Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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Ich kann jene grössern historischen Gesellschaften oder Akademien nicht meinen, denen die Fürsten Pensionen zuwerfen; sondern ich habe vor, die kleinern zu beschreiben, die nichts eintragen, als ein Abendessen. Es giebt vielleicht keine Wissenschaft, die sich rühmen kann, in den meisten kleinern deutschen Städten und also auch in Hof so allgemein – denn es ist kein Stand, kein Alter, kein Geschlecht ausgenommen – und so unausgesetzt – ich meine Jahr aus Jahr ein, und auch an Bus- und Jahrmarktstägen – und so eifrig – viele thun gar nichts anders und bleiben darein versenkt auf den Gassen stehen wie Sokrates – getrieben zu werden, als eben die Geschichte. Es ist ein Glück für die Wissenschaften, daß diese historische Liebhaberey nicht von ungefähr etwan auf die alte oder ausländische Geschichte verfiel, (denn jedes Jahr nahm bisher eine Feder aus dem Flügel der Zeit und schrieb damit eine neue alte Geschichte, und es macht einen großen Theil der neuern Geschichte aus, zu wissen, was über die alte geschrieben worden) sondern auf die neueste und vaterländische und vaterstädtische, denn eine solche historische Stadt, die hundertmal nützlicher ist, als die von Maupertius vorgeschlagene, lateinische, – ich meine eben blos deswegen, weil sie nicht wie die lateinische Republick über die griechische und römische Geschichte ihre eigene vergisset, sondern über diese jene – besteht aus lauter Geschichtsforschern, die sich blos mit den dünnesten und äussersten Zweigen der Geschichte befassen; ganze Akademien nisten auf den dicksten Aesten dieses Baumes der Erkenntnis, aber jene hausen wie Blatminirer auf seinen Blättern und wachsen da fürs Beste der Welt und der Stadt darin. Geschichtsforscher dieser Art (welches jeder ist der eine Zunge im Munde hat) und noch mehr ihre Weiber, die Geschichtsforscherinnen, können – und es ist kein Wunder, da sie ausser den Quellen auch die historischen Hülfswissenschaften, worunter wie bekannt Friseurs, Barbiere, Münzwissenschaft, Archäologie, Genealogie und andere griechische Wörter verstanden werden, bei jedem Schritt zu Rathe ziehen, – gute Biographen von der ganzen Stadt und jeder Sakgasse liefern; ein anderer liegt der Kirchengeschichte der Geistlichen und der walchischen Ketzergeschichte von jedem ob; Synchronologie fodert ihren eignen Mann und ihre eigne Frau; manche bearbeiten noch kleinere Zweige der Geschichte und erwarten ihren Ruhm von der Statistik eines einzigen Hauses, die diesen Namen nicht verdient ohne eine genauere Kenntnis der Tafelgüter, der Nazionalschulden, der Regierungsform etc. eines Hauses als der erste beste gewöhnlich hat; Büschingische wöchentliche Nachrichten liefert jede Frau, die einen Kopf hat zum – Frisiren und jeder der frisirt, und die eine liebt die historische, der andere die ehliche Treue; ich wünschte, es gäbe mehrere, die sich und die gewisseste Geschichte ungewöhnlich liebten nämlich ihre eigne und deswegen wie Xenophon und Zäsar keine andere Thaten berichteten, als ihre eigne. Diese Mitglieder der spezialhistorischen Gesellschaften haben unbestimmte Zusammenkünfte, wo ieder das, was er gearbeitet nicht sowohl vorlieset (denn keiner hats aufgeschrieben) als vorsagt, und zwar in ienem simpeln Style des Polybs den Monboddo so hoch über Tazitus seinen emporrückt, und ohne eine Religion, Tugend und Liebe die Dionys von Halikarnas und jedem Historiker verbannt, und ohne den Fehler, den Rousseau der ganzen Geschichte beimisset, daß sie blos Könige und ihre Kriege, aber nicht den Menschen im Schlafrok male: allein es hat kein Historiker was von solchen Sessionen (ieder von den 40 Akademikern in Paris hat von der Beiwohnung einer Session 1 Silberpfennig) und das was er, wie in einem Weinberg in den Mund und nicht die Tasche stecken darf, will wenig sagen. Was die Wahrhaftigkeit dieser Historiker anlangt, so ist sie weit grösser, als ich dachte; denn es widerspricht ieder dem andern und wenn Chrysostomus, schon aus der doch unbedeutenden Disharmonie der Evangelisten auf ihre Glaubhaftigkeit zu schliessen rieth, weil sie eben den Verdacht der Verabredung abwende, so laß' ich jeden selbst ermessen, um wie viel grösser die Glaubwürdigkeit unserer Historiker sein mag, da ihre Disharmonie in der That zehnmal grösser und der Argwohn der Verabredung zehnmal kleiner, als bei den Evangelisten ist. Wenn man sich niedersetzt und dies erwägt und noch dazu lieset, daß, so wie die griechischen Geschichtschreiber oft die Länder bereiseten, deren Geschichte sie gaben auch unsere Männer und Weiber hundertmal ein Haus besuchen, um der Geschichte seiner Bewohner etc. mehr Genauigkeit zu verschaffen – oder wenn man hört, daß wie nach Meiners die alten Historiker ihre große Tour oft durch Tempel nahmen, um aus deren Inschriften zu lernen, auch unsere durch Kirchengehen eben so wohl ihre historischen als ihre religiösen Kenntnisse zu vermehren trachten, – oder wenn man die Zahl dieser Geschichtsforscher einer einzigen Stadt, die der Zahl ihrer Bewohner allzeit gleich ist, mit der verhältnismäßig geringen Zahl der Schreiber der ganzen französischen Geschichte vergleicht, die sich nach Le Long's richtiger Angabe nicht höher belaufen, als auf acht und zwanzig tausend: so fragt man aus guter Absicht, was aus der großen ärgerlichen Chronick der Menschheit, nämlich der Universalhistorie, mit der Zeit werden müsse, für die so viele tausend kleine ärgerliche Chroniken verfasset werden? – gar nichts, so lange kein Teufel etwas davon in die Welt hinausdruckt, und das ist eben die Erbsünde von Millionen Menschen, daß sie nichts drucken lassen als Kattune: allein ich geige das der Welt vergeblich vor, seit Jahr und Tag.

