Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel

Ein chronischer Schläfer und ein seltenes Beispiel von Bediententreue

Während dieser Begebenheiten saß der alte Baron, unwissend noch über die Verrammelung des Schlosses, etwa eine Viertelstunde von diesem in einem krausen und durcheinandergewirrten Busche von Hagdornen, Eschen und Birken, der auf einem kleinen Hügel wuchs. Er hatte den Ort in seinen wohlhabenden Tagen zum Vogelherde benutzt; es stand aber von der früheren Vorrichtung nichts mehr als der Pfahl für den Lockvogel nebst den vier Pfosten, zwischen welchen die Hütte erbaut gewesen war. Das Dach und Bretterwerk war längst verfault oder von armen Leuten gestohlen. An diesem stillen und wüsten Platze saß der Schloßherr und lauerte auf einen gleichsam Vogel, aber nicht auf einen Finken, Hänfling oder Kreuzschnabel, sondern auf den Bedienten Karl Buttervogel.

Die Straße nach der Stadt zog sich nämlich unter dem Hügel durch. Karln hatte er vor kurzem auf ihr fortwandern sehen, und sogleich war von ihm beschlossen worden, dem Bedienten bei der Heimkehr, die mittags zu erwarten stand, den Weg zu verlegen, ihn auf den Vogelherd zu rufen, mit ihm dort, begünstigt von der Einsamkeit des Ortes, ein scharfes Verhör anzustellen und dadurch womöglich hinter die Geheimnisse Münchhausens zu kommen.

Der alte Herr hatte lange über diesen Entschluß mit seinem Zartsinne gefochten, endlich aber war er doch zu dem Resultate gediehen, daß er ihn unbeschadet seines Gewissens ausführen dürfe, weil ein so dankvergessener Gast, wie der Freiherr von Münchhausen, durchaus keine Rücksicht verdiene.

Die Verhältnisse im Inneren des Schlosses hatten sich nämlich folgendermaßen gestellt:

Durch den Abzug des Schulmeisters waren die Akademiker von Schnick-Schnack-Schnurr desjenigen Individuums quitt geworden, welches einer jeden menschlichen Gemeinschaft not tut, nämlich des Sündenbockes. Irgendeiner muß in jedem Hause vorhanden sein, an welchem die übeln Launen, die Zornmütigkeiten und die verdrießlichen Stimmungen ausgelassen werden dürfen. Ohne einen solchen Abzugskanal läßt sich ein dauerhafter häuslicher Friede gar nicht denken. Ich habe ein Hauswesen gekannt, in welchem so lange zwischen der Herrschaft und den übrigen Hauptpersonen eine vortreffliche Einigkeit bestand, als ein dummes und ungeschicktes Mädchen, eine entfernte Verwandte, tagtäglich auszuschmälen war. Herr und Frau begingen aber den Torenstreich, dieses Mädchen fortzuschicken aus dem Grunde, weil der Ärger und Lärmen mit ihr im Hause zu groß sei. Und von Stund an hörte alle Verträglichkeit auf; es war als ob in der Dummen und Ungeschickten der Schutzgeist des Herdes verscheucht worden sei, der Mann zankte mit der Frau, die Frau schmollte mit dem Manne, der erwachsene Sohn und die mannbare Tochter hatten ein beständiges Schrauben und unangenehmes Reiben miteinander; selbst die Hausfreunde bekamen Augen für die Schwächen ihrer Wirte und erkalteten, kein Gesinde wollte mehr bleiben, weil es die erschwerte Last der übeln Behandlung nicht zu tragen vermochte – kurz, es war eben mit allem Komfort zwischen jenen vier Pfählen vorbei, als man rechten Komfort stiften wollte. So können sich die Menschen über ihre nächsten Verhältnisse und Umgebungen täuschen. Und in der großen Welthistorie geht es mitunter nicht anders zu. Einem Volke tut ein tüchtiger Feind not, nur solange es ihn besitzt, ist es in Flor. Solange Rom sich mit Karthago herumbiß, setzte es alles böse Wesen draußen ab, als aber die Nebenbuhlerin in Trümmern rauchte, ging die innerliche böse Wirtschaft an; von Napoleon hat nicht einer bloß gesagt, er sei für uns viel zu früh gefallen.

