Laubbrecher dazu – nämlich von iener Biegsamkeit – schlechten Gebrauch machen und lieber Briefe voll Lob auf sich selbst einem ehrwürdigen Publikum andichten, als durch Selbstrezensionen es in den Stand setzen wollen, ihnen dieses Lob mit Ueberzeugung und ungeheuchelt zu ertheilen. Andere Nazionen haben das deutsche Publikum nicht und behelfen sich schlecht. Hätte die französische es – aber leider wurd ihr keines bewilligt das nicht überal selbst alles entscheiden wollte: – so wär' es ia gar nicht nöthig gewesen, daß man einem gewissen Autor, dessen Theaterstücke niemand beklatschte, (nach Mercier) den Rath gegeben hätte, sich eine Maschine zu bestellen, mit der man das Klatschen von etlichen 100 Händen nachzumachen vermochte: die Meinung des Rathgebers war blos die, die Maschine sollte ein treuer Freund in einem Winkel des Schauspielhauses treiben und drehen – dadurch klatschte sie gar leicht den schönen Empfindungen, schönen Reimen und Antithesen des Stücks einen unbestochnen freiwilligen Beifall zu, – und es wäre einerlei, ob der Schall durch Fleisch und Bein oder durch Leder und Holz gemacht würde. Ich will hier gar nicht das ganze deutsche Publikum zum Nachtheil des französischen und auf Kosten der guten Skribenten erheben, da ich mich selber darunter befinde: aber verhehlen lässet es sich nicht, wie wenig wir Skribenten es verdienen, daß es uns so gut geworden, eine eben so gute wo nicht bessere Klatschmaschine (ohne einem Batzen Macherlohn) an unserem Publikum wirklich zu besitzen, dessen tausend laute Hände schon eine einzige Feder spielen lassen kann und zu dessen Bewegung und Beherrschung (so wie bei der Bandmühle) blos die Kräfte eines Knaben ganz gut auslangen. Folglich werden wir Genies insgesamt nur darum wenig gelobt, weil wir zu träge waren, uns selbst zu loben, und wir theilen die Strafe so wol als den Fehler mit den grossen Römern, von denen Sallust in seinem Katilina anmerkt, daß weniger der Mangel an grossen Thaten als der an grossen Lobrednern derselben sie unter die Griechen herunter zu stellen geschienen.


 << zurück weiter >>