Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Letztes Kapitel

Fröhliche Siege

Clelia lag erschüttert und aufgelöst im Sofa. Durch alle Torheiten der lieblichen Törin hatte sich die Natur gewaltig Bahn gebrochen. Sie achtete nicht mehr darauf, die Chatelaine zu verbergen, ihr Taschentuch hatte sie erhoben und vor das Gesicht gedrückt.

Fancy trat in die Türe des Seitenkabinetts. »Kommen Sie einen Augenblick herein, lassen Sie ihr Zeit«, flüsterte sie. Lisbeth ging etwas bestürzt in das Kabinett. Fancy nötigte sie auf einen Sessel und maß mit einem seidenen Faden den Umkreis ihres Haargeflechtes und dann legte sie das Maß an einige Zweige des Myrtenbäumchens. Sie schnitt die Zweige ab und verband sie zum Kranze.

Auch das Mädchen hatte eine Träne im Auge. Sie sagte während ihrer Arbeit: »Wenn ich sie so weinen sehe, schäme ich mich meiner Listen, und doch waren sie notwendig. Denn hätte ich sie nicht durch meine Unterwürfigkeit konfus gemacht und sie nicht in die Verlegenheit hineingeputzt, so hätten Sie, junge gnädige Gräfin, mit ihr einen härteren Stand bekommen, oder der Herr Oberamtmann packte die Sache wieder an und dann würden Sie es nicht durchgesetzt haben. – Die Fancy ist aber dankbar. Seien Sie so gütig, dem Herrn Gemahl zu sagen, die Kastellanstochter habe sich für den alten Vater revanchiert.«

Lisbeth verstand nicht, was das Mädchen wollte. Sie hatte auch nicht Zeit, danach zu fragen, denn in Clelias Zimmer hörte sie laut schluchzen und dann ebenso laut lachen und darauf wieder schluchzen und so wechselte es immer ab zwischen Lachen und Schluchzen. Endlich rief es leise und innig ihren Namen. Als sie in das Zimmer trat, kam ihr Clelia entgegen, schloß sie in ihre Arme, nannte sie Kusine und sagte: »Du sollst ihn haben.«

Die junge liebliche Törin gehörte zu den glücklichen Naturen, die, wenn sie närrische Streiche gemacht zu haben einsehen, ohne viele Weiterungen durch Wort und Tat bekennen: »Wir haben närrische Streiche gemacht.« – Kein Schmollen, kein Hinzögern, kein falscher Widerstand hauchte über den Spiegel dieser komisch-anmutigen Seele. Lisbeth hatte sie überwunden, und sie schämte sich nun der Niederlage nicht. Sie drückte sie an sich, sie streichelte ihre Wangen, sie gab ihr die zärtlichsten Namen, nannte sie ihr kaiserlich Kind und eine geborene Prinzessin der Ehre. Lisbeth war von dem plötzlichen Wechsel wie betäubt und ruhte freudetrunken an der Brust der ihr noch vor wenigen Minuten so feindlich gewesenen neuen Freundin. Clelia schlug ihren Arm um den Nacken des bräutlichen Kindes und ging mit ihr halb tanzend auf und nieder; dann stellte sie sich mit ihr vor den Spiegel, stemmte die Hände in die Seite und sagte, drollige Vergleichungen anstellend: »Cendrillon und daneben alle drei Fräulein Schwestern in einer Person.« Sie drohte ihrem Spiegelbilde, schnitt ihm neckische Gesichter und rief: »Wie kann man sich so aufdonnern?«

Sie war in einem Taumel der Lust und trieb darin Rührendes und Possenhaftes durcheinander. Plötzlich kam aber Fancy gesprungen und rief: »Gnädige Frau, der Oberamtmann!«

»O mein Himmel!« rief Clelia. »Der muß weg, gleich weg, unter jeder Bedingung weg! Wie kriegen wir ihn weg? Fancy, gib einen guten Rat!« Sie lief hin und her, ihr Taschentuch windend.

»Wenn wir nur einen Prozeß oder ein Aktenstück ihm in der Ferne zeigen könnten!« rief Fancy, die nun fast ebenso ängstlich sich zeigte, als ihre Gebieterin. »Mit Speck fängt man Mäuse – Hm! Wie? Ja – Was – Richtig – ich hab's – Victoria!«

»Was?«

»Wo ist die Assise?«

»Die Assise?« – Fancy lief auf das gestern abend gelesene Zeitungsblatt zu. »Hier!« sagte sie und zeigte mit dem Finger auf eine der Anzeigen.