Doch um von Rom und Karthago und Napoleon und uns zum Schlosse Schnick-Schnack-Schnurr zurückzugelangen – solange der Schulmeister auf dem Gebirge Taygetus saß, wußten der alte Baron und seine Tochter, wohin mit ihren verdrießlichen Stimmungen, und als er abzog, wurde es buchstäblich wahr, was der Schloßherr gesagt hatte: Es kam eine Lücke in den schönen Kreis. Das Glück war bekanntlich nicht die Göttin des dortigen Herdes, es gab also viel Anlaß zu Verstimmungen, an wem sollten sie nun ausgelassen werden? Hätte das Fräulein Lisbeth gehabt, so wäre wenigstens ihr geholfen gewesen, so aber wie die Sachen standen, gab es durchaus keinen Rat. Vater und Tochter waren zu sehr aneinander gewöhnt um miteinander hadern zu können. Der Bediente Karl Buttervogel war für Emerentien Karlos, der geliebte und verehrte Schmetterling, für den alten Baron ein zu geringfügiges Individuum. In dieser Not und Verlegenheit sank der Freiherr von Münchhausen von einem langweiligen Erzähler, der er für den alten Baron bereits geworden war, zum Sündenbock herab.

Ja, es ist richtig, wenn auch betrübt; dieser große und wunderbare Charakter war bald dahin gediehen, wo der verachtete Schulmeister Agesel gestanden hatte; er wurde wechselsweise von dem alten Baron und seiner Tochter über die Achsel angeschaut. Das war nämlich so zugegangen.

Der Baron Schnuck-Muckelig in der Boccage zum Warzentrost verbrachte einige unmutige Tage nach dem Abzuge des Schulmeisters und suchte sich durch wiederholtes Besichtigen des freien Platzes, wo die Luftverdichtungsfabrik zu stehen kommen sollte, leidlich hinzuhalten. Er dachte, Münchhausen werde rücksichtsvoll genug sein, auch ohne Erinnerung ihm das Geheimnis der Bereitung kundzutun. Münchhausen schwieg. Hiernächst spielte er von ferne auf Pflichten der Gastfreundschaft an, welche nicht verabsäumt werden dürften. Münchhausen schwieg. Darauf gab er die Sache näher und sagte, es sei nicht gleichviel, jemandem etwas in den Kopf zu setzen, man müsse auch Wort halten können. Münchhausen schwieg. Endlich wurde er klar und rief: »Wenn du mir nicht die Luftfabrik machst, so bist du kein ehrlicher Mann!« Münchhausen seufzte und schwieg.

Emerentien war die Zeit ebenso lang geworden, wie ihrem Vater. Der Prätendent von Hechelkram aß Wurst, Eier und Rindfleisch, soviel ihm von diesen Dingen die Hand der Liebe reichte, blieb aber nach wie vor Bedienter, die Gemeinheit seiner Maske täuschend in Worten und Werken festhaltend. Unglaublich war es, bis zu welchem Grade sich dieser maskierte Fürst verstellen konnte, besonders seitdem er fern von den vornehmeren Personen dieser Geschichte in dem Gartenhause auf dem Taygetus wohnte und bis auf die zu leistenden Dienste sein eigener Herr geworden war. Emerentia begann zu zittern, wenn sie, die Wurst unter der Schürze, das Stiftskreuz im Herzen, nach dem verfallenen Schneckenberge ging, und war eines Tages bei einem unbeschreiblichen Anblicke genötigt gewesen, zu Karln zu sagen: »Fürst, spielen Sie nicht zu natürlich.« – Bei dieser Gelegenheit hatte Karl Buttervogel erwidert: »Immer und ewig sich genieren müssen, tut keinem Menschen gut. Wofür bin ich hieher in des Schulmeisters seine alte Kabache gezogen, wenn ich meine Freiheit nicht haben soll? Ich verlange und bestehe darauf, daß wofern ich es platterdings sein soll, mir meine fernerweite Verköstigung draußen hingesetzt wird, stillschweigend, ohne Ansprache und Bekümmernis um mich.«

