Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Zweites Kapitel

Der Autor gibt einige notwendige Erklärungen

Die Geheimnisse des Schlosses, welches ich auch wohl fernerhin Schnick-Schnack-Schnurr nennen muß, weil ich ihm, wie vielem, was in dieser Geschichte vorkommt, leider nicht den rechten Namen geben darf – die Geheimnisse des besagten Schlosses, sage ich, nicht über die Gebühr undurchdringlich zu machen, muß hier teilweise berichtet werden, was die drei handelnden Personen mit ihren Reden gemeint hatten.

Münchhausen war nicht sobald auf der Stammburg derer von Schnuck-Puckelig-Erbsenscheucher in der Boccage zum Warzentrost warm geworden, als seine Anwesenheit in dem Gemüte des Barons, seiner Tochter und des Schulmeisters große und verschiedenartige Bewegungen hervorbrachte, wie denn ein bedeutender Mensch niemals in einen Kreis tritt, ohne daß von ihm in den Verhältnissen des Kreises Umwandelungen ausgehen. Der Kreis unseres Schlosses hatte sich bis zu Münchhausens Ankunft von seinen leidenschaftslosen Einbildungen still ernährt, es fehlte aber viel, daß dieser idyllische Zustand seitdem noch fortdauerte, vielmehr wurden die drei Akademiker von Schnick-Schnack-Schnurr in entzücktem Herzklopfen, brennender Neugier und ernster Selbstbetrachtung umgetrieben.

Emerentien war das entzückte Herzklopfen zugefallen.

Sie hatte Rucciopuccion, den Birmanen aus Siena, der eigentlich der Prätendent von Hechelkram war, durch alle niederen Hüllen hindurch, welche Laune oder tiefberechnete Absicht ihn anzulegen getrieben, erkannt. Das Herz der Frauen ist in solchen Dingen ein sicherer Wegweiser; Damajanti sah dem Wagenlenker des Königs Rituparna sofort an, daß in ihm ihr Gatte Nala die Peitsche schwinge, Theodolinde von Bayern merkte gar bald, als sie dem angeblichen Freiwerber den Becher kredenzte, daß er ihr bestimmter Bräutigam Autharit, König von Lombardien sei, und es währte nicht lange, so wußte Emerentia, woran sie mit – dem Bedienten Karl Buttervogel war.

Erschreckt nicht, meine Teuren! Die Sache hatte sich ganz natürlich zugetragen, nämlich folgendermaßen. Anfangs war die Gestalt des so sehnlich zurückerwarteten Geliebten wie ein Traumbild vor ihr auf und nieder gewallt, nach und nach hatte das Traumbild bestimmte Züge angenommen, endlich wich jeder Zweifel und machte der gewissesten Gewißheit Raum.

Denkt an Emerentiens Bewegung, als die beiden Fremdlinge die Burg ihrer Väter betraten, als aus dem Munde des Dieners die verhängnisvollen Worte: »Blumenhut« und »Lauferschurz«, erklangen, als der Diener selbst mit dem improvisierten Blumenhute und Lauferschurze vor ihr stand! War ihrem Geiste nicht seit so vielen Jahren der Laufer als Vorläufer des Fürsten von Hechelkram erschienen? Da stand nun ein Laufer vor ihr, das bunte Taschentuch als Schurz um die Hüfte gewunden, den Strauß von Feldblumen am Hute, kein gewöhnlicher gemachter Laufer, nein, ein unwillkürlich zusammengefügter, ein Schicksalslaufer!

Es durchzuckte ihr Herz. Wenn sie in diesem Augenblicke den Wink der himmlischen Mächte nicht begriffen hätte, so würde sie sich selbst haben verachten müssen. »Aber vorsichtig, Emerentia«, flüsterte sie dem pochenden Herzen zu, »vorsichtig, daß die letzte Täuschung nicht die schlimmste werde!«

Sie richtete jene tiefsinnig prüfenden Fragen an Münchhausen, welche er so wenig verstand, als die unglücklichen Leser des ersten Teils dieser Geschichten sie werden verstanden haben. Münchhausen aber gab ihr darauf die befriedigendsten Antworten. Jetzt war sie versichert, daß ihr durch Blumenhut und Schurz die Erscheinung des Fürsten von Hechelkram angekündiget worden sei. »Aber wo, wo weilest du?« fragte ihre sehnsüchtige Seele.

Münchhausen begann zu erzählen, ein Tag nach dem andern verstrich, Rucciopuccio blieb unsichtbar. Ihr Gemüt litt unter der unruhigen Erwartung. Endlich faßte sie sich ein Herz (was wagt nicht ein liebendes Weib?) und schüchtern sagte sie zu dem Diener Karl Buttervogel eines Tages, gerade als sie ihn den Rock Münchhausens ausklopfend fand: »Karl, sein Sie wahr gegen mich! Wo weilt der Größere, in dessen Dienste Sie eigentlich stehen?«

Karl Buttervogel ließ den Klopfstock sinken, riß die Augen auf, spuckte, wie gemeine Leute bei Verlegenheit zu tun pflegen, aus, und sagte: »Mich soll der Teufel holen, wenn mein Herr größer ist, als ich, und ich kenne keinen Größeren, und mit meinem Dienen hat es zum längsten gewährt.«

»Wie?« fragte das Fräulein in höchster Spannung.

»Denn diese Kondition gefällt mir nicht, und ich werde mich bald auf meine eigene Hand setzen«, fuhr Karl Buttervogel fort.

»Was?« rief das Fräulein, von einem überwältigenden Gedanken erschreckt. Sie wankte und war einer Ohnmacht nahe. Münchhausen, dem der Diener mit dem Rocke zu lange machte, kam in Hemdärmeln die Treppe heruntergestolpert und fing die Freundin auf. »Schlingel, was trödelst du wieder? Lauf jetzt und hole Essig für das gnädige Fräulein!« rief er Karlen zu. Dieser versetzte trotzig: »Ich bin kein Schlingel, denn Sie geben mir keinen Lohn, aber Essig tue ich holen aus Barmherzigkeit.« – »Münchhausen«, flüsterte Emerentia in den Armen des Freiherrn, »Sie sehen mich in meinem Schmerz und zeigen mir ein menschlich Herz. Schmerz nenne ich diese Stimmung, denn auch das Übermaß der Freude kann wehe tun. Ich bin in einer unaussprechlichen Verfassung und beschwöre Sie, mir zu sagen: Sind Sie und Ihr Karl die Vorläufer jemandes, oder sind Sie...« Münchhausen fuhr seltsam zusammen, zitterte mit den Nasenflügeln, sah sich scheu um, ließ Emerentien nicht ausreden, sondern stotterte hastig: »Was Vorläufer? Lassen Sie sich doch nichts in den Kopf setzen, meine Diotima. Gott verdamme mich, wenn uns jemand nachgelaufen kommt. Wir sind da, ich und mein Taugenichts von Bedienten, und man muß uns nehmen, wie wir sind, und nicht wähnen, daß noch ein anderer uns folge und hier auf dem Schlosse ankommen könne.«

»Also ist es klar und entschieden, mein Glück!« rief das Fräulein. Der Bediente Karl Buttervogel kam mit Essig. Emerentia spreche sich und ihr Glück jetzt selbst aus.


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