Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Der Schulze machte darauf eine dankende Verbeugung. Die Küsterin und die Magd trugen die Körbe hinaus und packten sie auf den Wagen. Zu gleicher Zeit sah der Jäger, daß die eine Hofesmagd aus dem Zimmer, worin der Geistliche gespeist hatte, Schüsseln und Teller auf den Flur trug, und sie, indem jener auf die Schwelle des Zimmers trat, vor seinen Augen wusch. Nachdem sie diese Reinigung verrichtet, näherte sie sich dem Geistlichen, er holte aus einem Papiere eine kleine Münze und gab sie ihr.

Der Küster ließ sich indessen den Kaffee schmecken, und da auch für den Jäger eine Tasse hingestellt worden war, so setzte sich dieser zu ihm. »Ich bin hier fremd«, sagte der junge Mann, »und verstehe zum Teil die Gebräuche nicht, welche ich heute gesehen habe; wollen Sie mir dieselben nicht erklären, Herr Küster? Ist es eine Verpflichtung, daß die Bauern den Herrn Diakonus in Naturalien unterhalten müssen?«

»Verpflichtung in betreff der Hühner, Eier und Käse, nicht der Rollkuchen, welche der gute Wille sind, jedoch auch jederzeit unweigerlich abgestattet werden«, erwiderte der Küster höchst ernsthaft. »Zum Diakonat oder zur Oberpfarre in der Stadt sind drei Bauerschaften als Filiale eingepfarrt, und ein Teil der Pfarr- und Küstereieinkünfte bestehet in der Zinsgebühr, welche von den einzelnen Hofesstellen alljährlich erfället. Diese nun, wie sie überall seit undenklichen Zeiten feststeht, einzusammeln, halten wir per Jahr zwei Gänge, oder Fahrten, nämlich die gegenwärtige Sommer- oder kleine Fahrt, und dann die Winter- oder große Fahrt, kurz nach Advent. Bei der Sommerfahrt erfallen die Zinshühner, die Zinseier und Zinskäse, an dem einen Hofe so viel, an dem andern so viel; erstere Rubrik, nämlich die der Hühner, erfället jedoch nur pro Diaconatu, Küsterei hat sich mit Eiern und Käsen zu begnügen. – Im Winter erfallen die Kornzinsen an Gerste, Hafer und Roggen; da kommen wir mit zwei Karren, weil eine die Säcke nicht zu fassen vermöglich wäre. So halten wir denn zweimal per Jahr die Rundfahrt durch die drei Bauerschaften.«

»Und wohin geht die Reise von hier?« fragte der Jäger.

»Directe nach Hause«, versetzte der Küster, knöpfte seinen Oberrock los und zog ein Federkissen hervor, welches er, ungeachtet der warmen Witterung zum Schutze seines Magens aufgelegt hatte. Nunmehr aber, nach der starken Mahlzeit mochte ihm dasselbe doch beschwerlich fallen. – »Gegenwärtige Bauerschaft ist die letzte, und gegenwärtiger Oberhof der letzte Hof in selbiger, auf welchem denn auch das herkömmliche Zinsessen vor sich geht«, sagte er.

Der Jäger bemerkte, daß, wie es ihm vorgekommen, in der Mahlzeit, bei den Begrüßungen, bei der Empfangnahme der Lebensmittel, ja sogar bei dem Waschen der Teller und Schüsseln eine vorherbestimmte Ordnung geherrscht habe, worauf sich der würdige Küster, wie folgt, weiter vernehmen ließ: »Allerdings; in jeglichem bei diesen Zinsfahrten ist eine Observanz und ein striktes Recht, von welchem nicht abgewichen werden darf. Morgens um sechs Uhr rücken wir aus der Stadt aus, der Herr Diakonus, ich, meine Frau und die Pastorsmagd. Vom Reymannskotten wird, jedoch auf höfliches Suchen und Erbitten, die Karre gestellt, welche das liebe Gut lädt, und der Kolonus geht mit und verläßt den Herrn Diakonus nun und nimmer, setzt sich auch, wie Sie gesehen haben, einzig und allein mit ihm zu Tisch. Den ersten Hühnerkorb nahmen wir aus der Stadt mit, da dieser aber bei dem ersten Hofe schon voll wird, so leihet nunmehr letzterer einen neuen für den zweiten, und so fort bis hieher. Der Kolonus füttert hier seine Pferde mit einem Scheffel Hafer, der vom Balstrup erhoben und mitgenommen worden ist, und die Magd, welche die Teller und Schüsseln vor den Augen des Herrn Diakonus wieder rein waschen muß, erhält dafür ihre drei und einen halben Stüber, gleichfalls heute zu diesem Zweck und Ende erfallen und empfangen auf dem kleinen Beek, Bauerschaft Branstedde.«

»Und die Sprüche, die Sie so laut und vernehmlich vortrugen, Herr Küster, rühren diese auch von alters her?« fragte der Jäger.

