Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Viertes Buch

Poltergeister in und um Weinsberg

I.

Das Juliusspital und die beiden alten Weiber

In Würzburg angekommen, war mein erster Gang nach dem Juliusspitale. Das prächtige Gebäude, die Reinlichkeit und Stille der großen Höfe, Gänge und Säle, das zufriedene Aussehen der Alten und Rekonvaleszenten, welche im freundlichen Garten ihren Sonnenschein genossen – alles das machte einen wohltuenden Eindruck auf mich. Ich ließ mich in die Kellerei führen, pries die werktätige Menschenliebe Julius Echters von Messelbaum und leerte auf sein Andenken eine Flasche Leisten, eigenes Wachstum des Spitals. Ich wurde gesprächig, der Kellermeister, welcher mir trinken helfen mußte, wurde es auch, ein Wort gab das andere, und im Laufe dieser Gespräche sagte ich zu ihm: »Es ist hier bei Ihnen so anmutig, daß man wünschen könnte, zu Ihren Alten und Siechen zu gehören.«

»Ja, es läßt sich schon im Juliusspital leben«, versetzte der Kellermeister behaglich und strich seinen Bauch. – »Wir haben die schönsten Lagen und davon erhält jeder, der zu seiner Gesundheit schweren, feurigen Weines bedarf ohnentgeltlich, die Flasche mag fünf oder sechs Gulden kosten. Auch für gewöhnlich bekommt Mann und Weib sein Maß Landwein täglich und Brot, Fleisch und Zugemüse, soviel bewältigt werden mag. Die Leute werden daher auch, sobald sie die Pfründnerschaft hier erlangt haben, gesund, still und fröhlich, wenn sie vorher noch so kränklich und verdrossen gewesen sind. Zank und Hader fällt kaum unter uns vor, und daß gar einer aus dem Juliusspital sich wieder in die Welt gesehnt hätte, ist unerhört geblieben, bis auf einen Fall, von dem aber auch noch immer gesprochen wird, obgleich seitdem manches Jahr verstrichen ist.«

Ich erkundigte mich näher nach diesem unerhörten Falle und erfuhr »a simple story«, daß vor längerer Zeit ein Paar alter Weiber, die immer zusammengehockt und ein Zischeln und Plaudern miteinander gehabt hätten, aus dem Spitale fortgelaufen und nicht wieder entdeckt worden wären. Man habe weder im Main noch weiterhin in der Tauber oder im Kocher damals Leichname aufgefunden, die alten Weiber seien auch nicht in ihrer Heimat gesehen und alle Nachforschungen vergeblich gewesen, so daß es ihnen allen gedäucht, die Erde müsse sie verschluckt haben. Ich fragte, ob an diesen beiden alten Weibern irgend etwas merkwürdig gewesen sei? worauf mir der Kellermeister verneinend antwortete und hinzufügte, es seien eben nur zwei gewöhnliche alte Weiber gewesen.

Nichtsdestoweniger war das Ereignis in diesem Kreise von solcher Schwere und Bedeutung, daß sich ein Gehülfe und ein Aufseher, welche während unserer Unterredung die Kellerei betraten, sobald sie den Gegenstand, worüber wir sprachen, vernahmen, auch in ihrer Weise darüber äußerten. Ich hörte also noch zweimal die Geschichte von den zwei weggelaufenen alten Weibern mit verschiedenen Nebenumständen, die der Gehülfe und der Aufseher wußten. So erzählte der Aufseher, das Zischeln und Plaudern der Mutter Ursel und Mutter Beth' habe sich um lauter Rockenstubengeschichten gedreht, in denen sie unerschöpflich gewesen seien.

In der Zerstreuung schlug ich ein Buch auf, welches auf dem Tische lag und fand die berühmte »Seherin von Prevorst«. Mein Erstaunen war nicht gering. Denn dasselbe Werk hatte ich schon in zwei andern Gelassen des Spitals liegen sehen. »Ei«, sagte ich zum Gehülfen, »beschäftigen Sie sich hier auch mit diesen Dingen? Das wäre mir lieb; da könnten wir heute abend, wenn Ihre Geschäfte vorbei sind, und Sie mir die Ehre erzeigen wollten, im Wirtshause mein Gast zu sein, ein Stündchen in Handwerksgesprächen verplaudern. Ich bin halber Doktor; da es aber (weiß der Himmel, wie es zuging?) mit meinen Rezepten nicht recht klecken wollte, verfiel ich auf die geheimen, heiligen und mystischen Behandlungen, um es womöglich bis zur Produktion einer in die unsere hereinragenden höheren Welt zu bringen. Ein paar Lichtschimmer, hie und da ein Stückchen sphärischer Musik, oder ein unmotivierter Knall gelang mir auch glücklich unterweilen, der kleinen Lappalien von Brieflesen mit dem Nabel und Gucken durch dicke Bretter natürlich zu geschweigen. Aber die recht großen Sachen, die eigentlich zusammenhängenden Darstellungen aus dem Mittelreiche habe ich noch nicht zustande bringen können, und deshalb wollte ich denn jetzt vor die rechte Schmiede gehen, nämlich nach Weinsberg, um die Sache aus dem Grunde zu erlernen. Wie würde es mich freuen, wenn ich schon unterwegs in Würzburg einen Mann gefunden hätte, von dem ich Licht und Belehrung in dieser schwierigen Materie mir erhoffen dürfte!«

»Sie irren sich in mir, mein Herr«, versetzte der Gehülfe. »Ich beschäftige mich nicht mit Geister- und Sehersachen. Wenn man den ganzen Tag akute und chronische Übel unter Händen hat; greifliche Leiden, wie Gicht, Hektik und Kachektik, so will sich keine Zeit für die höhere Welt und das Mittelreich finden, auch muß ich gestehen, daß erste noch nie in unsere Krankenstationen hereingeragt hat, und daß wir mit Chinin, isländischem Moos, Merkur, und was dieser Potenzenreihe anhängig ist, ausreichen. Die mehreren Exemplare des Prevorstischen Werkes, über welche Sie vielleicht bei Ihrem Gange durch unsere Anstalt sich verwundert haben, rühren von einer auffallenden Zusendung her. Es wurde nämlich unbegehrt auf einmal wohl ein Dutzend ohne Begleitungsschreiben in das Juliusspital geschickt, und wir haben durchaus nicht ermitteln können, wer uns dieses sonderbare Geschenk (denn niemals hat jemand dafür Bezahlung verlangt) gemacht hat. Ein Unbekannter hatte das Paket dem Türwärter in die Hand geschoben und war dann verschwunden.«

Ohne mir etwas dabei zu denken, fuhr mir die alberne Frage zwischen die Lippen: »Waren die beiden Ihnen so teuren alten Weiber damals noch im Spital, als dieses Werk Ihnen von anonymer Hand zuging?«

Der Kellermeister, der Gehülfe und der Aufseher sannen nach und versetzten dann einhellig: »Nein, es war weit später; die alten Weiber waren schon mehrere Jahre zuvor entsprungen.«


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