Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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Wenn Iselin in einer Vorrede die Feder bewegt und hinschreibt, daß ieder Staat für den, der ihm neue Mängel seiner Verfaßung aufdekte, Preise anordnen sollte: so sagt er damit so wenig etwas den kleinern Höfen ungewöhnliches, daß ich besorge, er hats ihnen gestohlen. Denn eh' vielleicht Iselin als Punkt herumsprang: belohnten gut geartete kleine Höfe schon Männer, die ihnen – denn nach wahren Philosophen lernt sich die Seele am besten durch den Körper und der Mensch an sich an andern kennen, – freimüthig die Mängel fremder Höfe zeigten. Man beleidigt iezt keinen einzigen kleinen Hof mehr, wenn man ihm den schlechten Geschmack, die Schulden, die Prachtlosigkeit und die innere Schwäche eines andern grössern oder gleichen Hofes, den er nachahmt und beneidet, zu gestehen wagt; sogar wenns mit lächerlichen Farben geschieht, so freuets ihn, weil er weis, wie sehr die Satire allenthalben bessert. Ein alter fast schielender Hofmarschall würdigte mich zu sagen, er wäre seinem Hofe so unentbehrlich, als die Oper und die Karten, weil er in kurzer Zeit mehr ärgerliche Anekdoten von einem nahen Hofe (er wünschte, er könnte mir ihn nennen) ausdachte, als 10. Kammerherrn in 14. Tagen vermöchten. Er sezte hinzu, »das gröste Unglück für den Menschen sei, daß er nicht immer löge. Wie man in den schönen Künsten sich die Aehnlichkeit mit der Natur nur bis auf einen gewissen Grad, wenn man gefallen will, erlauben dürfe; ein Portrait, eine Statue ergötze mehr als ein Bild im Spiegel und ein Wachsabdruck, weil iene dem Original in vielen, diese aber in allen Punkten gleichen; eben so werde man sich zwar nichts daraus machen, daß der geschikte Hofmann in der Erzälung, die er von einem andern Hofe macht, einige Aehnlichkeit mit der Wahrheit herrschen lasse: allein, die ganze Tafel versehe sich doch von ihm, daß er allemal die Ähnlichkeit bei Seite zu bringen willig sei, wo die Erdichtung mehr gefallen könne. Dann erst sei er kein bloßer gerichtlicher Zeuge sondern ein wahrer Erzähler.« Thut er das nicht, sagt' ich, so ist er wahrhaftig kein Portraitmaler der Wahrheit, sondern ein bloßer Spiegel derselben. Als ich diesen meinen Worten nachsann, freuete es mich herzlich, daß ich sie selbst für wahr hielt.

Wenn einer von uns ein Bettelmönch wäre oder doch ein Wiener, der ihm etwas zu essen gäbe: so wäre mir das recht erwünscht. Allein ich kann es auch verantworten, wenn ich – weil ich durchaus einen Bettelmönch haben muß, um euch, andächtige und lachende Zuhörer, doch zu zeigen, daß es mir an edeldenkenden Wesen niemals fehle, denen ich das Vorurtheil gegen die Verläumdung glücklich auszureden unternehme – mir selber einen mache, der nachher meine Rede mit aushören muß. Die Alchymisten, selbst Kagliogstro haben Teufelsnoth, wenn sie einen wahren Menschen in ihren Retorten schmieden sollen, und wie lang war am Ende selbst das menschliche Geschöpf, das Julius Camillus nach einem langen chemischen Prozesse in die Welt sezteDie Alchymisten glauben, die Gegenwart eines Frauenzimmers schade ihren Arbeiten und nehmen an, alchymische Prozesse seien keine iuristischen: allein ein aufrichtiger Goldmacher sagte mir, es wäre z. B. in dem Falle, wo durch einen alchymischen Prozes ein Mensch zu erschaffen wäre, grundfalsch. Er machte darauf diese Entdeckung gedrukt in