Es ist ein ewiges Naturgesetz, daß das Wunderbare auf solche Historiker im umgekehrten Verhältnis seiner Entfernung wirke. In der Stadt selbst ist ihnen die Geburt eines Kindes z. B. interessant; zwei Stunden von ihnen interessiret sie nur eine Zwillingsgeburt, 3 Stunden Drillinge und so muß man mit den Stunden die Geburten häufen, die zulezt ohne Abbruch des Interesse gar keine Menschen mehr sein können, sonderte greuliche Misgeburten. Es ist mir hundertmal lieber, (denn ich gefalle weit mehr mit der Erzählung) wenn ein da angemessener Mann seinen Bedienten mäßig und schlechtweg ausprügelt, als wenn ein Westindier seinen Sklaven zerschnitzet und lebendig gerbet, ia wenn er ihn auch sogar mit allen vier Elementen folterte, um ihn in alle vier Elemente zu zersetzen: denn bei allen Martern des Kerls liegt doch Westindien nicht in der Stadt. Verläumden ist eine so nöthige Bewegung des Mundes als für einen asiatischen das Betelkauen und beides giebt Schwärze: es müssen also besondere Ursachen da sein, warum schlechterdings kein Mensch in besagten Gesellschaften seit vielen Jahren nur einmal verleumdete.

