Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

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XIII.

Ernsthafter Anhang
Ueber die Tugend

Eine einzige gute Handlung enthült uns die heilige Gestalt der Tugend mehr als zehn Systeme und Disputazionen darüber und der beste Mensch hat die beste und richtigste Vorstellung von der Tugend. Was Seelengröße, hoher Geist, Verachtung des Irdischen ist, wird keiner fassen, in dem sie nicht schon keimen oder blühen, und dem nicht schon bei ihren Namen das Auge und die Brust weiter wird. Es sind unglückliche Menschen, die den Pythagoras und Plato und Apollonius für schwärmerische Narren halten und etwas grössers auf der Erde kennen, als von ihr losgehoben, mit den Wurzeln ausser ihrem Schmutze zu sein und sie disseits des Grabes zu verschmähen: Denn iene Menschen sind hülflose Menschen.

Gleichwol ists gut, Zweifel gegen die Tugend heben, die wenigstens in den Minuten unserer Ermattung siegen oder stören. Kant, der endlich sich und die ganze Nachwelt zum ersten Grundsatze der Moral durcharbeitete, tritt wie ein belehrender Engel unter Zeitgenossen, vor denen französische Philosophie und abmattende Verfeinerung und Mode mit vergiftendem Athem predigen. Zuweilen wenn der Lehrer mit grösseren Schülern grössere Dinge vornimt: überträgt er einem andern Schüler das Geschäft, kleinern das A. B. C. zu zeigen – oder (welches eben soviel ist) in einem ernsthaften Anhange ein Paar Worte über die Tugend einige Monate nach Kant zu schreiben.

Wer eigne Glückseligkeit für den Zweck der Tugend hält: der kann drei verschiedene Irthümer auf einmal glauben; aber ieder dieser Irthümer zerbricht die Flügel der Seele und macht sogar das Vergnügen an der Tugend schaal. Er kann erstlich glauben, daß sie das Treibhaus und der Küchenwagen der Glückseligkeit sein soll – mit deutlichem Worten, daß diese Göttin auf die Erde gesendet ist, damit sie uns nicht den Himmel gebe, sondern Nahrung und Kleider und gesunden Leib und Lustigkeit, und damit sie mit ihren himmlischen Händen das für uns zusammengrase, was dem Thier der Instinkt viel reichlicher vorschüttet. Um so glücklich zu sein wie die Thiere brauchten wir ia nur die Thiere im Unterleib (nach der platonischen Dichtung) nicht zu bekämpfen sondern zu mästen. Der Abscheu vor Mord z. B. läge also aus keiner andern Ursache mit den festesten Wurzeln in unserem Herzen, als – damit die Gattung bestände; da doch oft vier mordsüchtige Tiergattungen die fünfte nicht zertrümmern können – da doch die nämliche Absicht durch eine Krankheit weniger in der Welt, oder durch grössere Fruchtbarkeit besser erreicht würde – da doch endlich es das alles gar nicht brauchte, weil allgemeine Mordsucht sich besser das Gleichgewicht halten würde, als iezt Mordsucht und Mordabscheu. Eben so soll die mütterliche Zärtlichkeit keinen grössern Zweck haben, als Aufäzen der Kinder; aber die thierische Jungenliebe zieht ia die Jungen ohne diesen Aufwand groß. Haben die menschlichen Tugenden keine himmlischern Zwecke, als die ähnlichen thierischen haben? Noch etwas: Legte die Natur die Wolthätigkeit nur als ein Fruchtmagazin für fremde Nöthen in unser Herz: so – aber ich würde mich zu hart ausdrücken. Ich sage nur das: wenn es für alle Pflicht ist zu geben: so hebt sich das Geben wechselseitig auf, und es ist für die Glückseligkeit so viel, als gäbe keiner – wenn es Tugend auf meiner Seite ist, meinem Freunde meine körperliche Glückseligkeit aufzuopfern, wenn es folglich auch auf seiner Seite Tugend ist, wiederum mir die seinige aufzuopfern: so gewinnt ia durch diesen Pfandwechsel nicht die Glückseligkeit, die man für den Zweck und Lohn dieser Aufopferungen ausschreiet – wenn es endlich so sehr Tugend ist, irgend einem Menschen Gesundheit und Nahrung und Vergnügen zu verschaffen: warum ists denn keine mehr, wenn ich mich selbst zum Subiekte meiner eignen Wohlthätigkeit erkiese, und warum macht der Unterschied der eignen und der fremden Beglückung, der keinen in der Glückseligkeit macht, einen so großen im Verdienst? Eben deßwegen, weil die Voraussetzung falsch ist, machte er einen – eben weil die Tugend etwas bessers, und grössers ist als ihr sichtbarer Uebungsstof und als das Blei worauf sie sich abprägt – und eben weil alle kameralistische und statistische Glückseligkeit, die Antonin erschuf, gar nicht in der Wage ziehen kann, in der sein großes Herz liegt, um dessen Tod eine Welt weinte, weil sie vor dem Tode seltener zu weinen brauchte? Ueberhaupt ist in der großen Weltmaschine die Tugend das langsamste Rad (ob gleich vielleicht alle schnellem mit an diesem drehen) und die Menschen- und die Thierwelt verdankt nur bleiernen Gewichten ihren Gang. Aber dieser Wahn ist fast von allen Seiten zu verwundern.

