Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Nach dem Abgange des Schloßherrn öffnete Münchhausen die Augen und sagte zu Karl Buttervogel, der ein stummer Zeuge dieser Szene gewesen war: »Karl, willst du mir treu bleiben?« – »O mein gnädiger Herr«, rief Karl Buttervogel, »wie könnte ich es wohl über das Herz bringen, Ihnen untreu zu werden, da Sie mir soeben noch vor kurzem meinen vollen Lohn gegeben haben, zwölf Gulden vierundzwanzig Kreuzer. Nein, wenn der Mensch Geld kriegt, so muß er treu sein, wie ein Hund, und Häuser muß man auf ihn bauen können, und so lange wie der letzte Kreuzer vorhält, muß er an seinem Herrn halten, denn dafür ist er Bedienter, und ein Bedienter, der seinen Herrn verrät, der ihn ordentlich bezahlt, ist kein Bedienter nicht, sondern ein Schuft.«

»Schweige!« rief Münchhausen. »Rede nicht, sondern handle, Buttervogel. Es liegt mir jetzt alles daran, allein im Schlosse zu sein, aus dem mich der Alte forttreiben will. Locke daher das Fräulein ins Freie –«

»Das wird nicht nötig sein«, fiel Karl Buttervogel ein, »denn sie hat sich selber schon, ganz blümerant aufgetakelt, ins Freie gelockt, ich habe sie eben mit einem großen Dinge unter der Schürze nach meinem Schneckenberge gehen sehen.«

»Gut, das halbe Werk ist sonach getan. Locke denn also noch den Alten ins Freie.«

»Ich will so tun, als ginge ich nach der Stadt in die Apotheke für Sie, um wieder Spezies zu holen fürs chemische Schmieren, und wenn ich an ihm im Hause vorbeigehe, so will ich munkeln: ›Ja, wenn ich sprechen dürfte‹ – so wird er mir nachgegangen kommen, um mich auszufragen.«

»Tue das, Karl, mache mir das Schloß rein von allem lästigen Personal, ich will daraus eine Festung für mich schaffen«, sprach der Freiherr von Münchhausen mit seiner ganzen ihm so eigentümlichen Würde.

 

Auf dem Vogelherde saß also, verlockt von dem scheinbaren Stadtgange des Bedienten, der alte Baron, während Emerentia dieses nämlichen Bedienten, der für sie kein Bedienter war, mit einem leckeren Gerichte am Schneckenberge harrte. Der Schloßherr hatte seinen Plan entworfen. So geradezu jemand aus dem Schlosse zu bringen, der sich darauf versteift zu haben schien, bei ihm neun Monate, drei Tage und achtzehn Stunden mit den Wachpausen für Essen und Trinken abzuschlafen, konnte mißlich erscheinen. Der alte Baron wünschte daher nichts mehr, als irgendeinen Umstand zu erkunden, welcher ihn allenfalls berechtigte, die öffentliche Macht gegen den Propheten anzurufen, der ihm nun wie ein Tagedieb vorkam. Einen solchen Umstand hoffte er von dem Bedienten Karl Buttervogel herauszubringen, denn das Wort »Munkel« und die beständige Erwähnung von ungeheuren Geheimnissen, welche um die Persönlichkeit des Freiherrn nebelten, deutete nach seiner Meinung offenbar auf Verschuldungen oder wenigstens auf Verwickelungen hin, die ihm den Arm der Polizei, so hoffte er, wider den chronischen Schläfer willfährig machen sollten.

Er hatte sich mit diesen Gedanken unter eine Vogelbeerstaude gesetzt und überlegte die Mittel, mit denen er Karl Buttervogeln plaudern machen wollte. Der Mensch hatte ihn immer so freundlich und gerührt, wir wissen weshalb? seither angesehen, daß er hoffte, auf sein Gefühl wirken und seinen Mund durch Liebe und Dankbarkeit aufschließen zu können. Er nahm sich daher vor ihn auf bewegliche Weise zu bewegen.

Karl saß indessen, um seinen Stadtgang glaublich zu machen, eine halbe Stunde vom Vogelherde in einem Kruge und vertrank einen Teil des Lohnes, den ihm die diplomatischen Mißverständnisse zwischen dem Fräulein und seinem Herrn gespendet hatten. Dem alten Baron wurde darüber die Zeit lang und da er an seiner Kriegslist nichts mehr zu denken fand, so nahmen seine Vorstellungen eine andere Richtung, welche folgendes Selbstgespräch offenbarte.

