Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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»Da der Tod eine gewisse, Zeit und Stunde desselben aber eine ungewisse Sache ist, so habe ich mich entschlossen, bei allbereits merklicher Abnahme meiner Kräfte, jedoch völlig gesundem Verstande meinen letzten Willen aufzurichten. Ich habe immer zu den Leuten gehört, welche auf Erden ihren Willen nicht haben sollten, aber meinen letzten will ich haben und durchsetzen.

Blutarm bin ich in die Welt gekommen, blutarm bin ich auf derselben gewallt und blutarm werde ich sie aller Wahrscheinlichkeit nach verlassen. Aber ein Testament darf auch der Ärmste machen, und daran kann ihn kein Tyrann verhindern. Ich hoffe nicht mißverstanden zu werden, wenn ich daran erinnere, daß des Menschen Sohn, welcher nicht hatte, da er sein Haupt hinlegen sollte, ein Testament errichtete, aus welchem die Geschlechter zweier Jahrtausende Erbgenahmen worden sind. Diesen Menschensohn, genannt Jesus der Christ, habe ich zeitlebens lieb gehabt, aber ganz in der Stille; nicht wie Regan und Goneril ihren Vater liebten, sondern gleichsam à la Cordelia, oder da ich generis masculini bin, à la Cordelius. Ich wurde deshalb für einen bösen Christen und Atheisten gehalten, welches ich mir wohl gefallen lassen konnte, da ich die Liebe der Regans, Gonerils, der Edmunde und Cornwalls an ihren Früchten erkannte.

Ich besitze an zeitlichen Gütern drei Stücke, nämlich meinen sterblichen Leichnam, eine natürliche Tochter und einen alten von mir durchaus zerlesenen Juvenal, Göttinger Ausgabe von Vandenhoeck vom Jahre 1742. Über meinen Leichnam eröffne ich die Sukzession der Aszendenten, vermache ihn nämlich der Mutter Erde, und mag er zusehen, wie er darin zu seiner Auferstehung kommen will; vor der Hand wünsche ich, zu schlummern. Meine natürliche Tochter vermache ich ihrer Näherei, welche ich sie habe mit allen Feinheiten dieser Kunst erlernen lassen. Um meinen Juvenal sollen die Hauptstädte der Welt würfeln, und welche die niedrigsten Augen wirft, ihn haben und behalten als immerwährendes Fideikommiß.

An ewigen und unzeitlichen Gütern besitze ich eine große Wahrheit und deren Bestätigung durch ein eminentes Exempel, welches wieder mit einem unglaublichen Geheimnisse zusammenhängt. Diesen Zusammenhang von Wahrheit, Exempel und Geheimnis verlasse und vermache ich allen Leuten von gesunder Vernunft. Da die genaue Bezeichnung des Erben zu den Hauptstücken eines gültigen Testaments gehört, so merke ich hier an, daß unter den titulo honorifico Bedachten nicht gemeint sind:

  1. die sogenannten großen Köpfe
  2. die edeln Charaktere
  3. die bedeutenden Menschen
  4. die gefühlvollen Seelen
  5. diejenigen, welche man
    1. die Hochverdienten, oder
    2. die Allverehrten und Allgeliebten nennt;

sondern meine Erben sollen sein die Leute von gesunder Vernunft, eine leider neuerdings nur zu sehr herabgekommene und unscheinbar gewordene Sekte.

Denn die Vernunft, welche ich meine, bietet ihren Anhängern nur Armut und Nichtachtung, sie selber geht auch nicht in Sammet und Seide, sondern in einem schlichten weißen Gewande. Puffen, Bänder und Schmelz fehlen ihrem Anzuge ganz, auf den Wangen brennt ihr nicht die bei den meisten beliebte hektische Röte, sondern die reine Farbe der Gesundheit steht auf denselben, die für den verwöhnten Geschmack zu derb und frisch ist; kurz, sie hat nichts, was reizen und verführen kann.

