Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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Weiter wurde vorgetrieben ein alter Gelehrter, der einmal lateinisch gesagt hatte, Voltairen wäre die Wahrheit, da er sie umhalsen wollen, wie der Potipharin Joseph entsprungen und er hätte nur ihr Kleid in Händen behalten: »nur ein wenig mehr hat er geschrieben als gelogen« sezte er hinzu. Ich hielt dem Gelehrten eilig vor, daß es allemal nicht anders als so kommen könnte und daß bis ans Ende der Welt solche schiefe Bonmots entstehen müsten, wenn man, aus einer unbeschreiblichen Unbekanntschaft mit der neuern Litteratur, gar keine Sylben von den zweierlei Edizionen der voltairischen Werke wüste und nur die Edizion in Grosoktav kennte: »allein, fragt' ich, giebts denn wirklich keine zweite, die zwar die nämlichen Buchstaben, Interpunkzionen, Wörter und Gedanken enthält wie die erste – wenn das principium indiscernibilium reden könnte, so müste es beide für gleich erklären – die aber ungleich mehr rein demonstrirte Wahrheiten aufweiset, indem sie augenscheinlich in Quart ist? Ich hoffe, Sie wollen nicht absichtlich zwei Edizionen von so verschiedenem Formate verwirren, sondern streiten nur der Oktavausgabe große Unpartheilichkeit, Gelehrsamkeit und Wahrheitsliebe ab.« Das wäre nicht zweierlei sagte er auf griechisch. Ich lies aber eine volle Quartausgabe Voltairens herbeischleifen, und sezte dem alten matten Gelehrten die ganze schwere Edizion theils auf, theils schnürte ich sie ihm um. Voltaire sas nicht 7 Minuten auf ihm, als ihm das schmerzhafte Gefühl seines Gewichts einen freien Widerruf abpreste: stets wär er, erklärte er sich, der sonderbaren Meinung gewesen, niemand habe wol die Wahrheit mehr geliebt, gepuzt und überhaupt seltener belogen als H. von Voltaire, den er eben aufhabe und mit dessen Gehirnschale H. Wekherlin seine eigne glätte und bohne. Ich lächelte stufenweise und nachlässig und sagte mit wachsender Grazie: »Solche Vorfälle im menschlichen Leben und im litterarischen gelten bei einem guten Kopf für einen triftigen Beweis, daß das Gewicht, das ein europäischer Autor seinen vielen Behauptungen ertheilt, sie am allerbesten glaublich mache; und gegen den Skeptizismus dieses leichten Franzosen gab es keinen prächtigern Gegengift als den, daß seine Sachen in Quart gedruckt und gebunden worden, weil damit dem gemeinen Wesen doch gezeigt wurde, daß es noch wahre Demonstrazion in der Welt und in den Repositorien gebe. Wenn es eine noch bessere Widerlegung ihres zweifelsüchtigen Inhalts als ihr Quartformat giebt: so ists blos eine Folioedizion, auf die ich den Augenblick denken würde, wenn ich die alte Sorbonne wäre, oder aus Gex.«

Zwei Damen aus Berlin gaukelten Hand in Hand zu meinem Richterstuhle und lachten mich aus. Die eine bestand nicht aus Leib und Seele, sondern aus Spas und alle ihre Muskeln waren Lachmuskeln; sie glaubte, alle Menschen, vom Affen an bis zu mir, säßen bloß zum Scherzen auf der Welt und auf den Richterstühlen. Daher konnt' ich mich nicht wundern, daß sie über die Sentenz im Stambuche des H. Sohnes des H. Nikolai »Zuwachs an Kenntniß ist Zuwachs an Schmerz« drei Tage und drei Nächte lang gelacht hatte. Eine solche Ketzerei war ganz erheblich und konnte in Autodafeen auftreten. Ich stand auf, um mich auf den Pechkuchen hinzubringen, der verborgen unter meinen Füssen bereit lag – von einer ins Nebenzimmer gestellten Elektrisirmaschine ließ ich mich, durch eine geheime Verbindung mit ihr, nach und nach mit elektrischer Materie volladen, um im Nothfalle einige Gewitter auf der Zunge zu haben. Ich konnte nun anfangen, die Dame anzumahnen, ganz ernsthaft zu werden und sich unter den Gelehrten und unter dem Leben etwas überaus Wichtiges, und unter der menschlichen Erweiterung der Kenntnisse etwas mehr Schmerzhaftes als Lustiges vorzustellen. »Sie können mir, sagt ich, mehr glauben als iedem, da ich (welches Sie auch sehen) gar die Göttin Wahrheit selber bin.