Clelia lachte. – »Nun, albernes Mädchen?«

»Hinein, gnädige Frau mit der jungen Dame in mein Kabinett!« rief sie, »Sie möchten sich nicht genug verstellen können. Ich schaff' den Oberamtmann fort.«

Clelia eilte mit Lisbeth in das Kabinett. Der Oberamtmann trat in das Zimmer. – »Ich hörte hier laut sprechen«, sagte er. »Die Stimme der Baronesse unterschied ich und die des Mädchens. Wo ist Ihre gnädige Frau? Wie steht es?«

»Ganz vortrefflich«, versetzte Fancy mit Emphase. – »Die sogenannte Braut ist beseitigt, abgemacht, hinüber. Noch heute abend reist sie nach Hamburg und wird dort Erzieherin in einer Pension, mit sechsundfünfzig Talern Gehalt. Aber, wie haben auch die gnädige Frau gesprochen! Göttlich, sage ich Ihnen, Herr Oberamtmann, von Tugend, Entsagung und uneigennütziger Liebe; Sie würden Ihr blaues Wunder gehört haben, ich wurde recht erbaut und faßte gute Vorsätze für mein ganzes Leben, wenn ich auch einmal sollte das Unglück haben, daß mich ein junger vornehmer Herr heiraten wollte. Die Lisbeth bat die Baronesse zuletzt kniefällig um Verzeihung, daß sie nur im Ernst an den Grafen gedacht habe. Jetzt ist sie mit dem Kinde spazierengegangen, um in der freien Natur sie zu trösten und sie noch recht in der Vernunft zu befestigen. Wenn sie aber nach Hamburg abgereist ist, dann will sie auch den Herrn Vetter auf eine gute Art zu behandeln anfangen.«

Kein treuer Staatsdiener, dem von seiner vorgesetzten Behörde ein glänzendes Lob zugeht, kann frohere Augen machen, als der Oberamtmann machte. Er schlug in die Hände, daß es schallte, zog einen ganzen Schoppen Luft in sich und rief: »Nun, Gott sei Dank! So wäre denn also dieses schwierige Geschäft glücklich beendigt. Ach, Sie glauben nicht, Fancy, was für eine Angst ich ausgestanden habe. Aber meinen Kopf hätte ich daran gesetzt, es durchzutreiben.«

»Sie können lachen«, sagte Fancy. »Wir haben die Not gehabt, und Sie hatten das Zusehen. – Und was halte ich hier in der Hand, Herr Oberamtmann?« – Sie hob das Zeitungsblatt empor.

»Was denn, liebe Fancy?« – Er las. – »Zeitung vom – vom – ei, die habe ich nicht zu sehen bekommen! – Hm! Was steht denn da? – – Assisen in Elberfeld!« rief der Geschäftsmann mit einem Freudenschrei.

»Das hat die gnädige Frau heute gefunden, und feurige Kohlen sammelt sie auf Ihrem Haupte, vergibt Ihnen die Szene von gestern abend und trug mir auf, Ihnen das Blatt da zu zeigen, damit Sie Ihren Wunsch erfüllen können. Der Ort soll nicht gar zu weit von hier sein. Wenn Sie gleich Post nähmen, so kämen Sie noch spät abends dort an. Und unterdessen, daß Sie fort sind, machen wir hier alles mit dem jungen Herrn fertig.«

»Also wirklich soll ich doch noch das öffentliche Verfahren kennenlernen!« sprach der Oberamtmann gerührt. – »Großer Gott, wenn sie nur nicht schon vorüber sind! Sie gingen nach der Anzeige da vor vierzehn Tagen an. Ich hoffe indessen noch zwei oder drei Tage zu erhaschen, denn wie ich am Rheine vernahm, so pflegen sie in die dritte Woche ihrer Dauer überzugreifen.« – Er wischte sich die Augen. – »Deine Baronesse ist doch eine herrliche Frau«, sagte er. »Empfiehl mich ihr auf das Angelegentlichste und sage ihr, in drei Tagen sei ich wieder da, wenn nicht etwa gar zu interessante Sachen vorkämen, denn dann bliebe ich wohl noch etwas länger aus. Adieu, liebe Fancy.«

»Sie fahren?«

»Sogleich. Ich gehe auf der Stelle selbst zum Posthalter.«

Er eilte fort.

Fancy sprang ausgelassen im Zimmer umher. Clelia trat mit Lisbeth aus dem Kabinette. Lisbeth trug den Myrtenkranz, den ihr Clelia drinnen aufgesetzt hatte. »Lauf, Fancy, lauf!« rief sie. »Schaff mir den Diakonus, lebendig oder tot«, setzte sie in ihrer sprudelnden Laune hinzu. Fancy lief hinunter.