Die große Wahrheit, welche ich besitze, ist: daß es keine Tollheit, keinen noch so verrückten Sparren und keine Einfaltspinselei gibt, welche jemals wirklich stürbe unter den Menschen. Vielmehr ist das Abtun der allergreulichsten Irrtümer immer nur eine Scheintötung und sie leben zu gehöriger Zeit stets wieder auf, nicht etwa mit gewechselter Garderobe, o nein! in solche Unkosten setzt sich ihr König und Oberfeldherr nicht, sondern, wie sie waren, erstehen sie wieder und in der alten, elendigen, bettelhaften Gestalt. Wenn ein Reich durch die Dummen und Memmen gestürzt und durch die Klugen und Tapfern gerettet worden, so beginnt einige Tage nach der Rettungsstunde ganz sicherlich die Herrschaft der Dummen und Memmen wieder. Wenn es Millionen Male vorkam, daß die Sklaven ihre Herren beraubten und ermordeten und nur die Treue des Freien fromm-schützend die Hand über Gut und Haupt des Gebieters hielt, so stellt sich die alte Liebhaberei für Sklaven jederzeit wieder ein, und wenn der menschliche Geist endlich auf den Punkt gediehen zu sein schien, die Geisterwelt im Geist zu erfassen, so ragt unversehens das verjährte, jämmerliche, krüpplichte Zeichen-, Wunder- und Gespensterwesen, der müffigste mystische Trödel in die nur scheinbar befreit gewesene Welt herein.

Empfanget in der Erläuterung dieser letzten Worte, meine teuren Erben, die Bestätigung durch das eminente Exempel. Wir haben die Reformation gehabt und demnächst eine große Philosophie und Literatur. Wir glaubten, endlich dahin gekommen zu sein, Fetische, Amulette, Poltergeister und andern Polterkram für abgeschafft erachten zu dürfen. Endlich meinten wir, dahin wenigstens gekommen zu sein, das Empyreum sowohl als den Hades nur in der adäquaten Sphäre des aufgeschlossenen menschlichen Bewußtseins wirkend zu erblicken und in dessen äußerem Leibe, in der Geschichte. Aber mitnichten. Im neunzehnten Jahrhundert rühret sich plötzlich wieder das erstunkene, erlogene, sichtbar-unsichtbare Gelichter; die gespenstischen Weinschrötter, Kellerasseln und Grabwürmer kriechen aus ihren Löchern, der heilige Name Gottes und des Menschensohns wird in diesen ekelhaften Stank und Dampf hineingerufen, die Mysten und Epopten, den Narren oder den Schalk im Busen, verdrehen die Augen und entblöden sich nicht, Worte des ewigen Lebens ihren Faseleien an die zerrüttete Stirn zu setzen. Der Bauch der Vetteln soll plötzlich mehr wissen, als das Haupt und das Herz der Weisen, und alles dieses Zeug, dieser Wasch und Klatsch, wofür man ebensowohl Prätorii ›Wünschelrute‹, Erasmi Francisci ›Höllischen Proteus‹ und den ›Vielförmigen Hinzelmann‹ als Gewährsleute anführen könnte, wird von einem nicht unzahlreichen Pöbel aller Stände geglaubt und sanft-selig weiter verbreitet.

›Ei‹, werdet Ihr, meine Erben, sagen, ›was für ein schlechtes Legat hinterlässest du uns? So stehen ja die Hexenprozesse vor der Türe.‹ Geduld, Ihr Teuren! Es ist allerdings sehr möglich, daß unsere Enkel abermals Hexenprozesse erleben, indessen ganz nahe stehen sie doch noch nicht bevor, und zwar von wegen des unglaublichen Geheimnisses, welches mit dem eminenten Exempel verbunden ist. Ihr wißt, liebe Erbgenahmen, daß die Herren Doktoren Eschenmichel und Kernbeißer, welche hauptsächlich den Geistertrödel in schwunghaften Betrieb gebracht haben, von der Welt für gelehrte und würdige Männer gehalten werden, und für Männer haltet auch Ihr sie wahrscheinlich. Wenn es nun aber an den Tag kommt, was mir bekannt ist, daß dem nicht so sei, so kann es kaum fehlen, daß die dämonischen Geschäfte in einigen Verruf geraten, die Sache, bildlich zu reden, eine Posse wird, und unsere Nachkommen vielleicht doch in den nächsten dreißig Jahren noch vor der Rückkehr der Hexenprozesse bewahrt bleiben.

Meine teuren Erben, die Herren Doktoren Kernbeißer und Eschenmichel sind nicht männlichen Geschlechts.

Auf einer meiner Streifereien, die ich unternahm, um mir mein Bettelbrot zu verschaffen, kam ich durch eine Stadt, worin sich ein weltberühmtes Spital für Alte und Sieche befindet. Es ist eine geraume Reihe von Jahren her. Ich ließ mir die Anstalt zeigen und durchwanderte die langen Reihen der alten Männer und Frauen, welche ihre letzten Tage da zubrachten. Wie es nun wohl zufällig kommen kann, daß sich unserem Geiste die Gestalt eines Baumes, Felsens, Hauses untilgbar einprägt, so wollte es der Zufall, (denn es sei ferne von mir, diese Geschichte irgend romantisch aufzuschmücken;) daß mir zwei alte Frauen, welche von den andern sich gesondert hielten und sehr eifrig miteinander verkehrten, besonders auffielen. Es war weiter gar nichts Merkwürdiges an den beiden Alten. Gewöhnliche alte Weiber, wie es deren Tausende gibt, aber ihre Statur und Physiognomie machte dennoch einen unauslöschlichen Eindruck auf mich, so daß mir gleich damals klar wurde, ich würde sie wiedererkennen, wo und wann ich sie jemals sähe.

