Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Die ganze Gesellschaft war eigentlich verstimmt und redete wenig. Der Oberamtmann fühlte die Schwierigkeit seiner Aufgabe, zwei Herzen zu trennen, die einen geistlichen Beistand hatten, und dachte über die Mittel nach, diesem Einflusse entgegenzuarbeiten. Zwischen dem jungen Ehepaare aber hatte sich der erste Streit erhoben und zwar auch über das Liebespaar. Der Gemahl war nämlich nach seiner Rückkehr von dem Windbüchsenvergnügen unterrichtet worden, daß der Vetter hergestellt sei und hatte, als er seine Gemahlin von dem Spaziergange heimkommend gesprochen, ihr in aller Freundlichkeit aber mit bestimmtem Tone den Entschluß eröffnet, nunmehr abreisen zu wollen, da sie unmöglich jetzt noch eine Sorge um Oswald mit auf die Reise nehmen könne. Schon daß er so bestimmt sprach, regte ihren Widerspruch auf und sie fühlte wohl, daß wenn sie den Anfängen solcher Emanzipation nicht entgegentrete, es leicht um die ganze Zukunft ihres Regiments geschehen sein dürfte. Sie erklärte daher ebenso bestimmt, daß sie noch bleiben und so lange bleiben werde, bis sie ihren geliebtesten Anverwandten von einem schlimmeren Übel befreit sehe, als dem Blutsturze, nämlich von seinem verkehrten Heiratsvorsatze. Der Oberamtmann fasse alles zu rauh an, sie als Frau wisse allein in solcher Verwickelung das Richtige zu treffen und den Knäuel mit Feinheit zu entwirren. – »Du kennst meine Festigkeit, Edmund«, sagte sie zuletzt; »ich bin ganz fest in dieser Sache, zu deren Behandlung mich der Himmel selbst offenbar hieher hat kommen lassen, also stehe ab von dem Vorsatze, mich nach deinen Wünschen bewegen zu wollen.« Er erwiderte ihr darauf höflich, daß er an ihrer Festigkeit nie gezweifelt habe, daß sie ihm aber unter solchen Umständen verzeihen möge, wenn er, solange ihr Geschäft hier daure, einen Besuch bei seinem Oheim im Osnabrückschen abstatte, denn an diesem elenden Orte könne er es nicht länger aushalten.

So endete demnach der süße Friede der Flitterwochen und es war noch keine Versöhnung erfolgt, als man sich zu Tische setzte. Gemahl und Gemahlin sprachen daher auch nicht, sondern sahen stumm auf ihre Teller. Was endlich die Hausfrau betrifft, so hatte diese wirklich das hochrote Antlitz und die glänzenden Augen, von welchen Clelia gesprochen hatte, und welche unwiderleglich anzeigen, daß eine Wirtin sich sehnt, wieder ungestört in ihrer stillen Häuslichkeit zu leben. Sie war die gastfreiste Frau von der Welt, aber die Einladungen des Diakonus, die von ihm ohne Rücksicht auf Raum und Grenzen des kleinen Hauswesens ausgegangen waren, hatten ihr eine Last aufgebürdet, unter welcher sich selbst der Sinn einer Baucis geheimen Mißgefühls nicht würde haben enthalten können.

Man stand auf und wünschte einander gute Nacht. Vor dem Fortgehen sagte aber der Oberamtmann zum Diakonus: »Unbegreiflich ist es mir, wie Sie, Herr Pastor, die Partei eines Mädchens nehmen können, welches nach allen Anzeigen zu schließen, eine sehr gefühllose Seele hat.«

»Gefühllose Seele?«

»Ist sie, als sie von dem Unfalle ihres alten Pflegevaters hörte, zu ihm geeilt, wie es einem dankbaren Kinde eignete? Hat sie sich nicht begnügt, zu fragen, ob er wohl aufgehoben sei? und als sie erfuhr, daß gute Leute sich seiner angenommen hätten, tat sie da etwas anderes, als ihm das Geld schicken, welches sie für ihn verwahrte?«

»Herr Oberamtmann«, versetzte der Diakonus, »die Lisbeth hat den Spruch im Herzen empfangen und ausgetragen: ›Du sollst Vater und Mutter verlassen und dem Manne anhangen.‹ Es tut wohl, endlich einmal auch auf eine Natur zu stoßen, wenn man so viele Puppen gesehen hat. Ich habe da die Unterscheidungen und Bezeichnungen aufgestellt, welche, wie wir vernehmen, unser großer Dichter von weiblichen Wesen zu gebrauchen pflegte. Mir will es so vorkommen als ob Goethe, wenn er noch lebte und die Lisbeth sähe, sie eine Natur nennen würde.«

 

An diesem Abende ereignete sich, was hin und wieder in Liebesschicksalen vorkommt. Die Umherstehenden streiten gewaltig miteinander und regen eine wahre Ilias auf über die Frage, ob zwei Menschen verbunden bleiben sollen oder nicht! und die Liebe ruht während des Kampfes seitwärts unter Rosenbüschen in holder Eintracht. Lisbeth und Oswald wußten nicht, welche Schlachten um ihr Geschick ausgefochten wurden oder sich vorbereiteten. Lisbeth hatte eine heimliche liebliche Freude sich zugedacht. Sie pflückte die schönsten Astern im Garten und wand sie zum Kranze. Mit dem Kranze schlich sie, als es dunkelte, leise an die Türe des Krankenzimmers, horchte dort klopfenden Herzens und pochte, als sie im Zimmer nicht reden hörte, so sacht an, daß nur ein feines Gehör, wie es der alte Jochem besaß, den fast unhörbaren Schall vernehmen konnte. Auch er kam in seinen Socken an die Türe geschlichen und öffnete sie ohne Geräusch.

