Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Wo die alberne Lisbeth nur bleiben mag, der Aschenbrödel? Mit dieser Welt im Busen muß ich nun jetzt am Feuerherde stehen! Auch war der Pfannkuchen versalzen und ungenießbar.

 

Heute ist es zu einer vollständigen Erklärung zwischen uns gekommen. Ich erinnerte ihn an unsere Spaziergänge bei Nizza, an die Wechselverfertigung, an die sechste Elefantenkompanie und an die Kabale des Kaisers aller Birmanen. Ich erinnerte ihn an Hechelkram und an seine Rechte darauf. Ich nannte ihm den süßen Namen jener Zeit: Rucciopuccio. Ich fragte ihn, ob er wohl an alles das noch denke? Er sagte zu allem ja.

Auch in dieser vertrauten hingebungsvollen Stunde blieb er Bedienter in Wort, Gebärde, Haltung. Ich bat ihn herzlich, er möge doch mir gegenüber diese häßliche Hülle aufgeben und der Fürst sein. Er versetzte, es gehe nicht an, ich möchte ihn um Gottes willen zufriedenlassen. – Ich will nicht weiter in ihn dringen, er fürchtet vermutlich, daß, wenn er sich vor mir demaskiert, er sich auch sonst vergessen könne, denn welche unendliche Mühe muß den Hohen dieses angelegte niedere Wesen kosten!

Sein Inkognito hat vermutlich einen Doppelzweck. Mich wollte er unerkannt prüfen, und dann will er auch im Verborgenen abwarten, welchen Erfolg seine Verwendungen an einige Mächtige des Hofes um Hechelkram haben werden. Ich sagte ihm diese meine Vermutungen in das Antlitz, und er antwortete: Es sei alles so, wie ich meine.

Wie es ihm nur möglich gewesen ist, mich zu finden, da ich in Nizza Marcebille von Schnurrenburg-Mixpickel hieß? Darüber werde ich ihn doch nächstens befragen.

Die Entwickelung unserer Angelegenheit muß in Geduld abgewartet werden. Erfolgt seine Anerkennung als Fürst, so wird sich auch für mich das Stift finden. Ich erfülle mein Schicksal und bin ruhig.

Eins geht mir aber im Kopfe umher. Er hat keine Gemahlin. Das wird meiner Stellung eine ihrer Blüten abstreifen. Ich wollte ja der segnende Schutzgeist seines Hauses sein, die Gatten miteinander versöhnen. Das fällt nun weg. So hält uns das Leben doch nie ganz Wort.

Daß er so gar nicht Rucciopuccion ähnlich sieht! – Vergebens mühe ich mich ab, einen Zug der Vorzeit in seinem Gesichte zu erspähen. Aber freilich ist es denn auch einige Jahre her, daß wir auseinander kamen –

 

– Die dumme Lisbeth hat mir vor ihrem Abzuge mein Schreibzeug verkramt, ich muß mich mit Federn behelfen, die alle bequemen schriftlichen Ergießungen unmöglich machen. Sie ist ein abscheuliches Geschöpf –

– und dann hat er viel auszustehen gehabt. Er bekam selbst hin und wieder von seinem Herrn Schläge. Natürlich! Die indischen Fürsten sind Barbaren.

 

Auch Münchhausen ist mir nun entziffert. Dieser hohe Geist, dieser neue Prophet der Natur und Geschichte wird der Kammerherr des Fürsten sein, oder sein Adjutant, oder sein Hofstaatssekretär, oder eine andre dieser reinen, idealen Gestalten.

Auch ihm wird seine Rolle schwer, ich sehe es wohl. Sein schmerzliches Zucken, wenn er den Gebieter zum Scheine anfahren muß! Neulich tat er so, als ob er den Stock gegen ihn brauche, und der Fürst tat, als schreie er.

