Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Dieses alles nun in meinen einfältigen Gedanken betrachtend, vermeinte ich letztlich, daß die Herren von der Schreiberei da draußen uns Bauern eigentlich wenig hülfen, und das auch eigentlich nicht wollten, sondern nur schreiben und sich nach und nach in die Wägen mit vier Pferden hineinschreiben. Und Gott verzeihe mir die schwere Sünde, einstmalen, als ich bei einem Rübsenfelde vorbeiging, worinnen die Pfeifer waren, so fielen mir die Herren ein und wußte nicht, wie das geschah. – Nun auf der anderen Seite hatte ich meine Reflexion, wie das Wesen in der Welt so eigentlich bestellt sei. Da dachte ich (denn ich habe immer in meinem Leben Nachgedanken gehabt) daß ein ordentlicher Mensche schon durchkommt, der auf Wind und Wetter achtet, und auf seine Füße schaut und in seine Hände und sich mit seinen Nachbarn getreulich zusammenhält.

Sehet, Ihr Herren, darauf kommt es mehrestenteils nur an. Und nach diesem gewöhnte ich mir selbst zuerst die Gedanken nach Hülfe von draußen ab, zahlte meine Steuern und trug meine Lasten, im übrigen aber hielt ich mich vor mich und ließ es mir lieber, wenn ein Malheur passierte, etwas saurer werden, als daß ich die Herren da draußen um Beistand angesprochen hätte. Hernacher gewöhnte ich es auch den Leuten um mich herum ab. Sie nahmen an mir ein Exempel, und so taten wir Nachbarn uns allmählig zusammen, sprangen einander bei, ordinierten unser Wesen für uns, und kam von vielen Sachen, um die sie andererorten ein großes Hallo erheben, nichts über die Gemarkung hinaus. Und als der Mordhund da, der mir nun mein Schwert gestohlen hat, an meinem Sohne zum Missetäter geworden war und zufälligerweise auch ungefähr um die nämliche Zeit einer am Stuhle droben nach unserer alten Regel und wie der hergebrachte Orden ist, wissend gemacht werden sollte, kam es mir ein, diese alte heimliche Sache zu brauchen wider den Totschläger und es glückte und ich setzte ihn aus dem Frieden, feimte ihn ins Elend hinein und machte ihn zum Zeichen vor Großen und Kleinen, daß keiner unrecht tun dürfe. Als aber die Sache erst einmal im Gang war, gelang sie immer besser; wenige Prozesse wurden in das Amt getragen, und die meisten Frevel gar nicht angezeigt, sondern machten die Scherereien unter uns ab. Denn über Mein und Dein und wem die Mauer gehört und jener Wiesenstreifen, kann man schon selbst mit seinem Bauerverstande fertig werden. Wenn aber wo eingebrochen ist, so kennt fast immerdar das Dorf den Dieb, was freilich oft nicht strenge zu beweisen steht, wornach denn ein solcher angezeigter Spitzbube frech und zum Skandal ganz schandhaft umhergeht und sich seiner Beute wohl noch gar erfreut, die der Bestohlene nicht wiederkriegt. Handhabten also selber Recht und Gerechtigkeit in allem Frieden und konnte uns niemand darum anfassen, denn wir taten keinem was zuleide, sondern gingen nur nicht mit dem Ungerechten und Frevelhaften um, wenn wir ihn in die Feime gesetzt hatten; es entstand aber weit größere Furcht dieserhalb unter den Leuten als vor Urteil und Gefängnis.«

