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Auch die Bauern erhoben sich und wollten gehen, desgleichen der Chirurgus. Da kam aber der Ehinger Spitzenkrämer in das Zimmer gestürzt und rief überlaut: »Wißt's was Neues? Wißt's was Neues? Ja, wann die Ehinger nit wären, Ihr erführt Euer Lebtag' nichts Neues.«
»Was ist denn vorgefallen?« fragten die Bauern.
»Vorgefallen? Nichts vorgefallen, eingefallen ist was. Das alte Schloß da droben eine halbe Stund' von hier ist eingefallen in Eurem wüsten Wind und Wetter hierzuland. Ein Mann, der am Dorf vorbeilief, sagt' es mir soeben! O wenn mein Captain Gooseberry nur nicht noch darin verweilt hat!«
»Zum Henker!« riefen die Bauern, »das ist ja ein vertrackter Streich. Wenn nur der alte Herr Baron nicht darunter zu Schaden gekommen ist! Kommt alle hin!« – Sie brachen stürmisch auf, die einen um zu helfen, die anderen aus Neugier.
Der Chirurgus war tiefsinnig in der Mitte der Stube stehengeblieben, den Finger an die Nase gelegt. – »Wollt Ihr nicht mit?« fragte der Ehinger, der noch einmal zurückkam. »Ihr könnt vielleicht Hülf' schaffen.«
»Allerdings«, versetzte der Chirurgus, und brachte den noch von früherer Zeit heraushangenden Busenstreifen in Ordnung. »Trepanieren oder zum wenigsten sezieren. – Aber, Freundschaft, laßt uns langsam nachgehen, denn der Schutt muß doch erst hinweggeräumt werden, bevor die Lebendigen oder zum wenigsten die Toten herauskommen. – Übrigens kann dieses anscheinliche große Unglück eine sehr nützliche allgemeine Hauptveränderung bei dem alten Herrn Baron hervorbringen.«
»Wie das?« fragte der Ehinger.
»Freundschaft, paßt auf. Sturz – Fall auf einen harten Körper – Schock! Pia Mater – Revolution im Cerebellululo – Lebensgeister in Aufruhr – Befreiung – Gegenschock! – Ich sage nichts weiter.«
Womit soll ich dich vergleichen, alte närrische Erde? Bist du ein Käse, auf dem Milben umherkrabbeln? Bist du ein Schachbrett, auf welches eine unsichtbare Hand die Figuren nach einer gewissen Ordnung und Regel stellt, und wo dann der große Spieler sie planvoll Zug und Gegenzug machen läßt, weil er mit sich selber die geheimnisvolle Partie spielt? Oder bist du ein Mittelding von beiden, ein schönes, getäfeltes, blankgebohntes Parkett, auf dem bei dem Schalle der Flöten und Geigen reizende Mädchen und hübsche Jünglinge den Cotillon tanzen, den reichen, tourenunerschöpflichen Tanz, und alte Herren umherstehen, und zärtliche verwelkte Mütter umhersitzen? Niemand weiß, ob ihn nicht eine Schöne in einer artigen Caprice, wie das launenvolle Glück, holt, auf daß er mit dem holdatmenden Glücke noch eine unerwartete Runde durch den Saal mache; und andere, welche meinen, ihnen könne es nicht entgehen, bleiben ungeholt. – Plötzlich zerstört ein ungeschickter und übersehener Stuhl die künstlichsten Reigen und manche zärtliche Mutter wird unversehens auf den Fuß getreten, und die alten Herren wissen nicht, wohin sie sich vor einer improvisierten wilden Promenade der Jugend retten sollen. Mänadisch raset der Schwarm bis in die fernsten Seitenzimmer, und die Whisttische werden umkreiset; einen Augenblick sehen runzlichte Gesichter aus Galakleidern von der gemalten Coeurdame auf nach den lustklopfenden Busen der tanzenden Mädchen und zwei Tiefdenker, die Punsch trinken und philosophieren über schwerbewegliche Dinge, sind gestört und versenken sich in die Betrachtung leichtgeschwungener Glieder – einen Augenblick nur – die Jugend promeniert nach dem Saale zurück und Robber und Philosopheme nehmen wieder ihren Fortgang.