Als ich durch Fg. fuhr und hörte, daß das Konsistorium und meine Frau da wäre: macht' ich Anstalten, daß das eine mich von der andern schiede. »Ich hoffe gänzlich, sagt' ich zum Konsistorialsekretair, die Sache hat gar keinen Anstand: denn ich habe den Referenten lange auf der Bratsche unterwiesen« – »Ist Ihr Ring da an Ihrem Finger, versezte er, das ganze Ehepfand?« – »Nur das halbe: meine Frau trägt einen eben so schlechten von mir und beide Ringe formiren ein Ehepfand, das hoff' ich so erbärmlich ist, wie die Ehe.« – »Ich erinnere mich lebhaft genug (sagte der Sekretair und machte ein zu saueres Angesicht), daß das Konsistorium vor einigen Jahren zertheilende Mittel gebrauchte und damit die Ehe zweier Personen wirklich deswegen aufschmolz, weil sie mit Ehepfändern von 900 Thaler Werth zusammengesiegelt war; denn preiswürdige Konsistorien fangen aus Pflicht und mit Lust solche Pfänder ein, und bitten Gott um noch mehrere iede Nacht, wie zu vermuthen. Wenn daher Ehen deswegen, weil sie mit zu unerheblichen Pfändern geküttet werden, die (wie wenig Leim besser als viel Leim) fester kleistern, als grosse, durchaus nicht auseinander wollen; so kann niemand weniger dafür als das hiesige Konsistorium, das allemal mit Vergnügen und Leichtigkeit Ehen zersetzet, die gehörig und mit keinen andern Pfändern amalgamirt sind, als mit kostbaren: und ich muß das wissen. Mit einem Diamant (im Ehering) schneidet es ein eheliches Ganze so lustig entzwei, als wärs von Glas; und aus Gold präparirt es denk' ich mit Verstand das Königswasser, das Leib und Seele (Mann und Weib) so gut auseinander treibt.« Ich warf mirs jezt selber gelassen vor, daß ich nicht christlich dachte: denn ein anderer Mann wäre froh gewesen, daß er nur – wie die Katholiken durch das Schleppen hölzerner Figuren bei Prozessionen Sünden abzubüssen hoffen, – an seiner Frau eine solche hölzerne Figur besessen hätte, durch deren geduldiges Schleifen und Ziehen er sich aus dem Lufthimmel auf die Länge doch in den Freudenhimmel werfen könnte.