Nach einigen Jahren und mehreren Schicksalen gelangte ich in dieses unser Städtlein, entschlossen, hier nunmehr für Lebenszeit zu rasten. Ich hörte sogleich von der Anlage und von dem Fortgange des Kernbeißerschen Etablissements und erbat mir natürlich unverweilt Zutritt zu dieser größten Sehenswürdigkeit des Ortes. Allein wie wurde mir, geliebte Erben, als mir der Herr der Anlage mit seinem Freunde entgegentrat! Ich meinte, der Boden schwanke unter meinen Füßen und das Haus tanze mir vor Augen, denn man mag auf alles gefaßt sein, wenn man zu frommen Wundertätern geht (sie haben uns an vieles gewöhnt); allein darauf ist man nicht gefaßt, in zwei Männern der höheren Welt zwei alte Weiber wiederzuerkennen.

Ja, meine Erben, es ist ausgesprochen, das große Wort des Rätsels. Wenn die Natur nicht das nur von Komödienschreibern erfundene Spiel der ›Menächmen‹ nachahmt, wenn sie, die unerschöpflich erfindende Göttin jedem Exemplare, welches sie aus der Form wirft, einen Zug besonderer Ausstattung mitgibt, so habe ich mich nicht irren können, lebe vielmehr und will sterben in der Überzeugung: Die Herren Doktoren Kernbeißer und Eschenmichel sind zwei alte Weiber, die ich vor längerer Zeit im Juliusspitale zu Würzburg gesehen habe.

Wie und wann sie aus demselben entkommen, auf welche Weise ihnen der Gedanke an das unter ihren Händen erblühte Etablissement geworden, das habe ich nicht erfahren können. Nur so viel läßt sich einsehen, daß sie, wenn sie ihre Rockenstubengeschichten für Wahrheiten verkaufen wollten, genötigt waren, Mannskleider anzulegen, ihren Diskant zum Baß zu verstellen, und überhaupt das zu scheinen, was sie nie waren.

Das Geheimnis wäre sonach gegenwärtig hier deponiert, und damit hätte das ganze Legat seine vollständige Stiftung erhalten. Die frommen und süßen Seelen werden es ein lästerliches nennen; in meinem Sinne jedoch ist es recht eigentlich eins zu frommen Zwecken.

Den Zufall aber ernenne ich zum Testamentsvollstrecker, und soll es von ihm abhangen, ob und wann dieser letzte Wille eröffnet und die Erbfolge nach demselben angetreten wird. Ich halte sehr viel vom Zufall, seit ich gesehen, welche erbärmliche Fratze die Menschen aus der Vorsehung machen. Es bestimmt mich auch noch ein anderer Grund. Ich weiß, daß im Rachen des Löwen Erbarmen wohnen kann und aus den Krallen des Tigers Rettung gefunden werden mag, daß aber keine Gnade ist bei den Propheten. Bei meinem Leben kommt es daher nicht heraus. Aber, wie ich meiner Nachwelt die Wissenschaft nicht unterschlagen darf, so will ich doch auch die Kunde nicht beschleunigen. Der Zufall verwalte alles und gebe das Zeichen, wann es an der Zeit ist. Denn die Propheten werden auch meinen toten Staub nicht ungerührt lassen, wenn sie erfahren, daß ich ihr Geschlecht entdeckt habe. Von einem derselben weiß ich es wenigstens gewiß.

Die größten Verfolgungen, geliebte Erben, sind von jeher über diejenigen ergangen, welche im Lehrstuhl, auf der Kanzel, im Staatsrat und im Heerbefehl die alten Weiber ausfindig machten!

Ich bete dich an, Vernunft, Tochter Gottes, Schirmherrin der Männer, Atem der Seele! Ich bete dich an im Geist und in der Wahrheit. Du erschütterst mir Herz und Nieren; führe mich, bleibe bei mir bis an das Ende meiner Tage! – Ein schlichtes, farbloses Gebet, ein Gebet in Knechtsgestalt! Ich will damit auszukommen suchen.

Vorstehendes ist mein letzter Wille ohne Ort und Datum, denn ich wünschte, daß er allerorten und zu jeder Zeit gälte.