Ja, alte närrische Erde, du bist kein milbentragender Käse, du bist auch kein quadriertes Brett für streng berechnete Züge. Du bist das Parkett, auf dem wir im Cotillon geholt werden, oder stehenbleiben nach Damenlaune, auf dem die alten Herren ins Gedränge kommen und die zärtlichen Mütter vor Schmerz über ihre gemißhandelten Füße zuweilen aufschreien möchten, auf dem hölzerne Stühle den schönsten Reigen zerbrechen können, auf dem der Übermut der Jugend zwischen die Karten und Argumente der Gala und Philosophie fährt, auf dem plötzlich alles auseinanderläuft und sich ebenso plötzlich alles wieder zusammenfindet! –
»Ist es möglich? bin ich verzaubert heute? oder bist du es wirklich?« rief der junge Graf Oswald, der jetzt den Kamm des Gebirges wieder erreicht hatte einen Menschen in blauem Kittel und Holzschuhen an, der ihm entgegenkam, ein großes Bund Heu auf dem Rücken.
Der alte Mensch sah auf, ließ zwar das Bund Heu sinken, gab aber sonst kein Zeichen lebhafter Verwunderung von sich, sondern sagte bloß: »Ei, da sind Sie ja! Ich dacht' wohl, daß Sie mich nicht sitzenlassen würden.« – Darauf küßte er seinem jungen Gebieter freundlich die Hand.
»Jochem, bist du's, oder bist du's nicht?«
»Ja freilich bin ich's, mein Herr Graf.«
»Aber um des Himmels willen, wie kommst du denn hieher, und was treibst du hier? Und warum suchtest du mich denn nicht auf?« – Er legte seine Hand auf den Kittel des Alten, gleichsam um sich durch das körperliche Gefühl zu überzeugen, daß ein wirklicher Mensch vor ihm stehe.
Der Alte ließ sich ruhig befühlen, ehe er antwortete. Denn er gehörte zu den Leuten, die nur sehr selten aus der Fassung kommen. Er schob seinem jungen Gebieter das Bund Heu hin, dieser mußte sich darauf setzen, Jochem stellte sich vor ihn und erzählte nun folgendermaßen.
»Will Ihnen alles vermelden, mein Herr Graf«, sagte er, »aber eins nach dem anderen. Wie ich hieher komm'? Zurück von der großen Reis', die ich auf Ihren Befehl machte. Hab' mich immer rechts gehalten, wie meine Kommission lautete, kam erst nach Kassel, wüste Kerl' dort, sonst nichts zu sehen, dann nach Magdeburg, auch wüste Kerl' dort, sonst auch nichts zu sehen, dann nach Berlin, ebenfalls wüste Kerl' dort, ebenfalls sonst nichts zu sehen; und so retour wieder hieher über Magdeburg und Kassel, da 's Geld gerad' zur Hälft' ausgeben war zu Berlin, und ich überdies meine Kommission schön ausgerichtet hatte alldort. – Was ich hier treib'? – Sitz' schon seit acht Tagen beim Bauer im Heu, helf' ihm Heu machen, um mir mein Tagbrot zu verdienen, denn der letzte Kreuzer war ausgeben, als ich diese wüste Gegend wieder erreicht hatt'. – Warum ich Sie nicht aufgesucht? – Hatten damals beim Abschied keine recht deutliche Sprach' miteinander geführt, wo ich meinen Herrn Grafen wieder finden sollt'. Dacht' also, das Sicherste wär', wenn ich sitzenblieb', wo ich eben war, denn das wußt' ich, daß mein Herr Graf mich ausspüren würden und abholen, und säß' ich im Mittelpunkt der Erd'. Blieb deshalb auch ganz ruhig und macht' in Zufriedenheit mein Heu, obgleich es eine Lebensart ist, die sich nicht ganz für meinen sonstigen Stand schickt. Dacht' aber immer: Heut kommt der Herr Graf und holt dich ab, und kommt er heut' nicht, so kommt er morgen, und so hat sich's nun auch zugetragen.«