Der zweite Irthum ist abscheulicher und verunstaltete den Kopf des Helvetius: nach ihm dienen alle Tugenden – und alle Laster – blos unsern Lüsten und Vortheilen und sind die stummen Knechte an den Maschinentafeln unsers Körpers; aus dem Magensaft und noch einem andern rinnen alle Kenntnissse und Tugenden und fliessen wieder dahin zurück. Aber hatte denn Helvetius keinen Busen, in dem er eine Achtung für Handlungen empfand und aufhob, die nach seinem System gar nicht existiren konnten? Denn den eigennützigen, die er allein zuließ, konnt' er diese das Herz großmachende Achtung nicht hinwerfen. Wenn Tugend und Laster nur eine verschiedene Kalkulazion des nämlichen Vortheils ist, wenn die Kluft zwischen Sokrates und Borgia mithin nicht von verschiedener Anstrengung des Willens, sondern des Verstandes herkömmt: so giebts keinen andern Grund, warum wir uns mit dem tiefsten Hasse vor Borgia entsetzen, als den weil er – nicht genug auf seine Gesundheit bedacht gewesen, und keinen andern Grund, warum unser Herz, für das des Sokrates in liebender Eintracht schlägt, als den weil er – ganz gute Diät gehalten und von keiner Pest zu bezwingen war; kurz, unser Haß wird hier blos durch einen fehlsehenden Verstand, und unsere Liebe, durch einen rechtsehenden gewonnen, ob wir gleich, oft sonst Dumheit lieben und Scharfsinn hassen. Wenn das nicht Widersprüche sind: so ist die menschliche Natur einer. Und es ist noch obendrein die Frage, ob nicht die körperliche Glückseligkeit, die das Ziel der Tugend sein soll, Borgia besser als Sokrates erläuft: denn Borgia holt durch die Intension der Freuden diesen in der Extension derselben ein, und wenn Sokrates (nach diesem System) sich eine grössere körperliche Glückseligkeit (ich weiß nicht recht, welche) durch die Aufopferung der kleinern, das Leben nämlich, kaufen durfte: warum soll sich Borgia verrechnen, wenn er die gegenwärtigen Freuden der Wollust mit einem Theile seiner Gesundheit bezahlt? Und dennoch verabscheuen wir den, der sich nicht verrechnet. Man könnte diesen Stral noch anders brechen und z. B. auf die Selbstverachtung des glücklichen Lasterhaften lenken oder auf die Sonderbarkeit, daß wir einen gewissen Eigennutz verachten, einen andern (den erlaubten) dulden, und einen dritten (wie Helvetius die Uneigennützigkeit nennen muß) bewundern: aber es ist schon zuviel gewesen, daß ich diese der Erde abgeborgte Neumondsstralen in die Sonnenstrahlen eingemengt, die H. Jakobi in seinen vermischten Schriften auf Helvetius System niedersteigen lassen.

