Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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›Ach davon‹, rief der junge Ritter Konrad mit seiner ganzen Lustigkeit, ›ist wenig zu vermelden! Ich stieg zu Roß und stieg wieder herunter, fuhr an manchen guten Fürstenhöfen umher, verstach manchen Speer, gewann manchen Dank, mißte manchen Dank, schaute in manches minniglichen Weibes Auge. Meinen Namen kann ich schreiben, meinen Degenknopf drücke ich daneben in Wachs ab, ein Lied kann ich reimen, wenn auch nicht so gut, wie Meister Gottfried von Straßburg. Schwertleite und Waffenwacht brachte ich hinter mich und empfing den Ritterschlag zu Forchheim, jetzt reite ich gen Mainz, wo der Kaiser das Turnier halten will, mich baß zu tummeln und des Lebens zu freuen.‹

Der Schüler sah nach dem Stande der Sonne und sagte: ›Es ist traurig, daß wir nach diesem herzlichen Treffen uns so bald wieder trennen sollen. Aber doch wird es, wenn wir unser Ziel heute zu erreichen wünschen, notwendig sein.‹

›Komm mit gen Mainz!‹ rief der andere, indem er aufsprang und den Schüler in einer sonderbar gerührten Stimmung, die gleichwohl ein Lachen zuließ, ansah. ›Laß das finstere Regensburg und den Dom und die Sakristei; erheitere dein Antlitz unter fröhlichen Gesellen am runden Tisch in der Weinlaube und vor den Blumenfenstern lieblicher Mädchen, laß deine Ohren durch Flöten- und Schalmeienklang reinbaden von den schauerlichen Vigilien der Tempelherren, die ja in der ganzen Christenheit für arge Ketzer und Baffometuspriester gelten. Komm mit gen Mainz, mein Petrus!‹

Die letzten Worte sprach er schon im Sattel. Er streckte dabei wie flehend seine Hand nach dem Freunde aus. Dieser wandte sich seitwärts ab und zog seinen Arm verweigernd zurück. ›Was fällt dir ein?‹ rief er unwillig lächelnd. ›Ach, mein Konrad, hätte ich nicht vorher gesagt, daß jedem seine Straße gewiesen sei, so würde ich dir zurufen: Kehre du um, du Leichtsinn, du Fahrlässiger! Die Jugend vergeht, der Scherz verklingt, das Lachen will eines Tages plötzlich nicht mehr gelingen, weil das Antlitz zu starr geworden ist, oder grinset widerwärtig aus welken Runzeln! Wehe dem, wessen Scheuren dann nicht voll, wessen Kammern nicht gerüstet sind! Ach! es muß etwas Trübes um so ein kahles, verarmtes Alter sein, und das Sprichwort hat wohl recht, welches sagt: Zu lustig am Morgen, schafft abends Kummer und Sorgen. Wenn ich dich so ansehe, mein Jugendbruder, kann mir recht bange um dich werden, o wer weiß, wie verwandelt ich dich wieder treffe!‹

Der Ritter schüttelte dem ernsten Schüler herzlich die Hand und rief: ›Vielleicht bist du verwandelt, stoßen wir wieder aufeinander, prunkst in Sammet und Seide, und tust's uns allen zuvor!‹ – Er sprengte davon, und aus der Ferne hörte der Schüler ihn noch ein Lied singen, welches damals von Mund zu Munde ging und ungefähr so lautete:

›Die schönste Rose, die da blüht,
Das ist der rosenfarbne Mund
Von wonniglichen Weiben;
Sie tut sich erst als Knospe kund,
In sich geschlossen, und bemüht,
So recht für sich zu bleiben!

Der Mai küßt alle Rosen wach,
Auf rosenfarbnen Mund der Kuß:
Die Lippe kommt zum Blühen;
Drum keine Lippe ohne Kuß,
Und jedem Kuß an seinem Tag
Der schönsten Lippen Glühen!‹

Ein Schmetterling flog vor dem Schüler auf. ›Ist das Leben der meisten Menschen nicht dem Flattern dieses Falters zu vergleichen?‹ sagte er. ›Bunt und leicht prunkt er dahin und doch sind seine Freuden so kurz und öde. Mit gewaltigen, großen Augen blickt er umher, aber die matten Spiegel empfinden nur eine leere Abwechselung von Licht und Schatten, nicht die volle Gestalt, die feste Farbe.‹ – Der Wald sah ihn aus seinen grünen Tiefen mit unwiderstehlichem Blick an. ›Was tut's‹, rief er, ›wenn mein geduldig Tier auf diesem Rasen eine Weile allein zurückbleibt! Es läuft mir nicht davon, ich spüre so eine innige Sehnsucht, ein Stündchen da hineinzuwandern, wie labend muß es da tief drinnen sein!‹