« Sie verfiel in ein chronisches Gelächter und haftete mit ihren Augen auf meinem Kinne. Ich errieth ihren Einwurf meines merklichen Bartes. »Wär' ich sagt' ich, eine Mannsperson: so müst ich doch wöchentlich rasirt werden; so aber bin ich, wie natürlich eine ausgemachte Dame und zwar die Wahrheit. Ich habe gar keinen Bart (denn grosse Doktoren rissen mir ihn ab und banden ihn vor ihr ödes Kinn) und viele Damen, die es nicht glauben wolten, haben mich deswegen beim Kinne angefasset.« Sie thats selbst, und heraus sprang aus meinem Bart ein ellenlanger elektrischer Funke, der sie entsezlich stach. »Dieser Funke, ist nichts anders, sagt' ich, als das Licht der Wahrheit und es ist mir nur lieb, daß Sie es doch selbst empfunden, mit welchen Schmerzen die Erforschung und Ertappung der Wahrheit sich endige.« Inzwischen fieng wider meine Absicht das ganze Autodafee – blos der König in Portugal suchte samt seiner Familie sich ernsthaft zu erhalten – an zu lachen und ich fiel zulezt auf meinem Pechkuchen selber mit ins allgemeine Gelächter ein. O du sonderbares Wesen! ich meine dich, du Mensch, deine Widersprüche vermehrest du wider meine Erwartung dadurch recht, daß du sie erstlich fühlst und zweitens mit so vieler Lust.

Mit der andern Dame must' ich viel ernsthafter umspringen. Freilich war sie vom Stande, wie denn überhaupt vielen Menschen eine edle Abstammung zufällt, die tausend andere gar nicht haben (ich will hier blos mich und den Rezensenten nennen und die Reichshofkanzlei ist meistens schuld, die nicht gratis wie eine Mutter giebt:) aber stadt- und schulkündig ists doch, daß sie, diese Dame ohne alle Rücksicht für die Würde der Bordelle, in diese geschlichen und da ieden mit folgenden Irrlehren zu vergiften gesucht: »es wäre erstlich das Ende der Welt, an das gar niemand dächte, endlich da und es müsten daher zum größten Vergnügen eines ieden die zwei Geschlechter auf allen 5 Welttheilen und ihren Inseln fest wieder in Eins – in ein seltenes tête-à-tête – zusammengethan und gelöthet werdenSchon Amalrikus im 13 Jahrhundert behauptete, am Ende der Welt schmelzen die zwei Geschlechter wieder in Eins zusammen. Die Bourignon und Böhme auf seiner Schusterwerkstatt, sagten, iener hätte ganz Recht. – Die Ungleichheit der Stände und der Geschlechter wäre ferner eine politische Nothlüge, vor der sich Roß und Mann zu hüten hätte und die auch in die Bordelle hinein wollte; und überhaupt müsten einfältige Personen, die es zu widerlegen auf sich nehmen wollten, daß die vornehmste Dame und der geringste Mann einander so gleich wären als nöthig, erst die herrliche geometrische Definizion des Freiherrn von Wolf umschiessen können, daß offenbar alle Figuren einander gleich sind, die einander ordentlich decken: aber das könnten sie nicht.« Ein großes Pflaster wär' es für die wunde Streittheologie gewesen, hätte die Dame ihre Irrthümer nicht allemal nur Einer Person und zwar einer männlichen gepredigt: so aber that sie den grösten Schaden. Denn Irrthümer dieser Art stecken, wie nach Georg Pye (in Leys. sp. 358) die Pest, Menschen in Haufen schwerer an als einen Einsamen, zumal wenn diese eine, gar zum denkenden männlichen Geschlechte gehört. Wenn daher unsere Dame in Kurzem zu Berlin über 30 Männer zu ihren Proselyten und Glaubensgenossen umgoß: so ists gar kein Wunder. Sondern ein neuer Beweis ists, daß die Achtung, die die alten Deutschen für die Weissagungen