Emerentia wurde hochrot vor Zorn, denn diese Antwort war zu grob, um sie selbst einem Fürsten hingehen zu lassen. Sie rief: »Und ich bestehe darauf, daß Ew. Durchlaucht nunmehr bald aus Ihrem Inkognito hervortreten, denn meine Lage wird Ihnen gegenüber von Tage zu Tage zärter und peinlicher. – Gnädiger Herr, erwacht denn nicht Ihr Mitleid mit einem armen Mädchen, dessen Lebenshoffnung Sie sind?« setzte sie weicher werdend hinzu, und einige Tränen liefen über ihre Wangen. Karl aß schon die Wurst, die ihm Emerentia gebracht hatte, und da sein Herz der Rührung immer am offensten war, wenn er Wurst aß, so tat ihm die Weinende leid, er trat daher, das letzte Stück in der Hand, zu ihr und sagte: »Ich bin ja, weiß Gott, kein schlechter Kerl und Frauenspersonen muß man alles zu Gefallen tun, was nur menschenmöglich ist. Wenn ich also nur wüßt', wie ich's anfangen sollte, so geschäh's ja alsobald. Wofern aber mit meinem Herrn Rücksprach' genommen würde, so könnt' es sein, daß ich's würde, denn er weiß für alles Rat und hat mehr Grütz' im kleinen Finger als wir beide im ganzen Leib, sonst wär' er nicht vermöglich, so schreckbar zu lügen, wie er lügen tut.« – »Ich verstehe Ihren Wink«, versetzte das Fräulein, wischte sich die Tränen ab und ging getröstet vom Taygetus.

Dieser Vorfall ereignete sich an dem Tage, an welchem der alte Baron gegen den Freiherrn klar geworden war. Emerentia hatte sich seit der Stunde, wo sie Münchhausen zum ersten Male nicht verstanden, in einer stillen Entfernung von ihm gehalten, welche jedoch die Fortdauer achtungsvoller Empfindungen noch nicht ganz ausschloß. Jetzt war es ihr sogar lieb, eine Gelegenheit zu finden, mit ihm wieder anknüpfen zu dürfen. Sie setzte sich daher nieder und schrieb folgenden Brief an ihn:

 

»Münchhausen!

Ich nenne Sie nicht mehr Du, denn schmerzlich habe ich einsehen lernen, daß wir einander doch nicht ganz so nahe standen, als schöne Träume mir sagen wollten. Denken Sie an den Augenblick, da ich die Bohnenschüssel fallen ließ, weil Sie mich nicht begriffen. Indessen ist mir ein hohes Gefühl von Ihnen geblieben, und das Schicksal lehrt uns wohl uns begnügen, wo uns die volle Befriedigung versagt wird.

Münchhausen, Karl hofft auf Sie. Sie haben, wenn Sie wollen, alles in der Hand; einem Manne, gleich Ihnen, ist nichts unmöglich. Erinnern Sie sich Ihrer Verpflichtungen gegen ihn, helfen Sie ihm zu dem Seinigen. Ich sage nichts weiter.

Emerentia.«

 

Münchhausen rieb sich die Augen, als er diesen Brief überlesen hatte. Er las ihn zweimal, bevor er einen Sinn finden konnte, endlich glaubte er doch einen solchen gefunden zu haben und rief: »Die Bestie hat mich also endlich auch noch bei meiner Anbeterin wegen des rückständigen Lohnes verklagt. Schlimm, schlimm, schlimm! Aber man muß schon in den sauren Apfel beißen, denn es gibt nichts Gefährlicheres für die weibliche Verehrung, als wenn der Verehrte seinem Bedienten etwas schuldig bleibt.«

Er hatte eben eine kleine dünne Einnahme von fernher empfangen. Traurig riß er das Kuvert mit den fünf Siegeln auf, zählte, was er notdürftig entbehren konnte, wehmütig ab, rief den Schmetterling und gab ihm das Geld mit einer Flut harter Reden. Karl hörte nicht auf die Beschimpfungen hin. Wenn er Geld bekam, so war er gegen alles andere gleichgültig, er dankte dem Himmel, der ihm abermals so unerwartet half. Freudetrunken lief er in den verwilderten französischen Garten und zählte sein Geld auf dem Postamente des Schäfers ohne Flöte über.