Es bleibt indessen diesen Tugendsozinianern noch die Ausflucht übrig, daß diese Achtung für die Tugend des andern blos aus der Berechnung des Nutzens entspringe, den er uns und der Welt damit schaffe; und wenn Hutcheson darauf das antwortet, daß uns uneigennützige Handlungen, wenn sie auch allen schadeten, dennoch gefielen und umgekehrt: so versezt Basedow wieder darauf, daß wir, von Jugend auf gewöhnt, mehr die öfters vorkommenden Folgen als die einmaligen zu schätzen eine uneigennützige schädliche Handlung darum höher als eine eigennützige vortheilhafte achteten, weil iene doch in den meisten Fällen nüzte und diese doch in den meisten Fällen Unheil stiftete. Ich begreif' es aber nicht, wie man aus einer unbestimmten Berechnung unbestimmter Vortheile ein so lebendiges und durch alle Herzen des Erdbodens ziehendes Gefühl für die Tugend kochen wollte: eben so gut wollt' ich die Liebe für weibliche Schönheit aus der kaufmännischen Zusammenaddirung der Vortheile, die sie über die Welt bringt, z. B. der grössern Einladung zur Fortpflanzung, der grössern Verfeinerung, zu der sie die nebenbulerischen Männer nöthigt, entsprissen lassen. Nach der Basedowschen Ausrechnung müste der Eigennutz, der die unzähligen großen Räder des Handels treibt und der unter allen Neigungen das wenigste Verdienst und die grösten Vortheile zurück lässet, unserer grösten Achtung, und die Uneigennützigkeit, deren himmlische Arme selten weit reichen, unserer Verachtung würdig sein, und es gäbe keinen tugendhaftern Mann als einen Fabrikanten, den tausend besoldete Hände dadurch nähren, daß sie sich selber nähren. Und in wiefern soll mir das durch Tugend fortgerükte Wol der Welt Achtung abgewinnen? Denn das Wol des Ganzen kann mich nach ienem System nur durch den Antheil interessiren, der auf meine Schultern oder in meine Hände kömmt: ein Antheil, den nur die feinste Sozietätsrechnung kalkuliren, den nur der Zufall lassen, den eine schlimme oder eigennützige Handlung mir eben so gut zuwenden kann, und der uns unmöglich iene erquickende Empfindung einer liebenden, neidlosen Bewunderung eingiesset, womit uns bei dem Gedanken einer hohen uneigennützigen Seele, die wie eine wärmende Sonne über diese Erde an ihrem Himmel geht, das Auge heller wird und das Herz freier und der Athem tiefer. Kann endlich die Achtung für unsere eigne Tugend aus den Vortheilen entwickelt werden, die wir durch sie uns und andern brachten? Und wenn gewisse Menschen, die eine allgemeine Wahrhaftigkeit, eine allgemeine Keuschheit etc. schädlich für das Ganze und das Individuum halten, gleichwol sich der Achtung für diese Tugenden oder für den, der sie ohne Ausnahme übt, nicht entschlagen können: wie verträgt sich das mit der Basedowschen Behauptung? – Der lezte Kunstgrif, um die Tugend für eigennützig auszuschreien, giebt das Vergnügen ihres Bewustseins für den lohnsüchtigen Zweck derselben aus. Aber gerade umgekehrt, eben weil wir die Tugend lieben, macht uns das Bewustsein ihres Besitzes Vergnügen: so wie ia das Gefallen an weiblicher Schönheit nicht daher kömmt, weil dieses Gefallen uns süsse ist, sondern diese Süssigkeit ist eben die Wirkung (nicht die Ursache) des Gefallens.

Der dritte Irthum, den man unter den obigen Worten meinen konnte, betrift die Hektik der menschlichen Tugend. Wer kann, sagt man, den lebenden, dunkeln Abgrund seiner unedeln Regungen so bewachen und beleuchten, daß sie nicht unsichtbar hervorfliegen und in die schönsten Früchte seines Herzens ihre giftigen Geburten graben. Das beweiset aber nicht blos, daß die unedelsten Regungen wie Teufel unsere edelsten, sondern daß auch unsere edelsten, wie Engel unsere unedelsten begleiten können: denn aus der Wirksamkeit dunkeler Triebe (also guter und schlechter) folgt beides. Wenn unsre menschenfreundlichsten Handlungen mit geheimen eigensüchtigen Zwecken legirt sind: so gesellet sich vielleicht z. B. zu des Kornsiuden gewinsüchtigen Freuden noch die kleine uneigennützige, daß er so viele Menschen vom Hunger rette. Denn es handelt ia niemals Ein aus allen Ringen ausgehenkter, isolirter, selbständiger Trieb des Menschen, sondern der Mensch selbst mit allen seinen Trieben und das ganze Instrument mit allen seinen Saiten ertönt vom Berühren eines äussern Schalls, nur aber jede Saite in ihrem dissonen oder unisonen Verhältnisse zu diesem Schalle. Und eben dieses Bewustsein dunkler Mitwirkungen artet im Tugendhaften zur schmerzhaften Täuschung, als hätt' er zweideutig gehandelt, und im Lasterhaften zur schmeichelhaften aus, als hätt' er gut gehandelt. Aber beides ist eben Täuschung: denn eine uneigennützige Handlung wird dadurch nicht ganz eigennützig, daß sie es zum Theil ist und umgekehrt.