»Ich habe mich resigniert«, sagte er. »Der heutige Tag zeigt mir meine Lage im wahren Lichte. Münchhausen erscheint mir als das, was er ist, als ein großer Frevler. Vielleicht ist er der Vater von Kaspar Hauser. Möglich auch, daß er ein berüchtigter Giftmischer ist wegen der beständigen chemischen Experimente. Auf jeden Fall ein Mann, dem zu vertrauen bedenklich sein muß. Ein unnatürlicher Charakter, abnorm in jeder Beziehung. Welcher Mensch außer ihm, sammelt Schlaf von seiner Jugendzeit auf für neun Monate, drei Tage, achtzehn Stunden. Es ist zwar eine Klage manches Schulmanns, wie ich gelesen habe, daß auch die jetzt gar zu sehr angestrengte Jugend nachher schläfrig werde, aber dann schlafen sie mit offenen Augen, die Jungens werden rein dumm vom vielen Lernen, natürlichen Nachschlaf kriegen sie aber deshalb nicht. Dieser Nachschlaf ist folglich wieder ganz eine Veranstaltung à la Münchhausen.

Ich traue ihm nicht mehr. Seit heute verlasse ich mich auf meine gesunden Sinne und nicht auf Flirren und Flausen. Luft ist Luft und wird mein Tage nicht Stein. Das ganze Projekt ist Windbeutelei und die Luftverdichtungsaktienkompanie nicht so viel wert.«

Der alte Baron blies bei den letzten Worten über seine flache Hand hin, senkte dann tiefsinnig das Haupt und sprach nach einer Pause: »Wunderbar! – Wie demjenigen, der eine große Wahrheit entdeckt, zugleich viele andere Wahrheiten mit einem Schlage aufzugehen pflegen, so zerstört die Zerstörung eines großen Irrtums auch seine Nachbarn. Seit ich nicht mehr an versteinerte Luft glaube, bin ich auch mißtrauisch geworden über die Rückkehr der alten Verhältnisse und meinen Eintritt in das höchste Gericht als geborener Geheimer Rat. Es ist zu viel Gras darüber hingewachsen, meine Tage sind gezählt; ich erlebe es nicht mehr, das fühle ich wohl.

Und so wäre ich denn ein armer, alter, zerbrochener, abgebrauchter Mann? – Nein! Mitnichten. Schon regen sich neue Gedanken in mir, die jugendliche Kräfte aufwecken. Das ist eben der wunderbare Segen der Gegenwart, daß niemand untergehen kann, der sich mit rüstigem Arm und beherzter Brust in ihre Fluten wirft. Erlischt hier ein Licht, so flammt es da wieder auf, die unendliche Mannichfaltigkeit der Mittel, Gedanken und Anregungen macht jede welkende Hoffnung zu einem Phönix, der sich zwar bestattet, aber aus dem Feuergrabe immer wieder auflebt.

Ich habe schon wieder Aussicht, Mut, eine Zukunft. Ich glaube nicht mehr an den geborenen Geheimen Rat, ich glaube nicht mehr an die Luftverdichtungskompanie; ade Syndikat! Ade ihr sechsmalhunderttausend Luftsteine, mit denen ich salariiert werden sollte – Fahret wohl, ihr nichtigen Träume und Schäume und macht einem soliden Geschäfte Platz. – Das religiöse Bedürfnis ist mächtig erwacht in der Zeit und schmachtet nach der Herstellung der Hierarchie. Diesem Bedürfnisse zu genügen muß ein großartiges Institut in das Leben gerufen werden. Ich werde Jesuiten auf Aktien kommen lassen. Schon morgen reise ich, um die nötige Protektion und Förderung mir zu verschaffen, wenn ich inzwischen Münchhausen loswerden kann, nach –«

Der alte Baron gab nicht an, wohin er reisen wollte, denn es unterbrach ihn ein Geräusch unten auf der Straße. Er sah den Bedienten kommen und rief ihn an. Karl Buttervogel murmelte für sich, indem er dem Rufe auf den Vogelherd folgte: »Treu bin ich meinem Herrn bis fünf Taler, wenn er aber mehr geben will, da kann der Mensch nicht widerstehen.«

So kamen beide auf dem Vogelherde zusammen; der Bediente mit der Absicht, sich um mehr als fünf Taler bestechen zu lassen, der Schloßherr in der Meinung, ihn durch Güte zu rühren, denn außer Güte hatte er nichts bei sich.

»Er hat wohl auch von dem Wege viel Mühe gehabt bei der Wärme, mein Freund? Setze Er sich mir da gegenüber unter die Rüster« – sagte der Schloßherr im gütigsten Tone. – »Ich kann schon stehen«, versetzte der Bediente, »ich würde unter der Rüster sitzen wie auf Kohlen und mir, mit Respekt zu melden, das Gesäß verbrennen, wenn ich in Gegenwart von einem so gnädigen Herren sitzen tun sollte. Jeder an seinem Platz und an seinem Ort, das ist so das beste, der Herr Baron sitzend und ich hier stehend in alle Ewigkeit.«

»Es kommt mir so vor, als halte Er etwas auf mich«, sagte der alte Baron nach einer Pause, während welcher er vergeblich nach einem schicklichen Anknüpfungspunkte suchte.