»Was haben Sie denn mit mir vor, gnädige –«

»Clelia sollst du mich nennen, werde ich nicht deine Kusine?« versetzte die Baronesse und gab ihr einen leichten Schlag mit dem Zeigefinger über die Wange. – »Was ich mit dir vorhabe? Trauen will ich Euch lassen, im Augenblick!«

»Mein Gott, welche Übereilung!« rief Lisbeth froh und bestürzt.

»Keine Widerrede«, sagte Clelia. »Soll es geschehen, so kann es nur in der Übereilung geschehen. Drei Tage bleibt der Oger weg, das Aktenungeheuer; nicht drei Viertelstunden will ich verlieren. Euer Bund ist außer aller Ordnung und Regel, in der Ordnung und Regel kriegen wir's nimmer fertig. Hurli burli muß es gehen. Himmlisch kannst du sprechen, Herzkind, und einer jungen Strohwitwe, die noch dazu das Unglück hat, selbst in ihren Landläufer von Gemahl verliebt zu sein, den Kopf schon verdrehen; aber kennst du die Welt, das taube, hartmäulige Tier? Brautleute sind zu trennen, eine Verlobung ist rückgängig zu machen, da muß man also einen Riegel vorschieben, einen von denen, die nicht weichen und wanken. O die Ehe, der gute, feste, unweichsame Riegel! Immer gleich sieht er aus, man mag ihn von der oder der Seite beschauen. Seid Ihr getraut, so mögen sie schimpfen, skandalieren, schikanieren, Ihr sitzt geborgen hinterm Riegel. Da hat selbst der Kaiser seine Macht verloren. Ihr seid Mann und Frau und sie müssen sehen, wie sie sich drein finden. – Jetzt aber komm her, mein Bräutlein, daß ich dich schmücke.«

Sie stellte ihren Juwelenkasten neben sich, setzte sich in einen Lehnstuhl und Lisbeth mußte vor ihr auf dem Fußschemel knien. – »Ein anderes Kleid können wir dir nicht anziehen, denn meine sind dir zu weit, du schlankes Reh, aber die besten Brillanten schenke ich dir«; sagte sie. Ein reiches Collier, die Brosche und die dazugehörigen Ohrgehänge nahm sie aus dem Kasten. Sie legte der Knieenden die prächtigen Steine an und um und wie gern ließ sich die glückliche, halbbetäubte Lisbeth zieren! – »Sieht sie in ihrem weißen Cambrickleidchen und mit den Diamanten vom reinsten Wasser nicht aus wie ein Märchen, einfach, strahlend, ärmlich, feenreich?« rief sie, als sie ihr Werk vollendet hatte. Sie erhob die Geschmückte und drehte sie nach allen Seiten, um die Wirkung der Brillanten zu prüfen.

Der Diakonus kam. Fancy hatte ihn von der Straße hereingeholt. Er kehrte eben aus dem Gerichtshause zurück, den Auftritt mit dem Hofschulzen noch in Haupt und Herzen. Seine Frau, die auch schon etwas von der Revolution in ihrem Hause gehört hatte, folgte. Fancy schloß den Zug. Die Wirte sahen mit Erstaunen auf Lisbeth, die wirklich dastand, ein armes, reiches, weißes, buntes Wunder. – »Kleine Frau«, rief Clelia ihre Wirtin an, »Sie bekommen heute freies Haus. Sobald wir hier unsere Pflicht getan haben, reise ich ab, denn den Oberamtmann überlasse ich Euch, Ihr Guten, und der wird denn auch bald zornschnaubend seiner Wege gehen.

Herr Pastor«, sagte sie gravitätisch zum Diakonus, »Sie werden ersucht, Ihren Mantel anzulegen, die Bäffchen vorzustecken und sofort Ihr heiliges Amt zu verrichten.«

»Wie?« versetzte der Diakonus äußerst befremdet. »Ohne Aufgebot, ohne Formalitäten...«

»Einspruch erfolgt nicht, auf Kavalierparole«, sagte Clelia noch feierlicher. – »Und was die Formalitäten betrifft, so steht hier eine bekränzte Braut, drüben im Zimmer sitzt ein harrender Bräutigam, ich habe mich als ehestiftende Juno aus dem Stegreife in Staat geworfen, zwei ehrliche Leute als Zeugen werden zu haben sein, weitere Formalitäten sind wohl überall zu einer Hochzeit nicht erforderlich.«

Er versagte auf das bestimmteste die Bitte. Clelia wurde aber dringender und fand an der Frau des Geistlichen eine Bundesgenossin. »Ich dächte, liebes Kind, du gäbest nach«, sprach sie mit einem verlegenen vielsagenden Blicke.

