Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Nach einigen Minuten erseufzte das Fräulein am trocknen Wasserbecken so laut, daß selbst ihr Vater am Flötenbläser ohne Flöte und der Schulmeister auf dem Taygetus es vernahmen. Aus Sympathie stimmten sie ihrerseits ein, so stark sie nur vermochten, und es stieg daher ein dreifacher, gewaltiger Seufzer der Sehnsucht im Garten des Schlosses Schnick-Schnack-Schnurr empor. Kaum war er verklungen, so ertönte aus einer Ecke des Gartens, zunächst der einfassenden Hecke, ein lautes Geräusch, wie wenn jemand von einer nicht unbedeutenden Höhe herabfalle, ein Hufschlag, wie von einem davoneilenden Pferde, und das Gespräch zweier Menschen, von denen der eine fragte: »Wie ist es, mein gnädiger Herr? Haben Sie sich wehe getan?« der andre aber antwortete: »Durchaus nicht, durchaus nicht, du weißt ja, daß mir kein Sturz etwas tut, auch liegt hier, wie du siehst, ein weicher Haufen Unkraut und Gras zusammengetrieben, auf den bin ich gesunken, als ich aus den Lüften herniederschwebte.« – »Soll ich dem Pferde nachrennen?« fragte die eine Stimme. »Nein«, versetzte die andre, »wir sind am Ziel, welches das Schicksal uns wies. Laß die Kreatur auch ihrem Ziele nachlaufen, welches ohne Zweifel in dem Stalle des Verleihers sein wird, aus dem ich den Klepper im Städtchen entnahm.«

Der alte Baron, das Fräulein und der Schulmeister näherten sich jetzt dem Orte, wo der Fall und dieses Gespräch erschollen war, und sahen zwei Männer, welche sie in nicht geringes Erstaunen versetzten. Der eine war eine stämmige Figur, deren Eigentümer seine vierzig und mehreren Jahre zählen mochte, mit einem durchaus blassen, aber kräftig muskulösen Gesichte, aus dem zwei große lebhafte Augen hervorstrahlten. An seiner Kleidung zeichnete sich sonst nichts aus, dagegen konnte ein übermäßig großer Strohhut mit fußbreiten Krempen auffallend erscheinen, welcher einige Schritte von dem Fremden im Sande lag. Dieser Strohhut war eigentlich kein Strohhut; seine Form schwankte zwischen Mütze und Kaskett. In Zukunft soll er, wo er noch vorkommt, der Strohhelm heißen.

Der andere war noch untersetzter und gedrungener, als der erste, schien mit ihm in gleichen Jahren zu sein, hatte aber die gewöhnliche Gesichtsfarbe eines gesunden Menschen. Seine Augen waren womöglich noch greller, als die des Herrn, denn in diesem Verhältnisse mußte wohl der erste zu dem zweiten stehen, da letzterer in einer eiergelben Livree stak, einen lackierten Bedientenhut auf dem Kopfe trug und sich um den ersten mit einer Kleiderbürste bemühte, allerhand Erd- und Grasspuren von dem lichtgrauen Überrocke desselben zu tilgen.

Indem die Gesellschaft vom Schlosse sich den Fremden näherte, blickten diese auf, der erste sagte dem zweiten etwas in das Ohr, worauf der Diener den Strohhelm von der Erde erhob und seinem Herrn darreichte. Letzterer trat den dreien entgegen und sagte mit wunderbaren Muskelbewegungen im Antlitz zum alten Baron einige höfliche Worte der Entschuldigung, daß er so unangemeldet in seinen Garten gefallen sei. Der Baron versetzte, das habe gar nichts zu bedeuten, und der Schulmeister machte dazu eine tiefe Verbeugung. Beide musterten erstaunt die Zubehörungen des Fremdlings, wie man die Papierhefte, Rollen und Streifen wohl nennen durfte, welche aus den Seiten- Rücken- und Brusttaschen seines Rocks, ja sogar aus den Öffnungen eines ledernen Ranzens hervorsahen, den er an einem Querriemen über die Schultern geworfen trug.

