Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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›Ich bitte dich, Gesell‹, rief der Schüler, den das Grauen immer stärker durchrieselte, ›sag' mir an, welche Jahrzahl schreibt Ihr in der Christenheit?‹ Der Köhler, von dem auch die Feiertagswäsche den Ruß nicht hatte bringen mögen, hob sich mit seinen mächtigen Gliedern schwarz zwischen den grünen Büschen empor, und sprach nach einigem Besinnen die Jahreszahl aus. – ›O du mein Heiland!‹ schrie der Schüler und stürzte, von seinem Stecken nicht gehalten, auf den Steinen zusammen. Dann schleuderte er den Stecken hinweg und kroch zitternd den Steinpfad hinab.

Verwundert trat der schwarze Köhler, den Maserast in der Hand, aus den Sträuchern auf die Steine, sah den Stecken liegen, bekreuzigte sich und sprach: ›Der ist von der Eibe, die da droben wächst im Eulensteine, wo der Schuhu horstet. Sie sagen, sie schaffe den Zauber, und löse geschaffenen Zauber. Gott behüte uns! der Alte hatte böse Dinge auslaufen lassen.‹ – Dann ging er in die Büsche zurück, seiner Hütte zu, um das Spielwerk für seinen Knaben zu schnitzen.

 

Unten auf der lustigen Waldwiese neben der Hainbuchenlaube, am klaren Wässerlein, welches dort seine Ränder zu einem breiten Becken auseinander gespült hatte, saßen der junge Ritter Konrad und die Schöne, welche er ohne magische Künste aus dem Schlummer geweckt hatte. Lieblich drängten sich rote, blaue und gelbe Kelche aus den Gräsern um sie her, und das Paar blühte in Jugend und Schönheit, der Ritter in seinem bunten Schmuck, die Jungfrau in ihren silberglänzenden Schleiern, als die herrlichste Blume aus diesem Schmelz empor. Er hatte seinen Arm sanft um ihren Leib gelegt und sagte, ihr treu und zärtlich in das Auge sehend: ›Bei der Asche meiner lieben Mutter, und bei dem heiligen Zeichen auf dem Griffe dieses Schwerts, ich bin, der ich mich dir genannt habe, Herr meiner Schlösser und meiner Tage, und beschwöre dich nun, du holdseliges Wunder dieses Forstes, daß deine Lippen das Wort sprechen, welches mich auf ewig dir in den Besitz geben wird, den der Priester vor dem Altare weihen und segnen soll.‹ –

›Was für ein Wort begehrst du noch?‹ sagte die Schöne leise, indem sie züchtig die Wimpern senkte. ›Hat nicht mein Auge, meine Wange, mein klopfender Busen alles gesprochen? Minne ist eine gewaltige Königin; sie fährt daher unversehens und ergreift, den sie mag, ohne Widerstand zu dulden. Bringe mich, bevor der Tag sinkt, nach dem Kloster am Odenwald zur frommen Äbtissin, sie wird mich unter Schirm nehmen, dort will ich zwischen stillen Mauern harren, ob du kommen und mich heimführen willst.‹ Sie wollte aufstehen, der junge Ritter hielt sie aber sanft zurück und sagte: ›Laß uns an diesem Platze, wo meine Seligkeit wie ein goldenes Märchen emporsproßte, noch einige Augenblicke verweilen. Fürchte ich doch noch immer, daß du mir, gleich einer reizenden Waldnymphe verschwindest! Hilf mir, daß ich an dich glaube und an deine holde Sterblichkeit. Wie bist du hergekommen? Was war mit dir?‹

›Ich war‹, versetzte die Schöne, ›heute morgen zu Walde geflohen vor meinem Vormunde, dem Grafen Archimbald, dessen Absichten plötzlich, ich weiß nicht ob auf mich, oder auf meine Güter, bös und erschreckend hervorgetreten waren. Was hilft der Jugend und dem Weibe reiches Erbe? Es ist immerdar schutzlos und verlassen. Ich wollte mich zur Äbtissin flüchten, ich wollte den Kaiser in Mainz antreten, kaum wußte ich selbst, was ich wollte. So kam ich in diese grünen Baumhallen. Mein Herz war nicht auf den Helfer gerichtet, meine Gedanken haderten mit dem Himmel.