Er schritt seitab von der Landstraße auf einem engen Pfade, der sich nach kurzem Gehen zwischen den hohen Stämmen zu Tale senkte, in den Wald, und war bald in einer völligen Einsamkeit, in der es um ihn her rauschte, flüsterte, schwirrte, und nur einzelne Sonnenlichter, grünlich gebrochen, wie Irrlichter ihn umspielten. Zuweilen war es ihm, als ob sein Name hinter ihm aus der Ferne gerufen werde, er wußte selbst nicht, der Ruf kam ihm widerwärtig und hassenswürdig vor, dann hielt er den Ton auch wohl wieder für eine Täuschung, aber er mochte dies oder das denken, fürbaß schritt er nur immer tiefer in den dunkeln Forst. Große knorrige Baumwurzeln lagen wie Schlangen quer über den Weg hin gespannt, daß der Schüler beinahe über sie gestolpert wäre, Hirschkäfer standen wie Edelwild im Moose. Aus kleinen Felsgrotten leuchtete der Psittichglanz des Goldmooses. Der Schweiß stand ihm vor der Stirne, wie er so immer hastiger sich in das Dickicht hineinarbeitete und vor der lichten Sonnenwelt da draußen floh. Aber es war nicht bloß der Gang, der ihm heiß machte, auch sein Gemüt arbeitete unter der Last schwerer Erinnerungen. – Endlich kam er, nachdem ihm der Pfad längst unter den Füßen geschwunden war, auf einen schönen, glatten, dunkeln Platz unter mächtigen Eichen. Noch immer hörte er aus der Ferne seinen Namen rufen. ›Hier wird mich der rohe Laut von da draußen nicht mehr erreichen‹, sagte er, ›hier werde ich still geborgen sein.‹ Er sank an einem großen moosbedeckten Steine nieder, seine Brust wogte, er kämpfte mit einem gewaltigen Gelüste. ›Vergib mir, hoher Meister, meinen Fürwitz‹, rief er; ›aber es gibt ein Wissen, dem die Tat folgen muß, sonst erdrückt es den Sterblichen! Hier, näher dem Herzen der großen Mutter, wo unter dem Sprießen und Wachsen schon vernehmlicher ihre Pulse klopfen, hier muß ich es aussprechen, das Zauberwort, welches ich von deinen schlafenden Lippen ablauschte, als du es im Traume sprachest; das Wort, auf dessen Ertönen die Kreatur den Schleier hinwegwirft, die Kräfte sichtbar werden, die unter Rinde und Haut und im Kerne des Felsens arbeiten, und die Sprache des Vogels dem Ohre verständlich klingt.‹

Seine Lippen zuckten, das Wort zu sprechen, aber noch hielt er inne, denn vor sein Auge trat der kummervolle Blick, mit dem ihn sein großer Meister Albertus gebeten hatte, nach seinem Beispiele von der zufällig erlangten Kunde keinen Gebrauch zu machen, da schwere Dinge dem Menschen bevorständen, der mit Absicht das Zauberwort spräche.

Plötzlich jedoch rief er es, wie von dem Verbote und von der Furcht nur um so gewaltiger vorwärts gestoßen, laut in den Wald, indem er seine Rechte ausreckte.

Alsobald tat es in ihm einen Schlag und einen Ruck, daß er meinte, der Blitzstrahl habe ihn getroffen. Seine Augen erblindeten, und es war ihm, als ob ihn ein reißender Wirbelwind im Kreise durch den unermeßlichen Raum schleudere. Als er entsetzt und schwindlicht mit den Händen umhergriff, fühlte er zwar den moosigen Stein, an dem er gestanden, und kam dadurch in seinem Innern wieder zur Erde zurück, aber nun geschah an ihm ein neues unheimliches Zeichen. Denn wie er vorher gleich einem Sandkorn durch das All geschleudert worden war, so kam es ihm nun vor, als ob sich sein Leib in das Unendliche ausdehne. Unter furchtbaren Schmerzen trieb die neue in ihm aufgewachte Kraft seine Gliedmaßen zu ungeheurer Größe, daß er meinte, er müsse an den Himmel rühren. Die Wände seines Hauptes und seiner Brust wurden tempelweit, in sein Ohr fielen Töne, fremd, zerreißend, himmlisch, und er sagte zu sich: ›Das ist der Gesang der Sterne in ihren goldenen Bahnen.‹ Endlich machten die Schmerzen einer prickelnden Wollust Raum, in welcher er seinen Körper wieder zu gewöhnlichem Maße zusammenschrumpfen fühlte, während die Riesengestalt wie eine äußere Schale oder eine Art von Atmosphäre in luftigen Umrissen um ihn stehenblieb. Die Finsternisse wichen von seinen Augen, indem sich große, gelbglänzende Lichtflächen, wie bei dem Gefühle der Blendung, von den Äpfeln ablösten und in die Augenwinkel zogen, wo sie allmählich verschwanden.