»Wacht der Graf?« flüsterte Lisbeth.

»Nein«, versetzte ebenso leise der Alte. »Er schlummert im Lehnsessel, das Gespräch mit den beiden Herren hat ihn etwas matt gemacht. Kommen's nur herein!«

Kaum den Boden mit ihren Fußsohlen berührend schritt Lisbeth durch das Krankenzimmer. Im Lehnstuhle saß Oswald und schlief. Sein Antlitz war so weiß wie Marmor, er sah vornehmer und prächtiger aus als je. Die schöne Stirn zeigte noch klarer als sonst die lichten, innigen Gedanken, welche hinter ihrer Wölbung wohnten. Leicht gerötet waren die vollen, gutmütigen Lippen, und um sie und um die reinen Wangen schwebte das friedlichste Lächeln. Er träumte vielleicht, und mochte wohl von seiner Liebe träumen. So saß er da, ein reizendes, hohes Jünglingsbild; eine Mischung von siegfreudigem Apoll und schwärmendem gefühlstrunkenem Bacchus, noch nie so klar in dieser seiner Grundform ausgeprägt, als heute, wo die geschlossenen Wimpern allen Zügen etwas Festes und Ewiges gaben.

Lisbeth näherte sich dem Schlafenden und beugte sich über sein Haupt. Aber sie rührte ihn nicht an und ließ kaum ihren Atem um seine Wangen spielen, um ihn nicht aufzuwecken. Dann legte sie leicht und leise wie eine beschenkende Himmelsgestalt ihren schönen Kranz von roten, gelben und blauen Astern in seinen Schoß. Und dann setzte sie sich ihm gegenüber in einen Sessel und sah ihn, die Hände über der Brust gekreuzt, lange an.

Nachdem sie so lange stumm gesessen, wendete sie ihr Antlitz. Der Alte stand ihr zur Seite und empfing ihren ersten Blick. Von diesem Blicke erschüttert, sank er leise auf das Knie und küßte ihre Hand.

Die Gnostiker erzählen, daß die Engel einst eine unaussprechlich schöne Gestalt flüchtig an sich vorüberschweben sahen, die sie nachmals nie wieder erblickten, obgleich sie Äonen lang mit heißer Sehnsucht einer zweiten Erscheinung harrten. Sie schufen dann endlich, sagen die Gnostiker, in Nacherinnerung an die Geschaute, ein schwaches Abbild jenes himmlischen Urbildes. Dieses Abbild war der Mensch. Es kann sein, daß in Lisbeths Zügen etwas von dem Ausdrucke der den Engeln einst erschienenen Schönheit schimmerte. Der Alte stammelte flüsternd: »O liebe, liebe, junge gnädige Gräfin.«

Lisbeth errötete. »Warum nennst du mich immer schon so?« fragte sie leise.

»Weil ich mir Sie gar nicht als Liebste oder Braut denken kann, sondern Frau sind Sie, liebe Frau von meinem jungen Herrn, gar kein' Sehnsucht nicht und kein Verlangen, sondern schon ganz eins mit ihm und herzenseinig.«

»Nun sage mir, wie geht es ihm und wovon hat er heute gesprochen?« fragte Lisbeth.

»Ach«, sagte der Alte, »Kranke haben so ihre wehmütigen und zaghaften Stunden. Mein Herr sagte heut', das Glück, was er mit Ihnen haben würd', käm' ihm gar zu schön und herrlich vor, er könnt' nicht aussprechen, wie unsäglich lieb er Sie haben tät' und deshalb fürchtete er, die wüste Welt würd' sich drein legen zwischen ihn und sein Glück, und der Damon würde drauf treten –«

»Dämon sagte er wohl«, sprach Lisbeth.

»Dämon oder Damon, 's kommt alles auf eins heraus, er meinte aber gewiß den Teufel«; fuhr Jochem fort. – »Er sagte diese trübseligen Sachen viel schöner und besser, als ich sie hervorbringen kann, indessen hatt' ich rechte Müh' ihm Trost einzusprechen.«

Lisbeth nahm die Hand des Alten und lispelte: »Wenn er erwacht, so sage ihm, ich sei hier gewesen und habe mich an ihm gefreut. Sage ihm dann auch, er solle mir nicht übelnehmen, besuche ich ihn morgen und auch vielleicht noch übermorgen nicht, denn ganz gesund müsse er erst sein, wenn er mich sehen solle, und ich sei ohnedies doch immer und ewig bei ihm.« – Tief atmend, aber so leise, daß der Alte sein Ohr ihren Lippen nähern mußte, setzte sie hinzu: »Und weiter sollst du ihm sagen, er müsse sich nicht vor der Welt und dem Dämon fürchten, denn er sei mein Oswald und ich sei seine Lisbeth, und die Welt und der Dämon hätten keine Macht über zwei Menschen, die einander von Grund des Herzens gut seien. Er solle nur ganz getrost an mich denken, denn ich sei Er, und er sei Ich, und wir seien Eins und zwischen uns könne nichts kommen.«

»Werd' alles genau ausrichten und bestellen«, antwortete der Alte. »Und 's ist gut, daß mein Herr es nicht von Ihnen hört, denn mit Ihrer Stimm' und dem ganzen Ton vorgetragen, möcht's ihn doch unruhig machen und der Brust noch schaden. Aber wenn ich's ihm in meiner groben Manier erst zuricht' und hinterbring', so überwindet er's schon eher.«

Lisbeth erhob sich und ging. Bald nachher erwachte Oswald und hörte vom Alten, welche liebliche Zuversicht seinem Schlummer nahe gewesen sei.


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