Die Rede des alten Bauern rauschte in ihren rohen und strudelnden Ausdrücken wie ein Waldbach daher, der über Wurzeln, Knoten und Kiesel strömt. Er sprach ohne zu stocken. Der Richter wollte ihn unterbrechen, der Hofschulze aber sagte: »Ich bitte und ersuche Euch, Herr Richter, mich gänzlich aussprechen zu lassen, denn noch manches habe ich zu veroffenbaren. – Herr Richter und Herr Diakonus, wenn wir so unser Wesen für uns allein in Geschick brachten, so waren wir darum keine Unruhestifter und Tumultuanten. Denn hatten wir auch die Herren von der Schreiberei nicht ganz sonderlich in der Ästimation, so schlug uns doch jederzeit das Herz, wenn wir an den König dachten. Ja, ja, gegenwärtig schlägt mir mein Herze in meinem Leibe, da ich seinen Namen ausspreche. Denn der König, der König muß sein, und nicht ein Buchstabe darf abgenommen werden von seiner Macht und von seinem Ansehen und von seiner Majestät. Weil er nämlich ist der oberste General und der allerhöchste Richter und der gemeine Vormund. Denn es arrivieren freilich mitunter Sachen, darin man sich nicht selbst helfen kann und nicht zu raten weiß mit seinen Nachbarn. Da ist es dann Zeit, daß man den König anruft in der Not. Aber, wie ein ordentlicher Mensche dem lieben Gott nicht um jede Bagatelle Molesten macht, als zum Beispiel, wenn einem der kleine Finger wehe tut an der linken Hand: sondern wo die Kreatur nicht mehr aus noch ein weiß, da schreit sie zu ihm, also soll der König nicht angeschrieen werden um jeden Groschen, der mangelt, sondern in der rechten echten Not allein, und zu allen übrigen Tagen soll man nur sein Herze erfreuen und erquicken an dem Könige; denn er ist das Abbild Gottes auf Erden. Zum Pläsier ist uns hauptsächlich der König gesetzet und nicht zum Hans in allen Ecken. Aber wo nun der Geängstete und Bedrängte seinem Leibe keinen Rat mehr weiß, da tut er sich aufmachen und steckt Brot und sonstigen Mundproviant zu sich und tut viele Tage gehen. Und endlich stellt er sich an Ort und Stelle vor das Schloß und hebt sein Papier in die Höhe und dieses sieht der König und schickt einen Lakaien oder Heiducken, oder was für Kramerei und Package er sonst um sich hat zu seiner Aufwartung, herunter, und läßt sich das Papier bringen und lieset es, und hilft, wenn er kann. Wenn er aber nicht hilft, so steht nicht zu helfen, und das weiß dann der arme Mensche, geht stille nach Hause und leidet seine Not wie Schwindsucht und Abnehmungskrankheit.

Sie sagen, er mache sich nichts aus den Leuten; dieses ist aber eine grobe Lüge, denn er hat die Untertanen sehr gerne und behält es nur bei sich, und ein recht gutes Herz hat er, wie es ein deutscher Potentate haben muß, und ein sehr prächtiges. Es ist erstaunlich und eine Verwunderung kommt einen an, wenn man die Männer, die davon wissen, hat erzählen hören, wie er sich in der grausamen Not, als der Franzose im Lande hausete, sozusagen das Brot vor dem Munde abgebrochen hat, und hat seinen Prinzen und Prinzessinnen zu Geburtstägen und Weihnachten nur ganz erbärmliche Präsente gemacht, bloß, damit er den armen Untertanen, die ganz ausgesogen waren, nicht viel koste. Dieses segnet ihm nun der liebe Gott an seinen alten Tagen in Fülle, und er ist wieder recht in guten Umständen und ganz wohlauf, und Gott erhalte ihn lange dabei! Und noch neulich hat er einem armen Menschen in unserer Nachbarschaft, den einer wegen Zinsen und Lasten mitten im Winter hatte vom Hofe herunter subhastieren lassen wollen, das Geld aus seiner Tasche gegeben, und wenn er kann, soll ihm der es wiedergeben, und wenn er nicht kann, so tut es auch nichts, hat der König gesagt.

Deshalb haben wir immer, mochten wir auch von vielen Geschichten um uns herum nichts wissen, wenn wir anstießen, gerufen: ›Der König soll leben!‹

Jetzt komme ich auf meine letzte Sprache, Herr Diakonus und Herr Richter. Wenn der Mensche bei sich fertig ist, so gehen seine Gedanken wandern mit den Wolken, die da ziehen, und mit den Lastwagen, die vorbeifahren über den Hellweg. Und so gingen die meinigen auch mitunter über Börde und Haarstrang hinaus und ich dachte, wenn nun da draußen sich auch jedermann so lernte auf sich verlassen, und stellte sich zusammen mit seinesgleichen, der Bürger mit dem Bürger, der Kaufmann mit dem Kaufmann, der Gelahrte mit dem Gelahrten und auch der Edelmann mit dem Edelmanne, und machten ihre Sachen mehrenteils untereinander ab ohne die Herren von der Schreiberei draußen, so wären die Pfeifer aus der Rübsaat getan und es müßte eine ganz herrliche und kostbare Wirtschaft geben. Denn die Menschen wären dann nicht wie die dummen Kinder, die immer schreien: ›Vater! Mutter!‹ wenn sie einen Augenblick alleine sind, sondern gleichsam ein Fürst wäre jeder bei sich zu Hause und mit seinesgleichen. Dann wäre auch erst der König ein recht großer Potentate und ein Herre sondergleichen, denn er wäre der König über vielmalhunderttausend Fürsten.