alchymischer Sprache ganz bekannt, und nun sind unabsehliche Alchymisten darüber her und wollen die Erfahrung fragen, was d'ran ist. ? Glaubwürdige Schriftsteller versichern ihren Leser, es war nicht länger als mein Daumen. Einen Bettelmönch hingegen back' ich in meinem Kopfe in kurzem zusammen und mach' ihn, wie man sich schmeichelt, dennoch so lang wie einen Potsdammer Soldaten. Es war meine Absicht niemals, andere Ingredienzien zu ihm zu nehmen als vier Elemente – ein Apotheker begehrt zur elendesten Arznei mehrere –. Diese mische und knät' ich wol bis sie in einen Fleischklumpen aufgähren, welches ein möglicher Fall sein muß. Plastische Formen verschrieb ich mir nicht erst seit gestern vom Formschneider Cudworth aus London in Menge: ich kann mithin eine vom Bücherschrank herunternehmen und in die gröste – ich gesteh' es, ich kenne die Formen, worin der Pabst seine agnus dei iährlich bäkt; allein solche, worin man epikuräische Schweine gestaltet, sind offenbar grösser – den Klumpen schlagen. Ich rütle ihn aber bald wieder heraus und stelle einer so großen Last zwei Schildhalter oder Lastträger unter, die wir nicht anders nennen, als menschliche Beine; thät' ichs nicht: so könnte der Mönch wirklich keine fünf Schritte betteln gehen. Man tadle mich nicht, daß ich ihn darauf eine menschliche Seele – zumal da ich einen elenden Ladenhüter unter den Seelen nehme – in die Nase einschnupfen lassen; denn (nach Stahl) nimmt blos die Seele die wichtigern Lebensbewegungen z. B. Zusammenziehen des Herzens, Verdauen etc. völlig über sich und sie ist deswegen da; daher bin ich so gewiß als vom meinem Dasein überzeugt, daß man aus einem Domherrn ohne Zerrüttung der ganzen Maschine eben so wenig die Seele, als das kleine Gedärm ausheben dürfte, und Satiriker, die das Gegentheil gesagt, machten sich selber lächerlich und verriethen, wie wenig sie Stahlianer waren. Es wird mir zu statten kommen, daß ich meinem Mönch einen langen Magen einhänge, den ich mit soviel Magensaft benetze, daß er soviel essen kann als wär' er ein Wiener von Geburt. Ich weiß, wenn ich endlich dieses Wesen noch in eine Mönchskutte eingewunden und über sie einen Bettelsack geworfen: so ists genug und es würde mir von In- und Ausländern verdacht werden, wenn ich dem Mönch gar das Theuerste nämlich Gewissen und Schamhaftigkeit noch schenkte. »Nun must du, lieber Bettelmönch, einer kleinen Rede von mir deine Ohren gönnen; denn für diese schuf ich sie und dich iezt wider deine Erwartung. Kommst du nach Wien: so zeige, daß ich dir einen Magen nebst etwas Magensaft geschenkt, damit du so gut wärest wie ieder dasige Bettelmönch wie er auch heiße. Ich habe dir Hunger und nichts dazu zu essen gegeben: damit du nicht sagest, ich hätte dich ohne allen Trieb zur Verläumdung auf die Welt gesezt und es ließe dich deswegen kein Mensch in Wien mit essen. Ich wünschte, du hättest im Athenäus gelesen – es war dir aber unmöglich, da ich dich kaum gemacht – daß ein gewisser Schüler des Plato keinem, der die Geometrie nicht wuste, zur Tafel des Königs Perdickas Zutritt lies; du würdest es auf dich anwenden und daraus schließen, daß ein Mensch, der ohne alle Einsicht der Verläumdung dieser höhern Meßkunst ist, die aus wenigen schlimmen Zügen und Linien die ganze Größe eines entlegenen Menschen findet, keinen Löffel Suppe werth ist und bekömmt. Die Beicht fremder, wenn nicht erwiesener doch großer