Ueber keinen Text predigte unser fleischernes Jahrhundert so gern und so oft als über den, daß die Seele an der Kette des Körpers liege, daß die Windlade des Unterleibes der versteckte Soufleur des im Kopfe regierenden Theaterkönigs sei, und daß unsere Tugenden oft von einem tiefliegenden Mistbeete getrieben werden. Die Erfahrung ist wahr, aber falsch der Schlus daraus, der den menschlichen Geist entheiligen will. Denn so wenig es diesen erniedrigt, daß er zu seinen Gesichtsempfindungen des Sehnervens bedarf: eben so wenig beschimpft es einige seiner edelsten Empfindungen, daß sie erst durch die Sekrezion, die den Kastraten fehlt, in Blüte schlagen. Denn iener Sehnerve und diese Sekrezion sind als Materie von gleichem Werth und sind in moralischer Rücksicht weder edel noch unedel, und wenn die Empfindung des Erhabenen uns künftig nicht mehr die Brust ausdehnte, sondern dafür den Unterleib: so befände sie sich dadurch nicht um einen Atom erniedrigt – ausser in den Augen iener vornehmen Frau, von der Platner erzählt, daß sie vor Eckel von Sinnen kam, da sie aus dem Unrath eines aufgeschnittenen Schweins zum erstenmale errieth, wie wenig es in ihrem eignen Inwendigen so reinlich aussähe als in einer holländischen Stube. So wenig tiefes Nachdenken darum, weil es sich oft in Erbrechen und Polluzionen schloß, mit beiden eine herunterstellende Verwandschaft hat; so wenig Leibniz aus dem Zwiebak, der ihn in den himmlischen Stunden des Erfindens erhielt, seine Monaden sog: so wenig benimt irgend eine Nerven-Mitleidenschaft hohen Empfindungen ihren Silberblick. Denn der vom Stral betastete Gesichtsnerve, ist ia doch nicht die Gesichtsempfindung selbst, die obige Sekrezion ist ia doch nicht die edle Empfindung, hat gar keine Aehnlichkeit damit, lässet sich gar nicht zur Ursache davon machen und das Materielle ist noch weniger, als der stinkende Dünger, den die saugende Blume zum Duft umarbeitet, mit dem sie ihren Kelch umringt.

Der Mensch thut oft Fragen, die man mit nichts beantworten kann als damit, daß er sie nicht hätte thun sollen. So fragt er: »wenn ich die Tugend nicht als verkleidete Glückseligkeit suche: warum such' ich sie denn?« denn gesezt ich gäb' es zu: so kann ich ia meiner Seits fragen: warum suchst du denn die Glückseligkeit? Er kann blos antworten: »weil sie meiner Natur gemäs ist« und eben das antwortete der Stoiker auf deine obige Frage. Die Verbesserung und Fortführung dieser stoischen Antwort trieb seit 6 Jahrtausend kein Scharfsinn so weit, als der Kantische und wessen Tugend die Schriften dieses Mannes nicht stärken, der sieht nur seines Geistes- nicht seine Seelengröße, nur seinen sichtbaren Kopf, nicht sein unsichtbares großes Herz.

Möchte mir dieser ernsthafte Anhang, durch den ich im Grunde mich selbst rühren und bessern wollen, verziehen werden! Noch besser wär's, wenn er gar den Leser dahin brächte, Satire eben so verträglich mit duldender Menschenliebe und der noch schwerern Menschenachtung zu finden, als Kriminalurtheile und Strafpredigten, und den Advokaten des Teufels vom Freunde des Teufels zu trennen. Mir zum Besten füg' ich noch zwei Regeln an: warte niemals auf ausserordentliche Lagen zum Gutsein, denn die alltäglichste ist die verdienstlichste dazu und versprich dir nie von deiner eignen Tugend die Entzückungen, die die Bewunderung der fremden gewährt, sondern schmerzliches Aufopfern – und wie reissende Thiere leichter übermannt werden als Insektenschwärme, so ist der Sieg – nicht über die seltenen und großen sondern – über die kleinen und täglichen Versuchungen besser und schwerer.


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