Es wird keinem Menschen etwas schaden, wenn ich hier beibringe, daß ich einmal in meiner Jugend vorgehabt, durch ein vortrefliches Buch – wie denn der Meßkatalog es so gar schon verhies – die Ursachen auseinanderzusetzen, warums Weiber giebt, zumal schöne. Ich sagte gleich anfangs darin, ich müst' es unterdessen als erwiesen voraussetzen, daß dieser Erdball blos die Vorstadt und der Vorgrund eines bessern Planeten wäre. Auf diesem bessern Planten, schreib ich weiter, den ich sehen könnte, wenn ich einen achromatischen Tubus nähme, stisse ein vernünftiger Mann nach seinem Tode in der That auf ganz andere und reizvollere Gegenstände, die die wahre platonische Liebe verdienten und entflamten. Blos diese wollen die Theologen unter dem Namen Engel gemeiner haben. Sie wären, sagt' ich in einer Note, so voll zarter und doch heisser Liebe! so voll geistiger Reize! daß ein Mann, der sie liebte, sich seines Ichs und der Liebe zu selbigem beynahe schämte, und das seinige nur am ihrigen zu lieben wagte. Ich konnte nichts dafür, daß ich damals diese Schilderung weit trieb; denn ich war nicht über 20 Jahre alt und brachte den Plato selten aus der Tasche. »Inzwischen, (fuhr ich fort und bediente mich eines zu niedrigen Ausdruks) können wir Männer doch nicht auf der Erde blos da sein, daß wir die Hände in die Tasche stecken: desgleichen die Weiber gar nicht. Sondern iene müssen vorbereitungsweise schon hienieden zu einer gewissen Höhe der Seele aufkönnen und diese müssen die Hebel – es sey nun heterodrome oder homodrome – dabei abgeben. Aber ich will auf eine oder die andere Art ganz ohne schwere Metaphern reden. Oft wenn ich einem Jäger zusah, der einen Falken zur Nachiagung des großen Wildprets abrichteteEr stopft die Haut eines Fuchses oder andern Thieres aus, verknüpft einen Kopf damit und lässet aus dessen Augenhölen den Falken gewöhnlich fressen; darauf bewegt er das ausgestopfte Thier anfangs langsam, und zulezt auf einem Karren sehr schnell, um den Falken durch diese scheinbare Entziehung seines Fraßes zur Verfolgung des lebendigen Wildes, in dessen Augenhöhlen er seine Kost vermuthet, abzurichten. : so sagt' ich, wolte Gott, es würde dir das Glück, daß du dieses Verfahren des Jägers einmal zu einem Gleichniß, oder einer Erläuterung verwenden könntest: das eine oder die andere könnte deinem Kopfe den Ruhm eines witzigen bescheeren. Dieser wächset mir iezt würklich zu: denn mit iener Abrichtung erläuter' ich mein System stark. Man verbittert den Weibern das Leben wenig, wenn man blos behauptet, daß sie die völlige Gestallt der Engel haben, die sich künftig von uns lieben lassen: allein wir Männer vermengen alles und halten das Gehäuse für den entfernten englischen Einwohner und den äussern Menschen für den innern, die hiesige Frau für den künftigen Engel – das ist aber gerade die Absicht der Natur. Die schimmernde Oberfläche des Weibes und die Lokspeise in ihren Augenhöhlen soll ieden Mann nöthigen, ihr so eifrig nachsetzen als wär' er ein Narr und sie ein Engel, wovon sie doch nur die ausgestopfte epidermis ist. Ja die Natur thut noch einen neuen Schritt. Wie der Jäger das ausgestopfte Wild mit vollen Augenhöhlen auf einem karren herumschiebt, um durch diese scheinbare Flucht den Falken auf die wahre des lebendigen Wildes vorzubereiten: so hält die Natur verschiedene Flechsen in der Hand, mit denen sie durch ein geringes Zerren so fort das ganze Weib unvermerkt ins Laufen bringt, sobald der Mann kein Indifferentist mehr sein will, sondern sich der algebraischen Approximazion bedient: sie springt vor ihm zurück; er wird laufslustiger; keines giebt nach; der Spas wird vielmehr grösser; ia die Flucht hat gar ihre – Gränzen: allein, eben diese Nachiagung nach dem zum Scheine fliehenden Wilde gewöhnet uns im andern Leben hinter dem im Ernste fliehenden sehr herzusein. Wenn wir Männer nun am Ende mit Tod abgehen: mit welcher Liebe für die Engel, deren hiesige Gestalt uns in ihrer Liebe schon zum voraus übte, werden wir in den bessern Planeten aussteigen! wie unaufhaltsam wird unser Nachsetzen sein! wie auffallend gros unsere Lust! zum wenigsten wird man dann bekennen, niemand habe aller Wahrscheinlichkeit nach die Schilderung der Sache weniger übertrieben, als ich und es sei ganz natürlich. Ich selber that mir unendliche Dienste mit meinem System, ich meine mit der Praxis desselben; denn ich liebte deswegen fast 33 solche Gipsabgüsse von Engeln so gut wie möglich, und es müste der Henker sein Spiel haben, wenn ich dadurch nicht Liebe genug zusammengebracht hätte, für einen Engel auf dem künftigen Planeten... Sogar Leute, die es nicht systematisch wissen, merken aus einem dunkeln Gefühle, daß sie an den Weibern den wahren Einband und die noble masque von Engeln haben, und sagen deswegen oft: o mein Engel! Und wenns im ›flüchtigen Pater‹ nicht steht, daß die Apokalypsis die französischen Weiber, die nicht sowol von den Männern, als dem männlichen Geschlechte geliebt werden, unter dem Namen Engel der Gemeine weissage: so muß es anderswo gewislich stehen, etwan hier.« – Jezt möchte ich dieß ganze System aus keinem Laden um einen Groschen mitnehmen, – denn da ichs nicht druken lassen, so kont' ich wenn ich nur wolte, meine Meinung ändern und war an nichts gebunden, – aber meine Dedikazion an die Frau de la Roche Verfasserin der Sternheim etc. werd' ich immer glauben und loben, so lang' ich Augen habe, um ihre Schriften zu lesen.
 

»Ich eigne ihnen, Madame, nichts zu, als ein iunges System. Große Gelehrte sind meiner Einsicht nach gar oft voll Verstand. Da sie aus irgend einem alten Sylbenstecher wusten, daß die Alten die Statuen eingetheilet, in Statuen die der Gott, dessen Bild sie waren, beseelte, und in solche, die unbewohnet standen: so war ihnen das etwas zu troken und sie applizirtens begierig auf die Weiber. Diese sind, sagen sie, glatte Statuen der Engel und tragen deren ganze Gestalt – aber weiter nichts, den Fall eben ausgenommen, wenn in diese Statuenallee eine Statue einrückt, in der das abgebildete Original schon lebt. Mein System aber treibt die Menschen an, an körperlichen Engeln, die geistigen lieben zu lernen, und es muß sein.

Katholiken z. B. Franzosen lassens dabei gar nicht, sie beten die Engel auch an, und die Scholastiker wollen uns dazu durch die Vorhaltung ihres Verstandes, ihrer Güte etc. locken: allein es geht schlechterdings nicht, und ein ehrlicher Lutheraner kann nichts weniger sein, als Madame,

Ihr

Anbeter
W. Haberman.«



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