Während er so wieder sehend wurde, sang ein feiner, süßstimmiger Chor um ihn her – er wußte nicht, waren es die Vögel allein, oder gaben auch Zweige, Stauden und Gräser ihren Beitrag? – ganz vernehmlich:

›Wir dürfen's ihm sagen,
Er muß es ertragen;
Gehört uns nun eigen,
Wird balde
Im Walde
Erkalten und schweigen.‹

In dem moosigen Felsblock murrte es leise aber hörbar, es war, als ob der Stein sich regen wollte und könnte es nicht, wie ein Scheintoter. Der Schüler blickte auf die Fläche des Steins, ach! da liefen die grünen und roten Adern zu einem uralten Antlitz zusammen, welches ihn aus müden Augen so wehmütig und hülfeflehend anschaute, daß er sich erschüttert abwandte und bei den Bäumen, Pflanzen und Vögeln Trost suchte.

Unter denen war auch alles verwandelt. Wenn er auf das kleine braune Moos trat, so ächzte es und schrie über den unsanften Druck, und er sah, wie es die behaarten Händchen rang und die gelben oder grünen Häuptlein schüttelte. Die Stengel der Pflanzen und die Stämme der Bäume befanden sich in einer immerwährenden schraubenförmigen Bewegung, und zugleich ließ ihn die Rinde oder die äußere Haut in das Innere blicken, worin feine Geisterlein zartglänzende Tröpfchen in die Röhren schütteten. Dann stieg das klare Naß von Röhre zu Röhre, indem sich unaufhörlich Klappen öffneten und zuschlossen, bis es oben in den Haarröhrchen der Blätter zu einem grünen Dufte wurde. Leichte Verpuffungen und Feuer entzündeten sich nun in dem Geäder der Blätter; ein Ätherisches, Flammendes spieen unaufhörlich ihre feingeschnittenen Lippen aus, während ebenso unaufhörlich der schwerere Teil jener feurigen Erscheinungen in weichen Dampfwellen durch die Blätter hin und her schlich. In den blauen Glockenblumen, die auf dem feuchten Waldgrunde standen, war ein Klingen und Singen; sie trösteten mit einem schönen Liede das arme alte Antlitz im Stein und sagten, wenn sie nur vom Boden loskönnten, so würden sie ihm herzlich gern die Erlösung bringen. Aus den Lüften blickten den Schüler sonderbare grüne, gelbe und rote Zeichen an, die immer sich zum Bilde fügen wollten und dann wieder auseinanderbrachen, von allen Seiten kroch und schritt das Gewürm und Gekäfer an ihn heran und trug ihm verworrene Anliegen vor; der eine wollte dies sein, der andere das, der eine begehrte eine neue Flügeldecke, der andere hatte sich den Rüssel abgebrochen; was in den Lüften zu schweben pflegte, bettelte um Sonnenschein, das Kriechende dagegen um die Feuchtigkeit. Dieses ganze Gesindel nannte ihn seinen Herrgott, so daß ihm fast wieder die Sinne zu schwanken begannen.

Auch bei den Vögeln war des Zwitscherns, Plapperns und Erzählens kein Ende. Ein Buntspecht kletterte an der Borke einer großen Eiche auf und nieder, hackte und pickte nach den Würmern und ward nicht müd' zu schreien: ›Ich bin der Förster; ich muß für den Wald sorgen!‹ – Der Zaunkönig sagte zum Finken: ›Es ist gar keine Freundschaft mehr unter uns; der Pfau will nicht leiden, daß auch ich ein Rad schlage, er meint, er habe allein das Recht dazu, und hat mich verklagt beim höchsten Gericht, und ich kann doch ein so schönes Rädlein schlagen mit meinem braunen Schwänzlein.‹ – Der Fink versetzte: ›Laß mich zufrieden. Ich freß' mein Korn und kümmere mich sonst um nichts; ich hab' ganz andere Sorgen, zu meinem Waldschlag lern' ich die eigentlichen kunstmäßigen Weisen nur hinzu, wenn sie mich blenden; es ist aber schrecklich, daß aus einem erst was Rechtes wird, wenn man so hart verstümmelt worden ist.‹ – Von Diebstählen plauderten die andern und von Mordtaten, die niemand gesehen, als die Vögel:

Sie fliegen wohl über den Kreuzweg hin,
Schaut keiner nach ihnen hin!

Dann setzten sie sich auf den Zweigen straff zurecht, kuckten den Schüler spöttisch an und zwei freche Kohlmeisen riefen: ›Da steht der Zauberer und hört uns zu und weiß nicht, was mit ihm geschieht; nun, der wird Augen machen!‹ – ›Der wird Augen machen!‹ schrie der ganze Haufen und flog mit einem Gezwitscher davon, welches wie ein halbes Lachen klang.


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