Auf einmal, wie ich diese Wiese schon vor mir liegen sah, war mir, als würde da drüben in den Büschen etwas gesprochen, worauf ich mich und alles um mich her verwandelt fühlte. Ich kann dir das Wort, oder den Laut nicht beschreiben, mein Geliebter! Der Gesang der Nachtigall klingt heiser gegen seine Süßigkeit und das Rollen des Donners ist, mit ihm verglichen, nur ein schwaches Flüstern. Es war gewiß das Geheimste und Zwingendste, was es zwischen Himmel und Erde geben kann. Auch auf mich übte es eine unwiderstehliche Gewalt, da es in meinen fassungslosen Geist, in das Getümmel meiner Sinne fiel und kein Gedanke des Heils ihm in mir entgegentrat. Meine Augen schlossen sich und doch sah ich den Weg vor meinen Füßen, den die Füße, wie von unsichtbaren, weichen Händen gelenkt, wandeln mußten. Ich schlief und schlief doch nicht, es war ein unbeschreiblicher Zustand, in dem ich endlich unter jener Laube auf weichem Moose niedersank. Es sprach und sang alles um mich her, in mir fühlte ich den Wogenschlag der jubelndsten Wonne, jeder Tropfen Blutes leuchtete und tanzte durch die Adern und doch saß mir im tiefsten Herzen das alleräußerste Grauen vor dieser Verfassung und die heißeste Bitte um Erweckung aus meinem Schlafe. Aber ich spürte, daß von dem Grauen nichts in mein Antlitz trat, wunderbarerweise konnte ich mich selbst schauen und sah, daß meine Wangen von der Wonne lächelten, als würden mir himmlische Freudenlieder zugesungen. Immer weiter griff die Wonne in mein Herz, immer weiter drängte sie das Grauen zurück, eine furchtbare Angst befiel mich, daß dieses Pünktchen ganz aus mir getilgt und ich eitel Wonne werden würde.

In dieser Not, und dem Verschwinden alles Bewußtseins nahe, gelobte ich mich dem, der mich erwecken und befreien werde, zu eigen. Ich sah nun durch meine geschlossenen Augenlider eine dunkele Gestalt sich über mich beugen. Das Antlitz war edel und groß, und doch fühlte ich einen tiefen Widerwillen gegen diesen und es flog wie ein Schatten durch meine Empfindung, daß er es gewesen sein möchte, der das verdammliche Wort gesprochen habe. Aber immer rief ich stumm in mir und doch laut für mich: Wenn er dich weckt und befreit, so mußt du ihm für diese überschwengliche Wohltat angehören, denn du hast es gelobt. – Er hat mich nicht geweckt!‹

›Ich, ich habe dich geweckt, mein teures Lieb, und nicht mit Zauberspruch und Segen, nein, mit heißem Kuß auf deine roten Lippen!‹ rief der junge Ritter entzückt und hielt die schöne Emma fest umschlungen. – ›Das sind wohl rechte Wunder im Spessart gewesen, die uns zusammengeführt haben. Ich hatte mich draußen am Heerweg von meinem geliebten Freunde Petrus getrennt nach seltsamen verfänglichen Gesprächen. Als ich einige hundert Schritte geritten war, überfiel mich noch einmal eine große Sorge um ihn, ich saß ab und wollte wiederholt ihm ans Herz legen, seine dunkelen Wege zu lassen und mit mir gen Mainz zu ziehen. Als ich mich wandte, sah ich ihn in den Wald schlüpfen. Ich rief seinen Namen, er aber hörte mich nicht. Die Sporen verhinderten mich am raschen Gehen; ich konnte ihm nur von weitem folgen, doch ließ ich nicht ab, hinter ihm her zu rufen, was aber vergeblich blieb. Endlich verschwand mir sein schwarzer Mantel zwischen den Bäumen. Auch ich sah die schöne grüne Wiese schimmern und wollte mir den lichten Blumenschein besehen. So kam ich her, nachdem ich noch die Kreuz und Quer nach meinem Freunde gesucht hatte. Auch mich umgab es hier im Walde aus den Lüften wie ein Wühlen und Schwingen, das Gewürm war in einer Bewegung, die Vögel verführten ein so eigenes Flattern und Zirpen. – Weil ich aber an die helle gute Straße dachte, auf die ich den Petrus gern bringen wollte, so hat mir vermutlich das Wesen nichts anhaben können. Als ich dich schlummernd fand, drang mir mit der Gewalt der süßesten Liebe ein ungeheures Mitleid um dich in das Herz, ich frohlockte und weinte doch Tränen, die heißesten, die je aus meinen munteren Augen gekommen. Ich glaube, daß mir vergönnt war, in den Winkel zu schauen, wo dir das Grauen wohnte. Schluchzend und lachend rief ich:

'Die schönste Rose, die da blüht,
Das ist der rosenfarbne Mund
Von wonniglichen Weiben;
Am Kuß des Mai'n die Ros' erglüht,
Es soll der schönste Rosenmund
Nicht ungeküsset bleiben!'