Jodocus Zebedäus Schnotterbaum.
A. A. L. L. M.


Requiescat anima mea in pace!«

Nachschrift
(Mehrere Jahre später)

Ich erlebte das Ende der Szene nicht. Als bei den bezüglichen Worten des Testaments zuerst ein atemloses Schweigen des Todes im Archive eintrat, dann aber Jubel, Hohn, Schreck, Unwille, Entsetzen, Spott, Schimpf, kurz jeglicher Affekt sich in Blick, Miene, Schrei Luft machte, und die Doktoren, wie von einem Kernschusse vernichtet, in die Sessel zurücksanken, benutzte ich diesen Moment und entwischte. Mit drei Sprüngen war ich im Etablissement, empfahl dem Knechte mein gepacktes Köfferchen zur Nachsendung, die er auch redlich bewerkstelligt hat, und lief spornstreichs zum Tore hinaus, denn die Sache, das fühlte ich wohl, war hier aus, rein aus. – Auf der Straße rannte ich an dem Magischen vorbei, den eine finstere Macht fortbewegte. Der gemeine Mann nennt sie den Schub. Er wußte aber noch von seinen Sinnen nichts und hat daher nachmals mit Recht behaupten können, er sei aufgehoben und von dannen geführt worden in der Entzückung.

Später erfuhr ich den weiteren Verlauf der Dinge. Freilich gingen mir darüber zwei ganz verschiedene Berichte zu. Der eine lautete folgendermaßen: Sobald nämlich der Magister Schnotterbaum von jenseits zu Ende gesprochen, sei der Gehülfe hinter der spanischen Wand hervorgetreten und dem Testamente mit den Worten: »Ei Mutter Ursel und Beth', sieht man Euch so unerwartet hier wieder?« ein gewichtiger Bestätiger geworden. Der Beamte habe hierauf mit seiner immerfort noch steigenden teuflischen Sanftmut und Höflichkeit zu den Propheten gesagt, er für seine Person halte das Schnotterbaumsche Testament für einen sarkastischen Scherz des alten bösen Magisters und glaube, daß der fremde Herr Doktor, getäuscht von einer flüchtigen Ähnlichkeit sich irre, indessen gebiete ihm freilich in der Sache allein seine Pflicht, da er zugemessene Befehle habe, das Ereignis in jeder Richtung festzustellen. Es liege auf der Hand, daß selbst in betreff der Wunder viel darauf ankomme, ob sie ein Mann, oder ob sie ein altes Weib erzähle, und da zufälligerweise gerade ein Sachverständiger anwesend sei, so müsse er – zwar mit blutendem Herzen und die beiden Herren inniglich verehrend – sie dennoch ersuchen, sich mit dem fremden Doktor behufs weiterer Veranlassung gefälligst hinter die spanische Wand zu begeben.

Der Beamte habe alles wütenden Widerstandes ungeachtet seinen Willen durchzusetzen gewußt und nach einer Viertelstunde sei von dem Gehülfen aus Würzburg auf dessen Ehre und Gewissen das Gutachten abgestattet worden, daß der Magister Schnotterbaum mit keiner Lüge belastet das Zeitliche gesegnet habe.

Nach dem zweiten Berichte war alles mit der Publikation des Testaments vorbei. Die aufgeregten Affekte gingen in ein schallendes Gelächter über; der Gehülfe trat lachend hervor und konnte vor Lachen kein bestimmtes Wort über die Anerkennung oder Nichtanerkennung der Helden dieses Tages aussprechen. Das Gelächter war so ansteckend, daß der alte drollige Kernbeißer endlich selbst mit einstimmte und rief: »'s ist der ausbündigste Schwank, der zu erdenken gewesen, beweist aber nichts gegen das Zwischenreich.« – Diese allgemeine Heiterkeit des Ausgangs soll um so anmutiger gewesen sein, als, wie versichert wird, der Beamte auch in diesen Momenten seinen wahren oder angelegten unzerstörlichen Ernst beibehalten hat. Von Untersuchung hinter der spanischen Wand keine Rede.

Indessen verfehlte das Testament des Magisters nicht, seine Wirkung nachhaltig zu äußern. Denn wohin ich seitdem kam, überall hatte sich die Volksmeinung gebildet, daß der alte Schnotterbaum das Geschlecht der Koryphäen des Geisterglaubens wirklich entdeckt habe.

Dadurch aber hatte in der Tat, wie sich deutlich spüren ließ, die höhere Welt, nämlich die Kernbeißer-Eschenmichelsche, einen Stoß erlitten. Die Erben des Magisters aber traten die Erbschaft nach seinem Testamente ohne Vorbehalt an.


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