Münchhausen schrieb an Emerentien:

 

»Diotima!

Denn das bleibst Du mir. Nenne Dich Emerentia, mir bleibst Du Diotima. Karl ist bezahlt. Ich war ihm allerdings seit Lichtmeß Lohn schuldig. Vielfache Gedanken, und unter diesen hauptsächlich die tiefe Seelenbewegung, in welche mich Dein Umgang und Geist versetzt hatten, bewirkten, daß mir die Kleinigkeit aus dem Sinne gekommen war.

Dank für Deine Erinnerung. Wie ich nie, oder nur ein einziges Mal in meinem Leben log, so bezahlte ich auch stets meine Schulden; denn Ausnahmen von dieser Regel befestigten sie eben. Deine Wünsche sind Befehle

Deinem Münchhausen.«

 

Emerentia wurde starr, als sie diesen Brief empfing. Sie hatte darauf gerechnet, daß der Freiherr durch seine großen diplomatischen Verbindungen die Restauration des Fürstentums Hechelkram bewirken solle, und – er gab dem Prätendenten Lohn! – Zerstört ging sie in den Garten. Karl sprang ihr vom Schäfer entgegen, schüttelte in einem ledernen Beutelchen den klingenden Inhalt und rief jauchzend: »Ich hab' mei' Geld, ich hab' mei' Geld! O was für ein glückseliger Tausendsassa bin ich! Ich möcht' den ganzen Markt von Cannstatt auskaufen.« – Emerentia versetzte nichts; sie stand bleich und entsetzt da. – »So ist es denn also wahr«, sagte sie, nachdem Karl fort und auf seinen Schneckenberg gesprungen war, »daß ein fortwährendes Rollespielen mit der Rolle identifiziert. Dieser Fürst wird mir noch innerlich zum Bedienten, wenn ich nicht bald die Entscheidung herbeiführe. Fürs erste aber soll das gekränkte Weib zu jenem Verderblichen reden, über den ich mich so hart enttäuscht sehe.«

Sie ging nach ihrem Zimmer und schrieb an Münchhausen:

 

»Mein Herr!

Ich bin fortan für Sie weder Diotima, noch Emerentia, sondern das Fräulein von Schnuck. Die Linie, der ich angehöre, ist die Linie Muckelig. Verstehen Sie mich? Nein, Sie verstehen mich nicht. Ich aber durchschaue Sie. Sie wollen mich erniedrigen. Sie wollen, daß mir der Bediente Bedienter bleibt. Armer Spötter! In dem vollen Gefühle meiner Würde, erhaben über Ihre Possen

Emerentia, Freiin von Schnuck-Muckelig
in der Boccage zum Warzentrost.«


Münchhausen verwünschte sein Los, als er diesen Zettel erhielt. »Das Geld an den Schlingel weggeworfen und nun das noch!« rief er. »Was will denn dieses verrückte Fräulein, die mir wahrhaftig so unleidlich zu werden anfängt, als – Pst! Still, Münchhausen – Der Alte läßt mir keine Ruhe, ich weiß mir nicht Rat gegen seine verdammten Luftgedanken, und nun büße ich auch diesen letzten Stützpunkt ein. – O Münchhausen, Münchhausen, könntest du doch nur – –«

Er wollte sagen: »Von deinen Renten leben« – vollendete aber nicht, sondern schrieb gleich ein zweites Billett, welches nichts als das Wort enthielt:

»Diotima?!«

Aber er fand es nach einiger Zeit uneröffnet vor seiner Türe wieder.


 << zurück weiter >>