Fehler, über die ich oben eh' du geschaffen warest einiges Geschikte gesagt habe und sagen hätte sollen, ist zwar nicht von der Bibel selbst nothwendig mit dem Abendmahl, das man von einem Wiener empfängt, gepaaret worden und man könnte darum nicht in die Hölle fahren, wenn man iene von diesem wegliesse: allein, iene Beicht ist doch eine ganz gute Einrichtung der christlichen Kirche, die man beibehalten soll und kann, wie tausende aus dem Katechismus nicht anders wissen können. Es hätte daher, lieber Bettelmönch, viel zu sagen, wenn nicht mit dem ersten Bissen, den dir dein Wirth hinlangt, der völlige Satan in dich führe und ich will das Gegentheil wünschen. Kehre dich doch nicht an die Seligen im Himmel, die freilich so selten verleumden als einer: wärst du ein Protestant, so hättest du längst mit einer Aufmerksamkeit, die mir ganz gefallen, Gerhards locos theologicos durch gegangen: in diesen hättest du gefunden, daß alle Scholastiker und er selber uns hinlängliche Gewißheit geben, daß kein Seliger einen Magen bei sich trüge, der auch nur so groß wäre, wie eine Haselnuß: aber ohne den muß man ia gegen das Brodstudium der Verläumdung viel zu kalt bleiben, und der Mund am Kopfe des Menschen will immer unter sich einen obern Magenmund wissen, zu dessen Vortheile er sich hienieden bewege.«

Ich seh' es gern, andächtige Zuhörer, daß ihr alle gar schlafet. Die größten Redner sind nicht im Stande, an mir etwas mehr einzuschläfern als wenige unbedeutende Glieder, die Ellenbogen und die Beine (und diese kaum ohne den grösten Aufwand von Feuer und Scharfsinn). Allein, ich bringe wider meine grösten Erwartungen fast euren vollständigen Körper in Schlaf, was viel ist. Ich hoffe, ich kann diesen Schlummer als einen guten Beweis ansehen, daß euch meine Rechtfertigung der Verläumdung nicht lächerlich – ihr wäret sonst nicht eingeschlafen, – sondern wirklich so ernsthaft und durchdacht vorkam, als viele Redner ihre Sache vorzustellen wünschen: denn die menschliche Natur ist sicher so gut gearbeitet, daß ieder so bald man über wichtige Dinge (z. B. Religionssachen) mit ihm redet, nicht eher ruhig ist als bis er in Schlaf verfallen, der durch die Losfesselung von allen Sinnen und von ieder Zerstreuung dem tiefern Nachdenken wahre Dienste thut, daher sind in Vergleichung mit philosophischen Abhandlungen Stadtneuigkeiten und selbst statistische für ieden viel zu unerheblich, als daß er über sie einschlafen und nachdenken sollte.

Ich könnte iezt selber mit einschlafen und den Eindruck, den meine Rede auf andere macht, auch empfinden; ia ein sehr guter Redner muß schon vorher selbst von den Empfindungen durchdrungen sein, in die er andere versetzen will. Allein meine wichtigere Pflicht ist iezt nicht sowol zu schlafen als zu lügen. Denn es wäre mir unmöglich, den Pfarrer einzuholen, der wegen der auslaufenden Kanzeluhr seit einer Viertelstunde so unchristlich zu eilen begonnen, daß er gegenwärtig weit über die Hälfte des vierten Theils wegzieht, wenn ich nicht meinen Zuhörern weismachte, ich hätte während sie im Schlummer dagesessen, den vierten Theil weitläuftig und geschickt genug abgehandelt. Vermittelst dieses Springstabes schieß' ich mich über den vierten Theil fast gänzlich hinweg und der Pfarrer muß sich noch darin abarbeiten. Ich will meinen Zuhörern iezt ins Ansgesicht blasen und sie wecken.


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