»Ja freilich«, versetzte der Küster. »Indessen«, fuhr er wohlgefällig fort, »habe ich einiges, was darin an die finstern Zeiten erinnerte, weggelassen oder verbessert, wie es sich für die Gegenwart schicken will. So lautet der Text in der Danksagungsrede eigentlich zum Schluß:

›Wenn ihr aber uns verkürzen wollen,
So soll euch alle der Teufel holen,
Und fehlt am Käs' ein einzig Lot,
So kriegt ihr gar die schwere Not!‹

Diese unschicklichen Reime habe ich nach und nach eingehen lassen, indem ich Jahr für Jahr einen nach dem andern bei mir behielt, oder so tat, als ob ich den Husten dabei kriegte, und was dergleichen Anschläge mehr waren, denn mit den Bauern muß man freilich bei allen Neuerungen langsam zu Werke gehen. Es hat doch Widerspruch abgesetzt, und einige von den Dorfmicheln wollen durchaus diese Grobheiten nicht fahren lassen, weil sie sagen, daß selbige einmal dazugehören. Sie entrichten die Zinsgebühr nicht, wenn ich ihnen den Teufel und die schwere Not nicht anwünsche; der Hofschulze ist darin vernünftiger.«

Der Küster wurde abgerufen, denn die Karre war angespannt, und der Geistliche nahm von dem Hofschulzen und seiner Tochter, die jetzt ebenso ehrerbietig und freundlich vor ihm standen, wie bei allen übrigen Verhandlungen dieses Tages, mit herzlichen Händedrücken und Worten Abschied. Nun schwankte der Zug einen andern Weg, als den er gekommen war, zwischen Kornfeldern und hohen Wallhecken fort. Der Kolonus mit der Peitsche vor seinen Pferden, die Karre langsam hinterdrein bewegt, auf ihr jetzt außer den beiden Frauenspersonen der Küster sitzend zwischen den Körben, und der Fürsorge wegen wieder das Federkissen vor die Magengegend gestopft.

Der Jäger hatte sich bei der Abfahrt bescheidentlich zurückgehalten, war aber, als die Zinskarre sich eine Strecke weit entfernt hatte, mit raschen Sprüngen nachgeeilt, und fand den Diakonus, welcher ebenfalls hinter seinem eingesammelten Gute zurückgeblieben war, auf einem anmutigen Baumplatze schon seiner harren. Hier, frei vom Zeremoniell des Oberhofes, umarmten sie einander, und der Diakonus rief lachend: »Das hätten Sie wohl nicht gedacht, in Ihrem ehemaligen Bekannten, der in jener großen Stadt seinen jungen schwedischen Grafen so säuberlich auf dem schlüpfrigen Boden der Wissenschaft und des eleganten Lebens umherführte, eine Figur wiederzufinden, welche Sie an Ehrn Lopez in dem ›Spanischen Pfarrer‹ von Fletcher erinnern muß?«

»Ihr Küster ist, wenn auch kein lustiger Diego, doch ein ganzer Mann«, versetzte der Jäger. »Er hat mir wie ein wahrer Zeremonienmeister der Zinspflicht das ganze Ritual ausgelegt, und sich bei dem Empfangen, Verwahren und Spruchsprechen mit solcher Würde und Klugheit benommen, daß ich ihn jedem bevollmächtigten Minister, welcher eine verwickelte Angelegenheit seines Hofes zu schlichten hat, als Muster empfehlen möchte.«