 

Münchhausens Geschichten werden mir jetzt klar. Der Vater nimmt sie wörtlich und glaubt daran zum Teil. Ich ahnete gleich eine geheime Bedeutung – und habe mich nicht getäuscht. Die smaragdgrüne Bergebene Apapurin... u.s.w. ist unsere Jugend, goldgelbe Kälber der Empfindung grasen auf ihr, die Gedanken der Jungfrau sind pfirsichrot und alle Äußerungen ihres Wesens herb und keusch, wie Schlippermilch. Nachher spaltet sich die Welt ihres Inneren, diese Spaltungen und Unterspaltungen werden durch die sechs Gebrüder Piepmeyer angedeutet, einander zum Verwechseln ähnlich, wie unsere Spaltungen, dann kommt die Prosa des Lebens unter dem Bilde des Wachtfriseurs Hirsewenzel und flicht den großen Knoten widerstrebender Verhältnisse, den Rattenkönig gemischter Empfindungen.

Manches einzelne bleibt mir freilich in jener Symbolik noch dunkel. Welcher Moment des weiblichen Lebens wird z.B. durch die Folgen der einzigen Lüge Münchhausens dargestellt?

 

Ein köstlicher Genuß ist es, zu sehen, wie das Hohe, das Göttliche unter der Knechtsgestalt, in welcher es hin und wieder erscheinen muß, siegreich für den Kundigen hervorblitzt. Wiewohl mein erlauchter Freund den Bedienten zum Erschrecken natürlich spielt, so läßt sich Fürstenblut dennoch nicht verleugnen, und davon wurde mir heute die Erfahrung.

Der Prätendent von Hechelkram putzte die Stiefeln seines sogenannten Herrn. Ich habe nun wohl sonst bemerkt, wenn ich die Diener dieses Geschäft verrichten sah, daß sie es in unedler gebückter Stellung, mit widerlich kurzen, schnellen, heftigen Bewegungen ausführten – ein unerfreulicher Anblick!

Ganz anders, was ich heute sah.

Karl saß. Er hielt sich vornehm nachlässig zurückgebeugt, er sah kaum den Stiefel an, langsam fuhr seine Hand mit der Bürste über diesen, der so tief unter seiner Würde war, hin und her – und berührte das gemeine Leder obenhin, nur zum Schein.

Freilich wurde der Stiefel nicht ganz blank, und Münchhausen schalt Karln, sich verstellend, Faulpelz. – Das ist eine der schwersten Prüfungen, welche mir dieses Verhältnis auflegt, daß ich, um es in seiner ganzen Wahrheit zu zeichnen, so viele gemeine Fluch- und Schimpfwörter, euch, o ihr meine reinen Blätter, aufdrängen muß!

Der Fürst hat einen unglaublichen Appetit. Heute verzehrte er wieder eine ganze Bratwurst, und sie gehörte zu den größeren im Kreise ihrer Schwestern! Das indische Klima wird so an ihm gezehrt haben. Wenn sie ihm nur bekömmt!

 

Vor meinen Ohren summt ein altes Lied:

Einst liebtest du den Nußknacker,
Nach dem Nußknacker liebtest du mich...

So weit kann ich's, aber die folgenden Verse wollen mir nicht beifallen, wie oft ich's auch für mich hin singe. Dabei uns zu erkennen war in der fürchterlichen Stunde, wo uns die Juden schieden, das heilige Gelöbnis. Ich habe den Fürsten daran erinnert, aber auch er kann die folgenden Verse nicht finden.

 

Mir ist es unmöglich geworden, dem wilden Humor, der in dem Namen: Karl Buttervogel flattert, mich ferner zu fügen. – Bin ich denn nicht ein Weib, d.h. ein Wesen ohne allen Sinn für Ironie; tiefem, schlichtem Ernste einzig hingegeben? Um mich nicht aus dem Bilderkreise, den der Fürst gewählt, zu entfernen, nenne ich ihn vor den andern Karlos den Schmetterling. Der Vater lachte, als er diese Bezeichnung zum ersten Male von mir hörte. Er versteht mich nie. Münchhausen begriff mich wieder ganz, begriff mich, ohne daß ein Wort der Erklärung zwischen uns gewechselt wurde.

Er sagte: ›Wenn der Esel‹ (o Gott, wie leide ich!) ›nur dadurch nicht stolz wird!‹ Ja freilich wird, wenn so nach und nach über ihm das Licht verklärender Beziehungen und Bezeichnungen aufgeht, der angestammte Stolz sich herrlich zeigen.

O Münchhausen, Münchhausen, großer Herzenskündiger!«


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