Die Aufmerksamkeit des Fräuleins war dagegen in diesen ersten Augenblicken weit mehr von dem Bedienten gefesselt worden. In der Tat zeigte der Aufzug dieses Menschen auch so manches von einer gewöhnlichen Livree Abweichende. Denn um von dem Strauße wilder Feldblumen zu schweigen, der an seinem Hute duftete, so mußte gewiß jedem sonderbar vorkommen, daß er einen großen bunten Tuch wie einen Schurz sich um die Hüften geknüpft hatte.

Der Herr war indessen in die Mitte zwischen den Baron und den Schulmeister getreten, durch diese Bewegung war auch das Fräulein veranlaßt worden, ihn achtsamer zu betrachten, und sich zu nähern; so bildeten die drei eine Gruppe von Hörern um den Fremden, welche wie von selbst entstanden war. »Lassen Sie uns, geschätzte drei Unbekannte, nicht zu lange in einem leeren Erstaunen einander gegenüberstehen«, hob er mit einer gewissen Feierlichkeit an, welche jedoch die Wiederholung jener Muskelbewegungen im Antlitz, auf die wir schon hingedeutet haben, nicht verhinderte. »Ich fühle etwas in mir, welches mir sagen will, daß unser Zusammentreffen in diesem verwilderten französischen Garten Folge einer siderischen Konjunktion ist, welcher die Signatur unserer vier Mikrokosmen entspricht. Ist dem also, so würde alles gehaltlose Verwundern, und der eitle Apparat nichtssagender Komplimente, welcher die Vorhalle unbedeutender Bekanntschaften auszieren muß, nur eine Verschwendung köstlicher Minuten sein. ›Hasche nach Minuten, denn auf ihren Fittichen ruht die Ewigkeit!‹ sagt uns ein weiser Dichter. Die tiefste Ahnung meiner Seele ruft mit vernehmlicher Stimme: Es war vorbestimmt; die Zeit war dazu reif, daß mein Pferd an jener Hecke bocken, sich bäumen und mich zuerst auf jenen Unkrauthaufen schleudern, demzufolge aber in Ihren freundlichen und empfänglichen Kreis befördern mußte.«

»Sind Sie vom Pferde gestürzt?« fragte der alte Baron. »Jawohl«, versetzte der Fremde; »doch eigentlicher zu reden, ich flog mehr und beschrieb in der Luft eine Kurve, deren Berechnung wohl die Elemente der Ellipse ergeben möchte. Ich bin auf einer gelehrten Fußwanderung begriffen, deren Zweck es ist, das Mineral zu entdecken, wodurch man Luft – – – doch still vor der Hand noch von diesen Dingen! Weil ich mich aber ermüdet fühlte, nahm ich in der Stadt, vier Meilen von hier, ein Mietpferd zu dem Abstecher in diese Gegend. Hieher wiesen mich geheime Andeutungen in manchen Schriften, welche die Menge nicht beachtet, die aber Körner gediegenen Goldes enthalten. Auch eigne Kombinationen machten es mir wahrscheinlich, daß hier ein Stock des Min – – doch, wie gesagt, still davon! Ich hing auf meinem Pferde verschiednen Untersuchungen nach, wie es denn meine ziemlich ausgebreiteten Studien mit sich bringen, daß das Verschiedenartigste mir gleichzeitig durch den Kopf zu laufen pflegt. Ich fand, daß die Infusionstiere, deren Ökonomie mich unter andrem kürzlich beschäftigt hat, eigentlich unentwickelte Karpfen sind, und Gedächtnis besitzen...«

»Können Sie mir mehr von den Infusionstieren sagen?« unterbrach der alte Baron mit einem schwärmerischen Eifer den Redner.