und da boten meine Lippen in Gottes Namen den Deinen ihren Gruß...‹

›Und die Fesseln fielen ab von mir, ich erwachte, und mein erster Blick traf in dein treues weinendes Auge‹, rief die schöne Emma. ›Ich dankte Gott, auf dessen Namen ich mich jetzt wieder besann, daß ich erlöset sei, und dann dankte ich ihm, daß du es gewesen, der mich befreiet habe, und nicht jener Dunkle.‹

Der junge Ritter war nachdenklich geworden. ›Ich fürchte‹, sagte er, ›alle diese geheimnisvollen Waldwunder stehen mit Petrus in Zusammenhang. Ich fürchte, daß ich an dem Tage, wo ich meine Liebe gewann, meinen Freund verloren habe. Wo mag er nur geblieben sein?‹

Das Paar fuhr erschreckt auseinander, denn sie sahen in dem Wasser zu ihren Füßen zwischen ihren blühenden Häuptern ein eisgraues, greises abgespiegelt. ›Hier ist er‹, sagte ein zitternder, gebeugter, schneeweißer Alter, der hinter ihnen stand. Er trug den neuen, schwarzen Mantel des Schülers.

›Ja‹, sagte der Alte mit schwacher, erloschener Stimme; ›ich bin dein Freund Petrus von Stetten. Ich stand schon lange hinter Euch und hörte Eure Reden, und die Geschicke sind klargeworden. Es ist noch der Peter- und Paulstag, an dem wir uns trafen und trennten draußen auf dem Heerwege, der kaum tausend Schritte weit von hier läuft und seit wir voneinander gegangen sind, mag eine Stunde verstrichen sein, denn der Schatten, den der Strauch da auf den Rasen wirft, ist nur um ein Geringes gewachsen. Wir waren vierundzwanzig Jahre alt vor dieser Stunde, du bist darin um sechszig Minuten, ich aber bin derweile um sechszig Jahre älter geworden. Ich habe vierundachtzig. – So sehen wir uns wieder; ich habe es freilich nicht gedacht.‹

Konrad und Emma waren aufgestanden. Sie schmiegte sich scheu an den Geliebten und sagte leise: ›Es ist ein armer Irrsinniger.‹ – ›Nein, du schöne Emma‹, sagte der Alte, ›ich bin nicht irre. Dich habe ich geliebt, mein Zauber fiel auf dich; und ich hätte dich haben können, wäre es mir vergönnt gewesen, in Gottes Namen dir den roten Mund zu küssen, was der einzige Segen ist, womit schöne Minne erweckt wird. Statt dessen mußte ich nach dem Eibenzweige gehen und dem Schuhu seine Klause vor Wind und Wetter verwahren helfen. Nun, wie es gekommen ist, so mußte es kommen. Er hat die Braut, und ich habe den Tod davongetragen.‹

Konrad hatte immerfort starr in das Gesicht des Alten gesehen, um durch die Runzeln und Falten hindurch ein früheres Lineament des Jugendfreundes zu entdecken. Endlich stammelte er: ›Ich beschwöre dich, Mensch, uns zu verkünden, wie diese Verwandlung hat zugehen können, damit uns nicht ein Schwindel faßt und zu schrecklichen Dingen treibt!‹

›Wer Gott versucht und die Natur, über den stürzen Gesichte, an denen er rasch verwittert‹, antwortete der Alte. ›Dabei bleibt der Mensch, wenn er auch die Pflanzen wachsen sieht und die Reden der Vögel verstehen lernt, so einfältig wie zuvor, läßt sich von einer albernen Elster Fabeln von der Prinzessin und vom Kankerkönige aufbinden, und sieht Frauenschleier für Spinnweben an. Die Natur ist Hülle, kein Zauberwort streift sie von ihr ab, dich macht es nur zur grauen Fabel.‹

Er schlich langsam in die Waldgründe. Konrad wagte nicht, ihm zu folgen. Er leitete seine Emma aus dem Schatten der Bäume nach der heiteren Straße, wo das Licht in allen Farben um die Kronen der Stämme spielte.

Noch einige Zeitlang hörten die Wanderer im Spessart hinter Felsen und dichten Baumgruppen zuweilen mit einer hohlen und geisterhaften Stimme Reime sprechen, die dem einen wie Unsinn, dem anderen wie tiefe Weisheit klangen. Gingen sie dem Schalle nach, so fanden sie den Alten, der noch so wenige Jahre zählte, wie er, erloschenen Auges, die Hände auf die Kniee gestützt, starr in die Weite blickte und die Sprüche vor sich hinsagte, deren keiner aufbehalten geblieben ist. Nicht lange aber, so wurden sie nicht mehr gehört, und auch den Leichnam des Alten fand man nicht.

Konrad freite seine Emma; sie gebar ihm schöne Kinder und er lebte bis zu späten Jahren mit ihr in großer Freude und Lust.«


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