und Religionskenntnisse der Weiber hegten, sich noch nicht so sehr verloren habe, daß nicht noch recht viele iezige Männer die Aussprüche der Frauen für göttlich und für richtig hielten – durch nichts sind so leicht Ketzer zu machen als durch Ketzerinnen. Anfangs warb sich unsere Dame – man sollte nachforschen, ob sie ein Mitglied der propaganda in Rom ist – blos unter Personen von Stande Anhang, und machte die große Welt zur besten Welt; sie dachte, sie hätte ihre Ursachen, warum sie oder ihre Meinungen, wie (nach Olof Dalims schwedischer Geschichte) das Christenthum in Norden, zuerst unter den höhern Ständen Glaubensgenossen errängen und hernach etwa tiefer stiegen. Das leztere that sie auch, indem sie endlich in alle Welt ausgieng, um den Irrthum von der Union und Koalizion der beiden Geschlechter auf deutsch zu lehren und zu predigen. Ihre Bedienten hatten schon vorher ihrem Hausgottesdienst und ihren Konventickeln beigemessen; ich verdrehte aber die Sachen bei vielen wo ich war. Ich wollte selber ihre Irrlehre annehmen und fragte unsere Unitarierin, ob ichs könnte: sie sagte aber, ich sähe dazu viel zu häslich aus. Die besten Jesuiten gestehen (nach Paskals Briefen) daß man ohne alle Sünde – gesetzt auch, man sähe voraus, daß man darinn eine begehen würde – in iedes Bordel schleichen könne, sobald man keine andere Absicht hätte als die, darinn iemand zu bekehren; und damit könnte die obige Dame sich entschuldigen, ia sie hatte sogar die lautere Absicht, nicht etwa einen und den andern Mann zu ihrer Meinung zu bekehren, sondern fast ieden: allein niemand kehret sich daran weniger als ich. Ich fuhr vor dieser Ketzerei so sehr zusammen als ich konnte; besonders da sie ihre Ketzerei mit ganz guten Beweisen beschirmte: denn sie unterstützte sie mit ihrem schönen Gesichte, wie etwan bei den Arabern der Zeuge seine Aussage durch einen Theil seines Gesichts, durch seinen langen Bart befestigt. »Ich will verloren haben, sagt' ich zu ihr, wenn Sie nicht gründlicher denken als viele Damen; Sie beweisen doch ihren Satz mit was: denn was ist ein sehr schönes Gesicht anders – oder ich müßte keine einzige Logik noch gesehen haben – als ein richtiger Schluß in barbara, als ein quod erat demonstrandum, als ein deutliches dictum probans, als ein Beweis ganz zum ewigen Gedächtnis, wenn man »ewig« in meinem Sinne nehmen will? Freilich wenden einige strenge Logiker ein, das Gesicht formirte kaum einen halben oder achtels Beweis, wenn es nicht zugleich auf einem schönen Körper stände; allein es herscht hier großer Spas auf allen Seiten, bei mir und den Logikern. So viel ist es gewis, daß ich mir vorgesetzt, Sie nicht zu verwunden, sondern ganz gründlich zu verfahren und den Hauptbeweis, den Sie bei iedem für ihren Irrthum beibringen, sofort anzugreifen und zu zerstören, nämlich Ihr schönes Gesicht« – »Melak (ich wandte mich zu meinem Büttel) hol' er mir doch sechs gutartige Blattern von seinem Buben herauf!« – »Ueberhaupt (fuhr ich wieder gegen die Dame fort) muß es mir ausserordentlich willkommen sein, daß ich dadurch Gelegenheit gewinne, in meinem kleinen Autodafee das große nachzuahmen. Dieses schnitt vor vielen Jahren einem schönen Mädgen die Nase, bevor es den übrigen Körper auf den Scheiterhaufen sezte, mit Verstande herunter, um durch diese Vernunstaltung ihrem schönen Gesichte den Beweis ihrer Unschuld und den Vortheil des Mitleidens abzuschneiden. Nichts schlechters nehm' ich iezt in meinem Kreise vor: ich ruinire nun ihr Gesicht durch Blattern überaus und schaffe dadurch den wahrscheinlichen Anstrich, den es Ihrer Ketzerei bei so vielen ertheilt, spielend hinweg.«


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