»Soviel Sie begehren; mit diesen Geschöpfen habe ich in dem vertrautesten Umgange gestanden«, erwiderte jener.

»Dazwischen sann ich meinen Hypothesen über die Vertreibung und Verpflanzung der alten Nationen durch die Völkerwanderung nach, bewies mir, daß viel griechisches Blut unter uns rollt, worauf auch schon in der Sprache so manches hinweiset, wie z. B. Kater, abstammend von καδαιρω; reinigen, säubern, weil jenes Tier die Häuser von Mäusen reiniget; Katze, von der Präposition κατα, herab, gegen, darauf hin, drüber hin, durch hin, entlang; denn sind nicht die Katzen in ihrer geschmeidigen und stürmischen Beweglichkeit gewissermaßen die lebendig gewordene Präposition Katá? Springen sie nicht unaufhörlich von Dächern und Bäumen herab? Nicht gegen Mauern? Nicht, wenn ein Vogel im Laube spielt, drauf hin? Nicht, scheint der Mond auf den Söller, drüber hin? Nicht durch dick und dünn hin? Nicht Kornfelder entlang? Also, griechische Rudera, wohin wir in Deutschland treten...«

»Spartanische doch insbesondere auch?« fragte der Schulmeister mit funkelnden Augen.

»Die werden sich natürlich ebenfalls sehr leicht entdecken lassen«, erwiderte der Fremde.

Der Schulmeister drückte dem alten Baron hinter dem Rücken des Fremden feurig die Hand, und der Schloßherr, der an die Infusionstiere dachte, und alle Standesunterschiede vergessen hatte, erwiderte dieses Zeichen der Begeisterung mit Wärme. Der Fremde fuhr fort: »Diesen und vielen andern Gedanken hing ich auf dem Rücken meines Tieres mit Bequemlichkeit nach, denn es gehörte zu denen, welche aufgehört haben, Freunde von Leibesbewegung zu sein, und konnte nur durch die Gerte meines nachwandelnden Dieners, womit derselbe die Schenkel des Lässigen bestrich, im notdürftigsten Gange erhalten werden. Ich erzähle diese Umstände so ausführlich, weil sie dem nachfolgenden Vorfalle erst seine volle Bedeutung geben. Nämlich, als ich in den Weg einbiege, der sich dort entlängst Ihrer Gartenhecke hinzieht, und mein Mietroß im gesetztesten Schritte einherschleicht, ich aber an nichts weniger denke, als mit dem Schlosse und seinen Bewohnern anzuknüpfen, scheut das Pferd, als sähe es, gleich Bileams Eselin eine Erscheinung, wirft den Kopf in die Höhe, hebt sich auf die Vorderfüße, bockt mit einer unglaublichen Schnellkraft, schlägt sofort auch hinten aus, springt mit einem Seitensatze in das Dornengebüsche; ich aber, bügellos geworden, schwebe in der von mir schon beschriebenen Kurve, gemäß dem Parallelogramm der zusammenwirkenden Kräfte des Bockens, des Ausschlagens und des Seitensatzes über die Gartenhecke auf den Krauthaufen. Während des Schwebens aber und bei dem Niederprallen entsteht in mir blitzartig eine intellektuelle Anschauung, die mit sinnlicher Stärke vom Kreuze aufwärts durch das Rückenmark in die Gehirnnerven steigt, und in Worte übersetzt, lautet: ›Dies ist ein großer historischer Moment, ein Ausgangspunkt wichtiger Entwickelungen.‹ Damit Sie aber erfahren, wer so unvermutet in die Mitte aller Ihrer Beziehungen geschleudert wurde, so vernehmen Sie meinen Namen, Stand und Charakter. Ich bin der Freiherr von Münchhausen, Mitglied fast aller gelehrten Gesellschaften, in die Akademie der Arkadier zu Rom mit der Bezeichnung: ›Der nie Verwelkende‹, aufgenommen.«


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