»Ja«, sagte der Geistliche, »das ist heute sein Ehrentag, auf den er sich schon sechs Wochen vorher freut. Überhaupt gibt es unter den Küstern noch viele komische Figuren, welche sonst so sehr jetzt abnehmen. Das beständige Anhören hoher und erbaulicher Worte von ihrem Standpunkte der Dienstbarkeit dabei, das Läuten, das Ansagen der Geburten und Sterbefälle gibt ihrem Wesen einen wundersamen Schwung, mit welchem nun wieder ihr glücklicher Appetit, oder besser zu sagen, ihre maßlose Freßgier seltsam kontrastiert. Denn da sie zu Hause nicht viel zu beißen und zu brechen haben, so versorgen sie sich auf Kindtaufen, Hochzeiten und Leichenschmäusen für ganze Wochen, und verschlingen die außerordentlichsten Portionen, aber immer mit einem Anstriche von Salbung, und nicht selten die hellen Tränen der Mitfreude oder Mittrauer in den Augen. Der meinige hat nun zu allen diesen Standeseigenschaften noch den Privatcharakter der Feigheit; er ist ein ausgemachter Poltron und ich habe mit ihm auf einsamen nächtlichen Wanderungen zu Kranken oder Sterbenden schon die lustigsten Szenen erlebt.

Doch lassen wir den Küster und seine Narrheiten. Was die Prozedur betrifft, welcher Sie heute beiwohnten, so ist es unumgänglich notwendig, daß ich mich ihr in Person unterziehe; mein ganzes Verhältnis zu den Leuten wäre gebrochen, wenn ich zu ekel wäre, die alte Sitte mitzumachen. Mein Vorgänger im Amte, der nicht aus hiesiger Gegend war, schämte sich der terminierenden Fahrten, und wollte schlechterdings nichts damit zu tun haben. Was war die Folge davon? Er geriet in die übelsten Zwistigkeiten mit diesen Landgemeinen, welche selbst auf den Verfall des Kirchlichen und des Schulwesens Einfluß hatten. Zuletzt mußte er gar um seine Versetzung einkommen und ich nahm mir gleich vor, als ich die Pfarre erhielt, in allen Dingen mich nach Ortsgebrauch zu verhalten. Hiebei habe ich mich denn bisher sehr wohl befunden, und weit gefehlt, daß der Schein der Abhängigkeit, welchen mir diese Fahrten geben, meinem Ansehen schaden sollte; es wird vielmehr dadurch erhöht und befestiget.«

»Wie sollte es auch anders sein!« rief der Jäger. »Ich muß Ihnen gestehen, daß bei dem ganzen Einhergange, ungeachtet alles Komischen, was Ihr Küster darüber auszubreiten wußte, mich ein Gefühl der Rührung nicht verließ. Ich sah in diesem Empfangen der einfachsten leiblichen Gaben einerseits, und in der Ehrfurcht, womit sie anderseits dargeboten wurden, gewissermaßen das frömmste, schlichteste Bild der Kirche, welche zu ihrem Bestande des täglichen Brotes nötig hat, und das Bild der Gläubigen, welche ihr das irdische Bedürfnis in der demütigen Überzeugung, daß sie damit sich ein Höchstes und Ewiges erhalten, darreichen, so daß weder auf der einen noch auf der andern Seite eine Knechtschaft, vielmehr bei beiden nur die Innigkeit des vollkommensten Wechselbezuges entsteht.«

»Es freut mich«, rief der Diakonus, und drückte dem Jäger die Hand, »daß Sie die Sache so ansehen, über welche vielleicht ein anderer gespöttelt haben würde, daher es mir, wie ich Ihnen nun gestehen darf, im ersten Augenblicke auch gar nicht recht war, in Ihnen unvermutet einen Zeugen jener Szenen zu finden.«

»Gott bewahre mich, daß ich über etwas, was ich in diesem Lande gesehen, spöttelte!« versetzte der Jäger. »Ich freue mich jetzt, daß mich ein toller Streich zwischen diese Wälder und Felder geschleudert hat, denn sonst würde ich die Gegend wohl nicht kennengelernt haben, da sie auswärts wenig in Ruf steht, und in der Tat auch nichts Anziehendes für abgespannte und überreizte Touristen haben kann. Aber mich hat hier die Empfindung stärker, als selbst in meiner Heimat angefaßt: Das ist der Boden, den seit mehr als tausend Jahren ein unvermischter Stamm trat! Und die Idee des unsterblichen Volkes wehte mir im Rauschen dieser Eichen und des uns umwallenden Fruchtsegens fast greiflich möchte ich sagen, entgegen.«

Es ergaben sich aus dieser Äußerung Reden zwischen dem Diakonus und dem Jäger, welche beide führten, indem sie der Karre langsam folgten.


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