»O gnädiger Herr«, rief Karl Buttervogel erregt, beugte sich zu dem Schloßherrn nieder und küßte dessen Rock, »wie ich Sie liebe, das kann keine Menschenzunge aussprechen. Denn warum sollte ich Sie denn auch nicht lieben, da Wurst und Eier bis jetzt nicht gemangelt haben, und da ich gewiß fernerweite gute Verköstigung kriege, und der gnädige Herr so ein ehrwürdiges Ansehen haben, und die ganze Positur so etwas Martialisches und da die nähere Verbindung bevorsteht, und Schwiegersöhne Schwiegerväter schon aus Pflicht lieben müssen, und da –«

»Nun wohl, Buttervogel«, rief der alte Baron, »laß' Er die vielen Gründe, die mir auch zum Teil dunkel sind, denn ich weiß nicht, was Er mit der Wurst und mit den Eiern und den Verbindungen und den Schwiegervätern und Schwiegersöhnen sagen will. Wenn Er wirklich auf mich etwas hält, so kann Er mir einen Gefallen tun, und ich ersuche Ihn darum.«

»Tausend Gefallen für einen, gnädiger Herr!« rief Karl Buttervogel. »Soll ich Ihnen den grünen Rock ausbürsten, oder an dem Schlafrock mit den Weinranken das Loch im Ärmel zunähen, oder –«

»Nichts von allem dem. Sondern mich interessiert Sein Herr bis in die kleinsten Umstände seines Lebens und über manches möchte ich Aufschluß haben. Erinnere Er sich nun, wie gut ich an Euch gehandelt habe, sei Er dankbar für so viele Gastfreundschaft, erwäge Er, was Er mir für meine Güte schuldig ist, und wenn dadurch in Ihm ein richtiges Gefühl entstand, so sage Er mir, warum Sein Herr Seine Grobheiten vermischt mit geheimen Anspielungen duldet? denn dahinter muß notwendig etwas stecken.«

»Dahinter steckt auch etwas«, sagte Karl Buttervogel ernsthaft. »Und ich wollte mich wohl verführen lassen aus Liebe und Erkenntlichkeit zu dem gnädigen Herrn Baron und zum Delinquenten an meinem Herrn von Münchhausen werden, wenn nur...« Er sah starr nach der Hosentasche des alten Barons.

»Was, Karl? Spreche Er sich deutlich aus, mein Sohn.«

Karl Buttervogel machte eine krumme Hand und sah den Schloßherrn dabei gerührt an. »Sie haben als Vater an uns gehandelt, und wer so ist, wie Sie, der macht mich weichherzig und da kenne ich gar keine Pflichten und laß' meinen eigenen Bruder im Stich. Aber insofern...«

»Aber insofern? – Stocke Er doch nicht so oft. Heraus mit der Sprache! Was versteht Er unter dem Munkel, wie Er Seinen Herrn nennt, und unter den Geheimnissen der Erzeugung?«

Karl Buttervogel spuckte vor sich nieder, sah dann wieder nach der Hosentasche des alten Barons, machte den Gestus des Geldzählens und fuhr darauf plötzlich, als der Schloßherr diesen Gebärden stumm und verwundert und ohne auf den Sinn ihrer Forderung einzugehen, zusah, mit der Frage heraus: »Haben Sie wohl über fünf Taler bei sich?«

»Nein«, versetzte der alte Baron etwas verlegen. »Ich trage kein Geld bei mir.«

»So bleibt auch das Geheimnis bei mir«, sagte Karl Buttervogel.

Der alte Baron rief entrüstet: »Also aus Liebe zu mir will Er mir nichts sagen, aber für Geld würde Er Seinen Herrn verraten!«

»Ja«, rief der Bediente, »für Geld kann man alles kriegen, denn die Zeiten sind teuer und ohne Nebenverdienst geht es einmal nicht in der Welt, und weil es in der Freundschaft bliebe, so wäre es auch kein Verrat, und die Liebe zu Ihnen ist zu groß, und Sie könnten es mir gewissermaßen befehlen von wegen der kindlichen Ehrfurcht, die ich gegen Sie haben tun muß, und warum fängt mein Herr solche Sachen an und ich würde es auch nicht für ein paar Groschen tun, denn das wäre schimpflich, aber fünf Taler machen einen Unterschied, und das Hemde ist mir näher als der Rock, und Bestechung ist nur ein Vorurteil, aber ohne Geld und Gaben bin ich meinem Herrn so treu wie Gold, und keine Menschenmacht soll mich von meiner Schuldigkeit abwendig machen, und das können Sie mir auch gar nicht verdenken, denn Sie würden sich auch so einen ehrlichen Kerl zum Bedienten wünschen, der alles mit sich in die Sterbegrube nähme, wenn Sie sich chemisch schmieren müßten, weil nämlich –«

»Schweige Er!« rief der alte Baron, welcher befürchtete, daß Karl Buttervogel sich in ein neues Meer von Gründen stürzen würde. Verdrießlich riß er Blätter von den Stauden, zwischen denen er saß, und zerpflückte sie. Karl Buttervogel entfernte sich gleichfalls verstimmt über die unverletzte Treue, die er seinen Grundsätzen gemäß dem Herrn bewahrt hatte, von dem Vogelherde.


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