Dieses ist nun die Moral von der Heimlichkeit am Stuhle und von dem Schwerte von Carolus Magnus und von den sogenannten Possen, die ich getrieben. Schreibet alles recht genau auf, Herr Skribent, was ich gesagt habe, denn ich will nicht wie ein einfältiger Mann in Euren Schriften stehen, und es soll mir ganz lieb sein, wenn meine Meinung noch andere zu lesen bekommen und es reflektiert mich nicht, wenn sie selbst bis zu dem Könige getragen wird. Von diesem habe ich nie etwas zu bitten bedurft, und ich gebrauche ihn nicht zu meines Leibes Notdurft. – Aber voll Freuden bin ich immer gewesen, sein Untertan zu sein wie ein geborener Fürst und mein Herz habe ich an ihm erfrischet all mein Lebtage.«

Leuchtend waren die hellblauen Augen des Hofschulzen während des letzten Teils dieser Rede geworden, seine weißen Haare hatten sich wie Flammen emporgerichtet, die Gestalt stand wieder groß und gerade da. Der Richter sah vor sich nieder, der Diakonus dem Alten in das Antlitz; er gemahnte ihn wie ein Prophet des alten Bundes. Mit höflicher Verbeugung und stillem Gruß entfernte sich der alte Bauer.

Der Diakonus folgte ihm tiefbewegt. Draußen holte er ihn ein, legte ihm die Hand auf die Schulter, schüttelte seine Rechte und sagte ergriffen und gerührt: »Ihr habt mich erbaut, Hofschulze. Jetzt aber will ich als Euer Seelsorger und Priester Euch erbauen.«

Der Alte war im Vorsaale schon wieder der schlichte Bauer geworden, der krank und angegriffen aussah. »Tuen Sie das«, sagte er, »Herr Diakonus, denn Zusprache ist mir not. Ich habe gar zuviel Verdruß gehabt letzthin. Ich kann es nicht überkriegen, daß die Scham geblößt ist von den heimlichen und scheuen Dingen, und sie nun umhergetragen werden in den Schriften und von dem jungen Herrn ins Reich geschleppt. Nach dem Schwerte will ich nicht weiter trachten, denn es hilft mir doch nichts, aber der Kummer darum wird mein Herz zernagen. Der Stuhl wird nun wohl eingehen.«

»Laßt den Freistuhl verfallen, das Schwert aus dem Auge des Tages geschwunden sein, laßt sie die Heimlichkeit von den Dächern schreien!« rief der Diakonus mit geröteter Wange. »Habt Ihr nicht in Euch und mit Euren Freunden das Wort der Selbständigkeit gefunden? Das ist die heimliche Losung, an der Ihr Euch erkennt und die Euch nicht genommen werden kann. Gepflanzt habt Ihr den Sinn, daß der Mensch von seinen Nächsten abhange, schlicht, gerade, einfach; nicht von Fremden, die nur das Werk ihrer Künstlichkeit mit ihm herauskünsteln, zusammengesetzt, erschroben, verschroben; und dieser Sinn braucht nicht der Steine unter den alten Linden, um gutes Recht zu schöpfen. Eure Freiheit, Eure Männlichkeit, Eure eisenfeste Natur, Ihr alter, großer, gewaltiger Mensch, das ist das wahre Schwert Karls des Großen, für des Diebes Hand unantastbar!«

»Herr Diakonus, Sie machen mir viel zu viele Komplimente«, erwiderte der Hofschulze bescheiden. »Indessen werde ich Ihre Worte im Herzen bewegen und sehen, was ich damit anfangen kann.«

Sie gingen bis auf die Straße zusammen. Dann trennten sie sich. Der Diakonus war in einer Erschütterung, wie er sie lange nicht empfunden hatte.


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