Mit der ganzen Offenheit, welche seine Äußerung über den modernen Adel gegen die Exzellenz auf dem Oberhofe geziert hatte, rief der Diakonus, sich vergessend: »Nein, mein Schatz, weil du etwas länger Last in der Küche behältst, deshalb kann sich dein Mann nicht scharfen Verweisen oder gar Strafen aussetzen!«

»Darüber will ich Sie beruhigen!« rief Clelia. »Ich kenne Ihren * er ist in Karlsbad ganz überaus freundlich gegen mich gewesen, denn er erwartet von mir eine Gefälligkeit bei uns daheim. Eine Hand wäscht die andere, ich verbürge mich dafür, daß Sie mit einer leichten Zurechtweisung, die Ihnen nur des Scheins halber erteilt werden wird, entschlüpfen sollen, zumal da in der Sache selbst nichts Unrechtes geschieht.« – Fancy schlich fort; sie wußte, wo der Ornat hing.

»Gnädige Frau«, versetzte der Diakonus ernst, »die Formen sind einmal in der Welt und die Formen sind heilsam. Entschuldigen Sie, wenn ich mich innerhalb der mir gewiesenen Schranken halte.«

Aber auch Clelia konnte ernsthaft werden. So fest und gehalten, daß es alle Anwesende überraschte, sagte sie: »Meine Eitelkeit erlebt wenigstens einen kleinen Triumph darüber, daß Sie mir so bald und so vollständig Genugtuung geben. Sie grollten mit mir gar sehr in Ihrem Herzen, daß ich die Bettlerin, das Findelkind – denn ich darf sie so nennen, sie weiß, wie lieb ich sie gewonnen habe – nicht in der ältesten Familie des Reichs haben wollte, und nun weigern Sie sich, ja Sie, zwei Lieblinge Ihres Herzens allen Nöten zu entheben. Und weshalb weigern Sie sich? Einer Form, einer armseligen Form wegen, deren Verletzung Ihnen möglicherweise eine kleine Unannehmlichkeit im Amte machen könnte. O Ihr anderen, wann werdet Ihr doch ablassen, Euch über uns aufzuhalten? Ich bin doch besser als Sie. Denn ich ward wenigstens von dem königlichen Gemüte dieses Kindes, welches ich nun mit Freuden für meine Verwandte, Gräfin Waldburg, erkenne, rasch bekehrt. Sie aber scheinen der Bitte einer Frau unnahbar zu sein, die nur begehrt, was der Augenblick gebietet, den Sie mir ja auch als Lehrer der Menschen angepriesen haben. – Wohl, ich dringe nicht weiter in Sie. Aber die Zukunft der beiden schiebe ich Ihnen in Ihr Gewissen. Für alle Quälereien, Hemmungen, Verdrießlichkeiten oder gar Mißgeschicke, welche Oswald und Lisbeth noch haben können, bin ich für meine Person nicht ferner verantwortlich.«

Der Diakonus stand betreten. Von Anfang an hatte ja eine Stimme in seinem Inneren für die Bitte der Baronesse gesprochen. Diese Stimme redete um so lauter, als er kurz zuvor so tief bewegt worden war. Das Große, Echte, Menschliche war ihm in der Gerichtshalle so nahe getreten; er fühlte, daß es Dinge und Verwickelungen gebe, in denen der Mensch sich vergessen und nur an das Wesen, und an das Los anderer denken soll.

Nach einigem Schweigen erwiderte er Clelien: »Sie haben mich auf eine Probe gestellt. Selten wird es vorgekommen sein, daß ein Geistlicher sich scharf tadeln lassen muß vor einer heiligen Handlung, die man von ihm begehrt. Folgte ich einer kleinlichen Empfindlichkeit, so würde ich bei meinem Versagen beharren. Ich bin aber nicht empfindlich, sondern erkläre Ihnen ganz einfach: Sie haben recht. Ich bin bereit, dem Bunde, welcher uns alle, wie es scheint, durch seine liebliche Kraft über das Gewöhnliche erhebt, Weihe und Unlösbarkeit zu geben.«

Fancy hatte sich schon während der letzten Worte mit dem Ornate in der Türe gezeigt. Der Diakonus ging hinaus und kam nach einigen Augenblicken im priesterlichen Kleide zurück. – »Wollen wir ihn nicht vorbereiten lassen?« fragte Clelia. – »Wozu?« versetzte der Diakonus. – »Das Göttliche regt nicht auf; es beruhigt. Still treten wir bei ihm ein und ich sage ihm dann in kurzen Worten sanft, was wir wollen; das ist wohl die beste Vorbereitung.«

Er nahm Lisbeth bei der Hand, die Frauen folgten. Schweigend und gefaßt gingen diese guten Menschen nach dem Zimmer, in welchem sich auf den Glücklichen, der noch nichts ahnete, sogleich ein Segen herniederlassen sollte, rein, groß, himmlisch.

Ende


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