Unserem Oswald tat es nach den fratzenhaften Ereignissen des Tages wehmütig wohl, mit seinem Alten zusammenzutreffen. Eine Träne trat in sein Auge. Er drückte dem Alten die Hand und sagte: »Du hattest ganz recht, Jochem, als du glaubtest, ich werde nach dir forschen, und säßest du im Mittelpunkte der Erde.« – Jochem blieb hiebei trocken, wie immer und versetzte: »Sie haben auch schwäbisch Blut im Leib, mein Herr Graf, und das verläßt einander nicht.« – Oswald sah sich um und erblickte verwundert einen Heuschoppen in der Nähe, der ihm so vorkam, wie der, in welchem er die Nacht zugebracht hatte. »Wo hast du in voriger Nacht geschlafen?« fragte er.
»Dort im Schoppen«, versetzte der Alte, »wie alle Nacht mein Amt ist, um dem Bauer sein Heu zu bewachen.«
Sein Gebieter erzählte ihm nun, daß sie diesem Umstande zufolge schon in der Nacht unwissend zusammen gewesen seien, worüber Jochem anfangs erstaunte und äußerte, unter dem wüsten Volk wisse man gar nicht, was einem alles begegnen könne, es sei erstaunlich, daß zwei Landsleut' zusammen im Heu lägen und einander nicht erkannten. »Ich wollt' anfangs den Menschen, der sich da ins Heu eingedrungen, bei Nacht hinaustreiben«, fügte er hinzu, »ließ es aber doch sein, weil ich dacht', er möchte sich draußen erkälten. So ist Menschenfreundlichkeit doch immer etwas Gutes und zu vielen Dingen nutz.«
»Jochem«, sagte der Graf, »hättest du mich hinausgetrieben, so würdest du mich früher erkannt haben.«
Dieser Einwurf machte den Alten verwirrt. Er sah stutzig vor sich nieder, dann ballte er die Faust und murmelte ingrimmig: »Nun sag' ich's doch! In der Fremd', unter dem wüsten Volk steht alles windschief. Man weiß bei den Sachsen und Pollacken nicht, ob man menschenfreundlich oder menschenfeindlich sein soll.«
Er besann sich und fuhr fort: »Von meiner Kommission habe ich noch gar nicht geredet. Den Schrimbs oder Peppel –«
»Laß ihn«, unterbrach ihn sein Gebieter bestürzt.
»Nein, seine Kommission muß man gehörig ausrichten!« rief Jochem eifrig. »Den Schrimbs oder Peppel hab' ich richtig gefunden. Ich hab' ihn auf der Schloßbrucken zu Berlin stehen sehen, er kuckt' ins Wasser und ich sah ihn von hinten und da ging er fort und ich konnt' ihn nicht einholen, aber ich hab' mich nicht getäuscht und wenn wir nun uns beide dahin auf den Weg machen, so werden wir ihn gar nicht verfehlen.«
Wie nach Homer der Mensch, er mag noch so unglücklich sein, immer Hunger behält, so gibt es auch Dinge, die den Betrübtesten zu lachen machen können. Der junge Graf Oswald war sehr betrübt, aber die Entdeckung Jochems, daß Schrimbs oder Peppel auf der Schloßbrücke zu Berlin gestanden habe, bewirkte, daß er lachen mußte. Jochem, der seine Sachen sehr gut gemacht zu haben glaubte, fühlte sich dadurch etwas beleidigt. Nach einer Pause fragte er: »Was hätten mir denn nun der Herr Graf zu befehlen?«